Protokoll der Landratssitzung vom 14. April 2016
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2016-098 vom 14. April 2016 Interpellation von Pascal Ryf, CVP/BDP-Fraktion: Rechtsgutachten zur Durchsetzung unserer Werte? - Stellungnahme von Regierungsrätin Monica Gschwind - Beschluss des Landrats vom 14. April 2016: < beantwortet > |
Landratspräsident Franz Meyer (CVP) informiert, dass Regierungsrätin Monica Gschwind vor der Beantwortung der Interpellation eine Erklärung zum Thema abgeben wird.
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- Erklärung der Vorsteherin der Bildungs-, Kultur- und Sportdirektion
Regierungsrätin Monica Gschwind (FDP) gibt folgende Stellungnahme ab:
«Geschätzter Herr Landratspräsident
Geschätzte Landrätinnen und Landräte
'So geht es nicht!' - dies war mein erster Gedanke, als ich von der Händedruck-Dispens in Therwil gehört habe. 'Das ist eine Scheinlösung' und 'Wer sich nicht anpassen will, muss mit Sanktionen rechnen'.
Ich war wütend, dass wir in unserer Schule derartige Schwierigkeiten haben. Dass unsere Lehrerinnen und Lehrer diese nicht zufriedenstellend lösen können und dass sie es nicht mehr schaffen, unsere Regeln durchzusetzen. 'So nicht!', ich will das nicht. Ich will das Händeschütteln - eine wichtige soziale Geste - durchsetzen und abklären, welche Möglichkeiten der Schule zur Verfügung stehen.
Die letzten Tage wurde ich kritisiert, dass ich meine klare Haltung zu zögerlich geäussert und die Regelung der Schule in der Öffentlichkeit nicht vehement beanstandet hätte. Es wäre für mich einfach gewesen, dies zu tun. Ich hätte sagen können, dass der Schulleiter seinen «Laden» nicht im Griff hat und er sich zu schnell gebeugt hätte. Dazu nur kurz: In der Praxis ist dies nicht so einfach, wie sich manch einer wünscht und ich es mir auch wünsche.
Als Bildungsdirektorin besteht meine Aufgabe nicht darin, die Schulen zu kritisieren, sondern mit den Schulen Probleme zu lösen und Schwierigkeiten aus dem Weg zu räumen. Deshalb habe ich intern eine juristische Abklärung in Auftrag gegeben, um ausloten zu können, welche Sanktionsmöglichkeiten die Schulen bei Nichtbefolgung zur Verfügung haben. Ja, diese Abklärung hat eindeutig zu lange gedauert, diesen Vorwurf nehme ich selbstkritisch entgegen. Wir werden dies intern anschauen.
Zunächst möchte ich festhalten, dass die Sekundarschule Therwil eine Regelung getroffen hat, die gesellschaftlich gesehen nicht richtig ist, aber für den Schulbetrieb in einem ersten Schritt funktioniert hat. Ihre Kernaufgabe, unsere Schülerinnen und Schüler auszubilden, kann sie vollends erfüllen. Auch während der grossen medialen Aufmerksamkeit, trotz der grossen Kritik und Einschaltens der Jugendanwaltschaft hat die Schule einwandfrei funktioniert. Wir hatten und haben Ruhe an der Schule Känelmatt.
Mein oberstes Ziel in den letzten zehn Tagen war es, dass alle Lehrpersonen des Kantons informiert, die Eltern der Therwiler Schülerinnen und Schüler und die Öffentlichkeit auf dem Laufenden und rund hundert Medienanfragen beantwortet sind. Noch am Wochenende habe ich eine Situationsanalyse erstellt, um die Schule, die Lehrpersonen, die Eltern und Schülerinnen und Schüler weiterhin begleiten zu können. Die nächsten internen Schritte sind folglich geplant.
Geschätzte Landrätinnen und Landräte. Der verweigerte Händedruck ist ein Auslöser hoher Wellen: In unserem Alltag nehmen wir die Geste des Einander-die-Hand-Reichens kaum wahr. Der gegenseitige Händedruck bei der Begrüssung oder zum Abschied ist ein ausdruckstarker Symbolakt, der erst bei dessen Verweigerung wahrgenommen wird. Wir verwenden die Geste aber in unserem Alltag, in der Schule, in der Lehre oder später im Berufsleben. Deshalb ist es besonders wichtig, dass es möglich sein muss, sich schon in der Schule die Hand zu reichen.
