Protokoll der Landratssitzung vom 3. November 2016

Landratspräsident Philipp Schoch (Grüne) informiert, dass der Regierungsrat die Motion als Postulat entgegen nimmt und Abschreibung beantragt.

> Begründung des Regierungsrats

Peter Riebli (SVP) bittet vorab die Unterbaselbieter um Aufmerksamkeit, handelt es sich doch nicht nur um ein Problem der Oberbaselbieter Aborigines, sondern eines, das auch die Unterbaselbieter Gemeinden sehr schnell betreffen kann. Es scheint, dass die Regierung die Brisanz des Themas der Zumutbarkeit des Schulwegs noch nicht ganz realisiert hat. Im Oberbaselbiet ist es auf jeden Fall ein grosses Thema, weil man Kreisschulen bilden musste, als deren Folge Schulwege, für die nun einzelne fünf Minuten länger mit dem Bus fahren müssen, als nicht mehr zumutbar definiert werden. Der Regierungsrat machte zurecht darauf aufmerksam, dass Zumutbarkeit schwierig zu definieren sei und es verschiedene Urteile dazu gibt. Gerade deshalb ist es wichtig, dass er eine verbindliche Richtlinie erlässt, was man darunter zu verstehen hat.

Es gibt einen ganz jungen Gerichtsentscheid des Kantonsgerichts Baselland, der sagt, dass bei fehlenden Trottoirs und unübersichtlichen Strassen auch bei geringstem Verkehrsaufkommen eine Strasse als Schulweg nicht zumutbar sei. Das bedeutet, dass nur wenige Quartierstrassen auch im Unterbaselbiet als zumutbar gelten dürften.

Selbstverständlich ist richtig, wie der Regierungsrat festhält, dass die Frage der Zumutbarkeit nicht nur von der Gefährlichkeit, sondern auch vom Alter des Schülers abhängt. Dass dies nicht generell und für immer geregelt werden kann, ist klar. Gewisse Rahmenbedingungen lassen sich jedoch definieren. Wenn dann ein Schulweg zu Recht als unzumutbar definiert wird, geht es um eine Entschädigungsfrage. Die Gemeinden sind verpflichtet, entweder einen Schulweg zumutbar zu gestalten (mit Trottoir, Unterführung etc.). Oft handelt es sich im Oberbaselbiet um eine Kantonsstrasse, wobei die Zuständigkeit in Frage steht. Wenn es sich nicht lösen lässt, ist die Gemeinde entschädigungspflichtig. Die meisten Kantone haben dies in Gesetzen oder Richtlinien geregelt – Baselbiet hat überhaupt nichts geregelt. Es gibt im Oberbaselbiet einen Fall, wo eine Familie deklariert, dass ihr wegen Unzumutbarkeit eines Schulwegs Kosten von weit über 100'000 Franken entstehen. Opportunitätskosten. Sie mussten ein zweites Auto kaufen, und die Frau ihr Arbeitspensum reduzieren. Dazu gibt es absolut keine Richtlinien. Nun soll jede Gemeinde ein eigenes Entschädigungsreglement aufstellen; und man kann sich locker vorstellen, dass ein Fall bis vor Gericht gezogen wird und die notorisch unterbelasteten Gerichte damit erfreut werden, dass sie endlich etwas zu tun bekommen.  Das kann ja wohl nicht der Weg sein.

Die SVP verlangt kein Gesetz mit klarer Definition, was als unzumutbar gilt, oder wieviel als Entschädigung entrichtet werden soll. Aber es braucht Richtlinien, damit die Gemeinden nicht verpflichtet sind, Juristen zur Entwicklung ihres eigenen Reglements heranzuziehen – und dass nicht jedes Mal ein Gerichtsfall darüber zu befürchten ist.

Die Motion in ein Postulat umzuwandeln und abzuschreiben, wäre der völlig falsche Weg. Es braucht verbindliche Richtlinien. Der Regierungsrat schrieb zwar, dass er solche ablehne, dass er es jedoch im Schulplan definieren wolle. Geht das tatsächlich in die von der Motion angestrebte Richtung, ist der Votant gerne bereit, sie in einer Sammelvorlage als erledigt abschreiben zu lassen. In der heutigen Lage möchte er davon aber nichts wissen.

