Protokoll der Landratssitzung vom 23. März 2006
Protokoll der Landratssitzung vom 23. März 2006 |
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2005-082
vom 10. März 2005
Motion
von
Helen Wegmüller
: Hochbegabtenförderung
- Beschluss des Landrats: < abgelehnt >
Nr. 1722
Erziehungsdirektor Urs Wüthrich nimmt namens der Regierung, welche die Motion ablehnt, wie folgt Stellung:
Auf den ersten Blick erscheint das in der Motion formulierte Anliegen als plausibel und sozial. Die Förderung von Kindern mit einer speziellen Begabung ist aber nicht eine Erfindung unseres Kantons. So besagt Artikel 19 der Bundesverfassung, dass alle Anspruch auf einen ausreichenden und unentgeltlichen Grundschulunterricht hätten. Gleichzeitig wird klar gestellt, dass das Schulwesen zwar kantonal geregelt sei, aber grundsätzlich allen offen stehen und unentgeltlich sein müsse. Der Begriff "ausreichend" wird so ausgelegt, dass der angemessene und geeignete Unterricht für jedes Kind individuell festgelegt werden muss. Daraus lässt sich auch der Anspruch auf spezielle Förderung ableiten.
Im kantonalen Bildungsgesetz aus dem Jahre 2002 sind die Verpflichtungen aus dem Bundesrecht entsprechend umgesetzt. So wird in § 2 (Ziele) die Förderung festgeschrieben und in § 4 der Individualanspruch eines jeden Kindes auf eine seinen Fähigkeiten entsprechende Bildnung ausdrücklich festgehalten.
In seinem Entscheid vom 23. März 2006 hat das Kantonsgericht entschieden, dass die Anordnung der zuständigen Schulbehörde, eine Privatschule zu besuchen, weil der Kanton das Angebot nicht erbringt, ein öffentlicher Akt sei, der als staatliches Handeln akzeptiert werden könne und
demzufolge durch den Schulträger zu finanzieren sei. Diese Massnahme ist möglich, wenn alle schulinternen Mittel - wie etwa das Überspringen von Klassen und zusätzliche Förderstunden - ausgeschöpft sind. Wichtig ist jedoch, dass diese Massnahme nicht auf Wunsch der Erziehungsberechtigten ergriffen wird, sondern aufgrund einer ausdrücklichen Indikation durch die zuständige kantonale Fachstelle. Dadurch wird sichergestellt, dass diese Massnahme für jeden einzelnen Fall hinreichend begründet und bestätigt ist.
Was die geforderte Kostenbeteiligung angeht, so müsste diese konsequenterweise nicht nur bei der Förderung hochbegabter Kinder, sondern auch bei Kindern in Sonderschulen ins Auge gefasst werden, was wohl kaum im Sinne der Motionärin wäre.
Zusammenfassend hält die Regierung fest, dass die Förderung von Schülerinnen und Schülern mit speziellen kognitiven, musischen und sportlichen Fähigkeiten zum Auftrag der öffentlichen Schule gehört, und zwar unentgeltlich für die Erziehungsberechtigten. Gleichzeitig müssen die Zuständigkeiten klar geregelt sein, um eine sachgerechte Praxis zu gewährleisten. Die Massnahmen, die aufgrund einer konkreten Indikation ergriffen werden, müssen durch die zuständigen Schulleitungen erstin-stanzlich bewilligt, durch den Schulrat aufsichtsrechtlich behandelt und, gestützt auf das Trägerschaftsprinzip, vom Amt für Volksschule nach Rücksprache mit dem Schulrat angeordnet werden. Die Regierung ist der Auffassung, dass die geltende Regelung funktioniert und den erwähnten Grundrechten entspricht; sie lehnt deshalb die Motion ab.
Helen Wegmüller erklärt, mit ihrer im März 2005 verfassten Motion zwei Stossrichtungen verfolgt zu haben:
Erstens war damals nicht geregelt, wer die Kosten für die Förderung Hochbegabter tragen solle. Der Grundsatzentscheid, ob die Gemeinden oder der Kanton dafür aufkommen müssten, war damals noch offen. Dieser Punkt hat sich inzwischen erledigt durch das Gerichtsurteil, das die Gemeinde Arlesheim angestrengt hatte.
Zweitens werden Hochbegabte nach dem Giesskannenprinzip unterstützt, unabhängig von der finanziellen Situation der Erziehungsberechtigten. Wir scheuen uns nicht, dem Staat immer neue Aufgaben zu übertragen. Zwischenzeitlich ist er für das ganze Leben zuständig geworden, von der Wiege bis zur Bahre sozusagen. Alles wird nach dem Giesskannenprinzip finanziert, ohne zu fragen, wer das bezahlt und wer dafür wieviel gearbeitet hat. Mit dieser Anspruchsmentalität überlassen wir alles dem Staat, aber der Staat sind wir - jeder Einzelne von uns. Aus diesem Grund sollten wir eigenverantwortlich und selbstbestimmt handeln.