Dass in Therwil zwei Schüler ihren Lehrerinnen nicht mehr die Hand geben konnten, weil sie Frauen sind, zeigt weitere Herausforderungen. In diesem Fall stellt der verweigerte Handschlag auch die Gleichstellung von Frau und Mann in unserer Gesellschaft in Frage. Als Bildungsdirektorin und als Frau fordere ich sie für unsere Schulen ein. Ich fordere ausserdem den Respekt gegenüber unseren Lehrerinnen und Lehrern und ich fordere, dass unsere Verhaltensregeln eingehalten werden. Was aber konkret können die Schulen in ihrem Alltag tun? Das Bildungsgesetz gibt keine genügenden Antworten auf diese Fragen, was anhand der eingehenden Motionen gut ersichtlich wird.
Aktuell kann die Schule mit den Schülern und den Eltern das Gespräch aufnehmen und wenn dies nichts nützt, können Sanktionen - beispielsweise Bussen - gesprochen werden. Was aber geschieht, wenn diese Bussen einfach bezahlt werden und sich keine Verhaltensänderung einstellt? Hier landen wir sehr schnell bei grundsätzlichen Fragen der Integrations- und Migrationspolitik. Wir dürfen bei uns keine Parallelgesellschaften mit eigenen Regeln akzeptieren. Dies ist der falsche Weg! Es kann aber nicht Aufgabe der Schule sein, stellvertretend gesellschaftliche Missstände lösen zu müssen.
Der 'Fall Therwil' hat eine weitreichende Diskussion und eine weltweite Berichterstattung bis in die USA und nach Australien ausgelöst. Die Schule musste erleben, wie es ist, im medialen Schaufenster zu stehen. Was in Therwil geschehen ist, hätte jedoch an jeder anderen Schweizer Schule geschehen und eskalieren können. Ich bin überzeugt, dass sich viele verantwortliche Exekutiv- und Behördenmitglieder in den letzten Tagen nach der Situation in ihren Schulen erkundigt haben. Dabei gilt zu beachten: Die Schule ist nicht die Ursache dieses gesellschaftlichen Problems. In der Schule kommen gesellschaftliche Probleme jedoch als erstes an die Oberfläche und sie muss sich täglich damit auseinander setzen. Dieses Thema betrifft folglich nicht nur die Schulen - es betrifft alle Bereiche unseres Zusammenlebens. Hier nehme ich die nationale Migrations- und Integrationspolitik mit in die Pflicht.
Wie geht es weiter?
Als Bildungsdirektorin unterstütze ich die Schulen bestmöglich bei all ihren Fragestellungen. Die rechtliche Prüfung für Therwil läuft und wird wohl Ende April / Anfang Mai verabschiedet sein. Im Moment geht es ausserdem darum, die Eltern und Lehrpersonen bei Neuigkeiten zu ihrer Schule zu informieren. Gestern war ich vor Ort im Känelmatt-Schulhaus und habe mich mit den Lehrerinnen und Lehrern zu den Vorkommnissen ausgetauscht. Das war mir wichtig und ich habe gehört, dass der Schulbetrieb normal weiterläuft.
Zur Politik: Sie ist - wie erwähnt - gefordert. Ich für meinen Teil werde das Bildungsgesetz genau anschauen, um zu wissen, wo Lücken bestehen und wie wir eine durchsetzungsfähige Handhabe für unsere Schulen erhalten. Derartige Ereignisse in und rund um die Baselbieter Schulen - wie im Fall von Therwil - möchte ich künftig möglichst verhindern.
Zum Schluss halte ich zusammenfassend nochmals fest:
- Ich dulde nicht, dass die Gleichstellung an unseren Schulen untergraben wird.
- Ich will, dass der Händedruck als soziale Geste in Therwil und an allen Baselbieter Schulen durchgesetzt werden kann.
- Ich werde den Schulen entsprechende Handlungsempfehlungen zur Verfügung stellen.
