Protokoll der Landratssitzung vom 1. Februar 2007
Protokoll der Landratssitzung vom 1. Februar 2007 |
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2006-062
vom 23. Februar 2006
Motion
der CVP/EVP-Fraktion: Solidarität zwischen allen Gemeinden bei den Sozialhilfekosten Kanton
- Beschluss des Landrats am 1. Februar 2007 < abgelehnt >
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2006-208
vom 7. September 2006
Postulat
von Simone Abt, SP: Solidarität zwischen den Gemeinden bei den Sozialkosten Kanton
- Beschluss des Landrats am 1. Februar 2007 < überwiesen >
Nr. 2254 und 2255
RR Adrian Ballmer (FDP) bezieht in seinen Ausführungen auch das folgende Postulat Solidarität zwischen den Gemeinden bei den Sozialkosten (SP) mit ein, das die Regierung entgegen zu nehmen bereit ist, während sie die Motion der CVP/EVP-Fraktion ablehnt.
Der heute im Baselbiet geltende Finanzausgleich garantiert relativ geringe Steuerbelastungsunterschiede. Kürzlich sprach im Radio irgend eine Journalistin von wahnsinnigen Steuerunterschieden zwischen den Gemeinden. Tatsache ist, dass die Steuern zwischen etwa 145 und 170 Prozent schwanken; im interkantonalen Vergleich bedeutet dies sehr geringe Unterschiede. In anderen Kantonen sind Unterschiede bis 1 zu 4 festzustellen.
Die Ausgestaltung des Finanzausgleichs und der Subventionen sind mit den Nachbarkantonen nicht zu vergleichen. Zurzeit ist eine Arbeitsgruppe dabei, zusammen mit den Gemeinden den Finanzausgleich zu überprüfen. Unter anderem ist im Gespräch, ob der Sozialindex modifiziert werden sollte.
Die Motion setzt negative Anreize. Auch die Sozialhilfekosten können sehr markant beeinflusst werden, sie sind nicht gottgegeben. Kann die Dauer der Sozialhilfe verkürzt werden, so sinken auch die Kosten. Ein Blick auf die Sozialhilfestatistik zeigt bezüglich der Gemeinden ganz erhebliche Unterschiede in der Dauer von Sozialhilfebezügen. Die Sozialisierung über sämtliche Gemeinden wäre ein ganz falscher Anreiz.
Die finanziellen Auswirkungen einer sogenannten Solidarisierung wären beträchtlich und führten zu einer eigentlichen Entsolidarisierung. Sechs der finanzstärksten Gemeinden des Bezirks Arlesheim würden von einer derartigen Regelung mit 1,9 Millionen Franken profitieren. Die oberen Bezirke würden mit einer Million zusätzlich belastet, Sissach mit 2,3 Millionen Franken mehr, der Bezirk Waldenburg mit 0,8 Millionen Franken mehr. Solche Auswirkungen dürfen nicht als solidarisch bezeichnet werden. Stark profitierten vom Vorschlag der Bezirk Liestal mit 3,6 Millionen Franken, bezahlt von den oberen Bezirken und von Laufen.
Die Regierung ist zur Übernahme des Postulates bereit, um gemeinsam mit den Gemeinden über eine Verfeinerung des Sozialindexes nachzudenken.
Rita Bachmann -Scherer (CVP) hat zum Anliegen, das zur Diskussion steht, vielfältige Post erhalten, so von den Gemeinden Liestal und Pratteln. Dazu auch ein Schreiben vom 25. April 2006 der Präsidentin des Verbands für Sozialhilfe, VSO, das von Sozialhilfepräsidenten aus zehn verschiedenen Ortschaften mitunterzeichnet wurde. Interessanterweise handelt es sich einerseits um kleinere Gemeinden wie Duggingen oder Röschenz und andererseits um Gemeinden mit gutem bis sehr gutem Steuersubstrat. Das Sozialhilfegesetz aus dem Jahre 2002 konnte nicht verhindern, dass die Kostenbelastung einzelner grösserer Gemeinden wie Pratteln, Liestal, Allschwil und Birsfelden, wo die Sozialhilfeempfänger eine gewisse Anonymität geniessen, grösser und sehr belastend wurde. Auch Muttenz verzeichnet im Jahre 2005 eine Mehrbelastung an Sozialhilfekosten von 900'000 Franken.
