Protokoll der Landratssitzung vom 21. April 2005

Nr. 1160

3 2004/310
Motion der SVP-Fraktion vom 8. Dezember 2004: Ausbildungsdarlehen statt Stipendien

(Fortsetzung der Beratung)

Etienne Morel mahnt zur Vorsicht, dass nicht die eine suboptimale Lösung durch eine andere ersetzt werden solle. Die Ziele der Motion mögen zwar ehrbar sein, erreicht werden können sie auf dem vorgeschlagenen Weg aber nicht.
Es besteht im Stipendienwesen zugegebenermassen ein gewisses Sparpotenzial. Aber ein totaler Umstieg in ein reines Darlehenswesen würde eine echte Chancengleichheit verunmöglichen. Eine Studie des Institut de hautes études en administration publique (IDHEAP) in Lausanne aus dem Jahr 1997 hat ganz klar gezeigt, dass sich bei einem Systemwechsel sparen lässt. Aber klar geworden ist auch, dass die Verwaltungskosten beim Darlehenswesen erheblich höher sind als beim Stipendiensystem. Ein Grund dafür ist beispielsweise das Mahnwesen, welches die Kosten enorm in die Höhe treibt. Von dem zu erwartenden Gewinn müsste man ausserdem noch die Ausnahmefälle abziehen, von denen auch die Motionäre ausgehen, also die Darlehen, welche - aus irgendwelchen Gründen - nicht zurückgezahlt werden können. Bei den Darlehensnehmern liegt diese Zahl heute bei 3 bis 6 %; bei einem reinen Darlehenswesen fiele sie aber natürlich wesentlich höher aus.
Die IDHEAP-Studie zeigt also auf, dass dem Kanton am Schluss nur gerade ein knapper Gewinn von 2 % entsteht. Das ist wenig für den Staat; auf der anderen Seite stellt die Verschuldung von bis zu CHF 100'000 für Studierende, welche die Unterstützung wirklich nötig haben, ein echtes Problem dar. Die jungen Leute werden sich fragen, ob sie diese Bürde wirklich auf sich nehmen wollen. Bei der Aufnahme eines Studiums dürfen aber niemals finanzielle Aspekte ausschlaggebend sein. Wenn schon nur eine Person, die genügend Grips und Motivation für ein Studium hätte, darauf aus finanziellen Gründen verzichten würde, hätte der Landrat seinen Job in Sachen Chancengleichheit nicht gemacht.
Das Gesetz über die Ausbildungsbeiträge enthält eine «kann»-Formulierung. Diese funktioniert offenbar nicht, wie Dieter Völlmin früher schon ausgeführt hat. Diese Regelung sollte, gebunden an bestimmte Kriterien, verschärft werden; die Grünen würden dies unterstützen. Wer effektiv nach seinem Studium sehr viel verdient, soll das Geld, welches er erhalten hat, durchaus zurückzahlen. Die Motion aber liefert keine Kriterien und lässt gar viele Fragen offen: Wann müssen die Darlehen zurückgezahlt werden? Gibt es eine zeitliche Frist? (Die Grünen sind gegen einen vorgeschriebenen zeitlichen Rahmen). Was heisst «gut verdienen»? Geht es um zinslose Darlehen - was die Grünen begrüssen würden - oder nicht?
In verschiedenen Ländern existieren die unterschiedlichsten Modelle. Die Motion dagegen bietet gar keinen konkreten Ansatz.
Den Grünen schwebt vor, die Stipendien mit ihren typischen Charakteristika der Zinslosigkeit und der zeitlichen Ungebundenheit zu erhalten, die «kann»-Formulierung aber mit Rückzahlungskriterien ab einem gewissen Einkommen zu verschärfen.
Der Motion kann die grüne Fraktion nicht zustimmen, auch nicht in der Form eines Postulats.

Auch die SP sage Nein zum Vorstoss, erklärt Eva Chappuis - egal ob als Motion oder als Postulat. Es kann ganz grundsätzlich nicht angehen, dass junge Erwachsene aus nicht sehr zahlungskräftigen Elternhäusern mit einem Berg von Schulden in ihr Erwerbsleben starten müssen, während andere, die von zuhause aus besser gepolstert sind, ihre Ausbildung geniessen und ohne diesen Ballast das Erwerbsleben in Angriff nehmen können.
Wenn man die Darlehen genau während der Phase der Familiengründung zurückzahlen muss, ist dies eine erhebliche Belastung. Dieter Völlmin hat davon gesprochen, dass die Rückzahlung fünf Jahre nach Abschluss des Studiums zu erfolgen habe. Genau zu diesem Zeitpunkt brauchen die jungen Erwachsenen aber das Geld zur Gründung einer Familie.
Die SP-Fraktion wehrt sich nicht dagegen, allenfalls die «kann»-Formulierung, wie von den Grünen vorgeschlagen, zu verschärfen. Es muss aber eine «kann»-Formulierung bleiben. Man könnte höchstens betonen, dass eine Rückzahlung erwartet werde. Es gibt schon heute immer wieder freiwillige Rückzahlungen, was zu begrüssen ist. Sie müssen aber zu einem selbstbestimmten Zeitpunkt möglich sein, nämlich dann, wenn es dem Darlehensnehmer von seiner finanziellen Situation her möglich ist, das Geld zurückzuzahlen.
Das Stipendiengesetz ist zehn Jahre alt. Seither sind die Stipendien stets gleich hoch geblieben, ohne jeglichen Teuerungsausgleich. Es wäre deshalb eher angezeigt, über eine Erhöhung nachzudenken, statt Jugendliche und junge Erwachsenen aus bescheidenen Verhältnissen von einer guten Ausbildung abzuhalten.

