Protokoll der Landratssitzung vom 22. und 29. September 2016


Landratspräsident Philipp Schoch (Grüne) erklärt, die vier Geschäfte würden verbunden beraten, und informiert, der Regierungsrat sei zur Entgegennahme der Vorstösse 2016/095 und 2016/102 als Postulate bereit; die Motionen 2016/097 und 2016/103 lehnt der Regierungsrat ab.

> Begründungen des Regierungsrats 

Pascal Ryf (CVP) nimmt Bezug auf die Redewendung «Andere Länder, andere Sitten» und erklärt, er habe über Mittag in der Buchhandlung einen Reiseführer über sein nächstes Reiseziel besorgt. Darin heisst es einleitend: «...beispielsweise sollten Männer bei der Begrüssung von einheimischen Frauen kein Händeschütteln anbieten.» Darüber konnte er schmunzeln – ganz anders bei der Stellungnahme des Regierungsrates zu seiner Motion und zur Motion der SVP-Fraktion. Denn bei dieser Lektüre sind ihm unweigerlich Michelle Obama und Melanie Trump eingefallen: Es wurde die «Copy/Paste»-Methode angewandt, obwohl die Motionen in völlig unterschiedliche Richtungen zielen.

Der Fokus in der Stellungnahme zur Motion 2016/095 war, dass der Regierungsrat den Schüler(inne)n keine Feiertage verbieten möchte, die aufgrund von religiösen Festivitäten gelten. In der Motion heisst es aber ausdrücklich, dass die gelebte Kultur berücksichtigt werden solle; und es ist in der Schweiz seit Jahrzehnten Teil der gelebten Kultur, beispielsweise jüdischen Kindern freizugeben, wenn sie einen Feiertag feiern. Auch bei den muslimischen Kindern wird das so gehandhabt, und das soll nicht zur Diskussion gestellt werden. Darin besteht ein wesentlicher Unterschied zur Motion der SVP-Fraktion.

Des weiteren gab es immer wieder Diskussionen darüber, ob ein Handschlag wirklich unbedingt typisch schweizerisch sei. Darum geht es gar nicht, sondern um die Frage: Welcher Geist steht dahinter? Es ist der Geist, der eine Frau auf ihr Frausein reduziert, also das sexistische Gedankengut einer patriarchalischen Gesellschaft, ein Frauenbild, das nicht mit unseren gesellschaftlichen Werten in Einklang gebracht werden kann. Wenn nun der Regierungsrat findet, die Motion wäre verfassungswidrig, kann man nur den Kopf schütteln, denn verschiedene Verfassungsrechtler sind zum Schluss gekommen, dass es immer möglich sei, einen solchen Text verfassungskonform auszulegen – zumal die Motion bewusst sehr breit formuliert worden ist, so dass man nicht sagen kann, er würde der Glaubensfreiheit widersprechen. Im Gegenteil: Artikel 8 der Bundesverfassung, das Diskriminierungsverbot, ist nicht gewährt, wenn man akzeptiert, dass jemand einen Handschlag verweigert.

Der Vater des Jungen aus Therwil hat einmal in einem Interview gesagt, er habe das Gefühl, hier solle die eine Kultur über eine andere gestellt werden. Dazu passt ein Gottfried-Keller-Zitat: «Achte jedes Mannes Vaterland, aber das deinige liebe!» Das ist eine schöne Aussage. – Pascal Ryf reist in einigen Tagen nach Iran, er ist beileibe nicht islamophob, er ist gerne unterwegs und mag fremde Kulturen; er ist aber ein stolzer Schweizer, und er erwartet von den Leuten, die hier leben, dass sie selbstverständlich ihr Heimatland und dessen Kultur achten, dass sie aber auch genauso viel Respekt haben vor den hier geltenden Werten und Sitten.

Es ist durchaus erfreulich, dass der Regierungsrat bereit ist, den Vorstoss als Postulat entgegenzunehmen und das Bildungsgesetz entsprechend zu ändern. Dort heisst es in § 2 Absatz 1: «Das Bildungswesen weiss sich der christlichen, humanistischen und demokratischen Tradition verpflichtet.» Es sollte also selbstverständlich sein, dass unsere Werte durchgesetzt werden können. Auf die Forderung nach Integrationsvereinbarungen hiess es, es soll eine Meldung an die Ausländerbehörden in Betracht gezogen werden; das ist eine gute Idee, aber Integration ist primär eine Bringschuld. Wer hier lebt, muss bereit sein, die geltenden Regeln zu akzeptieren. Erst wenn dies nicht der Fall ist, soll eine Meldung erstattet werden. Solch ein Ansatz sollte im Bildungsgesetz verankert werden.

