Protokoll der Landratssitzung vom 14. Dezember 2006

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2006-014 vom 12. Januar 2006
Postulat von Simone Abt: Gewaltprävention durch mobile Kinderarbeit
- Beschluss des Landrats am 14. Dezember 2006: < abgelehnt >



Nr. 2201

Elisabeth Schneider -Schneiter (CVP) erklärt, der Regierungsrat sei bereit zur Entgegennahme des Postulats.


Judith van der Merwe (FDP) hat einen gegenteiligen Antrag: Die FDP-Fraktion ist gegen die Überweisung des Postulats. Mobile Kinderarbeit sei eindeutig dem Aufgabenbereich der Gemeinden zuzuordnen. Eine Gemeinde kann eventuell auf dieses Mittel zurückgreifen, wenn gewisse lokale Umstände es erfordern. Mobile Kinderarbeit muss sehr flexibel und situativ gestaltet werden und ist sicher nicht flächendeckend einzuführen. Aus dem Titel des Postulats könnte abgeleitet werden, dass die mobile Kinderarbeit einen enormen Beitrag zur Gewaltprävention leisten könnte. Für die FDP-Fraktion ist dem aber nicht so. Mobile Kinderarbeit gehört für sie in die Kategorie 'nice to have', und es gebe zahlreiche griffigere Mittel für die Gewaltprävention. Die FDP-Fraktion sieht daher vor allem für den Kanton keinen Handlungsbedarf und möchte bereits in vorausschauender Weise der Regierung die Arbeit der Prüfung und Berichterstattung ersparen.


Simone Abt (SP) bittet trotz allem um Überweisung des Postulats. Sie fügt an, heute um 12 Uhr, als sie das Gebäude verliess, von einem Liestaler SVP-Stadtrat begrüsst worden zu sein. Dieser habe sie darauf hingewiesen, es sei eminent wichtig, dass Gewaltprävention, Kinderarbeit, bereits wenn irgend möglich vor dem Kindergarten stattfinde, um der Gewalt - und insbesondere sexueller Gewalt - unter Jugendlichen vorzubeugen. Es kann nicht früh genug begonnen werden. Klar muss in den Gemeinden damit angesetzt werden, ebenso wichtig ist aber eine Koordination durch den Kanton. Als potentielle Durchführungsstelle habe sie womöglich fälschlicherweise die Fachstelle für Familienfragen eingesetzt. Allerdings sei im derzeitigen Stellenbeschrieb des Kantons keine andere zu finden gewesen. Welche Stelle dies übernimmt, sei aber nicht so wichtig, viel wichtiger sei, dass der Kanton die Verantwortung zur Durchführung der Koordination übernimmt. Sie bedankt sich bei der Regierung für ihre Bereitschaft, das Postulat entgegenzunehmen und bittet den Rat, dasselbe zu tun.


Daniela Gaugler und die SVP sind einstimmig gegen die Überweisung des Postulats. Das Angebot von Freizeitaktivitäten für Kinder in städtischen Gebieten ist genügend gross, argumentiert sie. In ländlichen Gemeinden spielen die Dorfkinder noch im Wald und auf der Wiese; der Kreativität der spielenden Kinder sind so fast keine Grenzen gesetzt.


Die CVP-/EVP-Fraktion ist geteilter Meinung, erklärt Christine Gorrengourt (CVP). Bei der offenen Jugendarbeit besteht bereits ein sehr gutes Netz und man möchte nicht, dass bestehende gute Dinge verstaatlicht werden, d.h. Geld gesprochen wird für etwas, das auch sonst funktioniert. Wenn aber etwas auf kantonaler Ebene unternommen wird, so soll es analog dem Basler Konzept geschehen. Im Unterschied zur offenen Jugendarbeit müssen für die offene Arbeit mit Kindern im Kindergartenalter Plätze vorhanden sein, an die sie - in Basel ab 5 Jahren - hingehen können. Dies ist eine sehr wichtige Aufgabe. Im Kanton Baselland sind die Strukturen anders als in einer Stadt wie beispielsweise Bern oder Basel; das Ganze ist verzettelter. Es gibt aber grössere Organisationen, die sich dieser Probleme bereits annehmen. Der Teil der Fraktion, welcher sich für das Postulat ausspricht, möchte keine Konkurrenzierung der bestehenden Angebote, sondern verlangt, dass diese unterstützt werden. Dazu soll eine entsprechende Vorlage ausgearbeitet werden, welche den finanziellen und inhaltlichen Rahmen festhält.


