Protokoll des Landrates des Kantons Basel-Landschaft vom 24. Januar 2008

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2007-170 vom 2. Juli 2007
Motion von Klaus Kirchmayr, Grüne Fraktion: Schaffung des Instrumentes der Aufsichtsdelegation für Grossprojekte
- Beschluss des Landrats am 24. Januar 2008: < abgelehnt >

Nr. 312

Der Regierungsrat ist nicht bereit, die Motion entgegenzunehmen, teilt Esther Maag (Grüne) mit.


Regierungspräsidentin Sabine Pegoraro erklärt vorweg, obwohl die Motion inhaltlich eher bei der BUD oder der FKD angesiedelt sei, nehme sie als Justizministerin Stellung, da es dabei um eine Änderung im Landratsgesetz geht, was in den Bereich ihrer Direktion fällt.


Die Motion verlangt, dass bei Grossprojekten mit einem Investitionsvolumen von mehr als 200 Mio. Franken und einer Projektdauer von über 24 Monaten zwingend eine parlamentarische Aufsichtsdelegation zur Vermeidung von negativen Überraschungen und zwecks einer effizienten Oberaufsicht durch das Parlament eingesetzt werden soll. Die geforderte Delegation soll mit weitreichenden Kompetenzen - Realisierungs- und Kostenkontrollen, Information von Parlament und Öffentlichkeit sowie Überwachung der rechtlichen Rahmenbedingungen - ausgestattet werden. Diese Aufgaben und Kompetenzen stehen aber gemäss Kantonsverfassung und der dortigen Organisations- und Kompetenzordnung dem Regierungsrat zu. Eine solche Aufsichtsdelegation würde die Verantwortlichkeiten zwischen Regierung und Parlament verwischen, was der Abwicklung von Grossprojekten eher hinderlich wäre, als dass es sie verbesserte. Der Regierungsrat und die für die Grossprojekte zuständige Bau- und Umweltschutzdirektion haben in den letzten Jahren eine Reihe von Massnahmen ergriffen, die zu einer weiteren Verbesserung des Projektmanagements, des Vertragswesens und der Kostenüberwachung von Grossprojekten geführt haben. Das Kostenmanagement wird mit strengen und regelmässigen Kostenkontrollen konsequent sicher gestellt, der Projektablauf intensiv überwacht und die Berichterstattung an Regierung und Parlament wurde erheblich verbessert, wie z. B. beim Chienbergtunnel.


Die Prozesse der Projektabwicklung und des Controllings sind in Handbüchern schriftlich festgelegt, die zentrale Beschaffungsstelle stellt eine fachlich korrekte Ausschreibung der Arbeiten und Dienstleistungen sicher, die Direktionen und bei Bedarf der Regierungsrat werden von der Bauherrschaft rasch über Abweichungen bei der Vertragserfüllung informiert. Das Projektmanagement wird im Projekt jeweils durch Einsatz einer professionellen, externen Projektleitung sicher gestellt; jüngstes Beispiel ist hier die Umfahrung H2 Liestal-Pratteln. Auf der Basis des Gesetzes über den unverzüglichen Bau der H2 zwischen Pratteln und Liestal setzte der Regierungsrat eine Konsultativkommission ein, die ihm als beratendes Organ bei allen Fragen in Zusammenhang mit Bau und Finanzierung der H2 zur Seite steht. Sie setzt sich aus Vertretern der Verwaltung, der Wirtschaft und der Verkehrsverbände zusammen, hat aber lediglich beratende Funktion und nimmt keine Projektcontrollingaufgaben wahr, wie sie im Projekt selbst wahrgenommen werden müssen.


Dass die institutionalisierte Einsetzung einer parlamentarischen Aufsichtsdelegation als zusätzliches Kontrollberatungsorgan überflüssig ist, zeigt auch der Rückzug der H2-Volksinitiative durch das Bürgerforum. Die H2-Volksinitiative forderte die Einsetzung einer H2-Baubegleitkommission. Der Nutzen einer solchen parlamentarischen Aufsichtsdelegation für Grossprojekte scheint fragwürdig. Negative Überraschungen bei Grossprojekten sind trotzdem möglich, wie das Beispiel der NEAT-Aufsichtsdelegation auf Bundesebene, das in der Motion erwähnt wird, zeigt. Bei der NEAT erfolgten trotz der parlamentarischen Aufsichtsdelegation massive Kostenüberschreitungen. Negative Überraschungen bei Grossprojekten können nie ganz ausgeschlossen werden. Die Endkosten hängen oft auch von Faktoren ab, die von den Projektverantwortlichen nur schwer beeinflusst werden können, wie beispielsweise Bauteuerung, technologische Änderungen im Projektverlauf, Gesetzesänderungen usw.


