Protokoll der Landratssitzung vom 3. Dezember 2015

*Nr. 399

Gemäss Landratspräsident Franz Meyer (CVP) fiel der Kommissionsantrag mit 9:2 Stimmen.


JSK-Präsident Andreas Dürr (FDP) hat das Wort: Ausgangspunkt aller Probleme ist die am 1. Januar 2011 in Kraft gesetzte Schweizerische Strafprozessordnung (StPO); eine damals an sich relativ «revolutionäre» Sache. Es zeigte sich, dass bestimmte Regelungen in der Praxis zu erheblichen Schwierigkeiten führten. Die schweizerische Staatsanwaltskonferenz gelangte denn auch relativ rasch mit einer Mängelliste zum neuen Recht an die Konferenz der kantonalen Justizdirektoren, welche das Anliegen aufnahm. In der Rechtskommission des Ständerats wurde das Problem ebenfalls behandelt. Die Kommission reichte ohne Gegenstimme eine entsprechende Motion ein, während die Schwesterkommission des Nationalrats dem neuen Recht noch etwas mehr Zeit einräumen wollte, gleichzeitig aber auch Handlungsbedarf feststellte. Daraufhin war die Konferenz der Justizdirektoren der Meinung, dass in gewissen wichtigen Punkten kein Aufschub erlaubt sei. Man ging zurück in die Kantone. Im Kanton BL wurde das Anliegen mittels einer Motion der Justiz- und Sicherheitskommission aufgenommen. Zudem wurden auch die Empfehlungen der GPK mit in die Vorlage aufgenommen.


Da die StPO schweizerisches Recht ist, kann der Landrat hier keine direkte Änderung vornehmen, sondern es bleibt lediglich die Möglichkeit einer Standesinitiative. Da die Mängel in der Strafprozessordnung relativ erheblich sind, entschied man sich dafür, eine solche aufzusetzen. Heute wird darüber befunden, ob die Standesinitiative verabschiedet werden soll.


Im Einzelnen geht es grundsätzlich um folgende drei Punkte: Erstens um die Teilnahmerechte der Beschuldigten im Verfahren, zweitens um die Protokollierung und drittens um den Haftgrund der Wiederholungsgefahr. Bei den Teilnahmerechten beobachtete man einen Mangel. Die neue StPO sieht vor, dass immer wenn ein Mitbeschuldigter einen anderen Beschuldigten beschuldigt, dieser andere Beschuldigte dabei sein muss, wenn der Mitbeschuldigte die Vorwürfe macht. Das führt bei grösseren Gruppendelikten - es sei an den Thaiboxer-Überfall erinnert - zu enormen logistischen Übungen, wenn jeder den anderen beschuldigt und immer zu allen Einvernahmen jeder dabei sein muss. Allein mit den dafür notwendigen Übersetzern werden so Turnhallen gefüllt. Diese Regelung ist absolut unpraktikabel, und zwar nicht nur im beschriebenen Extremfall. Auch bei einfacheren Verhältnissen ist es schwierig, wenn schon bei Einvernahmen von Beschuldigten immer die Mitbeschuldigten auch dabei sein müssen. Es ist insbesondere auch unter dem Gesichtspunkt der Kollusionsgefahr (Verdunkelungsgefahr) etwas widersprüchlich. Denn einerseits gibt es den Haftgrund der Kollusionsgefahr; die Beschuldigten müssen voneinander fergehalten werden, damit sie sich nicht gegenseitig absprechen können. Umgekehrt verlangt die StPO aber auch, dass alle zusammen sein müssen, womit natürlich erst recht jeder weiss, was der andere gesagt hat. Auch wird damit ein weiterer Grundsatz der StPO geritzt, nämlich der, dass die Angeschuldigten grundsätzlich getrennt einvernommen werden müssen. Die EMRK sieht das beschriebene Verfahren nicht vor. Wenn also die Bestimmung, dass immer alle dabei sein müssen, wieder rückgängig gemacht wird, so würde damit die EMRK nicht geritzt. Mit der Standesinitiative wird nur fest gelegt, dass der Angeschuldigte, der von einem Mitbeschuldigten beschuldigt wird, wissen muss, was ihm vorgeworfen wird.


Zur Protokollierung: Bei den Einvernahmen wird laufend protokolliert und der Angeschuldigte gefragt, ob die Aussagen korrekt wieder gegeben sind, was zu relativ langen Verfahren führt. Hierbei ist das Anliegen der Strafverfolgungsbehörde, dass im Vorverfahren, also bei den Untersuchungsverhandlungen modern mit Ton-Bild-Aufnahmen gearbeitet und das Protokoll nachträglich in Ruhe transkribiert werden kann. Danach muss das Protokoll dem Beschuldigten nochmals vorgelegt und sein Einverständnis eingeholt werden.


