Protokoll der Landratssitzung vom 18. Mai 2006

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2005-183 vom 23. Juni 2005
Motion der FDP Fraktion: 12 Schuljahre bis zur Maturität
- Beschluss des Landrats < abgelehnt >



Nr. 1838

Der Regierungsrat ist laut Landratspräsident Eric Nussbaumer bereit, den Vorstoss als Postulat entgegenzunehmen.


Regierungsrat Urs Wüthrich führt aus, das Thema «Schuldauer bis zur Matura» stehe aus zwei Gründen bereits auf der Agenda der aktuellen bildungspolitischen Diskussion im Kanton:


Die konkrete Modellwahl ist nicht entschieden. Der Entscheid muss ihm Rahmen einer Gesamtbetrachtung gefällt werden. Die vier Bildungsdirektoren der Nordwestschweiz führen diesbezüglich intensive Gespräche. Weil der vorliegende Vorstoss diese Arbeiten unterstützen würde, ist der Regierungsrat bereit, ihn als Postulat entgegenzunehmen.


Rolf Richterich betont, es handle sich nicht um ein neues Anliegen der FDP. Sie ist schon seit längerem unzufrieden mit dem heutigen Zustand. Der Leidensdruck, endlich etwas zu ändern, besteht schon seit langem.


Rolf Richterich hat das Gymnasium noch zu Berner Zeiten besucht und nach der Matura im Spätsommer den Kopf frei gehabt für den Einstieg ins Studium. Dass dies im Baselbiet nicht möglich ist, ist wenig sinnvoll.Dass die früheren Laufentaler Maturanden viel dümmer waren als die Baselbieter, wird niemand behaupten.


Die Motion kommt jetzt, weil mit HarmoS die obligatorische Schule zur Diskussion steht - und damit auch die Dauer des Gymnasiums. Wird über HarmoS und 6/3 gesprochen, fällt auf, dass das Baselbieter Bildungsgesetz ausgesprochen zu einer Unzeit beschlossen worden ist; der Anspruch an Langzeitüberlegungen und gesamtschweizerischer Harmonisierung wird darin zu wenig ernst genommen.


Bildungsfachleute - davon gibt es nur wenige, nämlich die Bildungsräte und die zuständigen Gemeinderäte - bedauern, dass sich nun eine Abkehr vom pädagogisch wertvolleren 5/4-Modell abzeichnet, aber sie sagen sich, wenn man schon in diesen sauren Apfel beissen muss, dann am besten gleich jetzt. Deshalb ist auch jetzt der richtige Zeitpunkt, im Rahmen von HarmoS über die Forderung «Zwölf Jahre bis zur Matur» zu sprechen. Die Meinung ist nicht, einfach diese Schuldauer im Gesetz zu ändern, sondern eine Gesamtlösung in Angriff zu nehmen.


Deshalb ist die FDP-Fraktion grösstmehrheitlich der Ansicht, die Motion solle als solche überwiesen werden. Ein Postulat wäre nichtsnutzig; es ist genug geprüft und berichtet worden. Viele Kantone beweisen, dass auch nach einer zwölfjährigen Schulzeit eine Matur bestanden werden kann. Das wissen auch noch viele erfahrene Lehrer am Gymnasium Laufen.


Die Motion ergibt allerdings nur dann Sinn, wenn die HarmoS-Diskussion tatsächlich einsetzt. Käme eine solche Harmonisierung nicht zustande, wäre eine Verkürzung von zwölfeinhalb auf zwölf Jahre unnütz.


Mit diesem letzten Satz habe ihr Vorredner die beste Argumentation dafür geliefert, weshalb der Vorstoss nur als Postulat überwiesen werden sollte, meint Eva Chappuis :


Die ganze Baustelle ist eröffnet, der Bauzug fährt - hoffentlich verunglückt er nicht -, und deswegen opponiert die SP nicht gegen die Überweisung eines Postulats. Denn die ganze Situation muss gründlich geprüft und danach darüber berichtet werden. Die SP-Fraktion ist aber dagegen, jetzt mit einer Motion irgendwelche Vorentscheide zu treffen.