Wichtig zu erwähnen ist auch, dass sich die Informationswege zum Landrat gut eingespielt haben. Die Bau- und Planungskommission wird jeweils über die aktuelle Entwicklung von Projekten orientiert, und bei ausserordentlichen finanziellen Vorkommnissen erfolgt zusätzlich Information an die Finanzkommission. In diesem Sinne wurden die notwendigen Massnahmen zur Verbesserung von Management und Controlling bei solchen Grossprojekten durch Regierung und Verwaltung ergriffen und man ist der Auffassung, dass die parlamentarische Aufsichtsdelegation nicht nötig ist und zudem die Abläufe eher erschweren als erleichtern würde.


Klaus Kirchmayr (Grüne) bedankt sich bei der Regierungspräsidentin für die Beantwortung und bemerkt in seiner Stellungnahme vorweg, die Geschichte von Grossprojekten im Kanton BL sei wahrlich kein Ruhmesblatt. Eine Aufzählung der einzelnen Projekte, in welchen 'suboptimale Dinge' passiert sind, erübrige sich wohl. Fast keines aller in den letzten zehn Jahren angegangenen Grossprojekte lief ohne irgendwelche Probleme ab. Dass Grossprojekte schiefgehen, liege sehr oft an einer schlechten Projektierung oder an unklaren Erwartungen. Oft sind es auch unklare Verantwortlichkeiten, wie etwa im Fall des Kantonsspital-Umbaus, oder die Qualität der am Projekt beteiligten Personen genügt den Anforderungen nicht. Weiter Gründe können ein suboptimales Projektcontrolling oder das Versagen der Oberaufsicht über das Projekt sein.


Für die Stellungnahme der Regierungspräsidentin hat er eine gewisse Sympathie. Im letzten halben Jahr seit Einreichung der Motion habe sich die Sensibilität bezüglich Projektmanagement in der Verwaltung stark verbessert. Er stellt fest, dass für die H2 ein professioneller Projektleiter mit wirklich gutem 'track record' angestellt wurde; der Baudirektor habe dies zur Chefsache gemacht. Bezüglich Kantonsspital Bruderholz geht man ähnliche Wege. Auch die Art und Weise der Aufgleisung der ERP-Projekte durch den Finanzdirektor begrüsst er. In Sachen Finanz-Projektcontrolling mache die Verwaltung keinen schlechten Job.


In der Motion geht es aber nicht um die Verwaltung, welche seines Erachtens die Lehren aus den gemachten Fehlern gezogen hat, sondern in erster Linie um die Oberaufsicht des Parlaments. So sei es für die Parlamentarier jeweils einfach, auf die Exekutive zu zeigen, wenn etwas schiefgeht. Dies habe u.a. damit zu tun, dass die parlamentarische Kontrolle solcher Grossprojekte nicht wirklich immer zweckmässig ist. Oft sind mehrere Direktionen und auch Kommissionen beteiligt. Im Fall Kantonsspital Bruderholz werden neben der FIK auch die BPK und die VGK etwas zu sagen haben. A propos Effizienz: Das Projekt muss ständig in allen drei Kommissionen 'antanzen'. Und immer wird nur ein bestimmter kleiner Teilaspekt beleuchtet, entweder der finanzielle, der Besteller- oder der bautechnische Teil, während die Gesamtsicht fehlt.


Dieses grosse Problem wurde verwaltungsintern gelöst, indem nun klare Verantwortlichkeiten geschaffen werden. Auch im Parlament sollte es, allerdings nur für wirklich grosse Projekte, d.h. wenn das Eigenkapital des Kantons 'at risk' ist, so gehandhabt werden. Im Übrigen machen es kleine und grosse Firmen in der Privatwirtschaft genauso. Beispielsweise würde die Nestlé nie ein weltweit neues Warenwirtschaftssystem im Umfang von 10 Mia. Franken über mehrere Jahre einführen, ohne es gleichzeitig von einer Verwaltungsratsdelegation begleiten zu lassen, da das Risiko zu gross wäre.


Der Motionär schlägt vor, für die tatsächlich grossen Projekte, die vom Kanton in aller Regel einmal alle 5 bis 10 Jahre durchgeführt werden, eine solche Aufsichtsdelegation einzusetzen. - Mittlerweile hält er zudem die Grenze von 200 Mio. Franken als wahrscheinlich zu tief angesetzt und macht beliebt, diese auf 400 Mio. Franken anzuheben und die Motion entsprechend anzupassen.


Der Bund habe - im Übrigen auf Vorschlag der bürgerlichen Parteien - bei der NEAT aus denselben Gründen eine solche Delegation gewollt. Diese Delegation habe nun nicht sehr weitreichende Kompetenzen, wie auch eine Landratskommission im Übrigen keine wirkliche Kompetenz habe, denn die liege letztlich beim Landrat. Das Parlament kann damit aber einen gleichwertigen Partner stellen, der ebenso fokussiert, wie die Verwaltung nun versucht, die Kontrollfunktion wahrzunehmen. Indem ein direkter Draht vom Projekt in die Regierung besteht, würde ein effizienterer Ablauf ermöglicht. Klaus Kirchmayr macht dem Kollegium beliebt, die Motion mit der Änderung von 200 auf 400 Mio. Franken anzunehmen. Dies sei im Übrigen nur ein Mittel, um die parlamentarische Begleitung solcher Grossprojekte zu stärken. Im Weiteren sollte auch die parlamentarische Begleitung der Projektierungsphase, in welcher die eigentlichen Weichen gestellt werden, angegangen werden; hier könnte das Parlament wohl noch besser einbezogen werden und einen entsprechenden Input für den Erfolg des Projekts leisten.


Ruedi Brassel (SP) fragt sich, ob das grundsätzlich wichtige und fördernswerte Anliegen, nämlich die Stärkung des parlamentarischen Instrumentariums und eine qualifiziertere Politik des Parlaments in heiklen, grossen Geschäften zu garantieren, mit der vorgeschlagenen Motion erreicht werden kann. Die Form eines Verfahrenspostulats wäre unter Umständen adäquater gewesen. Interessiert hätte ihn persönlich auch die Meinung des Landratsbüros zu dem Vorschlag; denn seines Erachtens handelt es sich um eine Angelegenheit, die den Landrat in eigener Sache betrifft. Er räumt aber ein, dass man den Vorstoss formal auch als Motion gelten lassen könne, da auch der Gesamtablauf und damit die Regierung davon betroffen ist.


Eine verstärkte Kontrolle bei 'Gigaprojekten' sei selbstverständlich wichtig, nur stelle sich die Frage, wie ein solches Gigaprojekt definiert wird. Mit der Verdoppelung auf 400 Mio. Franken habe Klaus Kirchmayr immerhin eine andere Grenze gesetzt. Ob damit die Qualität des Vorstosses besser wird, sei aber zu bezweifeln. Bei der NEAT geht es um einen Gesamtprojektkredit von 16,4   Mia. Franken. Die Notwendigkeit einer parlamentarischen Begleitung erkläre sich dort damit, dass eine derartige Vielzahl verschiedener Grossprojekte parallel läuft, welche in der Tat in Bezug auf ihre Komplexität eine spezielle Begleitung erfordern. Diese Komplexität habe aber


auch ein einzelnes Grossprojekt von 400 Mio. Franken nicht im selben Ausmass, da es eben nicht verschiedene Projekte sind. So werde nicht etwa gleichzeitig am Lötschberg und am Gotthard gebaut, sondern die H2 findet lediglich im Ergolztal statt.


Allein die Analogie zur NEAT-Begleitkommission lege die Schaffung solcher Begleitkommissionen im Baselbiet nicht unbedingt nahe. Dazu kommt noch Folgendes: Die NEAT-Begleitkommission verfügt über einen ausgebauten parlamentarischen Dienst, kann auf Infrastrukturen, professionelle Unterstützung, ein eigenes Sekretariat usw. zurückgreifen, was für die kritische Begleitung von Projekten dieser Grösse unerlässlich ist. Stellt man dieses Instrumentarium der hier vorgeschlagenen Kommission nicht zur Verfügung, so mutieren die Begleiter zu Zuhörerern und haben keine eigentliche Kompetenz zur Anstellung von Recherchen etc. Das heisst, sie würden zu dem, was häufig auch die jetzigen Kommissionen seien, nämlich ein mehr oder weniger kritisches Kopfnickergremium, das mit Informationen überflutet wird, wenn es unnötig ist und manchmal, wenn es nötig wäre, keine Informationen erhält - teilweise sei es auch umgekehrt. Das Bemühen ist vorhanden und hat sich seit der Kantonsspitalgeschichte mit Sicherheit verbessert. Dies habe sich beim Bau des Chienbergtunnels erwiesen (Information).