Problematisch beim Haftgrund der Wiederholungsgefahr ist, dass gemäss neuer StPO dieser Grund nur vorliegt, wenn der Täter eine entsprechende Vortat begangen hat - und zwar in derselben Deliktart - und dies in der Mehrzahl. Er muss also quasi schon zweimal etwas Ähnliches begangen haben, damit er wieder verhaftet werden kann. Der Wunsch der Strafverfolgungsbehörde - respektive der Motionen - besteht darin, diese relativ strenge Auflage dahingehend etwas zu lockern, dass generell schwere Vorwürfe gegen den Angeschuldigten vorliegen müssen, um ihn in Haft nehmen zu können.


Die JSK hat die Standesinitiative eingehend geprüft und gewisse rechtliche Aspekte genauer unter die Lupe genommen. Eingeladen wurden die erste Staatsanwältin Angela Weirich, und auch GPK-Präsident Hanspeter Weibel wurde angehört, um die Empfehlungen der GPK einfliessen zu lassen. Nach langen Besprechungen der juristischen wie auch praktischen Fragen gelangte die JSK grossmehrheitlich zum Schluss, dass die Anliegen der Strafverfolgungsbehörde, also der Staatsanwaltschaftskonferenz, sowie der kantonalen Justizdirektoren, der Justizkommission und der GPK absolut berechtigt sind. Ein wichtiger Diskussionspunkt bei den Beratungen war aber auch stets die Frage, ob mit den vorgesehenen Massnahmen das Gleichgewicht zwischen Verfolgungsbehörde und Angeschuldigten allenfalls zu Ungunsten der einen oder anderen Partei verschoben würde. Mehrheitlich kam die JSK aber zum Schluss, dass dies mit der Vorlage nicht der Fall ist.


Folgendes sei noch angemerkt: Auch wenn die Vorlage à fonds von der JSK erarbeitet wurde, so handelt es sich dabei um eine Standesinitiative. Dem Bund werden darin sozusagen dringliche Vorschläge zur Verbesserung gemacht. Es ist jedoch nicht anzunehmen, dass damit der Rechtskommission des National- und Ständerates mit den gewählten Formulierungen genau die richtige Lösung vorgeschlagen wird, sondern vorstellbar, dass noch eigene Gedanken der eidgenössischen Rechtskommissionen einfliessen. Die Standesinitiative ist grundsätzlich eine Aufforderung ans Bundesparlament zur entsprechenden Änderung des schweizerischen Gesetzes. Die zwar profund geprüften Formulierungen der JSK werden wohl kaum wörtlich ins Gesetz einfliessen.


Mit 9:2 Stimmen ohne Enthaltungen wird dem Landrat empfohlen, die Standesinitiative zu beschliessen. Andreas Dürr bittet um Zustimmung zum Kommissionsantrag.


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- Eintretensdebatte


Jacqueline Wunderer (SVP) will dem Rat unnötige Wiederholungen ersparen. Die SVP erachtet die Überarbeitung der Strafprozessordnung als wichtig und unterstützt die Standesinitiative.


Diego Stoll (SP):Die SP ist aus diversen Gründen grossmehrheitlich gegen die Standesinitiative. Die SP ist insbesondere der Meinung, dass das im Kanton BL auf den Tisch gebrachte Thema grundsätzlich nicht ein Thema eines spezifischen Kantons ist und dementsprechend auch nicht Thema einer Standesinitiative sein sollte. Es ist und bleibt eine Bundesangelegenheit. Der Bund hat sich mit der Sache auseinander gesetzt und entschieden, nun die ersten Konsequenzen der damaligen Revision abzuwarten. Wird die Thematik wieder aufgenommen, so muss sie gesamtheitlich angegangen werden und nicht einseitig. Es geht nicht an, zu diesem Punkt eine Standesinitiative zu machen.