- Wir prüfen, welche Sanktionsmöglichkeiten die Schulen im Streitfall anwenden und wie die Schulen diese, falls nötig auch gerichtlich, durchsetzen können.
- Es kann jedoch nicht die Aufgabe der Schule sein, stellvertretend gesellschaftliche Missstände zu lösen.
- Die Politik ist daher gefordert: Ich für meinen Teil werde des Bildungsgesetz dahingehend überprüfen.
Die Situation heute präsentiert sich wie folgt:
- Die Schule in Therwil funktioniert.
- Ich überprüfe unsere internen Abläufe und werde diese verbessern.
- Ich habe heute noch keine pfannenfertige Empfehlung für unsere Schulen.
- Ich arbeite mit Hochdruck daran und werde so bald wie möglich informieren.
Geschätzte Landrätinnen und Landräte. Gestern habe ich eine Karte im Briefkasten gefunden. Darauf stand die Frage: Frau Regierungsrätin, regieren Sie oder werden Sie regiert? Diese Frage muss sich jeder Regierungsrat immer wieder stellen und ich kann Ihnen heute ganz klar sagen: Ja, ich regiere. Ich stehe in der Pflicht und ich nehme sie wahr.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.»
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- Beantwortung der Interpellation 2016/098
Die Dispensation vom Händedruck an der Sekundarschule Therwil hat weltweit hohe Wellen geworfen. SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga verurteilte anfangs letzter Woche die Handschlag-Verweigerer mit klaren Worten: «Dass ein Kind der Lehrperson nicht die Hand gibt, das geht nicht. Das passt nicht zu unserer Kultur. So stelle ich mir Integration nicht vor, auch unter dem Titel Religionsfreiheit kann man das nicht akzeptieren». Die Bildungs-, Kultur- und Sportdirektion liess sich mit einer pointierten Äusserung länger Zeit und gab bekannt, ein Gutachten in Auftrag zu geben und ein Grundlagenpapier für alle Schulen im Kanton auszuarbeiten. In einem Schreiben vom 5. April 2016 an die Schulleitungen und Lehrpersonen informiert RR Monica Gschwind, dass die «BKSD die Situation aus rechtlicher Sicht prüft. Wir brauchen Anhaltspunkte und geklärte Sanktionsmassnahmen, die der Durchsetzung unserer Werte dienen».
Die Schulleitung der Sekundarschule Therwil informierte mit einem Schreiben vom 4. Dezember 2015 den PAS (Präsidialausschuss der Schulleitungskonferenzen) und das AVS über die zwei muslimischen Schüler, welche ihren Lehrerinnen den Händedruck verweigern. Bildungsdirektion Monica Gschwind betonte in einem bz-Interview, dass «vorgängig kein Kontakt zur Direktion in dieser Angelegenheit stattgefunden hat.»
Regierungsrätin Monica Gschwind (FDP) beantwortet die Fragen.
Frage 1:
Besteht ein Kommunikationsdefizit zwischen dem Amt für Volksschulen (AVS) und der Bildungsdirektion (BKSD)? Wenn nein, warum wurde eine solch brisante Nachricht nicht weitergeleitet oder zeitnaher behandelt und somit die Schule im Stich gelassen?
Antwort:
Die Vorkommnisse der letzten Tagen an der Schule und die weitreichende Diskussion zeigen, dass die BKSD solche Themen rascher behandeln muss. Der Fall Therwil wurde in die ordentlichen Gefässe eingespiesen und verhandelt. Die Periodizität dieser Gefässe hatte zur Folge, dass die Direktionsvorsteherin erst zu spät informiert wurde. Von der Direktionsvorsteherin wurde umgehend intern eine rechtliche Prüfung in Auftrag gegeben. Die internen Abläufe werden verbessert und alle Organisationseinheiten für solche Themen zusätzlich sensibilisiert. Ziel ist es, dass die Direktionsvorsteherin schneller Kenntnis von solchen Fällen hat und rascher Aufträge erteilen kann.