Wie funktioniert genau eine solche Meldepflicht an die Ausländerbehörden? Es kommt immer wieder vor, dass Eltern seit zehn oder zwanzig Jahren in der Schweiz leben und kein Wort Deutsch können; meist sind es Frauen, die in einer abgeschirmten Parallelwelt leben. Wäre das nun etwas, das gemeldet werden könnte, weil es ein Hinweis auf unterlassene Integration ist und weil diese Frauen ihren Alltag nicht gemäss den hier geltenden Gepflogenheiten verbringen können?

Wenn es in den Schulen Religionsprojekttage gibt (z.B. zum Thema «Weltreligionen» oder «Ethos») und Eltern ihre Kinder dafür aus religiösen Gründen abmelden möchten – kann dann die Schule die Teilnahme für obligatorisch erklären?

Solche patriarchalische Strukturen, wie sie dem Geist des besagten Vaters zugrunde liegen, sind definitiv überholt und haben in der Schweiz nichts mehr verloren. Wer hier lebt, muss sich unseren Gepflogenheiten anpassen. Wer das nicht möchte, ist jederzeit frei, in einem anderen Land zu leben.

Oskar Kämpfer (SVP) ist leicht irritiert über die verbundene Beratung: Werden nun alle Motionäre nacheinander aufgerufen, oder äussern sich die Fraktionen zu jeder einzelnen Motion?

Landratspräsident Philipp Schoch (Grüne) antwortet, es würden zuerst die Motionäre zu Wort kommen, danach weitere Einzelsprecher. Die Ratsleitung hat das Verfahren im Griff. [Heiterkeit]

Das freue ihn ausserordentlich, versichert Oskar Kämpfer (SVP). Er ergänzt, dass er aus Effizienzgründen im Anschluss zu allen vier Motionen sprechen werde. Der Vorstoss 2016/097 der SVP-Fraktion ist selbstredend.

Marc Schinzel (FDP) vertritt die Motion 2016/102. Seiner Meinung nach zeigen die jüngsten Recherchen von «Rundschau», «Basler Zeitung» und «Tages-Anzeiger» rund um die Basler Faysal-Moschee und die kürzlich erfolgte Polizeiaktion wegen Personen, die sich dort teils schon jahrelang illegal aufhalten, glasklar auf, dass die Verweigerung eines Händedrucks gegenüber einer Lehrerin in Therwil durch die beiden Söhne des Faysal-Imams nicht als vernachlässigbare Lappalie zweier Pubertierender abgetan werden dürfen.

Die Ebene des Salafismus, die einen Steinzeit-Islam samt Scharia hochhält, die von militanten Eiferern über gewaltbereite Aktivisten bis hin zu tätigen Anwerbern und Helfern von Jihadisten reicht, ist sehr schief und sehr rutschig. Die Problematik geht weit über den Händedruck und die Schule hinaus. Gefordert ist in den Bereichen Migration und Sicherheit auch die Sicherheitsdirektion von Regierungsrat Isaac Reber.

In der Schweiz gilt das Grundrecht der Religionsfreiheit: Alle können ihre Religion frei praktizieren. Wer aber unter dem Deckmantel der Religionsfreiheit die freiheitlich-demokratische Gesellschaftsordnung untergräbt und frauenfeindliche Konzepte durchsetzen möchte, geniesst keinen Grundrechtsschutz. Das von Bildungsdirektorin Monica Gschwind in Auftrag gegebene Gutachten zur Verweigerung des Händedrucks hält dies unmissverständlich fest.