In vielen Kantonen, so weiss Bea Fünfschilling , ist das Stipendienwesen immer wieder ein Thema, beispielsweise in Zürich, Bern, im Tessin und im Thurgau. Dort wurde diese Frage intensiv besprochen, und alle sind beim Stipendiensystem geblieben. An einer aktuellen Vernehmlassung haben sich 25 Kantone beteiligt, wovon sich 22 ganz klar für Stipendien für eine Erstausbildung aussprechen. Die SVP-Motion verlangt für Baselland die Abschaffung der Stipendien. Dagegen spricht sich die FDP-Fraktion aus verschiedenen Gründen aus:
Die Baselbieter Regelung ist kohärent mit den Gesetzen der anderen Kantone. Es wäre schlecht, wenn Baselland einen eigenen Zug führe für seine ausbildungswilligen jungen Menschen.
Die Zielgruppe der Stipendiennehmer findet sich vor allem in eher bildungsfernen Kreisen. Es darf nicht sein, dass sich junge Leute entscheiden müssen zwischen einer Ausbildung und einem Schuldenberg, den sie - im Unwissen, ob sie nach dem Studium tatsächlich einen guten Verdienst erzielen werden - vor sich sehen. In der heutigen Zeit ist es aber wichtig, die Bildungsressourcen ausnützen zu können, vor allem in wissenschaftlichen Fächern.
Es ist schon lange nicht mehr so, dass eine gute Ausbildung auch einen sehr hohen Lohn nach sich zieht. Daher ist es klar, dass die Motion in der vorliegenden Form nicht unterstützt werden kann. Die Freisinnigen fänden es aber auch richtig, die Bedingungen zur Ausrichtung von Stipendien und die Modalitäten für deren Rückzahlung entsprechend der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Bezüger zu überprüfen. Zu berücksichtigen wären dabei auch die Gesetze der benachbarten Kantone und der durch allfällige Änderungen anfallende administrative Aufwand.

Die Motion verlangt eine relativ radikale Kursänderung. Eugen Tanner und die CVP/EVP-Fraktion finden, die Frage soll überprüft werden - allerdings nicht in Richtung eines weiteren Ausbaus -, und würden den Vorstoss deshalb in der Form eines Postulats unterstützen.

Isaac Reber fragt sich, ob die SVP auch schon davon gehört hat, dass gerade Schul- und Studienabgänger heute teilweise ganz besondere Schwierigkeiten haben beim Zugang zum Arbeitsmarkt. Die Frage lautet, ob man gerne in einer solch unsicheren Situation mit einem grossen Schuldenberg dastehen möchte. Die Antwort kann nur Nein lauten, zumal sich auch die SVP-Vertreter sonst immer als finanzpolitisch verantwortungsvoll verstehen.
Ausbildungsdarlehen sind eine gute Ergänzung, aber niemals ein Ersatz für Stipendien. Mit einer Abkehr vom Stipendienwesen würde ganz einfach das Ausbildungspotenzial in der Region verkleinert, weil fähige, aber finanziell schwache junge Menschen aus Angst vor der Verschuldung auf eine Qualifikation verzichten, die sie eigentlich erlangen könnten.
Deshalb bittet Isaac Reber seine Kolleg(inn)en, den radikalen Vorstoss abzulehnen, und zwar auch als Postulat. Denn die Grundausrichtung des Vorstosses ist falsch. Es wäre richtig, sich zu überlegen, wie die Rückzahlungsmoral verbessert werden könnte. Aber dafür braucht es einen neuen Vorstoss, denn der vorliegende verlangt eindeutig «Ausbildungsdarlehen statt Stipendien».

Die Regierung möchte den Vorstoss nicht als Motion entgegennehmen, stellt Regierungsrat Urs Wüthrich klar.
Erstens wäre es nicht richtig, wenn der Kanton Basel-Landschaft eine Pionierrolle in Sachen Verschlechterung des Ausbildungszugangs übernehmen würde. Die Pharmaindustrie muss 70 % der Angestellten in der Forschung im Ausland rekrutieren, wir leiden also nicht an einem Überschuss an gut ausgebildeten Fachleuten.
Zweitens geht es um mehr als um die Chancengleichheit: Es geht darum, das Bildungspotenzial so gut wie nur möglich auszuschöpfen. Volkswirtschaftlich wäre es schlecht, wenn nicht jeder die Ausbildungschancen ergreifen könnte, die sich ihm bieten.
Und drittens wäre es auch finanzpolitisch falsch, auf drei Viertel der Bundesbeiträge von CHF 1,8 Mio. zu verzichten: An die Stipendien steuert der Bund 16 % bei, an die Darlehen nur 4 %.
Würde der Vorstoss als Postulat überwiesen, könnte die Regierung mit einem Bericht eine gute Entscheidungsgrundlage für allfällige weitere Schritte liefern.