Zum Inhalt: Der Protokollierungsteil war grundsätzlich der unbestrittenste Teil in der SP, obwohl auch hier gewisse Stimmen warnten, dass allenfalls damit einhergehende höhere Kosten und Aufwand nicht unterschätzt werden sollten. Zur Beschränkung des Teilnahmerechts: Schon im Votum des Kommissionspräsidenten ist der Begriff Strafverfolgungsbehörde mehrmals gefallen. Gemäss SP muss der Landrat als Repräsentant des Kantons nicht einfach telquel die Meinung der Strafverfolgungsbehörde überliefern. Der Landrat ist für den ganzen Kanton zuständig, und was hier vorliegt, ist nicht ausgewogen. Zum Haftgrund Wiederholungsgefahr: Aus der Vorlage geht hervor, dass das Bundesgericht bereits heute den Begriff so auslegt, wie es die Standesinitiative vorschlägt. Insofern besteht in diesem Punkt keine Notwendigkeit. Insgesamt ist die SP-Fraktion weder mit Form noch Inhalt zufrieden und lehnt daher die Standesinitiative ab.


Pascal Ryf (CVP) bedankt sich für die ausführliche Berichterstattung durch den Präsidenten. Die CVP-Fraktion stimmt der Vorlage grossmehrheitlich zu. Umstrittenster Punkt war in der Fraktion gerade die Protokollierung. Sicher wird die Qualität mit dem Vorschlag erhöht, die Effizienz aber wird in Frage gestellt.


Die FDP unterstützt gemäss Marc Schinzel (FDP) die Standesinitiative und ist mit allen drei vorgeschlagenen Änderungen einverstanden. Das Mittel der Standesinitiative ist legitim. Klar ist es eine Bundesangelegenheit, aber es sind auch andere Kantone davon betroffen. Auf verschiedenen Ebenen ist immer wieder von den genannten problematischen Punkten zu hören, daher werden sie nun mittels dieses parlamentarischen Instrumentes aufgegriffen. Es gab schon Standesinitiativen, bei welchem zum Inhalt mehr Fragezeichen zu setzen waren; beispielsweise wenn stundenlang über Burka-Verbote und Ähnliches in den Kantonen diskutiert werden muss... Die hier vorgeschlagenen Änderungen sind vernünftig und moderat. Wichtig ist auch, dass im Strafprozess «Waffengleichheit» und Fair Trial gewährt sind, was gemäss den Ausführungen des Kommissionspräsidenten der Fall ist. Eine Verbesserung bei der Protokollierung führt zudem dazu, dass die Einvernahme nicht immer unterbrochen werden muss.


Laut Jürg Wiedemann (Grüne-Unabhängige) hat die Standesinitiative zwei zentrale Wirkungen:


1. Das Fragerecht wird in dem Sinne eingeschränkt, dass es nicht mehr im Vorverfahren gewährt werden muss, sondern auch im Verfahren gewährt werden kann, d.h. der Staatsanwalt kann grundsätzlich eine Verschiebung des Arbeitsvolumens erwirken, indem er diesen Teil der Arbeit dem Gericht überlässt. Mit diesem Punkt sind die Grünen-Unabhängigen nicht einverstanden. Sie streben eine Formulierung an, mittels welcher das Fragerecht auch im Vorverfahren gewahrt bleibt. Nur wenn dies aus bestimmten Gründen nicht möglich ist, soll das Fragerecht zumindest in der Hauptverhandlung - vor Gericht - gewährt sein. In der anschliessenden Detailberatung wird eine entsprechende Ergänzung vorgeschlagen werden.


2. Die technischen Hilfsmittel - wie etwa Tonbandaufnahmen - sollen nicht nur vor Gericht zum Einsatz kommen, sondern auch bei den Einvernahmen der Staatsanwaltschaft. Die Möglichkeit von Tonbandaufnahmen wurde bereits beim Erlass der StPO 2012/13 in Bundesbern heftig und eingehend diskutiert. Schliesslich fiel der bewusste Entscheid, dieses technische Hilfsmittel nur bei den Gerichten zuzulassen. Auf die genauen Gründe, warum dies tatsächlich abzulehnen ist, wird Regula Steinemann im Folgenden näher eingehen.


Die Standesinitiative, die nun nur 4 Jahre nach der neuen StPO eine Änderung von Artikel 78 verlangt, wird von den Grünen-Unabhängigen als Zwängerei angesehen. Sie wird in Bundesbern keine Chancen haben. Die Standesinitiative wird abgelehnt.


