Protokoll der Landratssitzung vom 5. März 2015
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2014-123 vom 10. April 2014 Motion von Claudio Botti, CVP/EVP Fraktion: Steuerliche Entlastung für Unternehmungen mit sozialer und gesellschaftlicher Verantwortung - Beschluss des Landrats vom 5. März 2015: < als Postulat überwiesen > > Begründung des Regierungsrats |
Landratspräsidentin Myrta Stohler (SVP) informiert, dass der Regierungsrat die Motion als Postulat entgegen nimmt. Eine schriftliche Begründung liegt vor.
> Begründung des Regierungsrats vgl. Beilage 3.
Claudio Botti (CVP) ist erstmal dankbar, dass die Regierung seinen Vorstoss als Postulat entgegen nehmen würde. Der Motionär wäre zur Umwandlung bereit, wusste er doch schon bei der Einreichung, dass es der Vorstoss kaum als Motion schaffen würde.
Es geht dem Sprecher darum, dass im Kanton einmal darüber nachgedacht wird, welche Möglichkeiten auf Seiten der Wirtschaft vorhanden sind, um Menschen mit einem Handicap zu reintegrieren und ihnen ein selbstständiges Leben zu ermöglichen. Der Vorstoss soll auch zur Entlastung von Kanton und Gemeinden beitragen. Der Sprecher erinnert sich noch, wie er sich zwischen der ersten und der zweiten Lehre mit kleinen Jobs einen Zustupf verdiente. Damals war es üblich, Leute einzustellen, die zwar keine grossartige Ausbildung genossen hatten, dafür aber in einem bestimmten Bereich arbeiten und sich damit ein sicheres Einkommen erwirtschaften konnten. Diese Jobs sind verschwunden; mit dem Effekt, dass die schwerer zu integrierenden Menschen der Gesellschaft aufgehalst wurden. Vielleicht gäbe es die Möglichkeit, dieses Rad wieder etwas zurück zu drehen. Der Ausschluss dieser Menschen aus der Wirtschaft ist doch eher beschämend; beschämend, dass die Firmen ihren Gewinn in den eigenen Sack stecken, während die Gesellschaft zahlen muss.
Der Votant hofft, dass die Regierung und die intelligenten Verwaltungsmitarbeitenden im Hintergrund zusammen mit der Wirtschaft eine gute Antwort auf dieses Postulat ausarbeiten, das der Gesamtgesellschaft zum Nutzen gereicht.
Marc Bürgi (BDP) verdeutlicht, dass die von Claudio Botti im Vorstoss gemeinten Unternehmen im Kanton wichtige Dienstleistungen erbringen; sowohl gegenüber den Arbeitnehmenden als auch gegenüber dem Kanton, der von den Gewinnsteuern profitiert. Der Vorstoss erinnert den Sprecher an seinen eigenen Vorstoss, der beabsichtigte, Unternehmen steuerlich zu entlasten, die nachhaltig und umweltschonend produzieren. Damals lehnte die Regierung sowohl eine Motion als auch ein Postulat ab, weil dazu schlicht kein Geld vorhanden ist.
Es ist erfreulich, dass der Kanton nun diese Möglichkeiten sieht. Vor der Überweisung des Postulats möchte der Votant aber noch auf drei Punkte eingehen: 1. Wirtschaftskrise und Frankenstärke. Zurzeit stehen das lokale Gewerbe und der Handel enorm unter Druck. Dies betrifft insbesondere Tourismus- und Exportbranche, Detailhandel, Gewerbe und Handel in der Region. Diesen Unternehmen muss geholfen werden. Heute stand in der BaZ zu lesen, dass die Gemeinde Riehen die Probleme mit einer Sofortmassnahme sehr gut anpackt, indem sie sämtlichen Unternehmen im Bereich Gewerbe und Handel die Allmendgebühren für das Jahr 2015 erlässt. Diese Sofortmassnahme wirkt sofort. Es stellt sich beim Vorstoss von Claudio Botti die Frage, welchen Unternehmen es überhaupt etwas bringt, welchen es unmittelbar nützt? Es fehlt ein klarer Beweis einer wirtschaftlichen Notwendigkeit für diesen staatlichen Eingriff.
2. Soziale und gesellschaftliche Verantwortung: Was heisst es überhaupt, diese wahrzunehmen? Geht es um Alters- und Behindertentransportunternehmen? Spitex? Privates Altersheim? Private Schule? Oder Firmen, die im weitesten Sinne in diesem Bereich tätig sind? Der Staat muss bei Überweisung des Vorstosses bestimmen, was sozial, was volkswirtschaftlich verantwortlich ist; um dann über die Höhe der Steuerbegünstigung zu bestimmen. Die Erstellung eines solchen (fairen) Katalogs, scheint ein eher heikles Unterfangen zu sein.
