Protokoll der Landratssitzung vom 16. November 2006
Protokoll der Landratssitzung vom 16. November 2006 |
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2005-280
vom 27. Oktober 2005
Postulat
der SVP-Fraktion: Drittes Geleise im Ergolztal
- Behandlung im Parlament am: 6. April 2006 <
abgesetzt
>
Beschluss des Landrats am 16. November 2006: < überwiesen >
Nr. 2109
Die Regierung lehne das Postulat ab, erklärt Landratspräsidentin Elisabeth Schneider (CVP).
Regierungsrätin Elsbeth Schneider (CVP) teilt mit, es gebe schwerwiegende Gründe für die Ablehnung dieses Postulats. Der offene viergleisige Ausbau zwischen Liestal und Sissach war zusammen mit dem zwölf Kilometer langen Wisenbergtunnel von Sissach nach Olten Bestandteil des ursprünglichen Projekts «Neue Haupttransversalen» (NHT) des Programms «Bahn 2000». Gegen diesen Streckenausbau und die damit verbundenen negativen Auswirkungen auf die Umwelt haben sich damals die betroffenen Gemeinden des Ergolztals gemeinsam mit dem Kanton erfolgreich gewehrt. Die Kehrseite ist nun, dass heute die nötigen Schienenkapazitäten fehlen, weshalb der Kanton weiterhin für den Wisenbergtunnel kämpft.
Mit einer offenen Linienführung, aber ohne Wisenberg bekäme das Baselbiet eine weitaus schlechtere Lösung, als es das offizielle, von Kanton und Gemeinden vor 15 Jahren vehement bekämpfte SBB-Projekt gewesen wäre. Wenn nun ein drittes und viertes Gleis gefordert werden, entspricht dies nicht dem Willen der Bevölkerung.
Ein Einbezug der Linie Sissach-Läufelfingen-Olten in ein durchgehendes Drei-Gleise-System zur Juraquerung bringt für den Bahnbetrieb kaum Vorteile. Denn für den Güterverkehr ist die Obere Hauensteinlinie zu steil, und im Personenverkehr dauert die Fahrzeit ca. fünf Minuten länger als via Unteren Hauenstein - das ist also, zumindest für den Fernverkehr - keine attraktive Alternative.
Die vom Kanton Basel-Landschaft und den SBB im Jahr 2003 gemeinsam durchgeführte Studie zur Linienführung im Ergolztal hat klar ergeben, dass ein langer Wisenbergtunnel Liestal-Olten nicht nur wesentliche Vorteile für die Umwelt brächte, sondern gesamthaft betrachtet für Bund und SBB sogar günstiger wäre und auch in der betroffenen Region auf weitgehende Akzeptanz stossen würde. Deshalb ist der Regierungsrat überzeugt, dass der lange Wisenbergtunnel zur Bewältigung eines attraktiven Personenverkehrs und zur Umsetzung der schweizerischen Verkehrspolitik «Güter auf die Bahn!» unbedingt benötigt wird.
Das Bundesamt für Verkehr und die SBB haben unter dem Titel «Zukünftige Entwicklung der Bahn-Grossprojekte» (ZEB) eine Auslegeordnung mit Vorschlägen unterbreitet, wie und wo die noch nicht verbauten FinÖV-Mittel eingesetzt werden könnten. Die Vernehmlassung zu den Vorschlägen des entsprechenden Botschafts-Entwurfs ist noch für die zweite Hälfte 2006 angekündigt. Dennoch sind bereits am 7. April 2006 erste Ergebnisse kommuniziert worden: Die Planungsgruppe des Bundesamts für Verkehr und die SBB haben bestimmt, dass der Ausbau dort erfolgen soll, wo das Marktpotenzial und die Kapazitätsengpässe am grössten sind und wo mit einer möglichst kleinen Investition der grösstmögliche Nutzen erreicht werden kann. Wegen der knappen Finanzmittel soll im Rahmen von ZEB auf Grossprojekte verzichtet werden. Der Regierungsrat hat beschlossen, diesen Entscheid nicht kampflos hinzunehmen. Gemeinsam mit Basel-Stadt arbeitet er deshalb an einer Vorlage zu einer Standesinitiative «für die Aufhebung des Planungsstopps bei der Bahn 2000, 2. Etappe, dritter Juradurchstich Wisenberg». Auslöser dazu war die Motion 2004/139 der FDP-Fraktion, die am 14. Oktober 2004 überwiesen worden war.
