Protokoll der Landratssitzung vom 15. Oktober 2009

Nr. 1419

Landratspräsident Hanspeter Frey (FDP) bemerkt einleitend, dass die Regierung die Motion als Postulat entgegennehmen wolle und gleichzeitig dessen Abschreibung beantrage. Es liegt eine schriftliche Begründung vor.


Begründung des Regierungsrats


In den Augen von Madeleine Göschke (Grüne) gibt die Regierung zu, dass die Ausstände bei der obligatorischen Krankenpflegeversicherung schweizweit und kantonal ein grosses Problem seien, nur bei den Bezügern von Prämienverbilligungen im Kanton Baselland sei alles anders. Hier gibt es angeblich nur 500 Fälle oder 1,5% unter den Prämienverbilligungsbezügern, die ihre Krankenkassenprämie nicht bezahlen. Diese Zahlen können nicht stimmen: 1,5% von 61'000 Bezügern von Prämienverbilligungen ergeben nicht 500, sondern 915 Personen!


Weiter fehlt in der Begründung der Regierung eine Auflistung zu den Bezügerinnen und Bezüger von Ergänzungsleistungen, welche eigentlich den Löwenanteil der Personen mit Zahlungsausständen ausmachen. Diesen wird zusammen mit der Ergänzungsleistung die ganze Grundversicherung bezahlt, wobei mengenmässig auch dort sehr große Beträge ausstehen. Wo in der Begründung des Regierungsrats steht, wieviele Bezüger von Ergänzungsleistungen ihre Krankenkassenprämien nicht bezahlt haben? Und welche zusätzlichen Kosten pro Jahr ergeben sich dadurch für den Kanton?


Aufgrund dieser wackeligen Zahlenbasis hat die Votantin große Mühe, die weiteren Angaben der Regierung ernst zu nehmen. Ist Baselland wirklich ein Sonderfall? In der ganzen Schweiz gehen bei der Mehrheit der Bezugsberechtigten die Prämienverbilligungen direkt an die Versicherer. Auch die anderen Kantone mussten das System umstellen, was sich angeblich gelohnt habe. Der Nationalrat hat bereits eine ähnliche Regelung beschlossen, aber die Baselbieter Regierung spricht sich in ihrer Begründung gegen die wahrscheinlich kommende Bundesregelung aus. Diese kann aber ziemlich sicher nicht verhindert werden. Allerdings wird es noch ein paar Jahre dauern, bis es soweit ist, so dass der Kanton Baselland jedes Jahr ein paar Millionen Franken verlieren wird.


Es ist so, dass der Kanton die Krankenkassenprämienverbilligungen und die Grundversicherungsprämie für Bezüger von Ergänzungsleistungen zahlen will, damit diejenigen, die diese Hilfe brauchen, auch in den Genuss dieser Unterstützung kommen: Kleinverdiener, Familien. Aber es soll nicht zweimal bezahlt werden müssen. Diese Leute erhalten das Geld direkt, und es ist ihnen nicht einmal zu verübeln, dass sie sich damit einen Wunsch erfüllen oder irgendwelche Schulden begleichen. