Protokoll der Landratssitzung vom 13. Dezember 2007

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2007-154 vom 19. Juni 2007
Vorlage: Änderung des Bildungsgesetzes - Disziplinarmassnahmen an den Schulen - Ausschluss von Schülerinnen und Schülern (1. Lesung)
- Bericht der Bildungs-, Kultur- und Sportkommission vom 27. September 2007
- Bericht der Bildungs-, Kultur- und Sportkommission vom 5. November 2007
- Beschluss des Landrats am 13. Dezember 2007: < 1. Lesung abgeschlossen >



Nr. 272

Karl Willimann (SVP) erinnert einleitend, dass Etienne Morel die ausschlaggebende Motion am 9. September 2004 einreichte und diese am 11. November 2004 vom Landrat überwiesen wurde.


Ziel der Motion ist, Schülerinnen und Schüler, die wiederholt schwerwiegende Vergehen gegen Ordnung und Disziplin begehen, welche einen regulären Unterricht praktisch verunmöglichen oder unter denen Mitschülerinnen und Mitschüler leiden, kurzfristig vom Unterricht ausschliessen zu können. Der Regierungsrat legt in seiner Vorlage ein Massnahmenpaket vor, welches folgende Punkte beinhaltet:


Die Kommissionsberatung fand in drei Sitzungen statt. Am 18. Oktober 2007 konnte die Beratung im Landrat nicht durchgeführt werden, weil kurz vor der zweiten Lesung in der Kommission neue Anträge seitens der SP und der Grünen gestellt worden sind.


In der Beratung wies der Bildungsdirektor darauf hin, dass mit dieser Lösung in erster Linie die Schulen gestärkt werden sollten. Er hielt fest, dass es sich sowohl um ein Regelungs- wie auch um ein Vollzugsproblem handle. Beiden Punkten sei mit der vorliegenden Lösung Rechnung getragen worden. Der Kanton muss für einen längeren Schulausschluss ein Brückenangebot anbieten. Das Programm soll sowohl einen praktischen, wie auch einen schulischen Teil enthalten und kostet jährlich circa 450'000 Franken. Wichtig ist, dass der Vorschlag des Regierungsrates über die Forderungen der Motion Morel hinausgeht und mit allen Beteiligten ausgehandelt, daher von den Sozialpartnern und den Schulleitungen akzeptiert ist.


In der Kommission drehten sich die Diskussionen vor allem um die Gründe für die Aufhebung der aufschiebenden Wirkung und um die zuständige Beschwerdeinstanz, der Schulrat, welche die Aufhebung rückgängig machen kann. Im Unterschied zur jetzigen Rechtslage muss die aufschiebende Wirkung angeordnet werden, sie besteht nicht von vornherein. In der Kommission wurde gefragt, welche Überlegungen dazu führten, dass nicht wie in der Motion Morel gefordert, dem Klassenkonvent als Gremium die Kompetenz zur Anordnung eines Schulausschlusses gegeben wurde. Ein Teil der Kommission wünschte sich aus diversen Gründen nicht den Schulrat als Beschwerdeinstanz, sondern im Kanton ein und dieselbe Instanz, z.B. den Regierungsrat.


Diskutiert wurde auch, inwiefern die Anordnung von Bussen als Teil der Disziplinarmassnahmen in Erwägung gezogen wurde. Festgestellt wurde auch, dass zwischen der schärfsten Massnahme, die eine Lehrperson anordnen kann - wie etwa 2 Stunden Arrest- und dem Schulausschluss - gemäss Vorschlag der Regierung - eine grosse Lücke klafft. In diesem Zwischenbereich wäre ein stärkeres Mittel wünschbar, um nicht gleich die schärfste Massnahme, den Schulausschluss, anordnen zu müssen. In der Diskussion kristallisierten sich folgende Beweggründe für die geplanten Massnahmen heraus:


Der Entzug der aufschiebenden Wirkung ist erforderlich, um mit den Disziplinarmassnahmen an einer Schule praktikabel arbeiten zu können. Muss eine Massnahme ergriffen werden, so macht das nur Sinn, wenn sie sofort ergriffen werden kann. Anschliessend kann selbstverständlich Beschwerde erhoben werden.


Bezüglich Klassenkonvent wurde festgestellt, dass dieser in Bezug auf juristische Verfahren gemäss Bildungsgesetz keine formelle Institution darstellt. Der rechtliche Instanzenweg gemäss Bildungsgesetz ist: Lehrperson, Schulleitung, Schulrat, Regierungsrat, Kantonsgericht.