Die Argumentation des VSO ist zu einseitig. Gute Beratung der SozialhilfebezügerInnen, gute Kontrollmechanismen und aus Personalgründen verpasste Einforderung von Leistungen Dritter können die Mehrbelastung einzelner Gemeinden nicht verhindern. Gründe sind die Anonymität einer Zentrumsgemeinde oder das Vorhandensein billigen Wohnraums, beispielsweise in der "Längi". Die CVP/EVP-Fraktion nimmt nach den Ausführungen von Regierungsrat Adrian Ballmer zur Kenntnis, dass eine Lösung, wie sie die Kantone Solothurn, Aargau und Bern kennen, hier im Baselbiet keine Mehrheit finden wird. Rita Bachmann bleibt aber bei der Auffassung, dass für die erwähnten Gemeinden eine starke Belastung bestehen bliebe, auch wenn sie alle Optimierungsmöglichkeiten ausschöpfen würden.
Aufgrund dieser Ausgangslage sollte der Sozialindex, wie vom Finanzdirektor bereits angesprochen, künftig stärker gewichtet werden. § 9 des Finanzausgleichsgesetzes bestimmt dazu:
Der Regierungsrat untersucht zusammen mit den Gemeinden alle drei Jahre die Auswirkungen neuer Verfassungs-, Gesetzes und Verordnungsbestimmungen von Bund und Kanton auf die Finanzen von Kanton und Gemeinden.
Diese Untersuchung hätte bereits im Jahre 2006 vorgenommen werden müssen. Auch die Vertreter all jener Gemeinden, die heute überproportional hohe Sozialhilfekosten tragen, müssten in diese Gespräche eingebunden werden. Die Forderung der CVP/EVP erweist sich als beinahe identisch mit dem nachfolgenden Postulat, das die Regierung entgegennehmen will. Erstaunlich, dass die Regierung das Postulat entgegennehmen, die offene Formulierung der CVP/EVP dagegen ablehnt. Einverstanden ist die CVP/EVP-Fraktion mit der Umwandlung der Motion in ein Postulat.
Simone Abt (SP) hält das Anliegen der CVP/EVP-Fraktion für gerechtfertigt. Nach der Diskussion der Motion formulierte die SP-Fraktion das Postulat als Alternative. Der Grund dieses Vorgehens liegt in einer ähnlichen Lagebeurteilung, wie sie eben auch Regierungsrat Adrian Ballmer vorgetragen hat. Auch der SP erschien die Offenheit der Motion zu wenig klar.
Die SP verfolgt das Ziel, die Sozialhilfe im gesamten Kanton professionell zu handhaben. Die Fraktion ist der Meinung, dass ein Sozialhilfepool, wie er im Kanton Solothurn existiert, nicht der richtige Weg sein kann. Dieser Weg würde nämlich den gesamten, aktuell bestehenden Finanzausgleich aushebeln. Wird ein Pool geäufnet, stellt sich stets auch die Frage der Kontrolle, man muss bestimmen, wie das Geld ausgegeben wird, wer die Aufsicht ausübt, und ob die Gemeinden eine gemeinsame Strategie entwickeln sollen. Die Gemeinden arbeiten gut in ihrer Autonomie, ein Pool würde dagegen eher negative Anreize schaffen, zumal in den kleinen Gemeinden, wo die Sozialhilfe noch nicht professionalisiert ist.
Die SP schlägt mit ihrem Postulat eine einfache Lösung vor. Der bisherige ungebundene Finanzausgleich wird angepasst, eine Lösung, die bereits im Gange ist. Die Gemeinden kontrollieren ihre Kosten und sind auch dazu motiviert, sie zu optimieren, müssen aber nicht auf gute Lösungen verzichten, weil die Sozialhilfekosten in den ungebundenen Finanzausgleich einfliessen.