Regula Steinemann (glp) äussert sich zum Verzicht auf das Unmittelbare und zum gleichzeitigen Protokollieren. Die heutige Situation bei Einvernahmen ist tatsächlich unbefriedigend, da sehr zeitaufwendig, vor allem wenn das Protokoll am Ende der Einvernahme noch via Dolmetscher übersetzt werden muss. Das Problem ist erkannt. Aber die hier vorliegende Lösung bringt keine effizientere Gestaltung mit sich. Ziel ist eine effektive Vorgehensweise, um die Aussagen korrekt und zweifelsfrei wieder geben zu können. Was passiert, wenn die ad-hoc-Protokollierung abgeschafft wird? Vermutlich wird eine Kanzleikraft die Sprachaufzeichnung nach bestem Wissen und Gewissen abtippen. Damit das Protokoll aber die nötige Qualität hat, muss der Untersuchungsbeamte, je nachdem der Staatsanwalt, das Protokoll nochmals überarbeiten und vielleicht nochmals mit der Sprachaufzeichnung abgleichen. Nach Fertigstellung muss die Abschrift an die beteiligten Personen verschickt werden; an die beschuldigte Person, meistens auch noch einen Anwalt. Bei einer fremdsprachigen Person muss der Anwalt den Dolmetscher aufbieten. Dem Beschuldigten - der vielleicht in Untersuchungshaft ist - muss das Protokoll übersetzt werden. Vielleicht bezweifelt dieser gewisse Aussagen. Die Audio-Aufzeichnung muss allenfalls nochmals abgespielt werden, dazu ist ein Abspielgerät nötig, im Gefängnis müssen Audio-Abspielgeräte vorhanden sein ... So zieht eins das andere nach sich. Man stelle sich dieses Spiel bei drei Beschuldigten vor! Was passiert, wenn das Protokoll zwar der Audioaufnahme entspricht, aber nicht dem, was der Beschuldigte eigentlich sagen wollte? Oder wenn es ein Missverständnis gegeben hat? Wird das Protokoll dann so abgeändert, dass es dem entspricht, was der Beschuldigte eigentlich gemeint hat, oder ist das einmal gesprochene Wort in Stein gemeisselt? Regula Steinemann ist überzeugt, dass es mehr Probleme geben und vor allem viel mehr Kosten verursachen wird. Daher steht die glp/GU-Fraktion der Standesinitiative ablehnend gegenüber.


Betreffend Protokollierung ist zudem festzuhalten, dass die Untersuchungsbeamten darin sehr gut geschult sind. Die Befragungen und Protokollierungen gehen flüssig vor sich. Wenn etwas geändert werden soll, so ist allenfalls eine zweite Person, die nur protokolliert, einzusetzen, oder es wird ein Protokollführer eingestellt.


Hanspeter Weibel (SVP) meldet sich auf das Votum von Diego Stoll und merkt an, die GPK habe eine sehr umfassende Untersuchung gemacht und beim Vorschlag einer Anpassung der Beschuldigtenrechte nicht nur die Meinung der Strafverfolgungsbehörden übernommen. Zur Illustration: Die EMRK verlangt, dass die Beschuldigten während des Verfahrens die Möglichkeit haben, den Zeugen oder dem Opfer Fragen zu stellen. Im Kanton BL ist dies ausgeartet in persönliche Gegenüberstellung und Anwesenheit. Bei einem Vergewaltigungsfall heisst dies, dass er Täter das Recht hat, bei der Einvernahme des Opfers dabei zu sein. Das ist eine Zumutung. Daher wird nun im Justizzentrum Muttenz ein Raum mit einem so genannten venezianischen Spiegel gebaut, damit wenigstens eine optische Trennung möglich ist. Multipliziert man dies nun noch mit bandenmässigen Vergehen, so hat man tatsächlich eine Kompliziertheit, die in dieser Form nicht notwendig ist. Hanspeter Weibel macht sich keine Illusionen, die Standesinitiative ist ein Vorschlag, und die hier geführten Diskussionen werden wohl in Bern noch mehrfach geführt werden. Es ist aber wichtig, nach Bern zu signalisieren, dass eine Änderung gewünscht wird. Denn problematisch ist, dass der Aufwand nicht in Bern, sondern in den Kantonen anfällt. Auch könnte parallel dazu das Anliegen durch die kantonalen Nationalräte im Bundesparlament eingebracht werden. Mit einer Standesinitiative kann zumindest ein bisschen Druck gemacht werden.