Das archaische salafistische Konzept der Verweigerung des Händedrucks entmenschlicht Frau und Mann und degradiert beide zu blossen Hüllen ihrer Sexualität: Die Frau ist ein hilfloses Wesen in zartem Körper, das jederzeit vor allen Männern – ausser vor ihrem eigenen – geschützt werden muss. Und weil eine Frau das selber nicht kann, darf kein Mann – ausser eben ihrem eigenen – sie an den Händen berühren. Eigentlich geht es aber um mehr: Die Frau als gottgegebene Verführerin steht in der ständigen Pflicht, allzeit bereite Männer vor sich selber zu schützen, indem sie sich gegenüber dem fleischlich starken, geistig aber offenbar sackschwachen Geschlecht abschotten muss. Das sind, unschwer erkennbar, sektiererische Zerrbilder. Wo bleibt die emanzipierte Frau mit Intellekt, Tatkraft, eigener Empfindung? Wo bleibt die qualifizierte Lehrerin, die eine Klasse im Unterricht führt?  Letztlich geht es bei dieser salafistischen Ideologie um nichts weniger als um die Ausgrenzung der Frau aus dem Berufsleben und aus dem öffentlichen Raum überhaupt. Ein solches Frauen- und auch Männerbild gehört nicht in die Schule, die integrieren und auf das Zusammenleben in der Gesellschaft vorbereiten soll. Duldete ein freiheitlicher Rechtsstaat – und sei es nur in der Absicht, Konflikte niederschwellig zu lösen – ein solches frauen- und männerverachtendes Verhalten in der Schule, würde er sich selber demontieren.

Deshalb ist es richtig und notwendig, dass Monica Gschwind den Händedruck gegenüber weiblichen Lehrpersonen dort, wo er an der Schule Usanz ist, ohne Wenn und Aber durchsetzen wöchte. Wie die Vorstösse der SVP und von Pascal Ryf zielt auch der Vorstoss der FDP-Fraktion darauf ab, den Anspruch von Schülerinnen und Schülern auf Bildung, den Schulbetrieb, den Lehrkörper und namentlich die weiblichen Lehrpersonen zu stärken. Der Missbrauch der Religionsfreiheit zur Erzwingung von religiösem Sonderrecht, das verfassungswidrige Praktiken salonfähig machen will, muss verhindert werden. Wie das geschieht, ist sekundär; wichtig ist, dass es passiert.

Die BKSD schreibt, dass die in der Motion vorgesehene gesetzliche Festschreibung von religiös motivierten Ausnahmen verfassungswidrig sei. Damit schlägt sie schon mit der ganz groben Keule um sich, und das kann man nicht stehen lassen. Wichtig ist, dass die Grundrechtssystematik der Verfassung verlangt, dass Einschränkungen von Grundrechten gesetzliche Grundlagen brauchen – und nicht die Anwendungsfälle des Grundrechts. Würden aber die religiös motivierten Ausnahmen im Schulbetrieb in ein kantonales Gesetz geschrieben, wäre das keineswegs verfassungswidrig; man würde einzig riskieren, dass der kantonale Gesetzeskatalog nicht vollständig wäre und dass ein Gericht sagen würde, dass auch noch weitere Ausnahmen, gestützt auf die Religionsfreiheit gemäss Bundesverfassung, gelten müssten.

Es ist richtig, dass der von der BKSD vorgeschlagene Weg, nicht die religiös motivierten Ausnahmen ins Gesetz zu schreiben, sondern die Pflichten des Schulbetriebs zu erweitern und präzise zu fassen, rechtssystematisch sinnvoller ist. Es wäre der bessere Weg zur Umsetzung des Ziels; deshalb kann die Motion in ein Postulat umgewandelt werden, und zwar auch gestützt auf den von der Regierung klar bekundeten Willen, «dem Landrat in einer Vorlage eine Erweiterung der Pflichten von Schülerinnen und Schülern und deren Erziehungsberechtigten in Bezug auf die Beachtung der hiesigen gesellschaftlichen Werte im Bildungsgesetz zu unterbreiten».

In gleicher Weise wird die FDP-Fraktion auch die ihrem Vorstoss recht ähnliche Motion von Pascal Ryf in der Form eines Postulats unterstützen, vorausgesetzt, der Motionär stimmt der Umwandlung zu.

Als Postulat, nicht aber als Motion unterstützt die FDP-Fraktion auch den Vorstoss der SVP-Fraktion. Die Forderung, die Regierung müsse in Ausübung ihrer Aufsichtspflicht an den öffentlichen Schulen sämtliche Sonderregelungen für religiöse, politische oder weltanschaulichen Überzeugungen umgehend aufheben lassen, schiesst über das Ziel hinaus, und die Umsetzung hätte zur Folge, dass vom Bundesgericht anerkannte, unbestrittene Dispensen für religiöse Feiertage ebenfalls aufgehoben würden, was tatsächlich zu verfassungsrechtlichen Problemen führen würde. Das übergeordnete Ziel, religiöses Sonderrecht zu unterbinden und Missbräuchen der Religionsfreiheit einen Riegel zu schieben, teilt die FDP-Fraktion aber voll und ganz mit der SVP.

