Protokoll der Landratssitzung vom 6. April 2006
Protokoll der Landratssitzung vom 6. April 2006 |
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2005-226
vom 8. September 2005
Motion
von Jürg Wiedemann: Massnahmen gegen erhöhte Feinpartikel-Belastung
- Beschluss des Landrats: < als Postulat überwiesen (modifiziert) >
16
2006-051
vom 16. Februar 2006
Postulat
von Simone Abt: Massnahmen gegen den Feinstaub
- Beschluss des Landrats: < überwiesen >
Nr. 1746
Landratspräsident Eric Nussbaumer gibt bekannt, dass die Regierung die Motion 2005/226 ablehne, mit der Entgegennahme des Postulats 2006/051 aber einverstanden sei.
Regierungspräsidentin Elsbeth Schneider erklärt, sie befinde sich in einer ungewöhnlichen Situation. Denn die Regierung will die Motion nicht überwiesen haben, weil sie zwar nicht mit einem neuen Gesetz gegen die hohe Feinstaubbelastung kämpfen möchte; sie will aber trotzdem Massnahmen gegen den Feinstaub erarbeiten und umsetzen.
Jürg Wiedemann ist es vor allem wichtig, dass Massnahmen ergriffen werden - ob diese auf Verordnungs- oder Gesetzesstufe verankert sind, ist ihm egal, solange nur das Problem gelöst ist. Deshalb ist der Motionär gerne bereit, seinen Vorstoss in ein Postulat umzuwandeln und auch die Forderung wie folgt zu ändern:
Ich bitte den Regierungsrat, wirksame Massnahmen zu prüfen und darüber zu berichten.
Hanspeter Ryser hält Jürg Wiedemann zugute, dass dieser die Motion lanciert hat, bevor die grosse Feinstaub-Polemik im vergangenen Winter eingesetzt hat. Seine Argumentation mag richtig, aber dennoch nicht der Weisheit letzter Schluss sein.
Seit Einreichung des Vorstosses ist bekannt geworden, dass fünfzig Prozent der Partikel von Windströmen verbreitet und umgelagert werden, dass der Strassenverkehr rund vier Prozent der gesamten Partikelmenge produziert, dass rund elf Prozent der Partikel aus dem Schienenverkehr stammen - verursacht durch Schienenabrieb auf den Geleisen -, und dass beim Staubsaugen Feinstaubpartikel in der fünffachen Menge des Grenzwertes aufgewirbelt werden. Trotzdem kommt es aber niemandem in den Sinn, Sofortmassnahmen gegen das Staubsaugen zu verlangen.
Messungen haben ergeben, dass wegen brennender Kerzen und wegen des Weihrauchs während einer katholischen Messe der von der EU erlaubte Russpartikelmittelwert pro 24 Stunden um das Zwölf- bis Zwanzigfache überschritten wird. Und dennoch will niemand den Besuch einer Messe verbieten.
Die SVP-Fraktion ist für auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basierende Massnahmen zu haben, wendet sich aber ganz klar gegen Schnellschüsse, Überreaktionen und Hektik. Deshalb wird sie die Motion ablehnen.
Eine Gesetzesvorlage, wie sie Jürg Wiedemann verlangt hatte, hätte der Regierung nach Ansicht von Simone Abt den Rücken stärken können; die SP hätte der Motion zugestimmt. Nun ist sie in ein Postulat umgewandelt worden, und selbstverständlich stimmt die SP-Fraktion auch diesem Vorstoss zu.
Die Abklärungen und Massnahmen, welche die Regierung bisher schon eingeleitet hat, sind begrüssenswert.
Für die FDP-Fraktion sei es klar, dass sie nicht für ein neues Gesetz stimmen werde, erklärt Patrick Schäfli . Das wäre eine Alibiübung wie die kurzfristige Einführung von Tempo 80. Immerhin 17 Prozent des Feinstaubs stammen nämlich aus der Verbrennung von Dieselmotoren.
