Protokoll der Landratssitzung vom 23. März 2006

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2006-035 vom 1. Februar 2006
Vorlage: Bericht der Petitionskommission an den Landrat zur Petition «für Massnahmen gegen Geländefahrzeuge in dichtbesiedelten Gebieten»
- Beschluss des Landrats: < beschlossen >



Nr. 1713

Der Präsident der Petitionskommission, Röbi Ziegler , schickt seinen Bemerkungen voraus, über die Tatsache, dass der CO 2 -Ausstoss der Schweiz - nicht nur gemäss Kyoto-Protokoll - unbedingt reduziert werden müsse, bestehe weitgehende Einigkeit. Auch beim Stickoxid sieht es ähnlich aus.


Von der technischen Seite her wären die Voraussetzungen für weniger Emissionen durch den Verkehr gegeben: Die Autos sind sparsamer geworden, aber dieses Einsparungspotenzial ist längst wieder aufgewogen worden durch den Umstand, dass viel öfter schwerere Autos gekauft werden, die einen entsprechend höheren Treibstoffverbrauch haben.


Diese Ausgangslage hat die Jungen Grünen Nordwest motiviert zu ihrer Petition «für Massnahmen gegen Geländefahrzeuge in dichtbesiedelten Gebieten». Die Petitionskommission konnte das grundsätzliche Anliegen der Petenten nachvollziehen; aber schwieriger wurde es bei der Behandlung der konkreten Forderungen. Dazu gehört nämlich das Verbot von Geländefahrzeugen in städtischen Gebieten.


Während der Diskussion mit der Kommission, aber noch nicht bei der Abfassung ihrer Bittschrift, war den Jungen Grünen bewusst, dass «Geländefahrzeuge» im Sinne der Petition keiner gesetzlich klar definierter Fahrzeugkategorie entspricht. Als «Geländefahrzeuge» gelten demnach Fahrzeuge, die in schwerem Gelände zum Einsatz kommen, nicht aber jene Autos mit Vierradantrieb, die genutzt werden, um im «Paradies» einzukaufen oder vors Theater bzw. Kino zu fahren. Letzere Wagen gelten, auch wenn sie über erhöhte Bodenfreiheit verfügen und damit zur Gruppe der SUV (Sport Utility Vehicles) gehören, als normale Autos. Würden Geländefahrzeuge verboten, träfe diese Massnahme nur eine kleine Minderheit der Autos und erst noch nicht jene, die im Visier der Petenten ist. Deshalb ist das von den Petenten geforderte Verbot nicht praktikabel. Kommt dazu, dass in unserer Region der Übergang von ländlichen zu städtischen Gebieten fliessend ist, so dass letztlich in der einen Gemeinde mit einem SUV gefahren werden dürfte und in der anderen nicht.


Die zweite Forderung betrifft die Ausrüstung der Fahrzeuge mit grossen Frontschutzbügeln. Diese dienen u.a. in der australischen Prärie dazu, Kängurus von der Piste zu jagen. Bei uns sind diese Tiere recht selten, und doch gibt es Leute, die vom 4x4-Fieber befallen sind. Die Frontbügel sind vom Verkehrssicherheitsaspekt her höchst problematisch: Für Velofahrer und Fussgängerinnen können sie im Falle einer Kollision tödlich wirken. Diesbezüglich schliesst sich die Kommission vollumfänglich dem Standpunkt der Petenten an: Diese Art der Martialisierung von Fahrzeugen gehört verboten.


Als Drittes fordert die Petition eine Informationskampagne über Geländefahrzeuge. Die Petenten haben dargelegt, dass solche Fahrzeuglenker im Verkehr gefährlicher seien als andere; dies stimmt für die eigentlichen Geländefahrzeuge gemäss gesetzlicher Definition, aber nicht für die SUV , die sich im Bezug aufs Fahrverhalten kaum von gängigen Personenwagen unterscheiden lassen. Ausserdem hielte eine Infokampagne niemanden davon ab, gerade einen solchen Wagen zu kaufen, insbesondere nicht Leute, die im Show Room vor solch hochbeinigen, chromglitzernden Vehikeln gläserne Äuglein bekommen.


Die vierte Forderung betrifft eine zusätzliche Steuerpauschale für Geländewagen. Dieser Vorschlag ist nicht unsympatisch, aber nicht in einer Art formuliert, dass man ihn umsetzen könnte. Dass schwerere Fahrzeuge mehr Treibstoff brauchen, ist logisch, und dass sie deshalb höher besteuert werden sollen, ist richtig. Dies geschieht im Kanton Baselland schon seit langem so. Denkbar wäre allenfalls eine progressive Besteuerung. Diese sollte aber nicht einfach Geländefahrzeuge betreffen, sondern alle schweren Personenwagen. Denn Minivans oder grosse Luxuslimousinen sind nicht leichter als die SUV .


Aus diesen Überlegungen beantragt die Petitionskommission, die Forderungen 1, 3 und 4 abzulehnen und die Forderung 2 insofern aufzunehmen, als der Landrat in einem Brief ans Bundesamt für Verkehr das Verbot der Frontschutzbügel fordert.


Elsbeth Schmied gibt bekannt, dass die SP-Fraktion dem Antrag der Petitionskommission folgen werde.


Die SVP-Fraktion stehe ebenfalls hinter den Kommissionsanträgen, wie Georges Thüring ausführt. Mit den Ausführungen des Präsidenten ist er einverstanden, ausser mit der Bemerkung zur zusätzlichen Steuerpauschale; so etwas lehnt die SVP strikt ab.


Paul Schär teilt mit, nach dem Bilderbuch- Speech von Röbi Ziegler stimme auch die FDP-Fraktion der von der Petitionskommission vorgeschlagenen Vorgehensweise zu. Insbesondere unterstützt sie die Forderung nach einem Verbot der Frontschutzbügel.


Die CVP/EVP-Fraktion schliesst sich laut Hans Jermann den Anträgen der Kommission an. Allerdings stört er sich am neudeutschen Begriff «SUV» , das der Sprechfaulheit vieler Zeitgenossen entgegenkommt.


Die grüne Fraktion wird die Anträge der Petitionskommission nicht unterstützen. Etienne Morel fordert, die inhaltliche Diskussion solle nicht der Definitionsfrage geopfert werden. Die im Bericht enthaltene Behauptung, wonach Offroader sich in keiner Art und Weise von anderen Autos unterscheiden, ist absurd und falsch. Jedes Kind wäre dazu in der Lage, diese Unterschiede zu beschreiben.


Das Bundesamt für Statistik hat ebenfalls eine Definition angewandt, als es die Offroader erfassen musste. Es hängt also allein vom Willen ab, ob man diese Fahrzeuge als eigene Kategorie betrachten möchte oder nicht.


Die Kulisse, vor der die Offroader (bzw. SUV oder VTT, véhicule tout terrain , um einen nicht englischen Begriff zu verwenden) herum- cruisen , besteht aus den dringendsten und wichtigsten Zielen der Menschheit, wie sie im Kyoto-Protokoll festgesetzt sind: Die weltweiten Emissionen müssen bis 2012 um durchschnittlich 5,2 Prozent gesenkt werden, für die Schweiz und das übrige Europa gilt eine Senkung von 8 Prozent unter das Niveau von 1990. Auch der Kanton Baselland gehört zu dieser Kulisse; der Landrat hat sich mit einer klaren Mehrheit zum Luftreinhalteplan bekannt. Darin werden eine saubere, gesunde Luft verlangt und die Bekämpfung des Klimawandels sowie des Feinstaubs und der Einsatz für eine erträgliche Mobilität postuliert.


Vor dieser Kulisse spielt sich ein ziemlich tragisches Stück Theater ab. Immer mehr Individuen mit ihren immer schwereren Karossen spielen darin die Hauptrollen. Trotz der Anstrengungen des Gemeinwesens besteht die schweizerische Autoflotte aus immer schwereren und verbrauchstärkeren Fahrzeugen. Dazu gehören auch die Offroader , die im Schnitt 35 Prozent mehr CO 2 ausstossen als andere Autos. Laut dem Bundesamt für Statistik hat sich der Anteil der Offroader zwischen 1990 und 2002 verdreifacht. Leider hat sich in derselben Zeit der Anteil Wald oder Berge nicht automatisch ebenfalls verdreifacht - was allenfalls einen vermehrten Kauf von Geländefahrzeugen legitimieren könnte.


[Heiterkeit]


Tatsache ist, dass SUV völlig zweckentfremdet eingesetzt werden, in urbanem, gut befahrbarem Gebiet, weit weg von hohen Bergern und tiefen Wäldern. Immer mehr Menschen stellen also ihren Lifestyle , den show-off ihres Status den gesamtgesellschaftlichen Zielen weit voran - das ist äusserst tragisch.


Nun zur tragischen Klimax dieses Offroader -Dramas: Die meisten Fahrer solcher Autos sind keine absoluten Menschenhasser oder rücksichtslosen Ignoranten. Sie kaufen ihre SUV aus Sicherheitsüberlegungen, insbesondere natürlich um ihre eigene Sicherheit zu schützen. Dies wäre an und für sich ein völlig legitimes Anliegen - wenn denn die eigene Sicherheit tatsächlich verbessert würde. Tatsache ist aber, dass Offroad -Fahrer, die glauben, einen mobilen Bunker gekauft zu haben, durch die hohe Bodenfreiheit und das massive Gewicht des Fahrzeugs nicht nur andere, besonders schwächere Verkehrsteilnehmer gefährden, sondern - bedingt durch die starre Leit-rahmenbauweise, die eine Absorption der Aufprallwucht völlig verhindert - auch sich selber. Die ganze Aufprallwucht wird nicht durch die Karosserie aufgenommen, sondern direkt auf die Insassen übertragen. Es handelt sich also um ein Art misslungenen Egoismus, der allerdings schlimme Folgen haben kann.


Die Justiz-, Polizei- und Militärdirektion hat gemäss dem Kommissionsbericht behauptet, dass die Verkehrssicherheit bei Offroad -Fahrzeugen nicht anders sei als bei anderen Fahrzeugen. Das ist schlicht und einfach falsch. Eine Studie der Winterthur -Versicherung aus dem Jahr 2000 zeigt unmissverständlich, dass die Folgen eines Aufpralls mit einem Geländefahrzeug für die Insassen und für die anderen Beteiligten bedeutend folgenschwerer ist als bei «gewöhnlichen» Autounfällen.


Zweckentfremdete Offroader sind, besonders in urbanem Gebiet, ein Affront gegen die menschliche Intelligenz. Es bestehen die technischen Mittel, um das angepeilte Ziel zu erreichen, aber wir laufen genau in die entgegengesetzte Richtung. Trotz der klaren Zielvorgaben, trotz der vorhandenen Mittel - auch die individuelle, motorisierte Mobilität könnte so gestaltet werden, dass sie für die Umwelt verträglich ist - geht der Trend genau falschherum. Diese Diskrepanz zwischen dem Ziel und der Marschrichtung ist nicht akzeptabel.


Die Grünen wollen gegen das Unwissen antreten und verlangen insbesondere, dass zuerst Definitionsarbeit geleistet wird - was einzig eine Frage des politischen Willens ist -, sie fordern vom Kanton eine Informationskampagne zu Wirkung und Nebenwirkungen der Offroad -Fahrzeuge, und sie verlangen eine zusätzliche Steuerpauschale für diese Geländefahrzeuge.


[beifälliges Klopfen]


Der Petitionskommissionspräsident gibt persönlich Etienne Morel insofern recht, als tatsächlich sehr viele Fahrzeuge nicht zweckmässig eingesetzt werden und viel zu viel Treibstoff verschleudert wird.


Die Kommission hat ihre Abklärungen nicht fahrlässig, sondern sehr gründlich getroffen. Nach eidgenössischem Recht sind Geländefahrzeuge nun einmal Fahrzeuge mit einem Reduktionsgetriebe, mit Differentialsperre und weiteren Ausrüstungs- Features , über welche ein SUV nicht verfügt.


Die heute zum Verkauf angebotenen SUV sind nicht mehr mit einem Leitrahmen versehen, sondern verfügen meist über selbsttragende Karosserien. Sie haben eine genauso verformbare Front wie andere Personenwagen, ausser dass diese höher liegt. Etienne Morels Schilderung trifft zu auf Geländefahrzeuge, die in den 70er- und 80er-Jahren aus Japan importiert worden sind.


Tatsächlich sind die SUV für die meisten Mobilitätsbedürfnisse der Menschen in unserer Region nicht geeignet. Es wäre etwa das gleiche, in Wanderschuhen oder Gummistiefeln zu einer Landratssitzung zu erscheinen.


Es gäbe nun zwei Möglichkeiten, rechtlich etwas zu ändern: Entweder werden die SUV als eigene Fahrzeugkategorie erfasst - was aber Bundeskompetenz ist -, oder man führt eine steuerliche Progression ein. Dies entspricht jedoch nicht den Forderungen der Petenten, und die Kommission ist nicht befugt, Anträge zu stellen, die über die Petitionsbegehren hinausgehen. Jedem Landratsmitglied bzw. jeder Fraktion steht es aber frei, einen entsprechenden Vorstoss einzureichen.


://: Auf Antrag der Petitionskommission beschliesst der Landrat mit 66:15 Stimmen, die Forderungen 1, 3 und 4 der Petition «für Massnahmen gegen Geländefahrzeuge in dichtbesiedeltem Gebiet» abzulehnen und die Forderung 2 so aufzunehmen, als der Landrat in einem Schreiben an das Bundesamt für Verkehr das Verbot von Frontbügeln an leichten Motorwagen fordert.


Für das Protokoll:
Alex Klee-Bölckow, Landeskanzlei



Fortsetzung

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