Fredy Gerber erklärt, die Forderungen der Motion seien nach Ansicht der SVP-Fraktion durchaus berechtigt und stünden im Zusammenhang mit HarmoS, insbesondere im Bezug auf die Ausgestaltung der progymnasialen Abteilung der Sekundarstufe 1. Mit 121/2 Jahren Ausbildungszeit ist das Baselbiet schweizweit ein Einzelfall. Die heutige Lösung ist nicht gut. Für die Maturandinnen und Maturanden entsteht ein unliebsames Zwischenjahr, das Einbussen an wertvoller Schulzeit und möglicherweise auch an Einzahlungen an die Sozialwerke bedingt.


Was passiert eigentlich mit den Lehrpersonen im unterrichtsfreien Halbjahr, und werden die freistehenden Klassenräume dann irgendwie genutzt? Beziehen die beschäftigungslosen Maturandinnen und Maturanden gar Arbeitslosenunterstützung in dieser Zeit?


Die Motion will eine Änderung des Bildungsgesetzes, die eine unterbruchslose Weiterbildung der Maturandinnen und Maturanden ermöglicht. Die SVP-Fraktion unterstützt diese Forderung.


Diese Forderung muss laut Jacqueline Simonet - so wie es auch Rolf Richterich gesagt hat - im Rahmen von HarmoS geprüft werden. Das deckt sich aber nicht mit dem Text der Motion. Die CVP/EVP-Fraktion ist nicht dagegen, das Problem zu diskutieren, hält es aber für falsch, einfach in einem Bereich einen Pflock einzuschlagen. Deshalb ist der Vorstoss als Postulat, nicht aber als Motion zu überweisen.


Die ganze Entwicklung im Schulwesen geht sehr schnell. Es war Zeit für ein neues Bildungsgesetz, und es ist sinnlos, sich jetzt darüber den Kopf zu zerbrechen, ob es der genau richtige Zeitpunkt war.


Die grüne Fraktion und Jürg Wiedemann sind klar für eine Harmonisierung des Bildungssystems, allerdings für eine inhaltliche und nicht zwingend für eine strukturelle Harmonisierung. Heute ist es für SchülerInnen schwierig, den Wohnkanton zu wechseln, weil sich die Lehrpläne stark unterscheiden. Um dieses Problem zu lösen, ist eine inhaltliche Harmonisierung vonnöten: Die Lehrpläne, die Stundentafel und der geforderte Schwierigkeitsgrad müssen in der ganzen Schweiz möglichst genau übereinstimmen: Jedes Kind muss im gleichen Schuljahr den gleichen Unterrichtsstoff vermittelt bekommen.


Dies bedingt aber nicht unbedingt eine strukturelle Harmonisierung. Es spielt absolut keine Rolle, ob das Gymnasium drei, dreieinhalb oder vier Jahre dauert, ob die Primarschule auf fünf oder sechs Jahre angelegt ist. Es ist unwesentlich, ob ein Kind einen Schulstoff im Rahmen des 6. Primarschuljahres vermittelt bekommt oder im Rahmen des ersten Sekundarschuljahres - wenn es sich dabei um das gleiche Schuljahr handelt.


Die grüne Fraktion befürwortet eine gesamtschweizerische Vereinheitlichung der Anzahl Schuljahre bis zur Matura, allerdings sollte diese Anzahl zum jetzigen Zeitpunkt nicht auf zwölf Jahre festgelegt werden. Denn 121/2 oder sogar 13 Jahre sind pädagogisch sinnvoller als 12 Jahre. Es gibt dafür jede Menge Gründe. In der Vernehmlassung zu HarmoS werden die Grünen diese Gründe darlegen und die Regierung bitten, sich für eine gesamtschweizerisch höhere Schuldauer als 12 Jahre einzusetzen.