Laut Ruedi Brassel bringt das vom Motionär vorgeschlagene Instrument nicht die benötigte Qualitätsverbesserung, zumal da - wie Klaus Kirchmayr selbst sagt - die entscheidende Phase diejenige der Planung und Vorbereitung der Grossprojekte ist. Dort müssen Qualität und Input des Parlaments verbessert werden. Dem Planungsprozess muss mehr Beachtung geschenkt werden, das Parlament muss sich stärker in die Details vertiefen, damit ein Projekt möglichst klar aufgegleist werden kann. Gelingt dies nicht und erfährt das Projekt anschliessend laufende Veränderungen, so nützt auch die beste Begleitkommission nichts; sie kann nur, vermutlich meist zu spät, feststellen, was alles falsch gemacht wurde - nichts anderes, als was bisher die BPK jeweils macht.


Was die Kommunikation zwischen verschiedenen Direktionen und somit auch Kommissionen anbelangt, liegt der Motionär vermutlich etwas falsch. Wohl sei in der Planungsphase diese Koordination wichtig. Ab der Ausführungsphase ist primär eine Direktion und eine Kommission zuständig, wobei die Schnittstellen durchaus klarer definiert werden könnten; allzu viel Regelungsbedarf besteht aber seiner Ansicht nach nicht. Es geht darum, Fehlplanungen zu vermeiden, bei der Planung das kritische parlamentarische Instrumentarium zu stärken. Daher ist es falsch, prioritär eine solche Begleitkommission zu schaffen und sie dann nicht einmal mit den nötigen Mitteln auszustatten. Die SP-Fraktion kann sich trotz Sympathien für das Anliegen dem Vorschlag in dieser Form nicht anschliessen und wird die Motion nicht überweisen.


Hans-Jürgen Ringgenberg (SVP) schliesst sich namens seiner Fraktion in den wesentlichen Punkten der Argumentation der Regierung an und lehnt die Motion sehr grossmehrheitlich ab. Die geforderte zusätzliche parlamentarische Aufsichtsdelegation braucht es nicht. Das erwähnte Beispiel NEAT ist kein sehr gutes Beispiel. Es habe gezeigt, dass dies - zumindest in der Wahrnehmung einer Mehrheit im Saal - nichts gebracht habe, vor allem bei Betrachtung der Kostenüberschreitung. Das Parlament und jede Kommission hat die Möglichkeit, sich laufend informieren zu lassen. Gerade gestern wurde in der Finanzkommission in Bezug auf ERP von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Daher ist man der Ansicht, die Berichterstattung ist gewährleist, auch wenn man sie unter Umständen von Fall zu Fall verlangen muss. Zudem stellt sich auch die Frage der Kompetenz dieses Gremiums, angenommen es setzt sich aus je einem Vertreter der 5 Fraktionen zusammen; welche Möglichkeiten hätte die Kommission, um überhaupt wirksam zu werden?


Die Betragshöhe hält man für eine Glaubenssache und nicht unbedingt wesentlich. Unabhängig vom Betrag soll aber die Information des Parlaments durch die Regierung gewährleistet sein. Die in dieser zwingenden Form formulierte Motion lehnt man ab.


Auch Rolf Richterich (FDP) und seine Fraktion sind gegen eine Überweisung der Motion. Alles, was hier als zu schaffendes Instrument beschrieben wird, gibt es schon. Die Parallele zur NEAT ist in den Augen der FDP überhaupt nicht gegeben, da es sich dort um ein Jahrhundertprojekt mit sehr hohen Risiken handelt. Etwas Derartiges wurde noch nirgends in der Welt gebaut. Eine 'Kiste' für 580 Mio. Franken - vgl. das Kantonsspital Bruderholz - wurde schon x-fach in anderen Kantonen in der Schweiz gebaut; dafür ist keine spezielle Begleitdelegation nötig, ja sie ist überflüssig.


Rita Bachmann (CVP) nimmt es vorweg: Auch die CVP-/EVP-Fraktion lehnt die Motion ab, und zwar weil man keine Vermischung zwischen der operativen Aufgabe der Regierung und der gesetzgebenden Aufgabe des Parlaments wünscht. Auch geht man davon aus, dass in den letzten Jahren höchstwahrscheinlich die notwendigen Kontrollmechanismen in der Verwaltung eingebaut wurden und dass bei sehr grossen Projekten auch fallweise das entsprechende Risk Management impliziert ist. Daher ist man gegen die Schaffung einer neuen Aufsichtskommission.


Keine weiteren Wortbegehren


://: Der Landrat lehnt die Motion mit 13 Ja- zu 67 Neinstimmen bei 1 Enthaltung ab. [ Namenliste ]


Für das Protokoll:
Brigitta Laube, Landeskanzlei


Die Landratspräsidentin weist zuhanden von Zuschauern und Fernsehen darauf hin, dass Traktandum 14 nicht mehr am Morgen behandelt werden kann, da der zuständige Regierungsrat Urs Wüthrich nicht anwesend ist.



Fortsetzung

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