Vor diesem Hintergrund wäre der Zeitpunkt für die Planung eines dritten Gleises, wie es das Postulat verlangt, denkbar ungünstig und würde falsche Signale setzen. Für eine umfassende Lösung der Verkehrsproblematik im Ergolztal muss der Wisenbergtunnel im Zentrum stehen, und dafür muss man sich weiter einsetzen. «Nit luggloh gwünnt!»
Peter Holinger (SVP) betont, er habe schon vor etwa zehn Jahren mit einem Postulat eine zweite Spur auf der Rheinstrasse zwischen Kittler und Hülften angeregt. Das Postulat ist damals abgelehnt worden. Vor rund zwei Jahren ist nun diese Spur gebaut worden, und der Verkehrsfluss - zumindest in Richtung Basel - hat sich massiv verbessert. Ökologie und Ökonomie hätte man also schon acht Jahre früher verbessern könnnen. Nach vierzig Jahren Diskussion wird die H2 jetzt endlich gebaut, aber es dauert noch weitere ca. sieben Jahre bis zur Eröffnung.
Genau gleich verhält es sich auch beim Schienenverkehr im Ergolztal. Die Kapazität ist ausgeschöpft, und der Wisenbergtunnel kommt - wenn überhaupt - erst in 25 bis 30 Jahren. Für die Zeit davor herrscht Handlungsbedarf. So soll beispielsweise der Viertelstundentakt eingeführt werden, was aber in der Praxis kaum möglich ist. Von Basel bis Pratteln führen sehr viele Gleise, von der Lachmatt bis Liestal deren vier (je zwei auf der Stammlinie und durch den Adlertunnel), durch Liestal hindurch führen drei Gleise, von Liestal nach Lausen nur deren zwei, in Lausen bauen die SBB demnächst das dritte Gleis, aber von dort bis nach Sissach gibt es nur zwei, von dort aus weiter wieder drei Gleise (zwei durch den Basistunnel und eines über Läufelfingen und durch den Scheiteltunnel).
Der Wisenbergtunnel wird kaum ohne geologische Probleme gebaut werden können, und es ist mit Kosten von rund CHF 2 Mrd. zu rechnen.
Die Schweizer Delegation des Oberrheinrates hat eine Resolution für den Bau des Wisenbergtunnels eingebracht. Die entsprechenden vorbereitenden Sitzungen hat Peter Holinger selbst in Dornach und Aarau geleitet. Aber ganz pragmatisch muss man feststellen, dass es noch sehr, sehr lange geht bis zu einer Eröffnung des Wisenbergtunnels. Als kostengünstige Übergangslösung sollte das dritte Gleis im Ergolztal gebaut werden.
Das Postulat ist mit dem Entscheid der SBB, den Wisenbergtunnel nicht bauen zu wollen, aktueller denn je geworden. Am 6. April 2006 wurde es noch kurzfristig von der Traktandenliste abgesetzt, weil kurz danach der ZEB-Entscheid gefällt werden sollte. Nun ist dieser Entscheid bekannt, und das Postulat sollte jetzt überwiesen werden. Damit würde ein pragmatisches Zeichen gesetzt, dass die aktuellen Probleme des überlasteten ÖV kurzfristig gelöst werden sollen.
Die SP-Fraktion lehne das Postulat ab, erklärt Martin Rüegg (SP) - nicht weil sie gegen den ÖV ist, sondern weil sie den Zeitpunkt als ungünstig einschätzt. Es ist schade, dass Peter Holinger nicht nochmals den Mut hatte, die Behandlung ein weiteres Mal zu sistieren. Man hätte über das Postulat erst Ende 2007, falls dann der Wisenbergtunnel endgültig gestorben sein sollte, befinden sollen. Nun aber muss man weiterhin daran glauben, dass es für den Wisenberg noch eine Chance gibt, und sei sie noch so klein.
Die Verlagerungspolitik und die europäische Flachbahn durch die Alpen sind auf den Wisenbergtunnel angewiesen. Es braucht zwei weitere Gleise und nicht nur eines. Der Wisenbergtunnel ist noch nicht definitiv abgeschrieben. Noch kann er in das ZEB-Programm aufgenommen werden. Es stehen CHF 5,4 Mrd. zur Verfügung, mit Erweiterungsoption auf CHF 7 Mrd. Genau dies ist die Chance, die es zu ergreifen gilt.
Das Wisenberg-Projekt ist ausgearbeitet. Der Zeitpunkt der Realisierung eines dritten Gleises hingegen ist völlig ungewiss. Der Widerstand im Tal dürfte gross sein - also könnte es durchaus weitere 25 Jahre dauern, bis die Arbeiten abgeschlossen werden können.