Wirklich wirksame Massnahmen wären auf Bundesebene umzusetzen. In der Diskussion ist beispielsweise die Festlegung eines PM-2,5-Immissionswert bezüglich jener Feinstpartikeln, durch welche eine Gesundheitsgefährdung tatsächlich nachgewiesen werden kann. Ebenfalls diskutiert wird auf Bundesebene ein Filterobligatorium für importierte Dieselfahrzeuge ab 1. Januar 2008.
Wenn Jürg Wiedemanns Vorstoss tatsächlich so abgeändert wird, dass es inhaltlich der Stossrichtung von Simone Abts Postulat entspricht - alse die Regierung zum Prüfen und Berichten auffordert -, könnte die FDP-Fraktion beiden Postulaten zustimmen.
Ivo Corvini hat mit Jürg Wiedemanns Vorgehen Mühe. Zuerst reicht er eine Motion ein, die die Schaffung eines neuen Gesetzes verlangt. Dann ändert er die Form des Vorstosses - von der Motion zum Postulat - und zugleich auch die Forderung - statt eines Gesetzes nun plötzlich Massnahmen. Damit liegt dem Landrat ein völlig neuer Vorstoss vor. Das hält die CVP/EVP-Fraktion für unzulässig. Es kann nicht angehen, dass man ohne viel zu überlegen einfach einmal einen Vorstoss lanciert und diesen dann nach Belieben so verändert, dass er letztlich ein ganz anderes Ziel hat.
Ivo Corvini empfiehlt Jürg Wiedemann, seinen Vorstoss zurückzuziehen zugunsten des Postulats von Simone Abt, die letztlich das Gleiche will.
Die politische Kultur verlangt es, mit den parlamentarischen Instrumenten korrekt umzugehen. Zulässig sind gemäss § 45 des Dekrets zum Landratsgesetz nur Textänderungen oder die Umwandlung einer Motion in ein Postulat; beides zusammen geht schon formell nicht.
Ein zusätzliches Gesetz, wie es der Motionär verlangt, bedeute laut Remo Franz für die Baubranche zusätzliche Kosten für die Umrüstung der Maschinen. Baumaschinen werden fast ausschliesslich importiert. Im Ausland kennt man aber kein Partikelfilterobligatorium, also müssten die Maschinen umgerüstet werden. Bei einem Kleinbagger, der CHF 75'000 kostet, kämen die Kosten für einen solchen Filter auf CHF 14'000 zu stehen. Ein Kompressor, mit dem Beton gespitzt wird, kostet CHF 18'000, der dazu passende Partikelfilter stolze CHF 14'000. Bei einem Dumper zu CHF 60'000 müsste für einen Partikelfilter mit CHF 16'000 gerechnet werden.
Damit ein Partikelfilter funktioniert, braucht er eine gewisse Betriebstemperatur. Damit diese erreicht wird, muss der Maschinist die Maschine, selbst wenn er sie nur ganz kurz einsetzt, so lange weiterlaufen lassen, bis diese Temperatur erreicht ist. Tut er dies nicht, «verjagt» es den Motor. Dies ist der Grund, weshalb die Lieferanten der Geräte in Zukunft auf die Motoren keine Garantien mehr geben. Es kann nicht angehen, dass in der Schweiz Vorschriften geschaffen werden, die hier alles verteuern - das ist doch keine vernünftige Wirtschaftspolitik!
Baubewilligungen für grössere Bauten werden nur noch erteilt, wenn die Baumaschinen mit Partikelfiltern bestückt sind. Diese Vorschrift wird von mehreren Leuten kontrolliert, also mit einem enormen personellen Aufwand. Kann es sein, dass die Schweiz - und der Kanton Baselland an vorderster Front - im Begriff ist, eine Lösung zu schaffen, die letztlich die hiesigen Produkte verteuert und Arbeitsplätze gefährdet?
[Klopfen von Seiten der FDP-Fraktion]
Regierungspräsidentin Elsbeth Schneider bittet Jürg Wiedemann zu erklären, ob er - wie von Ivo Corvini vorgeschlagen - bereit sei, seinen Vorstoss zugunsten des Postulats von Simone Abt zurückzuziehen. Denn seine Anliegen werden auch darin aufgenommen.