Für das Protokoll:
Brigitta Laube, Landeskanzlei


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Sara Fritz (EVP) teilt mit, dass die Grünen/EVP die Standesinitiative unterstützen. Ein Wort zur Protokollierung, die von den glp/Grünen Unabhängigen in Zweifel gezogen wurde: In der Standesinitiative wird klar gesagt, dass es in Zukunft möglich sein soll, sofern technische Hilfsmittel vorhanden sind, nicht mehr sofort protokollieren zu müssen. Ihrem Verständnis nach handelt es sich aber um eine Kann-Formulierung - in Fällen, in denen es aufwändiger und weniger effizient wäre, z.B. bei einem Problem mit dem Dolmetscher, ist eine Protokollierung nicht zwingend. In Fällen aber, in denen es hilfreich wäre, mit technischen Hilfsmitteln zu arbeiten, ist die Standesinitiative durchaus legitim, um damit Bern die Aufgabe zu geben, sich zu überlegen, wie es besser gemacht werden könnte. Ein schnelleres Vorgehen wäre wünschenswert. Man sollte nicht warten bis 2018, wie das im Bericht steht. Es soll jetzt geschehen, weil eine Änderung diesbezüglich von den Initianten als dringlich und wichtig erachtet wird.


Regula Meschberger (SP) findet es wichtig, sich zu überlegen, ob die Lancierung einer Standesinitiative zu diesem Zeitpunkt sinnvoll ist. Man erinnere sich, dass es eine eidgenössische Strafprozessordnung gibt (eine Errungenschaft, die viel Zeit und unglaubliche Diskussionen benötigte), und dass es vielleicht auch Bestimmungen gibt, die über das Ziel hinaus schiessen. Letztlich versuchte man aber auch, eine Ausgewogenheit, eine Balance zwischen Strafverfolgung und Opferschutz hinzubekommen. Dies war der Hintergedanke.


Der Sprecherin geht es eher um Teilnahmerecht, nicht um Protokollierung. Beim Teilnahmerecht geht es vor allem auch um die Umsetzung, die gewährleisten soll, dass sich Opfer und Täter nicht unbedingt begegnen. Hierfür gibt es durchaus Lösungen, eine davon wurde von Hanspeter Weibel angetönt. Der Opferschutz ist zentral. Wird nun aber ein Bereich herausgenommen und gefordert, das Bundesparlament solle aktiv werden, hat dies unter Umständen Auswirkungen auf andere Bestimmungen. Es ist der Sprecherin, obschon sie Juristin ist, noch nicht ganz klar, welche Zusammenhänge hier überall bestehen und welche Auswirkungen es haben kann. Das Ganze müsste erst seriös betrachtet werden. Es scheint ihr einfach gefährlich. Die Strafprozessordnung ist noch nicht lange in Kraft, das EG StPO ebenso. Der Entscheid vom Bund, zuzuwarten, Erfahrungen zu sammeln und dann erst mit einer gezielten Revision das Thema in Angriff zu nehmen, erscheint ihr vor diesem Hintergrund sinnvoll. Mit einer Standesinitiative aber einfach einen Punkt aufzugreifen, von dem die Sprecherin der Meinung ist, dass die Staatsanwaltschaft durchaus Möglichkeiten hat, mit den Rechten in der Umsetzung sorgfältig umzugehen, findet sie falsch. Dies führt die SP zur Meinung, dass eine Überweisung der Standesinitiative nicht angebracht ist.


Dominik Straumann (SVP) ist aus zwei, drei Punkten sehr dafür, die Standesinitiative zu überweisen. Einer davon ist die Tatsache, dass irgendwann einmal die bedingte Geldstrafe eingeführt wurde. Auch damals wurde Opposition gemacht. Bundesbern sah dies nicht so. Es gibt sie nach wie vor. Sie wurde bestätigt: eine Massnahme ohne abschreckende Wirkung, die sehr fraglich ist. Hanspeter Weibel hat bereits darauf hingewiesen: Alle jene Massnahmen, die bereits auf Bundesebene getroffen wurden, entsprechend dort ausgearbeitet und zur Umsetzung vorgeschrieben werden, werden anschliessend in den Kantonen ausgeführt. Dort fällt der personelle und finanzielle Aufwand an. Dass sich die Kantone entsprechend wehren und aufzeigen, wie man das effizienter und besser machen könnte, findet der Sprecher notwendig.