Madeleine Göschke (Grüne) weist darauf hin, dass es sich um ein Postulat handelt, d.h. die Regierung ist gehalten, die bestehenden Angebote zu sichten, zu prüfen und dem Landrat zu berichten. Nach allem, was in den letzten Wochen schweizweit passiert ist, kann sie nicht begreifen, wie die FDP "nach Bedarf" sagen kann. Muss man denn warten, bis wieder etwas passiert, um erst zu handeln? Die heutige Gesellschaft braucht diese Art der Gewaltprävention, ist sie überzeugt. Vielleicht habe man gemeinhin zu wenig gemacht; jetzt müsse jedenfalls dringend etwas unternommen werden. Wenn die FDP von lokaler Kinderarbeit je nach Bedarf spricht, so hängt es auch jeweils von den entsprechenden Personen in den Gemeinden ab, ob überhaupt dafür Geld gesprochen wird. Und mit Freizeitangebot, entgegnet sie Daniela Gaugler, habe das Ganze schon gar nichts zu tun.


Regula Meschberger (SP) bittet den Rat dringend um Überweisung des Postulats. Es geht nicht um die Schaffung eines Freizeitangebots, sondern darum, dass man die Gewaltprävention im frühesten Kindesalter tatsächlich zum Thema macht und ernst nimmt. Auch sollen nicht bestehende gute Angebote konkurrenziert werden sondern eine kantonale Stelle soll die Verantwortung übernehmen für die Koordination und die Beratung der Gemeinden, so dass nicht jede Gemeinde das Rad neu erfinden muss. Angesichts der bereits von ihrer Vorrednerin und Simone Abt erwähnten Vorfälle und der Tatsache, dass solche wieder geschehen können, muss jemand die Verantwortung übernehmen.


Paul Rohrbach (EVP) ist einigermassen verunsichert von dem Vorstoss. Für seinen Geschmack wird momentan ein wenig zu ideologisch diskutiert. In Basel-Stadt gibt es ein gutes Präventionsnetz, weiss er, und trotzdem ist in der Zeitung zu lesen, dass die Ereignisse, wie sie im Kanton Zürich stattfanden, auch in Basel passieren könnten. Also sei die Prävention kein Allerheilmittel. Er wäre für seine Entscheidfindung dankbar um ein klärendes Wort von Seiten der Regierung, muss aber fest stellen, dass die Vertreterin der Justizdirektion auf der Regierungsbank fehlt.


Es sitzen nur die beiden Herren [RR Ballmer und Straumann] da, meint er etwas resigniert [Heiterkeit].


Thomi Jourdan (EVP) beantwortet Simone Abts Frage nach der adäquaten Stelle: Eine Stelle, die die Koordination im Kanton für generelle Jugend- oder Kinderarbeit wahrnimmt, gibt es schlicht nicht. Es gibt zwar eine Steuergruppe Baselland, in der verschiedene Direktionen involviert sind. Die Sache ist daher nicht ganz einfach, weil sowohl Justizdirektion, VSD wie auch BKSD betroffen sind. Der Kanton trifft sich diesbezüglich zwar interdirektional, die angesprochene Koordinationsstelle gibt es aber nicht.


An die Adresse der SVP stellt er klar, dass auch er für seinen Teil keine Freizeitarbeit macht; diese wird in der Regel von den Vereinen wahrgenommen. Mobile Kinder- und Jugendarbeit hat definitiv einen anderen Auftrag als Kinder zu beschäftigen. Es geht dabei um Gewalt- und Suchtprävention. Damit kann man nicht früh genug beginnen, stimmt er Simone Abt bei. Für ihn ist die Frage, wo soll die Arbeit angesiedelt werden, beim Kanton oder den Gemeinden? Wo passieren überhaupt die Engagements? Er stellt fest, dass die Gemeinden sich jeweils dort engagieren, wo es ordnungspolitisch sichtbar ist. Einfach gesagt, wenn Bierflaschen auf dem Dorfplatz liegen, muss gehandelt werden. Sei nun von Jugendgewalt die Rede, so denke man immer nur an das Sichtbare, was an sich auch schlimm ist. Allerdings übersehe man dabei in unseren Systemen, auch im Schulsystem, oft jene stillen Gewässer, die ganz unauffällig leiden.