Der Landrat möge das SP-Postulat überweisen. Die Motion der CVP/EVP würde die SP auch in der Form eines Postulates ablehnen.
Myrta Stohler (SVP) lehnt die Motion der CVP/EVP-Fraktion ab. Ein Pool löst das Problem nicht, sondern verschiebt es nur. Wenn das Finanzausgleichsgesetz von der Arbeitsgruppe überprüft wird, kann sie dem Anliegen mit vernünftigen Lösungen gerecht werden.
Marianne Hollinger (FDP) hält das Ziel für richtig, den eingeschlagenen Weg aber für falsch, weshalb die FDP-Fraktion den Vorstoss sowohl als Motion als auch in der Form eines Postulates ablehnt. Auf den ersten Blick sieht der Vorschlag, vor allem aus der Sicht schwächerer Gemeinden, verlockend aus. Auf den zweiten Blick aber erkennt man, dass die Kosten mit Sicherheit ansteigen würden, weil, wie gehört, die positiven Anreize zum effizienten und kostengünstigen Arbeiten weitestgehend wegfielen. Selbstverständlich bleibt man mit der Ausrichtung von Unterstützungsleistungen an das Gesetz gebunden und die Kosten können durch enges Betreuen der Sozialfälle, und durch das Hereinholen aller Rückerstattungen kontrolliert werden. Auch Angebote freiwilliger Initiativen der gemeindeeigenen Sozialdienste für die Wiedereingliederung für junge und jüngere ausgesteuerte Arbeitslose können ermöglicht werden. Das Postulat soll überwiesen werden, um über den Finanzausgleich eine Lösung anzustreben. Auch über einen horizontalen Finanzausgleich unter den Gemeinden könnte man im Rahmen der Gespräche nachdenken, allerdings müsste dieser sehr sorgfältig austariert sein und positive Anreize zum effizienten Arbeiten beinhalten.
Rudolf Keller (SD) wird umso skeptischer, je länger die Diskussion dauert. Vielleicht sollte man sich Rechenschaft darüber geben, dass die einzelnen Gemeinden die Sozialhilfefragen sehr unterschiedlich anpacken. Die einen kontrollieren ihre SozialhilfebezügerInnen relativ streng, andere setzen einen weniger strengen Massstab an. Im Rahmen einer umfassenden GPK-Prüfung der Sozialhilfe in seiner Einwohnergemeinde stellte Rudolf Keller fest, dass in den einzelnen Gemeinden mit ganz verschiedenen Ellen gemessen wird. Wer nun argumentiert, die eine Gemeinde hab nur wenige Sozialhilfebezüger und ein gutes Steuersubstrat, die andere habe sehr viele Sozialhilfebezüger, und man könne die Sache einfach nivellieren, macht es sich allzu leicht. Gewisse Grundvoraussetzungen für eine ähnliche oder gleiche Handhabung des Themas in den Gemeinden müssen vorhanden sein. Dies ist heute leider nicht der Fall, weshalb zumindest die Motion abgelehnt werden soll. Die Diskussion scheint Rudolf Keller insgesamt nicht ganz seriös.
Rita Bachmann -Scherer (CVP) wiederholt, der Vorstoss der CVP/EVP-Fraktion, der als Postulat überwiesen werden könnte, fordere eine Solidarisierung unter den Gemeinden, was mit einer Überarbeitung des Sozialindex' erreicht würde. Ein Unterschied zum Vorschlag der SP kann nicht ausgemacht werden.