Nun noch kurz zur Motion 2016/103, die die Verfassung betrifft: Vorgeschlagen wird, die Verfassung zu ergänzen um den Satz «Weltanschauliche Auffassungen und religiöse Vorschriften entbinden nicht von der Erfüllung bürgerlicher Pflichten.». Dieser Satz entspricht wörtlich § 11 der geltenden aargauischen Kantonsverfassung, und eine analoge Bestimmung gab es auch in der alten Bundesverfassung von 1874. In der neuen ist der Satz nicht mehr enthalten, obwohl seine implizite Geltung nicht bestritten wird. Gesellschaftspolitisch lässt sich das erklären, weil man damals, als die neue Bundesverfassung geschaffen wurde, glaubte, dass sich die Religion immer mehr in den privaten Raum zurückziehen würde und dass Konflikte zwischen dem Staat und religiösen Gemeinschaften Relikte der Vergangenheit seien. In dieser Hinsicht hat man sich gründlich getäuscht, wie man heute sieht: Religion ist – wenn auch in anderer Form als in früheren Zeiten – im öffentlichen Raum präsenter denn je.

Die BKSD lehnt die Motion ab und argumentiert immerhin nicht mit Verfassungswidrigkeit; sonst müsste sich der Votant als Jurist allmählich fragen, ob er nicht besser Fussballprofi geworden wäre. Die Regierung macht aber geltend, die Motion würde nichts ändern und nichts bringen. Das ist zwar insofern richtig, als die Grundrechtsabwägung genau die gleiche bliebe, egal ob der Satz in der Verfassung steht oder nicht. Aber das ist nicht alles: Gerade bei der Güterabwägung, die in der Grundrechtssystematik zwischen dem öffentlichen Interesse des Staates und den individuellen Grundrechtsansprüchen vorgenommen wird, sind die Behörden und die Gerichte gehalten, alle relevanten Materialien zu konsultieren. Und wenn nun ein Gericht eben prüft, ob es zur Durchsetzung eines öffentlichen Interesses zulässig sei, die Religionsfreiheit einzuschränken, dann muss es auf alle relevanten Rechtssetzungsakten zurückgreifen. Und eine vom Volk beschlossene Verfassungsbestimmung hätte ein stärkeres Gewicht bei der Auslegung der Religionsfreiheit, gilt doch der Grundsatz der verfassungskonformen Auslegung von Gesetzesnormen.

Die Praxis der rechtsanwendenden Behörden und der Gerichte kann, soll und wird mit einer solchen Verfassungsbestimmung eine Verschiebung in Richtung Stärkung der staatlichen Ordnung erfahren. Schleichend Einzug haltende, ungute Tendenzen, religiöses Parallelrecht – dem religiösen Frieden zuliebe – passiv hinzunehmen, können so besser eingedämmt werden. Deshalb hält die FDP-Fraktion an der Motion 2016/103 fest und empfiehlt sie zur Überweisung.

Oskar Kämpfer (SVP) äussert sich gleich zu allen vier Vorstössen. Er hofft, dass nicht alle ganz so lange sprechen, sonst würde er sich bei Gelegenheit das Recht herausnehmen, Schliessen der Rednerliste zu beantragen.

Alle vier Vorstösse betreffen die gleichen gesellschaftlichen Grundwerte, nämlich die Vereinbarungen, die für unser Zusammenleben wichtig sind, die zum Teil ausserhalb eines staatlich regulierten Prozesses stehen. Dabei geht es nicht nur ums Christlich-Humanistische, sondern auch um den liberalen Ansatz.

In keinem der Vorstösse geht es darum, international respektierte Grundrechte in Frage zu stellen, sondern den Zuzügern auf Verwaltungsstufe klar zu machen, welche Grundwerte von ihnen eingefordert werden, indem sie auf die im gesellschaftlichen Leben in jüngerer Vergangenheit erzielten Fortschritte hingewiesen werden. Das gilt vor allem für die Gleichstellung von Mann und Frau und für eine liberale Einstellung zum Individualwesen; dieser widerspricht eine Anwendung von eigenen Regeln durch Leute, die aus einem Kasten-Clan stammen oder patriarchalischen Gruppen angehören. Diese Leute müssen lernen, dass wir hier anders leben.