Seiner Ansicht nach braucht es - gemäss Auftrag der Gesundheitsförderung - lokale Abklärungen in den Gemeinden, was vielerorts bereits stattgefunden habe. Nun sei aber festzustellen, dass gerade jene Gemeinden, die bereits ein sehr ausgeprägtes Angebot an offener Jugendarbeit haben, in Bezug auf eine Veränderung dieser offenen Jugendarbeit oft sehr statisch sind. Man bringt ihnen zwar ein Konzept, welches auch Veränderung zulässt, und das politisch so bejaht wird. Oft harze es dann aber bei der Umsetzung, da einige lokale Players ihre eigenen Pfründe nicht verändern wollen. Wieviel schwieriger wird das Ganze nun erst, gibt Thomi Jourdan zu bedenken, wenn alles vom Kanton aus gesteuert werden soll. Letztlich findet er, sollte in den Gemeinden Druck gemacht werden. Das sehe man auch in der Schulsozialarbeit. Dort konnte nun ein Standard definiert werden. Wer sich ein wenig in den Schulen umhorcht, wird feststellen, dass es in gewissen Schulkreisen fast zu viel davon gibt; dort muss man die Schulsozialarbeit fast ein wenig erfinden, damit sie genügend zu tun hat...


[laute Unmutsbekundungen auf der linken Ratsseite. Die Landratspräsidentin bittet mit der Glocke um Ruhe]


..., während in anderen Schulkreisen der kantonale Standard bei Weitem nicht reicht und etwa verfünffacht werden müsste. Dies zeigt ihm einmal mehr, dass das Problem auf kommunaler Ebene gelöst werden muss. Letztlich könne nämlich eine lokal adäquate Lösung auch einmal bedeuten, dass es in einer Gemeinde im jetzigen Zeitpunkt nicht notwendig ist, mobile oder nicht-mobile Kinder- und Jugendarbeit zu machen. Es muss nicht immer Geld ausgegeben werden.


Hanni Huggel (SP) macht geltend, dass die Kinder heute zu wenig Raum haben, um sich so zu entfalten wie dies früher der Fall war. Diesbezüglich muss ein wenig nachgeholfen werden; der Kanton soll aktiv werden. Nach wie vor ist sie der Auffassung, dass die Arbeit mit den Kindern der Familienberatungsstelle zuzuordnen ist. Der Kanton soll die bestehenden Angebote in den Gemeinden prüfen und evaluieren, was gemacht werden könnte. Als Präsidentin eines offenen Kindertreffpunkts kann sie garantieren, dass die Kinder, die dort verkehren, nicht gewalttätig werden, denn im Treffpunkt können entstehende Probleme frühzeitig aufgefangen werden - und es handelt sich nicht um einfache und brave Kinder, fügt sie an. Sie bittet sehr um Unterstützung des Postulats.


Landratspräsidentin Elisabeth Schneider -Schneiter (CVP) macht darauf aufmerksam, dass noch 5 Redner gemeldet sind. Man wollte rechtzeitig beenden. Es steht auch ein kleines Orchester bereit...


Peter Holinger (SVP) hält sich kurz und stellt klar, dass die SVP keinen Liestaler Stadtrat mehr hat, er selbst war der zweitletzte. Er wüsste gern, mit wem Simone Abt (SP) gesprochen hat.


Christine Gorrengourt (CVP) hat auch schon in der offenen Kinderarbeit mitgewirkt. Sie hält fest, dass dort vor allem Kinder, die zu Hause zu wenig Bewegung haben, eine Anlaufstelle finden. Am besten sei eine Kombination mit Mittagstisch, wie es auch im Bildungsgesetz vorgesehen ist. In einer kantonalen Koordinationsarbeit sieht sie durchaus Möglichkeiten; es soll Vorhandenes unterstützt und dort geholfen werden, wo etwas auf die Beine gestellt werden muss.


Christine Mangold (FDP) muss sich angesichts des Postulatstextes ernsthaft fragen, wo die heutige Gesellschaft angelangt ist und meint, der hier zum Ausdruck kommende Glaube, dass irgend eine kantonale Stelle die diskutierten Probleme auffangen könne, sei an Blauäugigkeit schon fast nicht mehr zu übertreffen. Sie zitiert: «Die mobile (auch: aufsuchende) Kinderarbeit bietet vielfältige begleitete Freizeitangebote für alle Altersstufen an, von der Spielgruppe für Kleinkinder...»


[Einwurf Rudolf Keller: Da seid Ihr auch mitschuldig!]