Die Schule hat für sich eine temporäre Regelung mit den Eltern und den Schülern gefunden. Der Schulbetrieb - dafür ist die Schule einzig zuständig - hat einwandfrei funktioniert. Die Regelung ist in Therwil akzeptiert, Lehrpersonen und Schülerinnen und Schüler der Schule und der Klasse können damit leben. Gleichzeitig hat die Schule Känelmatt die volle Unterstützung der BKSD. Bei der ersten Anfrage durch die Schule hat der Stab Recht umgehend telefonisch eine Ersteinschätzung abgegeben. Weil das Thema so komplex ist, ist eine weitergehende Prüfung erforderlich. Während der ganzen medialen Aufmerksamkeit, die sehr gross war, hat die BKSD die Schule ebenfalls intensiv unterstützt und beraten.
Die Direktion hat immer öffentlich gesagt, dass sie der Schulen Handlungsempfehlungen abgibt. So etwas wie im Fall Therwil hat es bisher noch nicht gegeben, die Frage hat sich noch nie gestellt - auch in den Handreichungen gibt es keine Antwort auf die Frage, wie mit einer Verweigerung des Händedrucks umgegangen werden soll. Die Schule hatte darum auch keine offizielle Empfehlung des Kantons. Es ist an der Bildungsdirektorin, den Schulen künftig entsprechende Empfehlungen abzugeben.
Frage 2:
Wie rechtfertigt die Baselbieter Regierung ein rechtliches Gutachten zur Durchsetzung unserer Werte, während dem die eidgenössische Justizministerin das Verhalten der Teenager klar und deutlich verurteilen kann?
Antwort:
Zu unseren Werten gehört die Gewährleistung des Rechtsstaates. Dieser verlangt, dass Einschränkungen des Grundrechts aber auch Sanktionen wie Disziplinarmassnahmen sich auf eine rechtliche Grundlage stützen können. Auch ist immer höherrangiges Recht, wie konkret der Anspruch auf unentgeltlichen Grundschulunterricht, zu beachten. Das alles erfordert eine sorgfältige rechtliche Prüfung des Falls. Einen Händedruck an der Schule durchzusetzen ist in der Praxis bis jetzt nicht möglich. Es handelt sich um einen neuen Fall, anders als beim Kopftuch und dem Schwimmunterricht.
Die Aussage von Bundesrätin Simonetta Somarruga ist nachvollziehbar und in ihrer Botschaft klar. Sie ist im Schulalltag aufgrund der bestehenden Rechtsgrundlagen aber noch nicht praktikabel. Die Bildungsdirektorin freut sich, wenn die Justizministerin sie darin unterstützt.
Frage 3:
Mit welchen Kosten muss der Kanton Basel-Landschaft für das Erstellen des Rechtgutachtens rechnen?
Antwort:
Die rechtliche Prüfung erfolgt im Rahmen der üblichen Dienstleistungen des Stabs Recht der BKSD und löst keine Zusatzkosten aus.
Frage 4:
Welche Präventionsstelle im Kanton steht den Schulen beratend zur Seite, sollte Verdacht auf Radikalisierung eines Schülers, einer Schülerin bestehen?
Antwort:
Es gibt zahlreiche kantonale Fachstellen und Fachpersonen beim Kanton, darunter der Schulpsychologische Dienst mit einer SOS-Nummer, die Fachperson für interkulturelle Pädagogik des Amts für Volksschulen, die Fachstelle Integration in der SID, die Polizei, das Amt für Migration, etc. Dort kann jederzeit um Rat nachgefragt werden.
Frage 5:
Welche Lehren bezüglich Kommunikation kann die BKSD bereits zum jetzigen Zeitpunkt aus der «Handschlag-Affäre» ziehen?
Antwort:
Die internen Abläufe werden beschleunigt und alle Dienstellenleitenden zum Thema sensibilisiert. An der Schule zeigen sich als erstes die Herausforderungen der Gesellscahft, die Schule ist aber nicht deren Ursache. Der Schulbetrieb funktioniert gegenwärtig reibungslos - auch während medialer Aufmerksamkeit - und wurde immer von der BKSD unterstützt.
Pascal Ryf (CVP) beantragt die Diskussion, bedankt sich aber für die klaren Worte der Bildungsdirektorin, mit welchen sie Position bezogen und ihre Werte verteidigt hat.
://: Die Diskussion wird stillschweigend gewährt.