Immer wenn jemand kritische Fragen im Bereich des Sozialstaats stelle, gingen in weiten Teilen des politischen Spektrums, so Dieter Völlmin , die Lampen sofort auf Rot. Von der Vermeidung von «Schuldenbergen» war die Rede; dabei geht vergessen, dass die links-grüne Regierung Deutschlands den Wechsel zum Darlehenssystem grundsätzlich vollzogen hat. So unsozial kann diese Massnahme also nicht sein.
Die SVP-Fraktion verfolgt in keiner Art und Weise das Ziel, weniger Leute mit staatlichen Mitteln zu unterstützen; im Gegenteil: es geht darum, die vorhandenen knappen Mittel effizienter einsetzen zu können.
Dies ist mit einem Darlehenssystem eher möglich als mit dem heutigen Stipendienwesen.
Immerhin stellt Dieter Völlmin zufrieden fest, dass auch andere Parteien ein gewisses Verbesserungspotenzial feststellen.
Die Argumentation der Linken hat er erwartet, aber die Haltung der FDP war überraschend. Mit der Argumentation, nur weil 22 von 25 Kantonen nichts ändern wollen, dürfe sich auch bei uns nichts ändern, sind überhaupt keine Innovationen mehr möglich.
Recht hatte dafür Eva Chappuis. Der im ersten Teil der Debatte vorgeschlagene Zehnjahreszyklus macht natürlich keinen Sinn, weil dann in der Tat Rückzahlung und Familiengründung zusammenfallen würden. Aber ob dieser Zyklus nun bei fünfzehn oder zwanzig Jahren liegt, irgendwann kann man eine Rückzahlung verlangen. Denn es ist nach wie vor so, dass die Leute nach dem Abschluss einer akademischen Ausbildung nicht gerade armengenössig sind. Wer wie Bea Fünfschilling etwas anderes behauptet, soll einmal eine entsprechende Statistik lesen. Dieter Völlmins Mitleid mit Akademikern hält sich in Grenzen.
An die Adresse der Grünen erklärt der SVP-Sprecher, eine Motion sei nicht als ein fixfertiger Gesetzesentwurf zu verstehen. Eine Motion ist eine Anregung, über ein gewisses Thema zu legiferieren und lässt die Detailgestaltung offen. Diese ist dann Gegenstand des gesetzgeberischen Prozesses.
Die SVP-Fraktion ist bereit, ihre Motion in ein Postulat umzuwandeln, und hofft, dass die Regierung sich vertieft mit dem Thema befassen werde, so dass am Schluss eine Entscheidungsgrundlage vorliegt, um die heutige Situation zu verbessern. Vielleicht ist dannzumal die Zeit auch reif, dass dieses Thema ohne ideologische Scheuklappen angeschaut werden kann.

Bea Fünfschilling betont, dass Studienabgänger - sei es von der ETH oder anderen Hochschulen - heute nie und nimmer so hohe Einstiegslöhne haben wie früher. Es werden sogar im Gegenteil manchmal sehr, sehr tiefe Einstiegslöhne bezahlt. Zudem kann sich eine junge Familie nicht leisten, in den ersten Jahren nach Familiengründung zehntausende Franken Schulden abzuzahlen. Das ganze Thema soll zwar ruhig genau überprüft werden, aber wichtig ist dabei, dass die Systeme benachbarter Kantone kohärent bleiben.

Isaac Reber will die Argumentation Dieter Völlmins nicht unwidersprochen im Raum stehen lassen. Die Abschaffung von Stipendien - darum geht es im Vorstoss - wäre ein Rückschritt und mitnichten eine Innovation.
Dass die anderen Kantone auch Stipendien vergeben, zeigt, dass es offenbar ein gutes Instrument ist. Ein Stipendium wird übrigens nicht nur für Hochschulstudien ausgerichtet, sondern auch für jede andere Erstausbildung. Wenn daran gerüttelt wird, begibt sich der Landrat auf einen gefährlichen Weg.
Hinter dem Vorstoss steckt ein Ansinnen, das Isaac Reber als falsch und für den Kanton schädlich empfindet. Deshalb bittet er darum, den Vorstoss auch nicht als Postulat zu überweisen. Es bräuchte einen neuen Vorstoss, mit dem das Instrument der Rückzahlungspflicht bei Darlehen verstärkt würde.

://: Der Vorstoss 2004/310 wird in der Form eines Postulats überwiesen.

Für das Protokoll:
Alex Klee-Bölckow, Landeskanzlei



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