Protokoll der Landratssitzung vom 3. November 2005
Protokoll der Landratssitzung vom 3. November 2005 |
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2005-239
vom 8. September 2005
Interpellation
SVP-Fraktion: Stopp der Verhinderungspolitik des VCS im Baselbiet
-
Schriftliche Antwort des Regierungsrates
vom
27. September 2005
- Beschluss des Landrates < erledigt >
Nr. 1449
Landratspräsident Eric Nussbaumer fragt den Interpellanten an, ob er mit der schriftlichen Antwort zufrieden ist, eine kurze Erklärung abgeben will oder die Diskussion beantragt.
Thomas de Courten verlangt die Diskussion.
Ruedi Brassel ist nicht grundsätzlich gegen eine Diskussion; diese sei aber hier bereits geführt worden. Im Rahmen der Behandlung der Motion habe Thomas de Courten bereits Stellung zur Interpellation genommen. Er ist der Meinung, es sei nun lange genug über dieselben Geschäfte debattiert worden.
://: Der Landrat bewilligt die Diskussion mit 32 : 21 Stimmen bei 5 Enthaltungen.
Thomas de Courten gibt Ruedi Brassel Recht, es sei aber nicht die ganze Wahrheit, denn man habe damals auch beschlossen, seine Interpellation an der kommenden Sitzung noch detailliert zu beraten. Er bedankt sich für die Beantwortung durch den Regierungsrat, welche er mit Interesse gelesen hat.
Der Konflikt zwischen den Bauinvestoren und dem VCS Schweiz mit seinen Mitgliedern ist auch in Pratteln offen ausgebrochen. Für die Bauwirtschaft ist dieser Umweltverband, der sich als «Verkehrsclub» für die Eindämmung des Individualverkehrs und für die Förderung des öffentlichen Verkehrs einsetzt, zu einer Art zweiter Bewilligungsinstanz geworden. Wer auf den letzten freien Flächen an der Peripherie eine Verkaufs-, Freizeit-, Büro- oder Logistikinvestition projektiert, muss eine so genannte Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) bestehen, um unnötige oder übermässige Immissionen für Mensch und Natur frühzeitig zu verhindern.
Das IKEA-Projekt in Pratteln hat diese UVP-Hürde genommen. Dagegen können die Umweltverbände mittels der gesetzlich verankerten Verbandsbeschwerderechte rekurrieren. Vor allem der VCS setze dieses Instrument für seine Interessen ein und zwinge die Investoren regelmässig, die Zahl der geplanten Parkplätze zusätzlich massiv zu reduzieren und einen kostspieligen Anschluss an das ÖV-Netz sicher zu stellen. 'Vogel friss oder stirb' heisse das VCS -Spiel; entweder der Bauherr lenkt ein und finanziert aus der eigenen Tasche zusätzliche Bus- und Tramlinien, oder der Umweltverband geht dagegen vor, nötigenfalls bis vors Bundesgericht. Entgegen den positiven Investitionsentscheiden der Unternehmen, entgegen den positiven behördlichen Prüfungen und auch unbeeindruckt von Volksentscheiden.
Mit der zwischenzeitlich bekannten Taktik werden die Bauherren häufig gleich zweimal zur Kasse gebeten. Sie verzichten einerseits auf einen Teil ihrer potenziellen Kundschaft und übernehmen andrerseits die Kosten des Verkehrsclubs, meint der Landrat. Notabene handle es sich dabei um Aufwendungen, die beim VCS anfallen, weil er gegen die Bauherrschaft eine mögliche Klage vorbereite; eine an sich einzigartige Konstellation: Der Investor investiert mit seinem eigenen Geld die Arbeiten seines schärfsten Widersachers. Schon mehrfach hätten die Unternehmen lieber gezahlt als sich durch den ganzen Instanzenweg zu bemühen. Konkret gehe es dabei durchaus auch um Beträge in fünf- bis sechsstelliger Höhe. Der VCS brüste sich dann jedesmal auch in der Öffentlichkeit mit der Aussage, man helfe den Bauherren, dass die Projekte bundesrechtskonform realisiert werden können. Dass sich Bauherren beim VCS diesen Rekursverzicht erkaufen, wurde bislang von den Umweltverbänden immer dementiert. Dass man missbräuchlich vorgehe und womöglich gegen Bezahlung auf Einsprachen verzichte, sei eine Unterstellung der Gegnerschaft und entbehre jeder sachlicher Grundlage. So habe der VCS etwa an Medienkonferenzen schon öffentlich gesagt: «Wir werden vom VCS für die geleistete Arbeit entschädigt und nicht für den Verzicht auf Klagen.»