Pascal Ryf (CVP) greift einzelne Aussagen der Regierungsrätin - dass es keine pfannenfertigen Lösungen gäbe und es sich um eine Stellvertreterdiskussion handle - heraus. Am letzten Sonntag konnte niemand ahnen, dass aus dieser «Handschlag-Affäre» beinahe eine Staatskrise mit weltweiten Folgen resultiert. Es geht nicht darum, das Verhalten der Schulleitung oder die Bildungsdirektorin zu kritisieren. Es gibt aber seit mehreren Wochen und Jahren bildungspolitische Diskussionen über diverse Reformprojekte. Dabei wird vergessen, die Pädagogik anzuschauen - was gibt es tatsächlich für Probleme in den Schulen. Es gibt wunderbare Grundlagen, z.B. «Gelebte Religion und Schulalltag» des AVS und den Vertretenden der Landeskirche, wo unter anderem steht: «Wie oben erwähnt wird aus Artikel 15 der Bundesverfassung die konfessionelle Neutralität der öffentlichen Schulen abgeleitet. Daraus folgt, dass in der Schule alle Religionen als gleichwertig angesehen werden müssen und dass kein Schüler und keine Schülerin im Unterricht konfessionell indoktriniert werden darf. Konfessionelle Neutralität bedeutet hingegen nicht, dass die Schule ein wertfreier Raum ist. Es ist im Gegenteil sogar Auftrag der Schule, die herrschenden gesellschaftlichen Werte unserer Kultur zu vermitteln und sich gegen Angriffe auf diese zu wehren». Das klingt wunderschön, aber es fehlt die Umsetzung in der Praxis. Wenn ein Kind den Handschlag verweigert, kann dieser nicht erzwungen werden. Es braucht daher nicht nur pädagogische Massnahmen, sondern rechtliche Grundlagen. Da reicht § 69 des Bildungsgesetzes zu den Pflichten der Erziehungsberechtigten nicht aus.
Es gibt auch andere Fragen, die sich nun stellen. Wir leben in einem Rechtsstaat, die Rechte der Einzelnen dürfen nicht eingeschränkt werden. Es war nie die Idee, dass die Kinder an nicht-christlichen hohen Feiertagen nicht Urlaub nehmen dürfen. Es gibt aber gewisse Werte, die durchgesetzt werden müssen. Daher sollte das Gutachten nicht nur die Rechtslage erfassen, sondern auch mögliche Ergänzungen enthalten. An den Schulen werden Entscheide von Lehrerinnen von Vätern oft nicht akzeptiert, weil Frauen in deren Kulturkreis nichts zu sagen haben. Der Umgang damit ist auch nicht abschliessend geklärt. Genauso wenn die Eltern sagen, dass die Tochter nicht ins Schullager geht, weil sie nicht mit Jungen unter einem Dach schlafen darf. Dort wird in dem rechtlichen Gutachten eine klare Aussage erwartet, dass alle wissen, wie dies zumindest rechtlich durchgesetzt werden kann.
Dass keine Kosten entstehen mag sein, weil diese Personen sowieso angestellt sind. Dennoch können die Stunden der einzelnen Mitarbeitenden ausgewiesen werden, die für die Erstellung des Gutachtens notwendig waren.
Die Frage zur Präventionsstelle im Kanton hat der Votant schon früher einmal gestellt, da es an einem Schulhaus den Verdacht gab, dass sich eine Familie radikalisierte. Der Verweis auf den Schulpsychologischen Dienst oder die KESB ist aber unzureichend, es sind nicht Fachstellen, die sich mit der Radikalisierung und dem Jihaddismus auseinander setzen. Dort braucht es wirklich eine direkte Interventionsstelle im Kanton, die fachlich Auskunft geben kann.
Das Fazit des Gehörten: Der Votant wünscht sich mehr Mut, zu den Werten zu stehen. Es wird ein gesellschaftliches Problem diskutiert - hat die Gesellschaft den Mut, zu ihren Werten zu stehen, Mut auch Grenzen zu setzen, Mut um klar führen zu können. Der ehemalige Bildungsdirektor Urs Wüthrich hat immer von der «Guten Schule Baselland» gesprochen, auch die «Alte Schule Baselland» sollte vermehrt gepflegt werden.