Zu den Bussen wurde erklärt, dass diese bereits im alten Schulgesetz möglich waren, jedoch je nach Schule unterschiedlich gehandhabt wurden. Als problematisch erwies sich die Erfahrung, dass sich die Bussen in einem geringen Rahmen bewegen. So konnten einerseits die Eltern davon ausgehen, bei Nichtbezahlung auch nicht betrieben zu werden, weil die Kosten einer Betreibung höher wären, als die Busse. In anderen Fällen wurden die Bussen von Fürsorgebehörden übernommen, was auch keinen Sinn macht. Die Möglichkeit eines Schulausschlusses, wie er dargestellt wurde, wird als besseres Mittel erachtet, als die Bussgelder.


Zum separaten Beschluss betreffend Finanzen: Die Bildungsdirektion räumte ein, dass es sich bei den Kosten von 450'000 Franken um eine Annahme handelt und man noch nicht über gefestigte Grundlagen verfügt.


Die Kommission beschloss einstimmig Eintreten. In der Detailberatung der ersten Lesung ergaben sich keine wesentlichen neuen Aspekte. Kritisiert wurde vereinzelt, dass der Instanzenweg im Schulbereich generell zu lang sei und sich beim Entzug der aufschiebenden Wirkung nicht alle Erziehungsberechtigten einen Anwalt leisten könnten, wenn sie das wollten.


Die Beschlüsse der ersten Lesung sind folgende:


Zu Ziffer 1 stimmte die Kommission der Änderung gemäss Vorschlag des Regierungsrates mit 10:1 Stimmen ohne Enthaltungen zu.


Zu Ziffer 2 bis 5 stimmte die Kommission einstimmig zu.


An der notwendigen, zweiten Lesung vom 25. Oktober 2007 reichte die SP einen neuen Antrag zum §91 Abs. 4 ein, der keinen vorbehaltlosen Entzug der aufschiebenden Wirkung zum Ziel hatte.


Die Grünen reichten ebenfalls einen Antrag ein, mit dem überhaupt keine Beschwerdemöglichkeit gegen einen vorbehaltlosen Entzug hätte gewährt werden sollen.


In ihrer Beratung stellte die Kommission fest, dass sich diese beiden Anträge in ihrer Zielsetzung diametral gegenüber stehen. Die Kommission bat daher die Bildungsdirektion um eine Stellungnahme zur rechtlichen Situation. Die Direktion legte dar, dass beide Anträge rechtliche Schwachpunkte aufweisen. Beim Antrag der SP wurde kritisiert, dass eine verfügende Behörde niemals gleichzeitig die aufschiebende Wirkung entziehen können sollte. Beim Antrag der Grünen, "Entzug per Gesetz", käme dennoch im Rekursfall §34 des Verwaltungsverfahrensgesetzes zum Zug, was die Direktion bereits bei Erarbeitung der aktuellen Vorlage abklärte. Bei der Gegenüberstellung der beiden Anträge obsiegte jener der Grünen mit 10:3 Stimmen. Eine Mehrheit in der Kommission zeigte Sympathien für den Antrag der Grünen, zog aber aufgrund der überzeugenden Darstellung der rechtlichen Lage durch die Bildungsdirektion die ursprüngliche Fassung vor.


Zu den Beschlüssen der zweiten Lesung:


Die Bildungskommission beantragt dem Landrat Zustimmung zur Vorlage 2007/154.


Gemäss Eva Chappuis (SP) äussert sich die SP-Fraktion einstimmig für Eintreten auf die Vorlage. Niemand in der Fraktion bestreitet also, dass Disziplinarmassnahmen in den Schulen notwendig sind und dass den Schulen Instrumente in die Hand gegeben werden müssen, um disziplinarisch eingreifen zu können. Damit ist es aber mit der Einstimmigkeit bereits getan.


Eine Mehrheit wehrt sich dagegen, dass Eltern in einem Ausschlussverfahren zwar eine Beschwerde einreichen können dürfen, die Beschwerde aber erst Wirkung entfaltet, wenn die Massnahme in den meisten Fällen längst vollzogen, erledigt und erlitten wurde. Die Massnahme wird in jedem Fall umgesetzt, weil der Beschwerde grundsätzlich die aufschiebende Wirkung entzogen ist. Eva Chappuis fordert auf, ihr die Verwaltungsstelle zu zeigen, die eine aufschiebende Wirkung wieder gewährt. Die Situation, dass grundsätzlich einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung entzogen ist, gibt es eigentlich nur im Submissionsrecht, weil dort sämtliche Fehler mit Geld wieder behoben werden können. Aber ein Schulausschluss lässt sich nicht mit Geld bereinigen. Daher spricht sich Eva Chappuis, gedeckt durch die Haltung von Rechtsprofessoren, dafür aus, dass diese aufschiebende Wirkung grundsätzlich gewährt ist und beantragt, dass tatsächlich in Abweichung zum Verwaltungsverfahrensgesetz und der üblichen Praxis als Entgegenkommen und Kompromiss die Schulräte als verfügende Behörde die aufschiebende Wirkung entziehen können, da so die Eltern in diesem Moment zumindest wissen, was passiert. In der angestrebten Form wissen sie das nicht. Nichtrechtskundige Eltern sind "aufgeschmissen", da sie nicht wissen, wie sie die aufschiebende Wirkung allenfalls erlangen könnten. Das wissen nur die ganz schlauen und jene, die sich durch eine Anwältin oder einen Anwalt vertreten lassen und demnach über ein ausreichend dickes Portemonnaie verfügen.


Die SP begrüsst, dass Massnahmen geschaffen werden sollen und dass es eine kantonale Auffangstation für Schülerinnen und Schüler, die aus irgendeinem Grund vom Schulunterricht ausgeschlossen werden müssen, geben soll. Doch denkt die Fraktion auch, dass sich die Schulen bereits früh ihrer Verantwortung bewusst werden sollten und früh die Vormundschaftsbehörden einschalten müssten. Sämtliche Mittel gibt es bereits im vormundschaftlichen Bereich, um mit disziplinarisch schwierigen Kindern umzugehen, doch die Schulen nutzen diese Möglichkeiten nur in geringem Mass und in der Regel viel zu spät. Dort sollte früher angesetzt und die Auffangmassnahmen geschaffen werden. Dann müsste man nicht mehr auf rechtstaatlich bedenkliche Art und Weise den Bürgerinnen und Bürgern, wenn sie Eltern sind, Rechte entziehen. Dagegen wehrt sich Eva Chappuis und daher liegt dem Landratspräsidium auch ein Ergänzungsantrag zum §91 Abs. 4 des Bildungsgesetzes vor.


Folgend Georges Thüring (SVP) verlor das im Jahre 2004 durch die Motion Etienne Morels aufgeworfene Problem kein Stück seiner Aktualität: Ganz im Gegenteil! Bis zum heutigen Tage fehlt ein griffiges, wirksames und vor allem kurzfristiges Instrumentarium für den Fall schwerwiegender Disziplinarverstösse. Der Handlungsbedarf in diesem Bereich ist seit einigen Jahren dringend gegeben. Trotzdem braucht die Regierung fast drei Jahre, um diese Motion umzusetzen. Das wirft die Frage auf, ob man nicht konnte oder nicht wollte. Auch die Postulate der SVP, FDP und der Grünen betreffend einer Wiedereinführung der Noten in der Primarschule sind seit über zwei Jahren hängig.


Georges Thüring reichte am 19. April 2007 eine Interpellation zur selben Thematik ein, die heute beantwortet werden sollte.


Die SVP-Fraktion unterstützt die vorgeschlagene Änderung des Bildungsgesetzes vollumfänglich. Die Fraktion ist dem Regierungsrat dankbar, dass er in der Ausgestaltung einzelner Massnahmen gar weiter ging, als dies in der Motion gefordert wurde. Ausdrücklich begrüsst die Fraktion den Wegfall der aufschiebenden Wirkung von Beschwerden gegen diese Disziplinarmassnahmen. Auch wenn man sich streng rechtlich gesehen wohl in einem Grenzbereich befinde, so denkt die Fraktion, dass im Interesse eines geregelten Schulbetriebs und der grossen Mehrheit der nicht fehlbaren Schülerinnen und Schüler derart gehandelt werden muss. Denn die aufschiebende Wirkung führte bis anhin dazu, dass die fehlbaren Schülerinnen und Schüler solange weitermachen konnten, bis schliesslich über die Beschwerde entschieden wurde. Disziplinarmassnahmen machen nur dann Sinn und haben nur dann eine präventive Wirkung, wenn sie rasch und konsequent durchgesetzt werden können. Mit dem Makel, dass vielleicht einmal zu harte Massnahmen ergriffen werden, muss und kann man leben. Im Sinne einer vernünftigen Güterabwägung sollte das Recht eines wiederholt renitenten Schülers oder Schülerin weniger hoch gewichtet werden, als das Gesamtinteresse einer Schule oder eines störungsfrei funktionierenden Klassenverbandes.


Die SVP-Fraktion beantragt Eintreten.


Für Eva Gutzwiller (FDP) handelt es sich nicht um eine einfache Vorlage. Auch in der FDP-Fraktion spricht man sich wohl für Eintreten auf die Vorlage und grossmehrheitlich auch für die Zustimmung aus, doch bestehen noch Zweifel. Im Grunde genommen ist es sehr schade, dass so etwas überhaupt in Erwägung gezogen und eine Vorlage gebraucht wird. Doch zeigte die Zeit, dass Leitplanken und ein Stopsignal gebraucht werden. Das Stopsignal sollte klar signallisieren: "Bis hierher und nicht weiter!" Die Leitplanken versuchten schon seit langem zu führen. Auch bestehen schon mehrere Möglichkeiten, in Disziplinarfällen einzuschreiten. Doch fehlte bisher die Möglichkeit, per sofort einzuschreiten. Dieses "per sofort" wirkt nur, wenn es nicht durch eine aufschiebende Wirkung gestört wird. Es geht nicht nur um den Schutz des Kindes, es geht auch nicht nur um den Schutz aller anderer Jugendlicher in dieser Klasse, sondern um den Schutz aller. Eine Disziplinarmassnahme bei Jugendlichen und - leider auch schon - Kindern bedeutet nicht, dass diese dastehen und nichts passiert. Mit dem Schulgesetz ist man verpflichtet, den Kindern die Schule anzubieten. Auch ist man verpflichtet, diese weiterzuführen. Aber man ist nicht verpflichtet, zu dulden, was allenfalls auf deren Weg versäumt wurde. In diesem Sinne ist es wichtig, dass diese Kinder sofort aus dem Umfeld herauskommen, Schutz vor sich selbst und Schutz vor den anderen erlangen. Kann man dieses Stopschild nicht aufstellen, dann braucht man auch nicht mehr weiter zu diskutieren.


Eva Gutzwiller bittet darum, der Vorlage in vorliegender Form zuzustimmen, die Anträge abzulehnen, da man nur so wirklich etwas in der Hand habe, womit sofort reagiert werden kann.


Gemäss Christine Gorrengourt (CVP) konnte man bereits mehrfach vernehmen, dass es sich um Massnahmen handelt, die den Schulen helfen sollen, mit dem kleinen Teil der Schülerinnen und Schüler, die wiederholt schwerwiegende Vergehen gegen die Ordnung und Disziplin begehen, umzugehen. Zunehmend werden erzieherische Aufgaben an die Schulen delegiert. Mit einem Gesetz soll nun die Erziehung nachgeholt werden, was schwierig ist. Erziehung heisst, den Kindern und den jungen Menschen Grenzen zu setzen und aufzuzeigen, was passiert, wenn diese Grenzen überschritten werden. Dazu müssen Massnahmen umgehend, schnell und direkt umgesetzt werden können. Dies aus drei Gründen:


Die Fraktion ist für Eintreten und wird der Änderung des Bildungsgesetzes zustimmen. Abschliessend verweist Christine Gorrengourt auf das hängige Postulat Christian Steiners, 2006/101 ("Eltern bilden statt Kinder therapieren").


Die Motion Etienne Morels soll als erfüllt abgeschrieben werden, jedoch sieht die Fraktion das Postulat Rudolf Kellers, 2006/172 ("Handy-Verbot an den Baselbieter Schulen") in dieser Vorlage noch zu wenig berücksichtigt. Viele Schulleitungen fühlen sich in ihrem Anliegen noch immer nicht ernst genommen. Einer Abschreibung könnte die Fraktion zustimmen, sobald die in der Vorlage erwähnte Verordnung Klarheit schafft.


Für das Protokoll:
Pascal Andres, Landeskanzlei


Jürg Wiedemann (Grüne) anerkennt, dass sich die überwiegende Mehrheit der Schülerinnen und Schüler durch vorbildliches Verhalten auszeichnet. Ursache für undiszipliniertes Verhalten ist seines Erachtens nicht selten ein überfordertes Elternhaus. Das Rechtsempfinden der Kinder sei oft um einiges grösser als das der Erwachsenen. Unser Kanton hat gute Schulen, in welchen gegenseitiger Respekt und Achtung überwiegen. Einige ganz wenige Schülerinnen und Schüler - im Promillebereich - sind aber gewaltbereit und frech, kaum führbar. Die Ursachen dafür sind meist nicht in den Schulen zu suchen. In der Regel sind die Eltern mit der Erziehung der Jugendlichen überfordert, und die Kinder tragen die Probleme im Elternhaus in die Schule. Die Schule muss aber ein gewaltfreier Ort sein, an dem sich Schülerinnen und Schüler wohl fühlen, und ohne negative äussere Einflüsse lernen und sich weiter entwickeln können. Gewalt, Mobbing, Rassismus, Erpressungen haben an den Schulen nichts zu suchen. Kommen sie vor, so muss ihnen mit allen Mittelen entgegenwirkt werden.


Tritt heute ein erhebliches Problem betreffend Gewalt oder Mobbing an den Schulen auf, so ist im Normalfall das Opfer gezwungen, die Schule zu verlassen und der Täter bleibt in seiner gewohnten Umgebung; das kann es wohl nicht sein. Für die grüne Fraktion ist wichtig, dass in erster Linie das Opfer vor Gewalt und Mobbing geschützt wird. Erst sekundär soll auch für den Täter eine möglichst optimale Lösung gefunden werden. Ist ein Miteinander keinesfalls mehr möglich, so hat der Täter die Schule zu verlassen und nicht das Opfer, punkt.


Die Vorlage zielt durchaus in die richtige Richtung, auch wenn damit nicht alle Probleme gelöst werden. Die grüne Fraktion befürwortet als Ultima Ratio einen befristeten Ausschluss renitenter Schülerinnen und Schüler, weil dies eine Stärkung der Lehrkräfte bedeutet, um wirksam gegen gewaltbereite Schülerinnen und Schüler vorzugehen und damit einen regulären Unterricht garantieren zu können. Entscheidend dabei ist aber, dass die aufschiebende Wirkung bei Beschwerden gegen Disziplinarmassnahmen entzogen ist, ansonsten die gesamte Vorlage ins Altpapier geschmissen werden kann.


Mit dem Entzug der aufschiebenden Wirkung wird verhindert, dass nicht-kooperative Eltern eingeleitete Disziplinarmassnahmen über Monate hinauszögern und so unwirksam machen. Dabei ist festzustellen, dass bei den allermeisten Schülerinnen und Schülern, die Probleme machen, auch die Eltern nicht kooperativ sind; sonst gäbe es die Probleme gar nicht.


Wichtig ist für die Grünen auch die verpflichtende Teilnahme der ausgeschlossenen Schülerinnen und Schüler an einem Betreuungs- und Beschäftigungsprogramm - auch wenn die Erziehungsberechtigten nicht damit einverstanden sind -, um ihnen damit nach Ablauf der Massnahme den Wiedereintritt in die reguläre Klasse zu ermöglichen. Das vorgeschlagene Beschäftigungsprogramm und die Stundedotation erachtet man als gut. - Disziplinarmassnahmen müssen durchgesetzt werden können. Oft ist dies für die Lehrkräfte nicht ganz einfach, Immer häufiger werden Entscheide von den Erziehungsberechtigten angefochten. Schwierig ist es vor allem dann, wenn die betroffenen Eltern im Dorf bekannte oder angesehene Personen sind oder Beziehungen zu Mitgliedern im Schulrat pflegen.


Äusserst heikel findet man die Tatsache, dass der Schulrat gleichzeitig Anstellungsbehörde und Beurteilungsorgan für Disziplinarmassnahmen ist.


Die grüne Fraktion ist für Eintreten und befürwortet die Vorlage. Der BKSD wird ein Dank für die insgesamt gut ausgearbeitete Vorlage ausgesprochen.


Elsbeth Schmied (SP) spricht für die bereits von Eva Chappuis erwähnte Minderheit der SP. Die Gesetzesänderung hat ihrer Ansicht nach eine Stärkung der Schulen zum Ziel, indem ihnen ein Instrument an die Hand gegeben wird, um angeordnete Massnahmen gegenüber Schülerinnen konsequent ausführen zu können. In diesem Zusammenhang noch ein Wort zur Prävention: In erster Linie sollte man sich auf allen Ebenen dafür einsetzen, dass es gar nicht erst zu solchen äussersten Fällen kommt. Schulleitung, Lehrerschaft und Schüler sollen ein respektvolles Umfeld schaffen, in welchem ein guter Umgang miteinander gepflegt wird und in dem Beschimpfungen, Mobbing, Hänseleien und Ausgrenzungen angesprochen und nicht toleriert werden.


Diesbezüglich nimmt die Schulsozialarbeit eine ganz wichtige Stelle ein, die noch ausgebaut werden sollte. Auch das Verhältnis zwischen den Lehrkräften und den Erziehungsberechtigten spielt eine grosse Rolle. Das Gespräch zwischen Erziehungsberechtigen und Lehrkräften sollte so früh als möglich gesucht werden. Meistens ist es so, dass dies erst passiert, wenn bereits Konflikte da sind. Besser wäre es, bereits am Schulanfang den Kontakt zu suchen und miteinander am selben Strick zu ziehen.


Da Massnahmen wie ein kürzerer oder längerer Schulausschluss nicht aus heiterem Himmel angeordnet, sondern in aller Regel als Abschluss einer lange vorausgehenden Leidensgeschichte ergriffen werden müssen, unterstreicht die Landrätin ein weiteres Mal die Beziehung zwischen Elternhaus und Schule. Eine Minderheit der SP begrüsst die Ergänzung von § 91 Absatz 4 mit der Begründung: Wenn schon disziplinarische Massnahmen ergriffen werden müssen, so sollen sie auch konsequent ausgeführt werden können, ansonsten sie ihre Wirkung verfehlen. Die SP erwartet, dass mit dem versprochenen Handweiser die heute immer noch bestehenden Unsicherheiten bei den Lehrkräften im Bereich der Disziplinarmassnahmen beseitigt werden können. Namens einer Minderheit der SP bittet Elsbeth Schmied, den Landratsbeschlüssen zu folgen und der Gesetzesänderung zuzustimmen.


Laut Jürg Degen (SP) stimmt es einfach nicht, dass ein Schüler, der in einer Klasse Schwierigkeiten macht, nicht vom Klassenlehrer aus dem Unterricht weggewiesen werden kann, wenn letzterer es für notwendig befindet. Denn im Verwaltungsverfahrensgesetz, § 34, steht: «Die Beschwerdeinstanz kann die aufschiebende Wirkung aus wichtigen Gründen ganz oder teilweise entziehen. Als wichtige Gründe gelten insbesondere ... ein öffentliches Interesse, welches den sofortigen Vollzug einer belastenden Verfügung erfordert». Ihm ist auch ein Fall bekannt, in welchem ein Schulrat dies gleichzeitig mit der Verfügung des Schulleiters mitgeteilt hat. Die Schulleitungen haben also die Mittel in der Hand, auch wenn sie diese möglicherweise nicht kennen und nicht anwenden. Das sei zwar zu bedauern, aber seines Erachtens ist nicht einzusehen, warum man nun "sämtlichen" Beschwerden die aufschiebende Wirkung entzieht. Er selbst ist als Sonderklassenlehrer von solchen Fällen betroffen und weiss, dass die Schulleitung handlungsfähig ist.


Regierungsrat Urs Wüthrich (SP) findet es erfreulich, dass nicht nur in Sachen Diagnose sondern auch bezüglich Therapie Übereinstimmung herrsche; eine Differenz bestehe lediglich in der Frage darüber, wer entscheidet, wann das Rezept zur Anwendung kommen soll.  - Wenn in einem Betrieb einzelne Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre Kolleginnen und Kollegen belästigen, wenn das Betriebsklima durch einzelne ernsthaft gestört wird und wenn die Störungen die Produktivität des Unternehmens gefährden, so wird in aller Regel rasch interveniert. Es werden wirkungsvolle Massnahmen nicht nur eingeleitet, sondern auch umgesetzt. Im Interesse der Zukunftssicherung unserer Region als erfolgreicher Wissens- und Wirtschaftsstandort ist man daher dringend darauf angewiesen, dass auch die Schulen ein Maximum an Produktivität erzielen können und zwar mittels Ausschöpfung des Bildungspotenzials sowie mittels Chancengleichheit. Konsequenterweise sind die Schulträger, Kanton und Gemeinden, auf wirkungsvolle und rasch greifende Instrumente angewiesen, wenn es darum geht, unverzichtbare und nicht verhandelbare Voraussetzungen für ein lernförderndes Klima durchzusetzen. Solche Voraussetzungen sind Respekt, gegenseitige Rücksichtnahme, Verbindlichkeit, Verlässlichkeit und Gemeinsinn. Diese Klarstellung ist dem Bildungsdirektor sehr wichtig, denn seines Erachtens können nur Wohlfühlschulen erfolgreiche Leistungsschulen sein.


Neben den nicht umstrittenen Massnahmen bildet die Aufhebung der aufschiebenden Wirkung im Beschwerdeverfahren - und zwar als Regelfall - den Kernpunkt der Vorlage. Es muss mit aller Deutlichkeit gesagt sein, dass hier über eine wesentliche Einschränkung eines Grundrechtes entschieden wird. Der Entscheid kann und wird nicht leichtfertig getroffen werden. Aufgrund folgender Erfahrungen und Einsichten steht er selbst aber aus Überzeugung hinter der Vorlage:


Der Anspruch auf Überprüfung eines Entscheids im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens ist ein zentrales, aber nicht das einzige Rechtsgut. Es gibt auch den Rechtsanspruch der persönlichen Integrität, das Rechtsgut, den Unterricht in einer positiven, von Respekt und gegenseitiger Rücksichtnahme geprägten Atmosphäre zu gestalten und den Anspruch der Schüler, sich in einem solchen Rahmen zu entwickeln. In diesem Sinne bittet Regierungsrat Urs Wüthrich das Ratsplenum, der Vorlage in der von der Kommission beschlossenen Form zuzustimmen.


Eintreten ist unbestritten, stellt die Landratspräsidentin fest.



1. Lesung Bildungsgesetz

(Anhang zum Kommissionsbericht)


Titel und Ingress keine Wortbegehren


Ziffer I.


Es liegt ein Antrag der SP (Eva Chappuis) zu § 91 Abs. 4 vor. Der Antrag lautet folgendermassen:
«Schulleitung und Schulrat können bei der Verfügung eines temporären Schulausschlusses dem Lauf der Beschwerdefrist und der Beschwerde die aufschiebende Wirkung entziehen, sofern sie den Verbleib der beschwerten Schülerin oder des beschwerten Schülers an der Schule als unzumutbar erachten.»


Regula Meschberger (SP) bittet namens einer Mehrheit der SP-Fraktion um Unterstützung für den Antrag Chappuis. Warum? All das, was in der Eintretensdebatte in Bezug auf die Massnahmen, die schnelle Umsetzung, eine wirksame Durchführung bei gewaltbereiten Schülerinnen usw. gesagt wurde, kann die SP-Fraktion unterstützen. Der grundsätzliche Entzug der aufschiebenden Wirkung bedeutet aber ihres Erachtens einen Eingriff in die Grundrechte und ist daher rechtlich fragwürdig. Zudem hat man bereits jetzt, wie Jürg Degen schon sagte, alle Instrumente, um rasch handeln zu können, zur Verfügung. Das Problem liegt darin, dass viele Schulleitungen, Schulrätinnen und Schulräte zu wenig gut informiert sind, wie man sich richtig verhält. Schon heute hat man in einem Fall, in dem es um Opferschutz - Lehrer, Klasse - geht, die Möglichkeit, die aufschiebende Wirkung zu entziehen. Nur wird dies zu wenig praktiziert. Der Antrag der SP stellt eigentlich einen Kompromiss dar. Grundsätzlich ist Regula Meschberger der Ansicht, es bräuchte gar keine Änderung von § 91, da alle rechtlichen Möglichkeiten bereits vorhanden sind. Aber um ein Zeichen zu setzen, bietet die SP Hand für eine Änderung in § 91 entsprechend ihrer eigenen Formulierung. Denn es gehe nicht an, dass grundsätzlich in solchen Fällen die aufschiebende Wirkung entzogen werde.


Jürg Wiedemann (Grüne) bittet das Ratskollegium um Ablehnung des Antrags der SP. Ein ganz wesentlicher Meinungsunterschied zwischen den Grünen und den Bürgerlichen besteht seines Erachtens darin, dass die Grünen diese Massnahme nur im absolut äussersten Fall anzuwenden gedenken. Wenn nur schon eine aufschiebende Wirkung als Möglichkeit in Betracht gezogen werden müsste, so dürfte seiner Ansicht nach die Massnahme gar nicht angeordnet werden. Sie darf nur angeordnet werden, wenn ein weiterer Verbleib des Schülers in der Klasse absolut unverantwortbar ist. Daher könnte sich die Grüne Fraktion sogar mit einem grundsätzlichen Entzug der aufschiebenden Wirkung einverstanden erklären. Immerhin geschieht die Massnahme auf Antrag der Lehrerschaft, den Entscheid über die Massnahme fällt die Schulleitung respektive der Schulrat; es findet also eine Absicherung statt.


Eva Gutzwiller (FDP) und die FDP lehnen, wie bereits angekündigt, den Antrag der SP ab. Sollen die Massnahmen durchgesetzt werden können und will man ein Zeichen setzen, so darf dem Antrag nicht zugestimmt werden. Denn bis Schulrat und Schulleitung sich zusammen gerauft und den Entscheid gefällt haben, ist mindestens schon ein Tag vergangen. Beschwerden können eingereicht und auch behandelt werden. Die Massnahme muss aber sofort umgesetzt werden - das ist der springende Punkt.


Eva Chappuis (SP) hält dem Plenum vor, nicht genau zuzuhören [Heiterkeit]. Es sei mit der jetzigen Rechtslage absolut möglich, in den vielleicht 5 notwendigen Fällen pro Jahr im Kanton - das seien die Quantitäten - zeitgerecht und sofort zu handeln. Ziel sollte aber sein, dass es gar nicht zu den 5 Fällen kommt. Dort, wo sich die Situation ganz plötzlich zuspitzt, wird das Instrument nicht benötigt; denn in diesen Fällen werden in der Regel Polizei und Jugendanwaltschaft eingeschaltet. Den Bürgerinnen und Bürgern sollen nicht die Grundrechte entzogen werden, wehrt sie sich. Die Schulen sollen disziplinarisch handeln können, ohne dass Grundrechtsentzug passiert.


Georges Thüring (SVP) meint, vielleicht habe man nicht zugehört, aber die Aussage des zuständigen Regierungsrates habe man verstanden, ebenso wie die Vorlage. Auch die SVP möchte eine Anwendung nur für den Notfall und zwar mittels der Gesetzesänderung der Kommissionsvorlage. Den Antrag Chappuis lehnt man ab.


Auch die CVP-/EVP-Fraktion wird dem Antrag nicht zustimmen, vermeldet Christine Gorrengourt (CVP).


Bea Fünfschilling (FDP) unterstützt Jürg Wiedemanns Aussagen vollumfänglich,schränkt aber ein, auch die FDP wolle nur eine Anwendung im äussersten Fall. Zu Eva Chappuis' Aussage, die Kinder würden unter solchen Massnahmen leiden, bemerkt sie, dass diese für die meisten Jugendlichen eine Chance zur Läuterung böten. Werden sie beispielsweise in eine andere Klasse versetzt, so sind sie oft wie ausgewechselt, wenn sie aus ihrem Umfeld herauskommen und fühlen sich auch wohler. Bezüglich Disziplinarmassnahmen hat sie persönlich es noch nie erlebt, dass ein Schulrat sofort gehandelt hat; der Schulrat kann in der Regel verständlicherweise nicht einfach kurzfristig eine Sitzung einberufen. Dies führt dann dazu, dass der betreffende Schüler tagelang weiter in der Klasse sitzt und stört. Ihres Erachtens sollten nicht nur die Opfer sondern auch alle lernwilligen und anständigen Kinder geschützt werden. Jeder weiss, dass ein renitenter Schüler eine ganze Klasse dermassen stören kann, dass ein geregelter Unterricht nicht mehr möglich ist. Die aufschiebende Wirkung muss von Anfang an entzogen sein.


Regierungsrat Urs Wüthrich (SP) ruft dazu auf, erstens den Blickwinkel ein wenig breiter einzustellen und zur Kenntnis zu nehmen, dass das Beschwerderecht nicht das einzige Grundrecht ist, das es zu verteidigen gilt. Zweitens löse genau das Konzept der grundsätzlichen Gewährung der aufschiebenden Wirkung das Problem für diejenigen Fälle nicht, in welchen keine Einsicht da ist. Solange die Möglichkeit besteht, gegen den Entscheid Beschwerde zu erheben, vergeht in der Regel so viel Zeit bis die Beschwerde letztinstanzlich behandelt ist, dass die betroffene Schülerin schliesslich mündig ist und vielleicht noch die Anwaltskosten von den Eltern bezahlt erhält, aber bereits mit der eigenen Unterschrift etwa die Erweiterung einer Vollmacht vornehmen kann. Er bittet um Verabschiedung der Vorlage in der unterbreiteten Form.


Abstimmung über Antrag Chappuis


://: Der Antrag Chappuis wird mit 59 : 17 Stimmen bei 3 Enthaltungen abgelehnt. [ Namenliste ]


Ziffer II. Keine Wortbegehren


Kein Rückkommen


://: Damit ist die 1. Lesung abgeschlossen.


Für das Protokoll:
Brigitta Laube, Landeskanzlei



Fortsetzung

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