Auch wenn einige dieser Vorstösse unter dem Titel «Handschlag» geführt werden, geht es dabei gar nicht um Geschäfte, die man per Handschlag beschliesst, sondern um die gesellschaftlichen Werte der Gleichbehandlung von Mann und Frau und um den Stellenwert der Frau in unserer Gesellschaft, um den Stellenwert der Gesetze, die wiederum über historisch gewachsene Clan-Werte zu stellen sind. Die patriarchalische Gesellschaft ist hierzulande überwunden.

Es ist überfällig, dass der Landrat heute mit klaren Entscheiden nach aussen zeigt, dass unsere gesellschaftlichen Werte wertvoll sind. Die SVP-Fraktion stimmt allen vier Motionen zu und würde sie natürlich auch im Fall der Umwandlung in Postulate unterstützen. An ihrer eigenen Motion 2016/097 hält die Fraktion fest, auch wenn die juristischen Einschätzungen auseinander gehen. Die Motion ist vernünftig umsetzbar, ohne dass es zu verfassungsrechtlichen Problemen führt. Bei einer Umwandlung in ein Postulat verlöre der Vorstoss die Signalwirkung nach aussen. Es ist am Regierungsrat, die Motion sinnvoll umzusetzen.

Miriam Locher (SP) erklärt, dass die SP-Fraktion den Vorstoss 2016/095 als Postulat unterstützen würde – im Gegensatz zu den anderen Motionen.

Es ist wichtig, dass die Schülerinnen und Schüler die geltenden Werte, Rechte und Traditionen respektieren und dass sie vor allem auch bereit sind, Kompromisse zu schliessen, ganz egal, welcher Nationalität oder Herkunft. Dieser Aspekt ist zentral. Es braucht eine Regelung für alle Schülerinnen und Schüler und keine Zwei-Klassen-Gesellschaft, keine Unterscheidung zwischen Eingewanderten und Schweizer(inne)n, sondern gleiche Regeln für alle.

Christoph Hänggi (SP) ergänzt, dass nach Ansicht der SP-Fraktion mit diesen Motionen das Problem am falschen Ort gelöst werden soll und man sich damit auf Konfliktkurs mit der schweizerischen Bundesverfassung begeben würde.

Es ist auch symptomatisch, dass mit neuen oder schärferen Verfassungsartikeln oder Gesetzen auf die Situation reagiert wird; man hätte längst handeln können, denn die Gesetze sind vorhanden, die Regierung müsste sie nur umsetzen. Vielleicht passiert das ja auch, und der Regierungsrat kann einfach nicht darüber informieren, da ein Verfahren läuft. Es braucht nun wirklich keine weiteren Verfassungs- oder Gesetzesanpassungen und juristische Wortklaubereien. Wichtiger wäre konkretes Handeln, und das hätte schon im Frühling geschehen sollen – aber es ist nichts passiert.

Wichtig festzuhalten ist, was auch in der Stellungnahme der Regierung steht: Der Grundschulunterricht ist obligatorisch und ist auch ein Grundrecht. Bei der konkreten Umsetzung sind jedoch auch andere Grundrechte zu berücksichtigen, die in der Bundesverfassung ebenfalls garantiert sind. Da sind einerseits die Gleichberechtigung von Mann und Frau, andererseits jedoch auch die Glaubens- und Gewissensfreiheit der einzelnen Schülerinnen und Schüler zu berücksichtigen. Dabei ist abzuwägen, was mit dem öffentlichen Interesse an einem geordneten Schulbetrieb vereinbar ist. Dazu gibt es Bundesgerichtsurteile, und diese Tatsachen kann man nicht einfach negieren. Es kann Grundrechte geben, die den Schulunterricht nicht tangieren und deshalb den Schülerinnen und Schülern nicht abgesprochen werden können – ein generelles Kopftuchverbot an Schulen wird vom Bundesgericht deswegen auch als unverhältnismässig abgelehnt, da der Unterricht durch das Kopftuch nicht gestört wird. Dagegen wird eine Dispens vom gemischtgeschlechtlichen Schwimmunterricht vom Bundesgericht nicht gestützt, da es eben bei uns üblich ist, diesen so abzuhalten. Da würde eine Dispens den Unterricht stören, anders als das Tragen eines Kopftuchs. Auch das Nichtgewähren des Handschlags stört den Unterricht nicht, denn er ist nicht Teil des Unterrichts, sondern findet vor- bzw. nachher statt.