Christoph Hänggi (SP) ist mit der Antwort auf Frage 1 nicht zufrieden. Den Zeitungen kann entnommen werden, dass sich die Schule bereits Ende November/Anfang Dezember mit der vorläufigen Lösung befasst hat, damit der Schulbetrieb weitergeführt werden kann, sich zugleich aber an das AVS gewendet hat. Die Zeit seit dieser Information bis zum aktuellen Medienhype - fast fünf Monate - hätte genutzt werden müssen und ist das eigentliche Problem.
Der Händedruck und die Diskussion, ob dies ein gesellschaftlicher Wert ist, sind nicht das Problem - diese Diskussion kann geführt werden. Die Verweigerung ist allerdings kein Gesetzesverstoss, der Händedruck hat aber einen gesellschaftlichen Wert und ist der Integration förderlich. Diesbezüglich kann auch das Gesetz angeschaut werden. Der zentrale Punkt ist aber, dass nicht gehandelt wurde - nicht von der Verwaltung und zu langsam von der Bildungsdirektorin. Es wurde nicht regiert, sondern ein Gutachten in Auftrag gegeben. Das hat schliesslich zu dem Medienhype geführt. Hätte die Regierung ein klares Votum abgegeben, wäre die Sache ruhiger über die Bühne gegangen und es gäbe nicht die unsichere Situation, in der alle auf das Rechtsgutachten warten um dann weiterzuschauen, damit es möglicherweise einen Regierungsratsbeschluss gibt. Dies hätte anders gehandhabt werden müssen in den letzten drei, vier Monaten.
Marie-Theres Beeler (Grüne) dankt der Regierungsrätin für die Antworten. Es ist gut und wichtig, dass das, was lange gedauert hat, jetzt auch in Angriff genommen wird. Ein Punkt muss hervorgehoben werden: «Wir brauchen ein Gutachten zur Durchsetzung unserer Werte. Werte sind nicht verhandelbar». Auch in diesem Raum könnte man sich nicht auf gemeinsame Werte einigen. Werte gehören zu einer Persönlichkeit, zu einer Lebensgeschichte; sie sind das, was jedem individuell heilig ist. Wenn dies religiös oder nicht religiös konnotiert wird, sehen die Werte anders aus, ebenso bei der Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Religionen. Wichtig und wesentlich ist, dass man die Werte gegenseitig respektiert. Werte sind nicht verhandelbar, aber Normen schon. Es geht nicht darum, Werte zu definieren, sondern darum, zu schauen, welche Normen im Respektieren gegenseitiger Werte gefunden werden - wie können wir uns miteinander verhalten, dass es das gesellschaftliche Zusammenleben nicht stört. Dies ist ein wichtiger Aspekt, dass es um eine Normfindung geht, weil man sich in Werten nicht identisch ist. In der Normfindung geht es darum, sich in der Unterschiedlichkeit zu respektieren.
Marc Schinzel (FDP) dankt der Regierungsrätin für die klaren und unmissverständlichen Aussagen. Der blosse Umstand, dass zwei Jugendliche einer Lehrerin die Hand nicht geben, wäre eine Bagatelle. Die fundamentalistisch-militante und vorsintflutliche Ideologie, die dahinter steht, ist es sicher nicht. Und wenn wir den Willen nicht mehr aufbringen, solchen Ideologien entgegenzutreten, dann haben wir ein grosses Problem.
Niemand kann uns zwingen, militant- fundamentalistischen Ideologien, welche die Gleichstellung von Frau und Mann verachten, Frauen auf ihr Geschlecht reduzieren, sie als sexuelle Verführerinnen der Männer abstempeln, sie aus dem öffentlichen Raum drängen und von Bildung und Berufsausübung fernhalten wollen, den roten Teppich auszurollen. Die beiden Jugendlichen werden vom Islamischen Zentralrat beraten. Das sagt genug. Fortschrittliche muslimische Frauen wie z.B. Saïda Keller-Messahli, die viel geleistet und erreicht haben, warnen vor der naiven Preisgabe gesellschaftlicher Errungenschaften. Das sagt auch genug.