Remo Franz' Schilderungen über die Preise für Partikelfilter sind eindrücklich und bedürfen keiner weiteren Kommentierung.
In Zusammenarbeit mit anderen Kantonen und mit den in der Oberrheinkonferenz vertretenen Körperschaften möchte der Kanton Baselland unbedingt Massnahmen gegen die übermässige Feinstaubbelastung ergreifen. Zu den Zielen gehört, die PM-10- und die NO X -Konzentration in der Region deutlich zu reduzieren. Dafür braucht es aber nicht zwei separate Vorstösse.
Jürg Wiedemann weiss nicht, was Ivo Corvini für ein Problem hat: Dass Motionen in Postulate umgewandelt werden, kommt fast an jeder Landratssitzung vor. Damit ändert sich automatisch auch der Auftrag an die Regierung: während die Motion eine Gesetzesänderung verlangt, dreht sich das Postulat um «Prüfen und Berichten». Damit dies auch sauber funktioniert, wird der entsprechende Satz im Vorstosstext umformuliert. An der Zielsetzung ändert sich dadurch nichts. Jürg Wiedemann kann sich nicht erklären, was die CVP/EVP-Fraktion geritten hat, dass sie jetzt eine solche Überreaktion zeigt.
An die SVP-Fraktion gewandt, erklärt der Postulant, die Luftbelastung durch den Feinstaub sei zur Zeit das gravierendste Umweltproblem. Die Tagesgrenzwerte von 50 µg/m 3 werden sehr viel öfter und massiver überschritten als noch vor wenigen Jahren.
Die kleinsten Teile (PM 10 bzw. PM 2,5) dringen bis in die Lunge hinunter und können von dort aus über die Blutbahnen praktisch alle Organe befallen. Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) spricht in seiner Studie aus dem Jahr 2005 von geschätzten 3'700 Toten, die der Feinstaub jährlich verursacht. Das ist bedenklich, handelt es sich doch um weitaus mehr Todesfälle als sie z.B. die Grippe fordert. Die von der Regierung bereits vor vier, fünf Jahren eingeleiteten Massnahmen haben nicht gefruchtet, und deshalb ist es notwendig, weitere Massnahmen zu ergreifen. Die Feinstaub-Problematik ist durchaus lokal: Es wurde festgestellt, dass in den grossen Zentren und entlang der Autobahnen die Belastung deutlich höher ist. Also wären auch lokale Massnahmen wirksam.
Die Regierungspräsidentin hat bestätigt, dass Massnahmen geplant und eingeleitet werden; deshalb ist es sinnvoll, heute beide vorliegenden Postulate zu überweisen.
Philipp Schoch findet es bezeichnend, dass immer dann, wenn objektiv Handlungsbedarf besteht und etwas unangenehme Massnahmen nötig sind, Juristen wie Ivo Corvini auf den Plan kommen und bestimmt noch irgend einen formalen Fehler finden. Philipp Schoch ist sehr froh, dass im Landrat nicht nur Juristen sitzen.
Kaspar Birkhäuser erklärt, mit den Postulaten würden noch keine konkreten Massnahmen gefordert. Dennoch malt Remo Franz den Teufel an die Wand und tut so, als ob irgendwelche Massnahmen sofort und ohne jegliche Übergangsfrist umgesetzt werden müssten. Es geht jetzt erst darum, das Problem anzugehen und abzuklären, welche Massnahmen sinnvoll wären.
Die Feinstaubproblematik ist ein internationales Phänomen, auf das die Industrie früher oder später auch reagieren wird. Dann werden alle Baumaschinen standardmässig mit Filtern ausgestattet sein, so dass kein Grund besteht, eine Eskalation a la «I han es Zündhölzli azündet» (Mani Matter) heraufzubeschwören. Remo Franz' Befürchtungen sind im Moment völlig unbegründet.