Den Wisenbergtunnel braucht es auch, damit der Adlertunnel Sinn ergibt. Der Adlertunnel ist ein Zubringer zum Wisenberg. Die CHF 400 Mio., die er gekostet hat, wären eine teure, nutzlose Investition, wenn der Wisenbergtunnel nicht realisiert würde.
Ein drittes Gleis würde ohne Wisenbergtunnel mit Sicherheit auch mehr Güterverkehr und somit mehr Lärm ins Ergolztal bringen. Das wünscht sich niemand.
Nur lange Strecken sind rentabel für den Güterverkehr. Die Region Basel mit dem Flaschenhals Juradurchstich liegt mitten in Europa, und irgendwann werden auch Bundesbern und andere Kantone den Nutzen davon sehen, dass der Verkehr möglichst effizient über diese Hauptachse fliesst statt beispielsweise über den Bözberg.
Dieter Schenk (FDP) hält fest, ein drittes Gleis im Ergolztal wäre kein Ersatz für den Wisenbergtunnel, sondern es wäre ein teures Provisorium, das vermutlich letztlich zum Tod des Wisenbergtunnels führen würde.
Mit dem dritten Gleis sollte eine Kapazitätserweiterung für den Regionalverkehr erreicht werden - ob das gelingt, ist sehr fraglich. Der Wisenbergtunnel dagegen hätte eine ganz andere Aufgabe: Er müsste die internationalen Vereinbarungen, die der Bund abgeschlossen hat, gewährleisten, nämlich den Hochgeschwindigkeitsverkehr Nord-Süd, vor allem aber auch den Güterverkehr aufzunehmen.
In den Doppelspurausbau der Strecke Karlsruhe-Basel steckt die deutsche Regierung jetzt 4 Mrd., und 2007 wird der Lötschbergtunnel eröffnet. Dies wird zurecht zu einem grossen Druck führen, mehr Güter auf die Schiene zu bringen.
Ein drittes Gleis ist nicht rasch realisierbar. Es bräuchte zuerst ein Projekt, dann ein Plangenehmigungsverfahren und zuletzt die Bauausführung. Dafür müsste vieles von dem, was gerade eben neu gebaut wurde, wieder abgerissen werden (Stichworte: Bahnhöfe Sissach, Lausen, Itingen, Eisenbahnbrücke über die Frenke usw.). Im Liestaler Burg-Einschnitt dürfte es auch nicht sehr einfach werden, ein zusätzliches Gleis unterzubringen.
Sinnvollerweise müsste die heute bestehende Infrastruktur für eine Leistungssteigerung bereitgemacht werden, z.B. mit einem doppelten Spurwechsel bei der Aus- und Einfahrt der Bahnhöfe und mit einer betrieblichen Organisation, die eine Zugfolge im Zwei-Minuten-Intervall erlaubt. Leider geschieht nun gerade das Falsche: Die SBB bauen nur auf der einen Seite der Bahnhöfe Weichen ein, die erst noch nur mit 60 km/h befahren werden können. Vermutlich sind es jene Weichen, die dem Zürcher S-Bahn-Netz entnommen werden, damit dort künftig die Weichen mit 90 km/h passiert werden können. Auch am Bözberg werden die 60-er Weichen durch 90-er ersetzt.
Das Postulat führt zu einer Verzettelung der Kräfte. Es bleibt nur noch wenig Zeit, für den Wisenberg zu kämpfen.
In einem Schreiben des Bundesamtes für Verkehr an die kantonalen ÖV-Direktionen ist der Fahrplan aufgezeigt worden: Der Bundesbeschluss über die zukünftige Ent-wicklung der Bahninfrastruktur soll im ersten Quartal 2007 in die Vernehmlassung geschickt werden. Kantone, Grossunternehmen, politische Parteien etc. haben dann die Möglichkeit, sich zu Wort zu melden. Darauf müssen sich die Baselbieter Kräfte konzentrieren und zusammen mit der ganzen Region für den Wisenbergtunnel kämpfen. So lange sollte man das Postulat schlicht vergessen.
Gerade weil der Bahnverkehr in nächster Zeit noch stärker zunehmen werde und es noch lange daure bis zum Bau des Wisenbergtunnels, hält es Elisabeth Augstburger (EVP) für wichtig, auch kurz- und mittelfristig zu planen und ein drittes Gleis im Ergolztal zu prüfen - insbesondere im Hinblick auf den Viertelstundentakt. Die CVP/EVP-Fraktion ist für die Überweisung des Postulats, betont aber, dass sie nach wie vor hinter dem Wisenbergtunnel stehe. Es geht um eine möglichst rasche Verkehrsentlastung; man kann nicht einfach zwanzig Jahre oder länger warten.