Die Freisinnigen stehen für eine liberale Gesellschaftsordnung ein. Sie sind quasi die Erfinder dieses freiheitlich-demokratischen Grundrechtsstaats, 1848 im Bund, 1833 im Kanton. Der Staat, diese Erfolgsgeschichte, ist eine freisinnige innovative Erfindung. Wenn jemand glaubt, dass ausgerechnet die beiden Frauen Regierungsrätinnen oder die Parteipräsidentin irgendwo nur den kleinen Finger solchen Ideologien entgegenstrecken, dann weiss der Votant nicht, wo er ist. Liberalität - gerade freisinnige Liberalität - ist aber nie, nie Naivität! Und es geistern wahrhaft naive Vorstellungen herum: Andrea Strahm, Präsidentin der CVP Basel-Stadt, schreibt in Onlinereports: «Die (beiden Therwiler) Jungen wollen dazu gehören, … grenzen sich ab von allem Alten und Altmodischen». Wirklich? Übernehmen sie deshalb bis auf das letzte Jota die fundamentalistisch-wahhabitische Ideologie ihres Vaters? Lassen sie sich deshalb vom Islamischen Zentralrat begleiten? Sieht so eine jugendlich-pubertäre Revolte gegen die Generation der Eltern aus? Ist das der jugendliche Sturm und Drang, der idealistische Glaube an den unumkehrbaren Fortschritt? Was ist eigentlich «alt und altmodisch»? Ein Händedruck mit einer Lehrperson oder ein frauenverachtender Fundamentalismus, der zurück in das Frühmittelalter will?
Der Generalsekretär des Islamischen Zentralrats, Quaasim Illi, lässt sich auf der Homepage dieser Organisation wie folgt vernehmen: «Hierzulande glaubt man, kultureller, bzw. in diesem Fall eher religiös motivierter Devianz, mit massenhysterischen verbalen Steinigungszeremonien begegnen zu müssen. Jeder darf seinen Stein auf die muslimischen Opfer werfen, bis das letzte Zucken nachlässt.» Das ist eine bodenlose Frechheit und ein ganz erbärmlicher Zynismus von einer Seite, die sich bis heute nicht von der Scharia-Praxis der Steinigung und der Auspeitschung, wie sie in diversen islamischen Staaten angewandt wird, abgegrenzt hat.
Heinrich Heine bringt es auf den Punkt: «Die Freiheit ist eine neue Religion, die Religion unserer Zeit». Das passt ausgezeichnet heute. Wenn wir nicht mehr bereit sind, unsere hart erarbeiteten, erstrittenen und demokratisch ausgemehrten Errungenschaften zu verteidigen, dann geht der Staat den Bach herunter, und zwar sehr viel rascher, als einem lieb ist. Es ist Zeit, dass man sich unmissverständlich zur freiheitlich-demokratischen Staats- und Gesellschaftsordnung bekennt.
Auch die Freisinnigen haben heute zwei Motionen eingereicht mit dem Ziel: klare Vorgaben, aber pragmatisch umsetzen und das Kind nicht mit dem Bad ausschütten. Das Parlament hat noch Gelegenheit, sich in Ruhe und gründlich dazu zu äussern und darüber zu debattieren.
Jürg Wiedemann (Grüne-Unabhängige) dankt der Regierungsrätin für die ganz klaren und deutlichen Worte, die notwendig und stark waren. Die Geschwindigkeit der Reaktion kann kritisiert werden, die Regierungsrätin hat die Informationen aber auch erst sehr spät erhalten. Das Problem liegt aber andernorts: Das Bundesgericht hat zur Kopftuch-Debatte im Kanton Thurgau ein Urteil gefällt. Dessen Kernaussage ist, dass ein allgemeiner Zweckartikel im Gesetz nicht ausreicht, um dergleichen zu verhindern. Das Bundesgerichtsurteil sagt aus, dass eine klare Handlung verboten oder zugelassen werden muss. Konkret müsste im Bildungsgesetz verankert werden, dass Lehrpersonen einen Handschlag einfordern können. Der Votant hat lange überlegt, eine solche Motion einzureichen - im Wissen, dass es völlig grotesk ist, wenn solche Regeln im Gesetz verankert werden. Dort steht das Bundesgerichtsurteil quer. Möglicherweise ist es Zeit, dass an den notwendigen Stellen in Bern auf eine Praxisänderung hingewirkt wird. Bei den Urteilen müssen die Kantone auch von Bern geschützt werden.