Remo Franz jammert über die Belastung der Wirtschaft. Im vergangenen Winter hat aber Annemarie Marbet über drei Wochen lang unter den starken Feinstaubwerten gelitten. Es müsste also nebst der Belastung der Wirtschaft auch einmal über die Belastung des Menschen gesprochen werden. Es ist nicht angenehm, wochenlang dermassen husten zu müssen und nichts dagegen tun zu können.
Das Problem besteht lokal, regional, national und international. Lösungen müssen gemeinsam angegangen werden. Denn eine funktionierende Wirtschaft ist sinnlos, wenn die Menschen dabei krank zugrunde gehen. Die beiden Postulate sind zu unterstützen, damit möglichst rasch wirksame Massnahmen ergriffen werden können.
Ivo Corvini weist den Vorwurf der juristischen Pingeligkeit von sich. Aber wenn man sich auf ein politisches Geschäft vorbereitet, muss man sich darauf verlassen können, dass dann auch wirklich dieses zur Abstimmung kommen wird.
Selbstverständlich kann eine Motion in ein Postulat verändert werden. Aber darüber hinaus hat Jürg Wiedemann auch noch seinen Antrag umformuliert, und das geht zu weit. Ein solches Vorgehen darf, damit es nicht Schule macht, nicht geduldet werden.
Auch Jürg Wiedemanns Schüler müssen zuerst überlegen, was sie tun; das darf also von ihm auch im Landrat erwartet werden.
Die CVP/EVP-Fraktion lehnt das Postulat von Jürg Wiedemann aus diesen Gründen ab, stimmt jenem von Simone Abt aber zu.
Ruedi Brassel findet, Ivo Corvini sei vielleicht nicht pingelig, aber sicher höchst unflexibel und erwarte deshalb von allen anderen Ratsmitgliedern die genau gleiche Inflexibilität. Im Landratsdekret steht, dass man während der Beratung den Wortlaut eines Vorstosses ändern oder eine Motion in ein Postulat umwandeln könne. Das «oder» ist dabei natürlich nicht alternativ gemeint; man kann also auch eine Motion in ein Postulat umwandeln und dabei den Antragstext ändern. So wird es auch regelmässig praktiziert; alles andere wäre eine absolut blödsinnige Spitzfindigkeit.
Remo Franz erklärt noch einmal, Baubewilligungen würden heute erteilt mit der Auflage, dass Baumaschinen mit Partikelfilter eingesetzt werden. Hält man sich nicht daran, wird man im Wiederholungsfall gebüsst. Dies gilt für private Aufträge. Schreibt die öffentliche Hand einen Bauauftrag aus, dürfen nur Maschinen mit Partikelfilter eingesetzt werden.
Firmen, die nicht genügend Kapital haben für die Umrüstung ihrer Maschinen, sind künftig nicht mehr in der Lage, für die öffentliche Hand Arbeiten auszuführen, selbst wenn sie über das entsprechende Know-how verfügen.
Dies wirkt sich letztlich auch auf die Arbeitsplätze aus.
Landratspräsident Eric Nussbaumer schreitet zur Abstimmung über den inzwischen in ein Postulat umgewandelten Vorstoss mit folgendem neuem Text im zweitletzten Abschnitt:
Mit den bisherigen Massnahmen können die Grenzwerte der Feinstaubbelastung nicht eingehalten werden. Ich bitte den Regierungsrat, wirksame Massnahmen festzulegen, um die lokale Feinpartikel-Belastung in unserem Kanton umgehend zu reduzieren, damit die Grenzwerte der Luftreinhalteverordnung eingehalten werden.
://: Der textlich modifizierte Vorstoss 2005/226 von Jürg Wiedemann wird als Postulat mit 40:37 Stimmen bei vier Enthaltungen überwiesen.
Hanspeter Ryser erklärt, die SVP-Fraktion lehne auch das Postulat von Simone Abt ab, weil sie kurzfristige Massnahmen für nicht sinnvoll halte.
://: Das Postulat 2006/051 von Simone Abt wird mit 60:22 Stimmen bei einer Enthaltung überwiesen.
Für das Protokoll:
Alex Klee-Bölckow, Landeskanzlei
Fortsetzung