Würde bereits heute die Zahl 12 mittels einer Motion festgesetzt, wäre das ein falsches Signal und ein Bildungsabbau gegenüber dem Ist-Zustand.


Christine Mangold nimmt das Votum von Jürg Wiedemann auf: Wenn er eine 12-jährige Dauer als Bildungsabbau bezeichnet, ist dem entgegenzuhalten, dass die allermeisten Kanton bereits heute diese zwölf Jahre kennen, in einigen anderen dauert es bis zur Matur dreizehn Jahre, aber eine exotische 121/2-Jahre-Lösung gibt es nur im Baselbiet.


Die FDP-Fraktion hält an ihrer Motion fest. Das Anliegen liegt ihr schon lange am Herzen. Die Forderung wurde schon vor und im Rahmen der Bildungsgesetzgebung geprüft und diskutiert. Nun ist genug geprüft, nun soll der Zeitrahmen von zwölf Jahren festgesetzt werden. Damit muss nicht zwingend bis zu einer gesamtschweizerischen Harmonisierung gewartet werden. Definiert der Landrat heute die Schuldauer bis zur Matur, kann man sich später im HarmoS-Prozess auf die Struktur der obligatorischen Schule konzentrieren.


Martin Rüegg bemerkt, diese Forderung habe bei der FDP Tradition. Es ist seit 1991 bereit der sechste Vorstoss in dieser Richtung. Das grenzt an Zwängerei. Die Frage wird ohnehin im Rahmen der HarmoS-Diskussion besprochen werden; es braucht also weder eine Motion noch ein Postulat.


Ende der 90er Jahre hat der Landrat zum letzten Mal heftig über diese Frage gestritten und dann beschlossen, beim Status Quo zu bleiben. Jener Entscheid ist unter dem Druck der von der Lehrerschaft lancierten Initiative «für eine Maturität ohne Qualitätsabbau» zustande gekommen. Die Initiative wurde von gut 8'500 Stimmberechtigten unterschrieben.


In Kantonen, welche die Schuldauer auf zwölf Jahre verkürzt haben, bestehen eindeutige Ausbildungslücken beim Studienbeginn - vor allem in den Naturwissenschaften -, wie die EVAMAR (Evaluation der Maturitätsreform) Nr. 1 festgestellt hat. Es spielt also durchaus eine Rolle, ob man zwölf oder zwölfeinhalb Jahre lang zur Schule geht.


Die vorliegende Motion weist die genau gleichen Schwächen auf wie die Vorstösse in den 90er Jahren: Sie sagt erstens nicht, wo das halbe Jahr gekürzt werden solle, und sie möchte zweitens Raumprobleme lösen durch die Inkaufnahme von Qualitätseinbussen.


Tatsächlich fehlt bei einer 121/2-jährigen Schuldauer der direkte Anschluss an ein Uni-Studium. Darin besteht allerdings auch eine Chance: Sehr viele Leute sind, wenn sie ihr Maturitätszeugnis entgegennehmen, äusserst schulmüde, und ihnen tut es sehr gut, einmal noch etwas anderes zu machen als ohne Motivation von der Schulbank in den Hörsaal zu wechseln.


Dass zweimal jährlich ein Stundenplan erstellt werden muss, ist tatsächlich ein wenig mühsam. Aber für Martin Rüegg persönlich ist diese Umstellung eine willkommene Abwechslung.


Würde der Vorstoss als Postulat überwiesen, bestünde die Chance, auch - wie im Maturitätsanerkennungsreglement (MAR) verlangt - über ein vierjähriges Gymnasium zu diskutieren und dies ernsthaft zu prüfen. So könnten auch Varianten angeschaut werden wie eine zweijährige Vorbereitungs- und eine zweijährige Schwerpunktstufe.