Grund für die verfahrene Situation sei ein klassisches Dilemma: Auf der einen Seite zwingt das Umweltschutzgesetz mit seinen Immissionsgrenzwerten zu einer möglichst dezentralen Ansiedlung umweltbelastender Anlagen, andererseits sieht das Raumplanungsgesetz Freihaltezonen vor und bezweckt damit eine konzentrierte Ansiedlung von Grossbauten, welche auch Verkehr anziehen. Dank diesem Spannungsfeld können seines Erachtens die Umweltverbände das Verbandsbeschwerderecht missbrauchen, um ihnen unliebsame Bauprojekte zurecht zu stutzen. Selbstverständlich wollen die Kritisierten davon nichts wissen, meint er. Das Verbandsbeschwerderecht könne lediglich auf die Einhaltung von bestehendem Recht pochen, werde dann ausgerufen.
Die Beschwerden des VCS dienten einzig der Verzögerung und Verteuerung aller grosser Vorhaben. Es würden damit Investitionen verhindert und Arbeitsplätze vernichtet. Er führt die Beispiele Stadionbau in Zürich und IKEA in Pratteln an. Daneben gebe es weitere Beispiele wie Migros, Mediamarkt und andere Betriebe, welche gerne investieren würden. Der VCS selbst habe noch keinen einzigen Arbeitsplatz, keinen Lehrplatz und kein zusätzliches Steuersubstrat gewonnen.
Für den VCS sei auch nicht unbedingt der Wählerwille zu respektieren, fährt Thomas de Courten fort. Verletze dieser vermeintlich das Planungs- oder Baugesetz, so gelte es für den VCS, diese Volksentscheide nach seinem Gusto zu korrigieren; so passiert in den Kantonen Nid-/Obwalden, Zürich und nun auch im Kanton Baselland, wo klare Volksentscheide vorgelegen hätten. Das eigentliche Ziel, die dahinter steckende Ideologie, werde oft kaschiert und nur in internen Papieren oder Verlautbarungen kommuniziert, dort aber dann umso deutlicher.
In der 'sozialistischen' Wochenzeitung vom September dieses Jahres stehe unter dem bezeichnenden Titel Ausweitung der Kampfzone ganz klar: «Es ist an der Zeit, sich Gedanken über neue Strategien zu machen. Eine Variante wäre dabei, ein Bündnis mit den Gewerkschaften zu suchen, um Anstellungs- und Verkaufsbedingungen in Verkaufsgeschäften zu thematisieren.» Im Klartext heisse dies, das Verbandsbeschwerderecht werde zunehmend als Druckmittel gegen die Wirtschaft eingesetzt werden. Dagegen müsse etwas unternommen werden, denn in der Schweiz bestehe mittlerweile als Folge davon ein Investitionsstau in Milliardenhöhe. Allein in der Migros-Schublade schlummerten seines Wissens Projekte in Höhe von 945 Mio. Franken. Kein einziges Investitionsprogramm des Bundes hat bisher solche Dimensionen angenommen. Von Partnern der Credit Suisse, welche für das Zürcher Fussballstadion und für die Migros zusammenspannen wollten, kommen weitere 380 Mio. Franken hinzu, was ein Total von gut 1.3 Mia. Franken möglicher Investitionen ausmacht, die wegen des VCS nicht realisiert werden können.
Im Kanton Baselland bewegen sich die Zahlen in ähnlicher Grössenordnung; bereits sind es 100 Mio. Franken und 1'000 Arbeitsplätze, die verhindert werden. Dieser Entwicklung dürfe man nicht tatenlos zuschauen.