Oskar Kämpfer (SVP) findet es spannend, jetzt erst im Landrat eine Grundsatzdiskussion über Integrationsfragen zu führen. Es ist aber nicht der Ort und Platz, um noch nachzudoppeln. Es ist eine Feststellung wert, dass es schwierig ist, wenn die Grundwerte über das Gesetz geregelt werden müssen. Wenn die Grundwerte verinnerlicht wären, könnte aus dieser Haltung reagiert werden und es wäre kein Rechtsgutachten notwendig. Es ist nicht blosse Naivität, sondern leider eine Tatsache, dass selbst diese Fragen gesetzlich verankert werden müssen um den Weiterbestand unserer Gesellschaft und der Integration, die heute gewollt und vollzogen wird, zu sichern. Die Frage ist nicht, ob dies geschehen soll, sondern inwieweit dies möglich ist. Dort sind der Gesellschaft Grenzen gesetzt, die von der anderen Seite immer wieder überschritten werden. Dort ist es zielführend, dies zu definieren, wenn es in der Reaktion jener, die die Führung übernehmen sollten, nicht sofort wahrgenommen wird. Abschliessend sei festgehalten, dass eine Äusserung des Gleichstellungsbüros komplett gefehlt hat. Diese wäre gefordert gewesen, wenn die Position der Frauen angegriffen ist.
Paul Wenger (SVP) bedankt sich ebenfalls für die Beantwortung; die Überprüfung der internen Strukturen und die Erstellung eines Rechtsgutachtens ist aber nicht ausreichend. In die Geschehnisse wirken auch andere Einflüsse hinein, die in die Bereiche der weiteren Regierungsmitglieder fallen. Den Medien konnte ein Bericht über die König-Faysal Stiftung entnommen werden - parallel zu allen Bemühungen der BKSD müsste auch die SID mit an Bord geholt werden, um die Einflussmöglichkeiten dieser Organisationen im Zug dieser Geschehnisse zu untersuchen. Die Geschichte sollte auf keinen Fall nur BKSD-isoliert betrachtet werden.
Paul R. Hofer (FDP) sagt, dass nach den Voten der Eindruck entsteht, dass alle Parlamentarier besser reagiert hätten, die perfekte Reaktion gezeigt hätten. Dies ist aber unrelevant, da nur eine Person die Verantwortung trägt - die Regierungsrätin. Es geht allerdings nicht, wenn Dienststellenleiter in einer Direktion so lange warten, bevor sie eine wichtige Information weiterleiten. Dies muss in die Überlegungen einfliessen.
Regierungsrätin Monica Gschwind (FDP) dankt für die engagierte Diskussion. Selbstverständlich wird die rechtliche Überprüfung nicht durchgeführt, um abzuklären, ob Regeln durchgesetzt werden können oder nicht. Es geht darum, Empfehlungen abzuleiten, wobei es viele Schwierigkeiten und Lücken gibt, was sich auch an den vielen eingereichten Motionen zeigt.
Ein Punkt ist, dass es auch eine Integrationsfrage ist, bei der insbesondere die SID einbezogen werden muss. Es sind auch Fragen dabei, die die Jugendanwaltschaft betroffen haben etc. Dies wird berücksichtigt und kann deshalb nicht innert kurzer Zeit vorgelegt werden.
Der Schulbetrieb läuft; es braucht keinen Schnellschuss. Die Direktion nimmt sich die notwendige Zeit - nicht ewig, es wird mit Hochdruck daran gearbeitet. Am Montag hat die Votantin schon klar geäussert, dass sie das Verhalten nicht toleriert und dies konsequent umsetzen will. Die Lösung in Therwil wurde klar als Übergangslösung bezeichnet. Die Gewichtung in den Medien ist unterschiedlich, aber dies waren die Aussagen - nicht vor laufender Kamera, aber schriftlich. Diese Woche wurde die Aussage nicht präzisiert, sie war von Anfang an gleich.
://: Somit ist die Interpellation 2016/098 beantwortet.
Für das Protokoll:
Leonie Schwizer, Landeskanzlei
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