3. Gleichbehandlung juristischer Personen: Definiert eine Behörde oder die Regierung sozial und gesellschaftlich verantwortungsvolle Dienstleistungen, dürfte dies in der Wirtschaft nicht unwidersprochen bleiben. Dort werden schliesslich auch Lehrlinge ausgebildet, es wird das moderne Familienbild gefördert und eine Kita eingerichtet etc. Und was ist mit den vielen anderen Unternehmen, die irgendeine soziale oder gesellschaftlich relevante Dienstleistung erbringen? Wenn der Staat darüber entscheidet, was als sozial und gesellschaftlich verantwortungsvoll gefördert werden soll, wird ein Teil der Firmen ausgeschlossen und der andere Teil bevorzugt. Dies aber führt zu einer Unzufriedenheit bei den Firmen, möglicherweise auch gegenüber dem Staat. In der heutigen Situation (eingedenk des wirtschaftlichen Drucks) wäre dies eher gefährlich. Zudem nützt diese Massnahme nur den Firmen, nicht den zu integrierenden Menschen selber. Ob es klug ist, das Ganze über steuerliche Entlastung zu steuern, ist doch eher fraglich.
Der Votant bittet den Rat, über diese drei Punkte nachzudenken. Wer, wie der Votant, der Meinung ist, dass mit diesem Vorgehen mehr Zwist und Reibungen erzeugt als Probleme gelöst werden, sollte den Vorstoss auch als Postulat ablehnen.
Peter Schafroth (FDP) findet das Anliegen sehr verständlich. Es gibt handicapierte und schwächere Menschen, die in Alltag und Beruf Mühe haben. Man möchte Teilzeitstellen schaffen und die Familie in den Unternehmen berücksichtigen. Dies ist soweit richtig. Nur ist der von Claudio Botti gewählte Ansatz nicht zielführend. Mit dem Vorstoss sollen steuerliche Erleichterungen eingeführt werden für alle Firmen, die in irgendeinem dieser Bereiche besonders aktiv sind. Wer also über die gesetzlichen Anforderungen hinausgeht, soll einen Steuerbonus erhalten. Dieser Ansatz, findet die FDP-Fraktion, ist falsch. Steuern sind primär dazu da, damit der Staat funktionieren kann. Nimmt man dem Staat etwas weg, muss jemand anderes dafür einspringen. Es wird also nicht nur entlastet, sondern, nach einem eigentlich artfremden Prinzip, an einer anderen Stelle zusätzlich be lastet. Denn Steuern sollten primär gemäss der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit erhoben werden, nicht nach hundert anderen Gesichtspunkten. Gerade an dieser Überregulierung leidet heute auch das Steuersystem.
Ein weiterer grundsätzlicher Fehler: Stellt eine Firma handicapierte Leute ein oder bietet Teilzeitstellen an und hat dadurch einen höheren Aufwand, führt dies zu einem geringeren Gewinn, was wiederum in niedrigeren Steuern resultiert. Der Vorschlag führt somit zu einer Doppelbewegung von Be- und Entlastung. Die FDP findet dieses Vorgehen nicht zielführend. (Und es ist typisch für die Argumentation des Motionärs, dass das Wort Steuern gar nicht erwähnt wurde.) Über einen anderen Weg, nicht aber über die Steuern, könnte sich die FDP eine Prüfung vorstellen. Zum Vorstoss sagt sie aber Nein.
Gerhard Schafroth (glp) bedankt sich bei seinem Bruder Peter für die Ausführungen, die vieles von dem vorwegnahmen, was der Votant selbst vorzubringen beabsichtigte. Das Problem, das mit diesem Vorstoss besteht, ist die Verknüpfung von Steuer- mit Sozialpolitik. Dieses Konstrukt klemmt komplett. Das Anliegen, soziale Arbeitsplätze zu fördern, ist absolut gerechtfertigt. Die Verknüpfung mit Steuerabzugsfähigkeit macht aber keinen Sinn. Die Konsequenz ist nämlich, dass nur ein Unternehmen, das einen Gewinn macht, etwas abziehen kann; ohne Gewinn gibt es nichts abzuziehen. Damit würden ausgerechnet dann, wenn soziale Massnahmen eigentlich Sinn machten, nämlich in einer wirtschaftlich schwierigen Situation (z.B. Rezession), die Anreize fehlen. Der Denkansatz ist also falsch.