Christoph Hänggi (SP) weist Peter Riebli darauf hin, dass es auch im Unterbaselbiet Strassen ohne Trottoir gibt. Mit seinem Anliegen ist er bei der SP-Fraktion somit auf nicht ganz taube Ohren gestossen. Die Einstellung wird geteilt, dass es verbindliche Richtlinien braucht, und dass dies irgendwo festgehalten sein muss. Selbstverständlich gibt es immer individuelle Umstände, wie von der Regierung in ihrer Antwort beschrieben. Einzelfallsituationen müssen analysiert und geklärt werden. Dennoch braucht es Richtlinlien, weshalb die SP den Vorstoss unterstützt – aber als Postulat. Damit wird der Regierung in Form von Prüfen und Berichten der Auftrag zur Handlung gegeben; und die Bildungsdirektion kommt in die Gänge und schlägt die Richtlinien vor.

Marianne Hollinger (FDP) kann sich namens der FDP-Fraktion der Regierung anschliessen. Der Vorstoss lässt sich als Postulat überweisen und abschreiben, obschon die Argumentation von Peter Riebli gut verstanden und die Einschätzung der Situation geteilt wird. Wenn die Schüler eher verschoben werden, wird diese Situation sicher auch im Unterbaselbiet gehäuft auftreten. Allerdings meint die FDP-Fraktion nicht, dass es dafür verbindliche gesetzliche Richtlinien braucht, zumal die Situation von Fall zu Fall anders ausschaut. Von der Position der Gemeindepräsidentin aus gesehen, sähe es die Votantin ehrlich gesagt gerne, wenn nicht alles bis zum Letzten reguliert ist und man eine Lösung finden könnte, die individuell auf die Gemeinde passt. Hingegen sei die Regierung dazu eingeladen, für den die Entschädigung betreffenden Teil, der je nach Strasse unterschiedliche Träger betrifft, eine gute Lösung zu finden. Dazu müsste man allenfalls mit einem separaten Vorstoss in diese Richtung nachstossen.

In der vorliegenden Beantwortung aber ist das Problem erkannt, aber nicht durch Richtlinien, sondern nur individuell von den Gemeinden lösbar.

Andrea Heger (EVP) findet im Einklang mit der Fraktion Grüne/EVP, dass es mehr Sicherheit braucht und nicht jede Gemeinde das Thema für sich durchkauen sollte, auch um Ressourcen zu schonen und die Administration zu verringern. Ein Teil der Fraktion unterstützt die Motion,  ein anderer Teil das Postulat; einige wenige würden dieses sogar abschreiben.

Christine Gorrengourt (CVP) sagt, dass auch die CVP/BDP-Fraktion den Vorstoss als Postulat überweisen würde. Es wäre aber wichtig, wenn die genannten Richtlinien dazu erst auf dem Tisch lägen. Diese wären eine Hilfestellung für Schulleitung, Schulräte sowie Gemeinderäte. Dafür bräuchte es nicht zwingend ein neues Postulat, denn dazu würde das vorliegende ausreichen, das man überweisen, aber nicht noch abschreiben würde.

Florence Brenzikofer (Grüne) ist klar dafür, an der Motion festzuhalten. Mit der Bildung der Kreisschulen wird ersichtlich, dass es eine Lösung braucht. Es ist davon auszugehen, dass die nächsten Gemeinden oder das nächste Tal schon bald vor denselben Fragen stehen werden. Nicht ganz einverstanden ist sie mit der Argumentation von Marianne Hollinger. Diese hatte gesagt, die Problematik sei erkannt. Das ist eben gerade nicht der Fall. Deshalb soll an der Motion festgehalten werden. Würde sie in ein Postulat umgewandelt, dann bitte nicht abschreiben.