Ein Jahr Hochbegabtenförderung ist mit 24'000 Franken viel teurer als ein Jahr Staatsschule, das etwa 12'000 Franken kostet. Der hochbegabte Schüler erhält eine um 8'000 bis 12'000 Franken höhere Unterstützung als ein Staatsschüler, und zwar per Giesskannenprinzip.
Hinzu kommt, dass hochbegabte Schüler häufig eine Privatschule besuchen, wo sie eine besondere Förderung erfahren. Besucht ein normalbegabter Schüler eine Privatschule, so haben die Eltern nach Abschaffung des jährlichen Kantonsbeitrages von 2000 Franken das volle Schulgeld selber zu bezahlen. Überdies werden derart schlaue Köpfe von der Wirtschaft in hohem Masse gesucht; ihnen erwächst aus ihrer Hochbegabung ein Privileg, von dem andere nur träumen können.
Helen Wegmüller bittet den Landrat, den Vorstoss zu überweisen. Damit werde die Regierung aufgefordert, die gesetzlichen Grundlagen zu schaffen, um Eltern hochbegabter Schüler zu einer finanziellen Beteiligung an den bereits erwähnten jährlichen Mehrkosten von 8'000 bis 12'000 Franken nach Massgabe ihres Einkommens zu verpflichten.
Die SP-Fraktion stütze sich auf die Ausführungen der Regierung und lehne die Überweisung der Motion ab, gibt Bea Fuchs bekannt.
Bea Fünfschilling erklärt, sie habe eigentlich ihr Votum mit den gleichen Worten wie Regierungsrat Urs Wüthrich beginnen wollen: Die Idee einer Kostenbeteiligung scheint auf den ersten Blick bestechend zu sein. Die FDP sei auch für Eigenverantwortung, aber gleichzeitig gelte es, die Gesetze zu respektieren.
Sowohl das Bundesgesetz wie auch das kantonale Bildungsgesetz besagen klar, dass all jene, die eine spezielle Förderung brauchen, diese auch unentgeltlich in Anspruch nehmen dürfen. Es wäre nicht richtig, eine von fünf festgelegten Gruppen, die Anspruch auf spezielle Förderung haben, zu einer Kostenbeteiligung verpflichten zu wollen.
Aus genannten Gründen lehnt die FDP-Fraktion die Motion klar ab.
Auch Einzelne der CVP/EVP-Fraktion hätten zunächst Sympathien für den Vorstoss gehabt, stellt Jacqueline Simonet fest.
Als Schulpflegepräsidentin kennt sie das Problem aus eigener Anschauung: es sind immer mehr Forderungen gekommen, der gesetzliche Rahmen war aber noch nicht ausreichend geregelt. Inzwischen ist Remedur geschaffen worden; Sonderlösungen werden nur bewilligt, wenn vor Ort keine anderen Lösungen angeboten werden können. Nach wie vor stellen nichtkooperative Eltern ein Problem dar; diese werden immer einen Weg finden, um eine Sonderlösung für ihre Kinder durchzusetzen.
Es besteht, wie bereits Regierungsrat Urs Wüthrich ausgeführt hat, ein gesetzlicher Rahmen, an den wir gebunden sind. Ein weiterer Aspekt, den es zu berücksichtigen gilt: Es gibt nicht nur hochbegabte, sondern auch minderbegabte Kinder, von denen ein Teil der Eltern finanziell an sich in der Lage wäre, die Kosten selber zu tragen. Bei minderbegabten Kindern gilt es jedoch als selbstverständlich, dass die Gesellschaft für die Mehrkosten aufkommt. Obwohl die Fraktion grundsätzlich Verständnis für das Anliegen hat, wird sie die Motion ablehnen, da die Situation, auch in gesetzlicher Hinsicht, nun besser geregelt ist.
Die Grüne Fraktion stimme der Aussage, die Motion sei auf den ersten Blick sozial, nicht zu - vielmehr sei es eine unsoziale Motion, erklärt Jürg Wiedemann .
Es ist bereits gesagt worden, dass ein Teil der Schüler eine Ausbildung geniessen kann, die deutlich mehr als 12'000 Franken kostet, so z.B. Kleinklassen-Schüler oder Gymnasiasten. Es ist in unserem Bildungssystem wichtig, dass die Schülerinnen und Schüler - unabhängig von den Kosten - die ihren Fähigkeiten entsprechende Ausbildung erhalten. Sollte eine Beschränkung auf 12'000 Franken angestrebt werden, so müsste Helen Wegmüller eigentlich einen Vorstoss machen, der auf einen Bildungsgutschein abzielt.
Die Vorlage ist nicht konsequent, weshalb die Grüne Fraktion den Vorstoss ablehnt.
Es gibt keine weiteren Wortbegehren.
://: Der Landrat lehnt die Überweisung der Motion (2005/082) mit 46:18 Stimmen bei 4 Enthaltungen ab.
Für das Protokoll:
Barbara Imwinkelried, Landeskanzlei
Fortsetzung