Mit Christine Mangold ist Jürg Wiedemann insofern einverstanden, als auch er eine schweizweit einheitliche Schuldauer bis zur Matur möchte. Die FDP möchte aber diese Dauer nun auf zwölf Jahre fixieren, unabhängig davon, zu welchem Resultat HarmoS führen wird. Dass heute die Mehrheit der Kantone eine zwölfjährige Schuldauer kennt, muss noch nichts heissen für das Resultat des HarmoS-Prozesses.


Jacqueline Simonet findet, es gebe viele gute Pro- und Contra-Argumente. Sie möchte darüber nicht diskutieren, sondern macht auf ein technisches Problem aufmerksam: In der Motion wird von 12 Jahren bis zur Maturität gesprochen. Aber inzwischen ist ein Kindergartenjahr obligatorisch und gilt als Bestandteil des Schulobligatoriums. Deswegen dauert die Schulzeit bis zur Matura 131/2 Jahre, und die FDP müsste also 13 Jahre verlangen.


Es wäre ungeschickt, wenn der Landrat jetzt einen isolierten Entscheid treffen würde, ohne das ganze Gefüge der Schulstruktur anzugehen. Die CVP/EVP-Fraktion würde den Vorstoss nach wie vor als Postulat überweisen, lehnt eine Motion aber ab.


Rolf Richterich entgegnet, die Formulierung der Motion orientiere sich am geltenden Bildungsgesetz. Darin gehört der Kindergarten nicht zur obligatorischen Schulzeit.


[Zwischenrufe von der Ratslinken: Doch, natürlich!]


Es geht der FDP nicht nur darum, ob die Gesamtschuldauer 12, 121/2 oder 13 Jahre dauert, sondern auch um die Frage, wie die Gymnasialzeit organisiert ist. Dies ist für die ganze Diskussion matchentscheidend, und dazu muss man sich noch einige Gedanken machen: Wäre es nicht besser, zu einem vierjährigen Gymnasium überzugehen und dafür die progymnasiale Stufe umzugestalten? Die Motion legt dies nicht fest, sondern sie will einfach das überflüssige halbe Jahr abschaffen.


Absolut störend findet Eva Chappuis , dass das Bildungssystem von oben nach unten betrachtet wird statt umgekehrt. Das ganze Schulbildungssystem darf sich nicht an jenem Fünftel aller SchülerInnen ausrichten, die eine Matur machen. Sonst wird man nämlich 80 % der Jugendlichen nicht gerecht.


Die SP möchte die ganze Struktur vertieft anschauen und wehrt sich vehement dagegen, dass von oben her irgendwelche Pflöcke eingeschlagen werden. HarmoS hat mit der Schuldauer bis zur Maturität gar nichts zu tun; denn diese Frage ist im MAR bereits geregelt. Diesem Reglement entspricht die heutige Baselbieter Lösung.


Regierungsrat Urs Wüthrich plädiert für ein Postulat, weil damit die Botschaft nach aussen gesandt wird, dass die Festlegung der Schuldauer bis zur Matura Gegenstand einer Gesamtbetrachtung des Bildungssystems sein soll. Eine Motion hingegen würde signalisieren, dass unverzüglich diese Dauer um ein halbes Jahr gekürzt werden soll.


Eigentlich sollte sich Jürg Wiedemann für eine Motion stark machen. Dann gäbe es nämlich in wenigen Tagen die erste Medienkonferenz des Aktionskomitees «gegen den Bildungsabbau». Die Adresslisten von damals sind immer noch abgespeichert.


Der Fokussierung auf den Einzelaspekt der Schuldauer bis zur Matur wäre eine sorgfältige Gesamtbetrachtung vorzuziehen. Klar ist, dass Baselland wohl kaum seine Sonderlösung wird weiterführen können.


://: Die Motion 2005/183 wird mit 39:35 bei zwei Enthaltungen abgelehnt.


Für das Protokoll:
Alex Klee-Bölckow, Landeskanzlei



Fortsetzung

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