Hannes Schweizer (SP) hätte den Vorstoss von Peter Riebli im Mai wohl noch unterschrieben. Damals hatte er Sympathien dafür. Je länger sich der Votant aber damit beschäftigt, desto mehr ist er der Meinung, dass Richtlinien zu diesem Thema auszuarbeiten immens schwierig sein dürfte. Zum einen: Seine Tochter ist im Emmental in einem Schulrat, wo man vor denselben Problemen steht. Sie sagt: Es ist wahnsinnig schwierig, flächendeckend Richtlinien festzulegen. Im Emmental hat man eine andere Vorstellung von Zumutbarkeit: Zumutbar ist dort, was unter Dreiviertelstunden Fussmarsch liegt. Zum anderen: Als Gemeinderat ist man häufig noch so froh, wenn der Kanton mit einem Musterreglement einer Sache einen Rahmen gibt, damit man etwas in den Händen hat. Das passt nun aber nicht zur der Charta von Muttenz, wonach die Gemeinden mehr Autonomie haben sollen. Deshalb ist zu raten, dass die Gemeinden das Thema selber in die Hand nehmen und die Richtlinien festlegen, unter welchen Bedingungen ihre Schulwege als zumutbar gelten sollen.

Regierungsrätin Monica Gschwind (FDP)  verdeutlicht  an die Adresse von Peter Riebli, dass die Brisanz sehr wohl realisiert wurde. Es ist nachvollziehbar, dass es für die Gemeinden eine schwierige Situation darstellt. Es wurde gesagt, dass die meisten Kantone eine Regelung haben. Die meisten Kantone sind aber auch anders organisiert. Hier gilt, dass es verschiedene Träger von Primar- und Sekundarschulen gibt, was das Ganze schwierig macht. Wird eine Richtlinie aufgestellt, darf man sich schon heute auf die Reaktion der Gemeinden freuen. Denn jeder Fall ist ein Einzelfall und muss anders beurteilt werden. Die Gemeinden sind autonom, und es gibt, wie Hannes Schweizer zuvor betont hat, die Charta von Muttenz. Es kann nicht der Wunsch der Gemeinde sein, dass sie vom Kanton vorgeschrieben bekommt, wie dies abgegolten werden soll. Deshalb möchte man keine Richtlinie erstellen, sondern der Kanton ist an der Ausarbeitung einer Hilfestellung, die den Gemeinden ausgehändigt wird und zugleich in das Handbuch für die Schulräte übernommen werden soll. Diese Hilfestellung wäre nicht verbindlich, denn die Gemeinden müssen selber entscheiden, wieviel sie bereit sind zu entschädigen. Wichtig ist: Die Situation ist in jedem Fall anders, sei es in Binningen, in Anwil oder in Diegten oder irgendwo anders. Jeder Schulweg ist anders, jedes Kind ist anders zu beurteilen usw.

Für Peter Riebli (SVP) ist selbstverständlich, dass die Gemeinden autonom sind. Der Sprecher ist der Letzte, der nicht dafür kämpfen würde. Selbstverständlich wird von der Regierung nicht erwartet, dass sie eine Entschädigung von 70 Rappen pro Kilometer festlegt. Und selbstverständlich ist jeder Fall anders gelagert. Der Votant verlangt aber Rahmenbedingungen, worin z.B. festgelegt wird, dass die Gemeinde für Opportunitätskosten nicht aufkommen muss. Eine Definition der Zumutbarkeit des Schulwegs bedingt eine Festlegung des Alters, der Gefährlichkeit der Strasse (was man noch definieren müsste). Anhand dieser Hilfestellungen würde es jede Gemeinde übernehmen, ein eigenes Reglement auszuarbeiten, das für sie stimmt und die lokalen Gegebenheiten berücksichtigt. Es geht darum, dass nicht jedes Mal eine Gemeinde darüber streiten muss, ob die Opportunitätskosten zu zahlen sind oder nicht. Dies ist ein legaler Wunsch, der die Gemeindeautonomie in keinster Art und Weise untergräbt, sondern dem Kanton letztlich zugute kommt, indem wesentlich weniger Fälle vor Gericht kommen.

Angesichts der Stimmungslage im Plenum ist er bereit, seine Motion in ein Postulat umzuwandeln.

://: Der Landrat überweist den zum Postulat umgewandelten Vorstoss 2016/141 mit 66:4 Stimmen bei einer Enthaltung.

[Namenliste]

://: Der Landrat lässt das Postulat 2016/141 mit 63:7 Stimmen bei einer Enthaltung stehen.

[Namenliste]

Für das Protokoll:
Markus Kocher, Landeskanzlei