Philipp Schoch vertritt hier im Saal nicht den VCS sondern die Grüne Fraktion. Mit dem VCS sei man zu Teil in den Verhandlungen eingebunden. Bereits an der letzten Debatte sei ihm aufgefallen, dass hier viele Leute zu Wort kamen, die nicht wirklich viel von den Verhandlungen wussten, da sie nicht dabei waren. Schade findet er, dass die Baudirektorin nicht anwesend ist; denn er bezieht sich im Folgenden auf die regierungsrätlichen Antworten zur Interpellation.
Zu Frage 2:
In Pratteln wurde das Verbandsbeschwerderecht nicht missbraucht, sondern man hat lediglich die schlechten Projekte kritisiert und versucht, Verbesserungen zu erzielen. Er kann versprechen, dass man dies auch sehr schnell gemeinsam mit den Investoren schaffen wird. Man sei auf sehr gutem Weg.
Zu Frage 4:
Philipp Schoch kann der Antwort des Regierungsrates zustimmen, laut welcher dieser nicht auf der einen Seite Mediator spielen und dann im selben Fall Recht sprechen könne. Genau diese unlösbare Aufgabe habe aber gerade der Landrat dem Regierungsrat an der vorletzten Sitzung überwiesen, meint er zu Patrick Schäfli , und die Regierung habe sie angenommen. Leider sei es zu spät für diesen Schritt, da dies schon lange passiert sei, was sein Ratskollege nur leider nicht wisse.
Zu Frage 3:
Die Antwort auf diese Frage findet auch er sehr komisch, da sie nämlich in krassem Widerspruch zu dem stehe, was das Amt für Raumplanung zu den verschiedenen Projekten in Pratteln sage. In mehreren Stellungnahmen kritisiert nämlich das Amt für Raumplanung - als Abteilung der Bau- und Umweltschutzdirektion - diese Projekte ganz konkret und macht Verbesserungsvorschläge.
Weiter schreibt die Regierung, der Kanton sei ein «moderner, gesunder, vielseitiger ...» usw. Kanton; das Ganze stehe auch in den Legislaturzielen. Zualleroberst in den Legislaturzielen sei aber auch zu lesen, dass sich die Regierung der Nachhaltigkeit verschrieben habe. Die betroffenen Projekte aber seien noch nicht nachhaltig, betont er. Man versuche sie nun mit allen Mitteln nachhaltiger zu machen, so dass eventuell auch dieses Legislaturziel ein wenig näher rücken könnte.
Kaspar Birkhäuser spricht sich für den Ruf des VCS aus, besonders da er früher Vorstandsmitglied war und während zehn Jahren das Vizepräsidium für den Kanton Baselland innehatte. Erstens stellt er richtig, dass der VCS keine versteckten ideologischen Ziele hat. Im Vorstand gab es zu seiner Zeit auch bürgerliche Vertreter, fügt er an. Bringe nun Thomas de Courten ein Zitat aus der Wochenzeitung, so spiegle das noch lange nicht die Meinung des VCS wider. Der VCS ist ein Umweltschutzverband. Er setzt sich für einen umweltgerechten Verkehr ein und hat keine kommerziellen Interessen, im Unterschied eben zu den Bauherren. Er untersucht die Frage, ob die Bauvorhaben umweltkonform sind. Werfe man nun dem VCS vor, er wolle unliebsame Bauprojekte zurechtstutzen respektive sie bundesrechtskonform machen, so heisse dies eigentlich nur, dass der VCS darauf pocht, dass die Vorhaben gesetzeskonform sind, was sie ja letztlich sein sollen.