Zur Protokollierung: Es gibt andere «Länder», die deutlich grösser sind als Baselland. In einzelnen Bundesländern in Deutschland ist es Usus, dass grundsätzlich bei der Einvernahme eine Tonaufnahme gemacht wird - der Sprecher war immerhin 17 Jahre bei der Polizei aktiv und besuchte im nahen Ausland immer wieder Kurse. Auch die Videobefragung ist dort ganz normal, z.B. wegen Geschwindkeitsübertretungen auf der Autobahn. Diese Videoaufzeichnung wird sequenziell, an einer für die Beweisführung zentralen Stelle, im Gerichtssaal vorgeführt. Man verfügt auch über die Möglichkeit, über einfache Telefongeräte eine Audiodatei abspielen zu lassen. Selbst in einem Gefängnis wäre dies technisch möglich. Möchte man also eine Audiodatei erstellen, um die Aussage eins zu eins wiederzugeben, müsste dies in der entsprechenden Landessprache sein. Und nicht in einer Übersetzung (von der Landesprache oder Mundart ins Hochdeutsche). Denn am Schluss stellt sich immer wieder die Frage, was die betreffende Person genau gesagt - und vor allem gemeint - hat. Die einzige wahre Aufzeichnung wäre die Videoaufzeichnung oder eine Tonaufnahme. Der Sprecher ist überzeugt, dass eine technische Änderung mittelfristig (nicht kurzfristig) Kosten spart, das Verfahren effizienter und einfacher macht - in Parallelverfahren, wenn gleichzeitig eins zu eins die Teilnahmerechte nachvollzogen werden können usw. Dies wäre alles möglich, wenn technische Massnahmen erlaubt wären.


Jürg Wiedemann (Grüne-Unabhängige) ist als Nicht-Jurist von einer Tatsache doch etwas schockiert. Der Votant fragte einen Strafrechtler, der vorab in BS, hin und wieder in BL und im Aargau tätig ist, über seine Haltung zur Protokollierung. Dieser gab relativ freizügig zur Auskunft, dass dies für ihn als Gratis-Anwalt (gemeint ist, dass er das Geld vom Staat erhält) Vorteile hätte. Heute kann er nicht reklamieren, weil alles nur als Protokoll festgehalten ist und es keine Tonaufnahme gibt. Das Protokoll ist dann definitiv fixiert. Mit dieser Bestimmung könne er zu einem späten Zeitpunkt im Extremfall sogar vor Gericht gelangen und eine Falschprotokollierung beanstanden. Somit liessen sich Stunden generieren, die sich mit über 200 Franken verrechnen liessen. Viele Verfahren, die dieser Anwalt betreut, sind nahe an der Verjährung. Auf diese Weise liesse sich sogar ein Verfahren bestenfalls in die Verjährung verschleppen. Dies sei im übrigen auch eine der wesentlichen Aufgaben, die ein Strafverteidiger, ein Anwalt hat: Seinen Klienten in die Verjährung zu retten.


Dieses Beispiel hat dem Votanten deutlich gemacht, dass die Protokollierung so kein Vorteil sein kann.


Klaus Kirchmayr (Grüne): Wer heute schaut, wie in der (Straf-)Justiz gearbeitet wird, wird feststellen, dass es wahrscheinlich keine Arbeitsabläufe in der Gesellschaft gibt, über die so viel in den Medien berichtet wird. Leute reden, es wird aufgeschrieben, dann wird kontrolliert, unterschrieben, per Post verschickt etc. Das führt dazu, dass die Verfahren viel länger werden und die Unmittelbarkeit - für den Sprecher ein ganz zentraler Aspekt der Justiz - wird ganz stark in Mitleidenschaft gezogen. Heute wird bereits bei der Tataufnahme in ein Blöckchen notiert. Dies muss doch heute einfacher gehen, auch in der Justiz. Es muss möglich sein, dass unmittelbar gemachte Tonaufnahmen, wie das in vielen anderen Ländern, die wie die Schweiz ein Rechtsstaat sind, der Fall ist, als Protokoll zugelassen sind. Nur darum geht es: Ein Verfahren schneller zu machen, Medienbrüche zu eliminieren, und darum, dass auch die modernen Medien in die Justiz Einzug halten. Die antiquierten Methoden, die noch im vorletzten Jahrhundert erfunden wurden, sind zu korrigieren.


Marc Schinzel (FDP) fühlt sich als Jurist zu einer Replik auf Nicht-Jurist Wiedemann verpflichtet. Es überrascht doch, wenn man die von ihm überbrachte Auskunft des Strafverteidigers berücksichtigt, wie die modernen Protokollierungsmittel einzusetzen wären - dann ist dies doch im Sinne der Wahrheitsfindung. Strafverfolgung hat die Wahrheitsfindung zum Ziel, was aber auch dem Angeschuldigten zugute kommt. Wenn nun dieser Jurist meint, intervenieren zu müssen, dann tut er dies doch zugunsten des Angeschuldigten. Heute morgen wurde über nebenamtliche Richter geredet. Der Sprecher sagte da, er liesse sich nicht in die Rolle des Lobbyisten für die Anwälte einspannen. Dennoch muss er nun eine Lanze brechen für die Strafverteidiger. Er glaubt nicht, dass diese nur an ihren eigenen Verdienst denken und als oberstes Ziel Verfahren in die Verjährung verschleppen. Damit würde man den Strafverteidigern Unrecht tun. Man könnte der Initiative sicher auch aus diesem Grund guten Gewissens zustimmen.