Es ist immer ein Abwägen der Grundrechte gegeneinander, und es geht da im Prinzip auch um unsere Gesellschaft der Toleranz. Diese Toleranz sollte jedoch gegenseitig sein, wer sich also nicht tolerant verhält, darf auch nicht allzu viel erwarten. Es gibt eine mögliche Handhabe in der Form einer Meldepflicht, falls Integrationsschwierigkeiten festgestellt würden. Dies ins Bildungsgesetz aufzunehmen, wäre bedenkenswert, aber letztlich nicht nötig, denn es wären schon jetzt genügend Massnahmen möglich: Schon jetzt könnten entsprechende Integrationsvereinbarungen getroffen und im Fall der Nichteinhaltung könnte reagiert werden. Handeln statt Debattieren wäre angesagt. Die Meldung an die Ausländerbehörde hat zu passieren, sobald in der Schule Schwierigkeiten auftauchen, ihre Werte durchzusetzen, und entsprechend Integrationsschwierigkeiten auftreten. Die Schule muss diese Probleme delegieren können – die Schulleitung und der Schulrat sollten entlastet werden – und sich auf ihre Kernaufgaben konzentrieren dürfen.

Zu kommunizieren, dass man den Handschlag ohne Wenn und Aber durchsetzen werde, war ungeschickt: Damit hat Regierungsrätin Monica Gschwind sich schon so stark exponiert, dass ihr im laufenden Verfahren noch Befangenheit vorgeworfen werden könnte. Das ist eine alles andere als ideale Entwicklung.

Handeln über die Ausländerbehörde und über eine Integrationsvereinbarung – schon vor etwa einem Jahr – wäre der richtige Weg gewesen; dann wäre keine Mediengeschichte daraus geworden, und man hätte das ganze Problem schon längst vom Tisch.

Roman Brunner (SP) spricht zur Motion 2016/102 der FDP-Fraktion: Dass diese Motion Unsinn ist, hat sogar Marc Schinzel erkannt und sie deshalb in ein Postulat umgewandelt. Die SP-Fraktion lehnt sogar ein Postulat ab. Denn auch dies ist überflüssig, weil die Regierung gemäss ihrer eigenen Aussagen ohnehin eine Vorlage plant. Diese Zusicherung wird durch die Überweisung des Postulats von Pascal Ryf gefestigt. Die Forderung nach einer Ergänzung des Bildungsgesetzes ist unnötig und würde die Verwaltung zusätzlich belasten.

Regula Meschberger (SP) hat viel gehört über gesellschaftliche Grundwerte, die es zu respektieren gilt, und über Religionsfreiheit sowie über Forderungen an die BKSD, Regelungen aufzustellen. Was heute aber noch nie gesagt wurde, ist, dass es schwierige Situationen nicht nur wegen fremder Religionen und Kulturen gibt, die mit unseren Grundwerten aufeinanderprallen, sondern dass zunehmend Eltern den Schulen gegenüber klar sagen, dass sie keiner Religion angehören, dass sie Atheisten seien und deswegen ihren Kindern nicht erlauben, an Weihnachtsfeiern oder Osterfesten teilzunehmen oder Weihnachtslieder zu singen. Wenn man schon diese Diskussion führt, muss auch dieser Aspekt berücksichtigt werden. Man muss überlegen, worin wirklich die Grundwerte bestehen und wie diese durchgesetzt werden können.

Paul Wenger (SVP) stellt den Ordnungsantrag auf Schliessen der Rednerliste. Die Meinungen in den Fraktionen dürften gemacht sein.

://: Dem Ordnungsantrag auf Schliessen der Rednerliste wird mit 56:14 Stimmen bei 3 Enthaltungen zugestimmt.

[Namenliste]

 Andrea Heger (EVP) bemerkt, der Aufhänger für die vier Vorstösse sei das Händeschüttel-Problem in Therwil gewesen; aber eigentlich dient es nur als Stellvertreter für viele andere Probleme.