Zum Vorwurf, positive Anreize fehlten, meint Rita Bachmann, das Sozialhilfegesetz sei klar ausformuliert, sämtliche Regelungen und Ansätze gälten für alle Gemeinden in gleicher Weise. Eine von der Sozialhilfe erlassene Verfügung wird dem kantonalen Sozialamt zugestellt, wo der Fall ein weiteres Mal überprüft wird. Von mangelnden Anreizen kann nicht die Rede sein, denn alle Gemeinden sind gleich gehalten. Warum der eine Vorstoss überwiesen, der andere aber abgelehnt werden soll, ist nicht einleuchtend, denn der Wunsch an die Regierung ist identisch. Verwehrt der Landrat die Zustimmung zum Anliegen, setzt er ein schlechtes Signal nach aussen, zumal in diese Gemeinden, die zur Zeit höhere Belastungen tragen müssen.
Einzelne Gemeinden haben erkannt, dass auch sie ihren Beitrag leisten müssen. Bekannt ist Rita Bachmann, dass Hochhausbesitzer mit dem Gemeinderat zusammengesessen sind mit der Folge, dass die Häuser saniert wurden und teilweise Eigentumswohnungen gebaut wurden, um eine Klientel mit einem anderen Steuersubstrat anzulocken. In einzelnen Gemeinden wurde überdies zusätzliches Personal eingestellt, weil bisher nicht genügend Gewicht auf Beratung und Betreuung gelegt wurde.
Elisabeth Augstburger (EVP) ergänzt die Diskussion mit dem Beispiel Liestal, wo viele Sozialhilfe empfangende Zuzüger aus anderen Nachbardörfern in den diversen Überbauungen leben, weil sie hier auf eine gewisse Anonymität zählen können. Tatsächlich gibt es ein Nachbardorf Liestals, das keinen einzigen Sozialhilfeempfänger hat. Vor diesem Hintergrund soll die Solidarität unter den Gemeinden überprüft und das Postulat der CVP/EVP-Fraktion überwiesen werden.
Eva Chappuis (SP) sieht einen wesentlichen Unterschied darin, ob der Kanton einen Lastenausgleich - hier als Solidarität bezeichnet - zwischen den Gemeinden will, dies strebt die CVP/EVP-Fraktion an, oder ob ein Finanzausgleich, ein Ausstattungsausgleich unter den einzelnen Gemeinden eingeführt wird, eine Zielrichtung, welche das SP-Postulat verfolgt. Gefährlich wäre es, das Modell zu kippen. Der Finanzausstattungsbereich kann nicht auf zwei Schienen gefahren werden, entweder funktioniert er über einen Lastenausgleich oder aber über einen Finanzausgleich.
Philipp Schoch (Grüne) stammt ebenfalls aus einer Gemeinde, die in dieser Frage dringenden Handlungsbedarf kennt. In Pratteln erweist sich die Lage wohl am krassesten, die Gemeinde wäre dringend auf Solidarität angewiesen. Nun hat der Landrat erkannt, dass etwas getan werden muss. Der Vorstoss der SP erscheint genauer und der in ein Postulat umgewandelte Vortoss der CVP/EVP-Fraktion entspricht in der neuen Form gar nicht mehr einem Postulat, weshalb nun nicht weiter darüber diskutiert werden muss.
Eva Chappuis hat wohl nicht richtig zugehört, bemerkt Rita Bachmann -Scherer (CVP). Sie habe deutlich gesagt, dass das Modell Solothurn, Aargau, Bern im Landrat chancenlos sei, dass aber genau deshalb der Sozialindex im Rahmen des Finanzausgleichs untersucht werden soll. Dies ist also eine mit der Forderung der SP identische Formulierung.
So zieht doch endlich eure Motion zurück und stimmt dem Postulat zu! Was gibt's denn da zu "stürmen"? entgegnet Eva Chappuis (SP).
://: Der Landrat lehnt die Überweisung der in ein Postulat umgewandelten Motion der CVP/EVP-Fraktion mit 64 zu 13 Stimmen bei 3 Enthaltungen ab.
://: Der Landrat überweist das Postulat von Simone Abt, SP, stillschweigend.
Für das Protokoll:
Urs Troxler, Landeskanzlei
Fortsetzung