Isaac Reber ist klar der Ansicht, dass Konflikte zwischen 'Investition und Umweltschutz' nicht wegen des VCS entstehen. Die Konflikte entstehen, wenn die Politikverantwortlichen keine klaren Richtlinien festlegen. Dies drohe gerade jetzt wieder mit dem zahnlosen Richtplanentwurf, der aufgrund seiner unbestimmten Ausgestaltung jedem Konflikt aus dem Weg gehe. Letztlich wäre es aber eine zentrale Aufgabe des Richtplans, widersprüchliche Ansprüche an unseren Lebensraum zu koordinieren und klare Regelungen zu treffen, um Rechtssicherheit herzustellen. Die Vermeidung klarer Aussagen habe in diesem Kanton die bürgerliche Mehrheit zu verantworten. Es gehe so weit, dass bereits drei Vertreter der bürgerlichen Parteien die bürgerliche Vierfünftelmehrheit im Regierungsrat dazu auffordern müssten, eine wirtschaftsfreundlichere Politik zu machen. Darüber müsste man seines Erachtens auch mal nachdenken.
Stelle man aber vorne keine klaren Regelungen auf, so müsse man auch zur Kenntnis zu nehmen, dass hinten Probleme entstehen. Nicht der VCS sei der Böse. Verantwortlich seien letztlich 'die vorne'.
Patrick Schäfli verzichtet darauf, nochmals sämtliche bereits vor zwei Wochen gemachten Ausführungen gegen den seiner Ansicht nach vom VCS betriebenen Missbrauch des Verbandsbeschwerderechts zu wiederholen. Er bedauert ebenfalls, dass die Baudirektorin nicht anwesend ist, da er zur schriftlichen Regierungsantwort auf die Interpellation hätte Stellung nehmen wollen. Die FDP-Fraktion ist insbesondere über die Antwort zur Frage 2 erstaunt. - Ist die Regierung angesichts der VCS-Beschwerdeflut nicht auch der Meinung, dass hier eine Verhinderung oder zumindest Blockierung von Arbeitsplätzen und ein klarer Missbrauch des Verbandsbeschwerderechts geschieht? Er ist erstaunt, dass die Regierung auch angesichts der Fälle in Spreitenbach, Zürich und nun bei uns im Kanton, keinen Missbrauch feststellen kann. Für die FDP-Fraktion handelt es sich jedenfalls um einen Missbrauch des Verbandsbeschwerderechts.
Wisse man zudem, dass die Verkehrsplanung in Pratteln, welche vom VCS dermassen bekämpft worden sei, von einem ehemaligen Vorstandsmitglied des VCS Basel erstellt wurde, so komme man immer mehr ins Staunen. Man ist - in Antwort auf Philipp Schoch s Äusserungen bezüglich überwiesenes Postulat - klar der Meinung, dass die Regierung den Auftrag hat, sich über ihre verschiedenen Kanäle dafür einzusetzen, dass das 'unsägliche' Verbandsbeschwerderecht modifiziert wird, um die Missbrauchsmöglichkeiten zu verringern. Darum sei es unter anderem in dem vor zwei Wochen überwiesenen Vorstoss gegangen.
Kaspar Birkhäuser ist sprachlos ob der polemischen Art. Warum soll beispielsweise ein ehemaliges VCS-Vorstandsmitglied keinen Auftrag erhalten? fragt er. Es gebe X ehemalige ACS- und TCS-Vorstandsmitglieder, die Aufträge bekommen. Was daran nicht Recht sein solle, will er von Patrick Schäfli wissen. Zu Missbrauch und Beschwerdeflut: Es gibt Dutzende, ja Hunderte von Baugesuchen, zu denen der VCS nichts sagt. Der VCS macht nur vom Beschwerderecht Gebrauch, wenn gewisse Bauvorhaben nicht gesetzeskonform sind. Zudem habe der VCS in der Mehrzahl der Fälle, welche vor Bundesgericht kamen, Recht erhalten. Was wollen Sie eigentlich! empört er sich. - Es gehe einzig darum, dass die Gesetze beachtet werden.
Isaac Reber rät speziell Patrick Schäfli, aufzuhören, über den VCS zu lamentieren. Vielmehr gelte es, sich für einen griffigen Richtplan einzusetzen, dann hätte man weniger Probleme im Kanton.
://: Damit ist die Interpellation 2005/ 239 erledigt.
Für das Protokoll:
Brigitta Laube, Landeskanzlei
Fortsetzung