Die Grüne/EVP-Fraktion wird keinen der Vorstösse in der vorliegenden Form unterstützen. Den Vorstoss 2016/095 von Pascal Ryf würde sie in der Form eines Postulats unterstützen. Das Ziel, mehr Klarheit zu schaffen, hält sie für nachvollziehbar und unterstützt es aus gesellschaftlicher Sicht, aus Gründen der Integrationsbemühungen und aus dem Bedürfnis der Schulen und Schulleitungen nach mehr Sicherheit im Umgang mit teilweise heiklen Integrationsfragen. Für eine Motion fehlt jedoch die Unterstützung aufgrund der vom Regierungsrat ausgeführten Verfassungswidrigkeit. Die Regierung sollte jedoch den vorhandenen gesetzlichen Spielraum so weit beanspruchen, dass mehr Sicherheit in der Handhabung gewisser Problemstellungen erreicht werden kann.

Die Motion 2016/097 der SVP-Fraktion lehnt die Fraktion Grüne/EVP aus den vom Regierungsrat dargelegten Gründen ab, auch wenn sie das Anliegen – ein klar handhabbarer Umgang mit Forderungen nach Sonderbehandlungen – versteht. Es ist aber in dieser Absolutheit nicht nachvollziehbar. Eine Diskussion über eine gesetzliche Regelung, wo die Grenzen der Sonderrechte sind, würde der Sache einer guten Integration dienen; aber dies muss im Rahmen der Verfassung geschehen.

Die FDP-Motion 2016/102 lehnt die Grüne/EVP-Fraktion ebenfalls wegen ihrer Verfassungswidrigkeit ab. Eine Fraktionsminderheit würde aber einem Postulat zustimmen. Wenn der Vorstoss von Pascal Ryf überwiesen wird, würde die FDP-Motion eigentlich obsolet. Das vom Regierungsrat vorgeschlagene Prüfen einer Erweiterung der Pflichten zur Beachtung der gesellschaftlichen Werte könnte helfen bei der Klärung offener Punkte und könnte zu mehr Sicherheit beitragen. Aber zum Thema Händeschütteln hat der Vorstoss – wie alle vier Motionen – Mankos. So heisst es im Vorstoss von Pascal Ryf, der Handschlag sei in den Schulen ein gängiges Ritual; Nachfragen zeigen aber, das dem nicht überall so ist. Der Händedruck soll offenbar zum Bildungsanspruch gehören, wie die FDP in der Motion 2016/102 schreibt; das erscheint der Fraktion Grüne/EVP etwas zu hoch gegriffen: Es geht dabei eher um den Respekt vor dem Gegenüber, und der kann auch anders als mit einem Händedruck ausgedrückt werden.

Und in der Motion 2016/103 geht es um die bürgerlichen Pflichten, die es zu erfüllen gilt. Wenn der Händedruck eine bürgerliche Pflicht ist, müssten hierzulande wohl sehr viele Leute gesetzlich belangt werden... «Weltanschauliche Auffassungen und religiöse Vorschriften entbinden nicht von der Erfüllung bürgerlicher Pflichten», heisst es im Vorstoss. Damit diese Regelung klar umgesetzt werden kann, bräuchte es wohl eine Liste, was alles als «bürgerliche Pflicht» zu betrachten sei. Das führt zu weit, deshalb lehnt die Grüne/EVP-Fraktion auch diesen Vorstoss ab.

Regierungsrätin Monica Gschwind (FDP) hat vom ersten Moment an, als bekannt wurde, dass die beiden Schüler in Therwil ihrer Lehrerin die Hand nicht reichen wollen, reagiert und sich exponiert; dies, weil sie klar der Meinung ist, dass so etwas nicht toleriert werden darf. Das hat sie ganz deutlich schon Mitte April im Landrat klargestellt.

Wie aber, Christoph Hänggi, soll die Bildungsdirektorin «handeln»? Soll sie die Schüler eigenhändig packen und aus der Schule verweisen oder an die Grenze stellen? Was stellt sich die SP unter «Handeln» vor? – Die Schulleitung hat unmittelbar nach Vorliegen der Rechtsabklärung gehandelt und sofort den Handschlag eingefordert. Die Schüler haben dem nicht Folge geleistet, und alle wissen, wieso – darüber ist genügend diskutiert worden.