Regierungsrätin Monica Gschwind (FDP) vertritt auch bei dieser Vorlage Regierungsrat Isaac Reber. Die Vorlage geht auf Anstösse aus der GPK sowie auf zwei parlamentarische Vorstösse zurück. Das Thema ist ziemlich trocken und technisch, aber mit erheblichen Auswirkungen in der Praxis: Es geht um die Waage zwischen Verfahrensrechten und Strafverfolgung. Isaac Reber ist der JSK dankbar für die kritische Diskussion und hofft auch im Landrat auf Zustimmung.


Die schweizerische Strafprozessordnung ist seit 2007 in Kraft. Für den Kanton BL brachte sie einen Systemwechsel mit sich: vom Untersuchungsrichtermodell zum Staatsanwaltschaftsmodell. Ausserdem wurden schweizweit Abläufe und Standards vorgeschrieben, welche nochmals erhebliche Umstellungen mit sich brachten. Das war eine schwierige und aufwändige Sache, welche nur dank dem grossen Engagement der Beteiligten gut bewältigt werden konnte.


Aber nach bald 8 Jahren Praxis zeigt sich auch, welche der neuen Bestimmungen nur gewöhnungsbedürftig sind, und welche anderen weiterhin und ohne Aussicht auf Besserung in der Praxis Schwierigkeiten bereiten. Das brachte auf verschiedenen Ebenen Aktivitäten mit sich, namentlich parlamentarische Vorstösse auf Bundesebene sowie ein Schreiben der Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren an den Bundesrat. Alle sind sich zwar einig, dass man nicht ohne Not ein relativ neues Gesetz gleich wieder ändern sollte, sondern nur aufgrund einer sorgfältigen Evaluation. Einige dieser Schwierigkeiten sind aber so gravierend dass sie möglichst rasch angegangen werden sollten. Dies hat auch die GPK in ihren Berichten festgestellt und den Regierungsrat eingeladen, beim Bund vorstellig zu werden. Der Regierungsrat schlägt dafür eine Standesinitiative vor. Es geht darin um drei Punkte, nämlich um die Parteirechte, um die Protokollierung und um den Haftgrund der Wiederholungsgefahr.


Zu den Parteirechten: Gemäss der jetzigen Strafprozessordnung können Mitbeschuldigte an den gegenseitigen Einvernahmen teilnehmen. Damit wird die Wahrheitsfindung erheblich beeinträchtigt, weil es keine unbeeinflussten Aussagen mehr gibt. Die gleiche Strafprozessordnung nennt die Kollusionsgefahr als Haftgrund - das heisst die Gefahr, dass sich Mitbeschuldigte untereinander absprechen. Das ist unlogisch und schiesst weit über die EMRK-Garantien hinaus. Die EMRK und die Bundesverfassung verlangen nur, dass der Beschuldigte zu gegebener Zeit von den Aussagen der Mitangeschuldigten Kenntnis erhält, sich dazu äussern und Fragen an sie stellen kann. Das hat sich vor 2007 bestens bewährt und reicht auch für die Zukunft völlig aus. Die in der Verfassung und der EMRK garantierten Rechte der angeschuldigten Personen werden dadurch nicht beeinträchtigt.


Zur Protokollierung: Aktuell müssen Einvernahmen immer «live» protokolliert werden. Nach der Einvernahme wird das Protokoll ausgedruckt, die angeschuldigte Person (und der Anwalt) müssen es vor Ort durchlesen, können Korrekturen verlangen, und müssen es am Ende unterschreiben. Das mag in einfachen Fällen funktionieren, aber es ist eigentlich unmöglich, gleichzeitig eine komplexe Befragung durchzuführen und alles druckreif aufzuschreiben. Protokollhilfen gibt es aber aus Kostengründen nicht oder sie stehen nur sehr beschränkt zur Verfügung. Der Regierungsrat schlägt deshalb vor, dass die Einvernahmen elektronisch aufgenommen und im Nachhinein ab Band protokolliert werden können. Eigentlich eine kleine Änderung, aber damit können die Überforderung der Einvernehmenden sowie der Zeitverlust nach der Einvernahme vermieden werden. Die Parteirechte werden dadurch eher gestärkt als verringert, weil im Zweifelsfall immer auf die elektronische Aufnahme zurückgegriffen werden kann. Den Voten von Klaus Kirchmayr wie auch Marc Schinzel ist deshalb zuzustimmen.