Christine Mangold (FDP) fährt fort, wolle man etwas bewegen, so müsse weiter unten angesetzt werden. Mit einer kantonalen Fachstelle, die in die 86 Gemeinden geht und mit den Kindern spielt, sei es nicht getan. Genügend Raum zum Spielen für die Kinder gebe es immer noch, nur sei heute die Toleranz der Erwachsenen in Bezug auf den Lärm weniger gross. Pausenplätze und Wälder gebe es nach wie vor. Nur kämpfe sie heute darum, dass die Kinder nach der Schule auf den Pausenplätzen überhaupt spielen dürfen, da die Anwohner sich - auf dem Liegestuhl im Garten sitzend - dadurch gestört fühlten.


Sie appelliert an ihre Ratskolleginnen und Kollegen, wo nötig, in ihren eigenen Gemeinden dafür einzustehen, dass etwas unternommen wird und dort ihr "flammendes Votum" abzugeben. Präventionsprojekte für Kindergartenschülerinnen und -schüler gehören ihres Erachtens auf Gemeindeebene, müssen vom Gemeinderat ausgehen und von der Bevölkerung unterstützt werden; sie können nicht vom Kanton für alle Gemeinden verordnet werden.


Sie erinnert daran, dass aus einer Kinderschutzgruppe, die in Gelterkinden lanciert wurde, vor nicht allzu langer Zeit die Fachstelle für Kinder- und Jugendschutz hervorging. Diese ist in den Gemeinden unterwegs und hat vor Kurzem eine grosse Aktion zum Thema sexueller Missbrauch gestartet. Es stand allen Gemeinden frei, das Projekt in ihren Schulen aufzunehmen. Mithilfe dieser Fachstelle könne gewiss einiges realisiert werden. Mit den Postulatsforderungen kann ihres Erachtens dem wichtigen Anliegen der Gewaltprävention nicht Rechnung getragen werden.


Eva Chappuis (SP) hat sich bereits mehrmals auf der Rednerliste an- und wieder abgemeldet... Sie gibt zu, dass sie persönlich das Postulat anders formuliert hätte und entschuldigt sich dafür bei Simone Abt. Es kann nicht darum gehen, dass der Kanton nun ein Team für mobile Kinderarbeit auf die Beine stellt und dieses von Spielplatz zu Spielplatz schickt. Ganz klar gebe es ein grosses Angebot für Kinder im Kanton, angefangen im Säuglingsalter bis hin zur Schule. Das grosse Angebot für Vorschulkinder beruht zu einem Hauptteil auf Freiwilligenarbeit mit zum Teil miserabler Entschädigung. Es gibt Spielgruppen, Robi-Plätze, Spielnachmittage, Kontaktgruppen, MuKi-Turnen etc. Alle kämpfen mit denselben Problemen. Es kann nun nicht sein, dass sich alle die ehrenamtlichen Freiwilligen selbst noch Konzepte erarbeiten, sondern sie müssen ein kantonales Präventionskonzept abrufen und in ihren Einrichtungen umsetzen können. Darum geht es in erster Linie. Sie appelliert an ihre Ratskolleginnnen und -kollegen, dem offen formulierten Postulat zuzustimmen.


Regierungsrat Adrian Ballmer (FDP) bittet, das Ganze ein wenig 'tiefer zu hängen'. Zuständig ist der Finanzdirektor, da die Familienfachstelle als Querschnittfunktion in seiner Direktion angesiedelt ist. Man ist bereit zu prüfen und zu berichten. Es wird also eine Anamnese gemacht und versucht werden, den etwas irreführenden Titel zu interpretieren. Auch er habe beim erstmaligen Lesen des Titels gestutzt und bei sich gedacht: Kinderarbeit ist verboten, was soll das eigentlich? - Man wird untersuchen, was es schon alles gibt, wo die Probleme liegen und was allenfalls verbessert werden kann. Es ist nicht geplant, bereits etwas umzusetzen oder zu realisieren. Als Erstes wird analysiert und geprüft. As überzeugter Anhänger von Subsidiarität wird Adrian Ballmer mit Sicherheit nicht gleich irgend ein Amt gründen, welches anschliessend im ganzen Kanton für mobile Kinderarbeit zuständig ist. Er stellt es dem Rat frei, das Postulat zu überweisen oder auch nicht.


://: Der Landrat lehnt das Postulat 2006/014 mit 45 Nein-Stimmen zu 39 Ja-Stimmen ohne Enthaltung ab.


Für das Protokoll:
Brigitta Laube, Landeskanzlei



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