Daraufhin hat die Schulleitung sofort Disziplinarmassnahmen verhängt, und gegen diese haben die Eltern Beschwerde erhoben. Wenn ein Verfahren läuft, darf darüber nicht kommuniziert werden – das gilt für die Polizei, es gilt für die Staatsanwaltschaft, und es gilt genauso für die BKSD. Wir leben in einem Rechtsstaat, wo man sich an die entsprechenden Regelung hält. Es ist erfreulich, dass das Verfahren inzwischen abgeschlossen ist und dass der Schulrat von Therwil die Haltung der Direktion klar gestützt hat. Bis jetzt ist übrigens keine Beschwerde gegen den Entscheid des Schulrats beim Regierungsrat eingegangen. Aufgrund des grossen öffentlichen Interesses wird aber zeitnah kommuniziert werden, ob eine Beschwerde erhoben worden ist oder nicht. Damit in Zukunft glasklare Verhältnisse herrschen, wird im November eine Anpassung des Bildungsgesetzes in die Vernehmlassung geschickt werden.

Selbstverständlich gibt es schon heute Integrationsvereinbarungen, wie sie Christoph Hänggi gefordert hat: Die Zuständigkeit liegt beim Amt für Migration in der Sicherheitsdirektion. Aber die Schulen haben keine Möglichkeiten, eine Meldung zu erstatten, wenn gegen eine Integrationsvereinbarung verstossen wird. Diesen Weg gibt es noch nicht, aber dieser Weg soll neu im Bildungsgesetz verankert werden.

Bisher hat der Rechtsdienst der  BKSD die Abklärungen vorgenommen, aber im Fall einer Beschwerde wird der Rechtsdienst von Regierungsrat und Landrat die Beschwerde beurteilen. Damit wird die Gewaltenteilung eingehalten. Die Bildungsdirektorin ist Teil einer fünfköpfigen Regierung, und sie wird sich weiterhin engagiert dafür einsetzen, dass der Handschlag an den Schulen eingefordert werden kann.

Zum Handbuch «Gelebte Religionen» ist anzumerken, dass es nächstens ergänzt wird. Um sicher zu gehen, dass es künftig keine solchen Diskussionen mehr gibt, wird den Schulleitungen und Schulräten empfohlen werden, das Schulprogramm entsprechend anzupassen, damit die juristische Kette bis ganz unten hält. Es braucht nicht nur eine Lösung für den Einzelfall «Therwil», sondern eine nachhaltige Lösung für die Schulen im Kanton.

Die Verweigerung eines Händedrucks ist nicht tolerierbar; aber man muss auch beachten, was verfassungsmässig möglich ist und was nicht. Dazu haben sich hervorragende Juristen in diesem Saal schon geäussert. Marc Schinzels Aussagen ist zuzustimmen. Die Bundesverfassung zählt alle Voraussetzungen auf, die kumulativ erfüllt sein müssen, damit die Grundrechte eingeschränkt werden können – das ist der Grund, weshalb der Regierungsrat die Motionen 2016/097 und 2016/103 als verfassungswidrig erachtet.

Der Vorstoss 2016/095 von Pascal Ryf nimmt vieles von dem auf, was die BKSD ohnehin plant, und deshalb ist der Regierungsrat zur Entgegennahme eines Postulats bereit.

Zur Motion 2016/103 der FDP-Fraktion vertritt der Regierungsrat die Haltung, eine solche Verfassungsbestimmung wäre «doppelt genäht», und genau deshalb ist die Bestimmung aus der Verfassung gestrichen worden. Selbstverständlich wäre es möglich, doppelt zu nähen, aber eigentlich sollte die Verfassung so schlank wie möglich sein, und deshalb lehnt der Regierungsrat die Motion ab. [zustimmendes Klopfen aus den Reihen der bürgerlichen Parteien]

Landratspräsident Philipp Schoch (Grüne) teilt mit, dass Pascal Ryf seine Motion 2016/095 in ein Postulat umgewandelt habe.

://: Der Vorstoss 2016/095 von Pascal Ryf wird mit 75:1 Stimmen als Postulat überwiesen.

[Namenliste]

://: Die Motion 2016/097 der SVP-Fraktion wird mit 45:28 Stimmen bei einer Enthaltung abgelehnt.

[Namenliste]

://: Der Vorstoss 2016/102 der FDP-Fraktion wird mit 54:19 bei drei Enthaltungen Stimmen als Postulat überwiesen.

[Namenliste]

://: Die Motion 2016/103 der FDP-Fraktion wird mit 45:30 Stimmen bei einer Enthaltung überwiesen.

[Namenliste]

Für das Protokoll:
Alex Klee-Bölckow, Landeskanzlei