Isaac Reber (Grüne) gibt bekannt, auch die grüne Fraktion unterstütze den Vorstoss - und zwar unabhängig von der Frage des Wisenbergtunnels. Zur Bewältigung des Agglomerations-, sprich des S-Bahn-Verkehrs braucht es in der Region die nötigen Kapazitäten. Es kann nicht 25 Jahre lang gewartet werden, bis allenfalls der Wisenbergtunnel eröffnet wird. Bis dann ist der Agglomerationsverkehr kollabiert.
Das dritte Gleis ist nicht dasselbe wie ein drittes und viertes Gleis, und es ist auch nicht von einem Tunnel die Rede. Durch grössere Ortschaften ist das dritte Gleis bereits realisiert.
Der Kanton muss alle Optionen prüfen, und er muss aufhören, nur Infrastruktur wie Tunnel, Weichen oder Gleise zu bestellen. Der Kanton muss vielmehr bei den SBB bestimmte Leistungen bestellen: etwa den Viertelstundentakt in den Haupttälern, so schnell wie möglich. Die SBB müssen dann dafür sorgen, dass dies sofort umgesetzt wird.
Das Verhalten der Postulatsgegner, insbesondere der SP, ist unverständlich und sorgt für Kopfzerbrechen. Eben haben alle noch die Einbindung der S9 ins übrige Netz gefordert. Aber es ist allen bewusst, dass ohne Kapazitätserhöhung in diesem Netz auch keine solche Einbindung möglich ist.
Die Abstimmung über das Postulat ist auf keinen Fall ein Plebiszit pro oder contra Wisenbergtunnel. Aber es ist wichtig, den Regionalverkehr auf jegliche Weise zu unterstützen.
Philipp Schoch (Grüne) bemerkt, schon mehrfach sei der Kanton Zürich erwähnt worden. Das Problem der Region Basel besteht darin, dass hier sehr kleinräumig gedacht und gehandelt wird. Vier Parlamente und vier Regierungen handelt unkoordiniert, statt den SBB einen gemeinsamen Masterplan auf den Tisch zu knallen. Zürich dagegen tut dies, sagt genau, was gebraucht wird, wie viel daran gezahlt wird und bis wann es realisiert werden soll. Eine solche Haltung sollte auch die Nordwestschweiz einmal an den Tag legen. Kein drittes Gleis zu fordern, um den Wisenbergtunnel nicht zu gefährden, ist reiner «Gugus». Es braucht einen Masterplan, mit dem aufgezeigt wird, welche Infrastruktur es braucht - alles andere ist Kleinkrämerei und bringt gar nichts.
Peter Holinger (SVP) meint, das Projekt Wisenbergtunnel liege, obwohl das behauptet worden sei, absolut nicht fixfertig vor.
Rund um das Adlertunnel-Bauprojekt fragte Peter Holinger, damals Stadtrat von Liestal, immer wieder, wie es hinter Liestal weitergehe. Seit 15 Jahren hat sich nichts mehr getan.
Als er dem zuständigen Oberrheinrats-Gremium das Wisenbergtunnelprojekt vorstellte, wurde erstaunt zur Kenntnis genommen, dass dieser Tunnel 20 Kilometer lang werden solle. Nach der Eröffnung des Lötschberg- und des Gotthardtunnels, die CHF 23 Mrd. kosten, wird der Druck zunehmen.
Als der Landrat dem Bau der neuen WB-Brücke in Liestal zustimmte, wurde zugesichert, dass diese Brücke auch SBB-tauglich wäre. D.h. die Brücke wäre für ein drittes SBB-Gleis zu gebrauchen, und für die Waldenburgerbahn könnte ein neues, zusätzliches Gleis errichtet werden.
Die Verknüpfung der S3 und der S9 wäre eine pragmatische, kurzfristig realisierbare Lösung für Engpässe. Dafür ist aber ein drittes Gleis nötig. Das Postulat sendet keine falsche Signale aus. Bis zur Eröffnung des Wisenbergtunnels dauert es noch sehr lange, und schon vorher müssen die Probleme gelöst werden.
://: Das Postulat 2005/280 wird mit 44:32 Stimmen bei drei Enthaltungen überwiesen.
Für das Protokoll:
Alex Klee-Bölckow, Landeskanzlei
Fortsetzung