Zum Haftgrund der Wiederholungsgefahr: Auch hier wurde die Latte wesentlich höher gelegt als es die EMRK erfordert: gemäss EMRK ist ein Freiheitsentzug zulässig, wenn begründeter Anlass zu der Annahme besteht, dass es notwendig ist, eine Person an der Begehung einer Straftat (...) zu hindern. Die Strafprozessordnung verlangt aber eine erhebliche Sicherheitsgefährdung und frühere gleichartige Straftaten, also mehr als eine. Das Bundesgericht bemüht sich um sinnvolle Auslegungen von Artikel 221 StPO, indem es die Wiederholungsgefahr mit der Ausführungsgefahr verknüpft und das Kriterium früher begangener «gleichartiger Straftaten» aufgibt. Das aber ist sehr unbefriedigend, weil eine so starke Freiheitsbeschränkung, wie die Haft sie darstellt, gesetzlich klar geregelt sein sollte. Deshalb wird vorgeschlagen, dass das Kriterium «Sicherheitsgefährdung aufgrund von zu befürchtender Straftaten» genügt und das Erfordernis von bereits verübten Vortaten gestrichen wird.


Die Änderungsvorschläge gehen in dieselbe Richtung wie jene der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren, stehen also nicht isoliert in der Landschaft. Deshalb ist der Regierungsrat zuversichtlich, dass der Vorstoss in Bern nicht verhallen wird. In diesem Sinne bittet die Sprecherin, der Standesinitiative zuzustimmen.


://: Eintreten ist unbestritten.


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- Detailberatung Standesinitiative


Landratspräsident Franz Meyer (CVP) macht auf den Antrag der glp/GU-Fraktion auf Änderung des Wortlauts aufmerksam, der wie folgt lautet:


Art. 147 Abs. 4


Beweise, die in Verletzung der Bestimmungen dieses Artikels erhoben worden sind, dürfen nicht zulasten der Partei verwendet werden, die nicht anwesend war. Aussagen zulasten einer Partei sind verwertbar, wenn diese wenigstens einmal während des Verfahrens hinreichend Gelegenheit hatte, ihr Fragerecht auszuüben. Das Fragerecht ist soweit möglich im Vorverfahren zu gewähren.


Jürg Wiedemann (Grüne-Unabhängige) ist zusammen mit seiner Fraktion der Meinung, dass die Staatsanwaltschaft Beweise im Vorverfahren so eruieren soll, dass die Gerichte diese effizient und ohne zeitlichen Mehraufwand sichten, beurteilen, verwerten können. Es soll nicht im Belieben der Staatsanwaltschaft sein, das Fragerecht selber zu machen oder nach Belieben den Gerichten zu überlassen. Die Fraktion nimmt zur Kenntnis, dass dies in der Justizkommission so nicht gewollt war, dass es zwingend ist, dass es im Vorverfahren gemacht werden muss. Glp/Grüne Unabhängige schlagen diese Ergänzung vor (den letzten, unterstrichenen Satz), um eine Einschränkung zu machen. Dies gibt immerhin die Möglichkeit, falls das Fragerecht einmal aus entscheidend wichtigen Gründen nicht möglich ist, dass dann die Staatsanwaltschaft das Fragerecht den Gerichten überlassen kann. Aber im Regelfall soll das Fragerecht von den Staatsanwaltschaften im Vorverfahren erledigt werden.


Hanspeter Weibel (SVP): Kollege Wiedemann verlangt etwas, das bereits absolut normal ist. Wenn man berücksichtigt, dass in jedem Verfahren die Anwälte des Beschuldigten vertreten sind, und wenn dann im Vorverfahren irgendetwas nicht korrekt läuft, dann ist davon auszugehen, dass der Anwalt des Beschuldigten dafür sorgen wird, dass dies schon im Vorverfahren geklärt wird. Die Ergänzung ist somit absolut überflüssig.


://: Der Landrat lehnt den Änderungsantrag der glp/GU-Fraktion mit 69:11 Stimmen ab. [ Namenliste ]


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- Beschlussfassung


://: Der Landrat stimmt mit 54:23 Stimmen der Standesinitiative bezüglich dringender Nachbesserungen der Schweizerischen Strafprozessordnung zu. [ Namenliste ]


://: Die Motion 2013/182 wird stillschweigend abgeschrieben.


> Wortlaut Standesinitiative


Für das Protokoll
Markus Kocher


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