Ein weiterer Punkt ist: Es sind die Unternehmen, die Arbeitsplätze schaffen sollen. Unternehmen sind aber auch natürliche Personen (Einzelunternehmen etc.). Dabei gäbe es unterschiedliche Abzugsfähigkeiten, je nach der Höhe ihres Einkommens. Dies würde zu einer sinnlosen Verzerrung führen, was zeigt, dass der Zusammenhang falsch ist.
Der Votant bittet darum, das Postulat nicht zu überweisen. Eine Abklärung bringt nichts, denn der Fehler liegt im System. Würde nämlich jemand einen Entscheid über einen nicht gewährten Abzug anfechten, geriete man in ein Steuerjustizverfahren über die Sozialverträglichkeit von Arbeitsplätzen, was absolut schräg wäre. Was aber Sinn macht: Leistungsaufträge zu erteilen und eine gewisse Anzahl Arbeitsplätze im Kanton mitzufinanzieren.
Der Votant bittet deshalb, den Vorstoss nicht zu überweisen, aber das Anliegen bei einer nächsten Gelegenheit aufzunehmen, ohne es mit der steuerlichen Abzugsfähigkeit zu verknüpfen.
Dieter Epple (SVP) sagt, dass die SVP-Fraktion das Anliegen als Postulat unterstütze. Ob für Unternehmen, die sozial schwächere Personen in den Arbeitsprozess integrieren, eine Steuererleichterung möglich ist, kann auf diesem Weg abgeklärt werden.
Lotti Stokar (Grüne) findet, dass sich dieses gesellschaftlich wichtige Anliegen als Postulat im Sinne von Prüfen und Berichten weiterverfolgen lasse. Die Regierung ist bereit, den Auftrag entgegenzunehmen und dem Landrat aufzuzeigen, welche andere Wege nebst der steuerlichen Entlastung dazu möglich wären. Die Sprecherin ist überzeugt, dass die Regierung dazu wichtige Anhaltspunkte liefern kann. Die Grünen unterstützen den Vorstoss als Postulat.
Balz Stückelberger (FDP) erlaubt sich spontan als Zweitsprecher seiner Fraktion, zu diesem auch in seinem beruflichen Tätigkeitsfeld liegenden Thema Stellung zu nehmen. Es ist nicht nötig, auch mit einem gut gemeinten Vorstoss nicht, die Welt im Baselbiet neu zu erfinden. Die Thematik ist nämlich nicht nur eine gesamtgesellschaftliche, sondern vor allem eine nationale. Es geht hier um IV-Revision, um den Grundsatz Integration vor Rente. Es ist bekannt , dass die Arbeitgeber hierzulande aufgrund der IV-Revision 17'000 Arbeitsplätze im ersten Arbeitsmarkt schaffen müssen. Überlegungen dazu werden schon lange angestellt. Und nun zum Punkt: Finanzielle Anreize bringen in dieser Hinsicht bekanntlich rein gar nichts. Solche Arbeitsplätze werden bereits enorm unterstützt, es wird alles bezahlt. Trotzdem bieten es nur wenige an. Deshalb ist es vielmehr nötig, das Bewusstsein dafür zu schärfen. Zusätzliche finanzielle Anreize in Form von Steuererleichterungen sind nur sehr komplex, bringen aber nichts.
Landratspräsidentin Myrta Stohler (SVP) begrüsst auf der Tribüne das Büro des Grossen Rats Basel-Stadt unter der Leitung von Grossratspräsidentin Elisabeth Ackermann. Sie statten heute dem Landrat anlässlich des traditionell halbjährlich stattfindenden Austauschs der Büros einen Besuch ab. [Applaus]
Mirjam Würth (SP) gibt bekannt, dass die SP-Fraktion das Postulat unterstützt. Leute mit Leistungseinschränkungen sollen in der Lage sein, ein selbstständiges Leben zu führen. Der Vorstoss führt in diese Richtung, indem er die Regierung beauftragen möchte, über das Thema zu berichten.
Landratspräsidentin Myrta Stohler (SVP) informiert, dass der Motionär Claudio Botti mit der Umwandlung seines Vorstosses in ein Postulat einverstanden ist.
://: Der Landrat überweist den Vorstoss 2014/123 mit 59:15 Stimmen als Postulat. [ Namenliste ]
Für das Protokoll:
Markus Kocher, Landeskanzlei
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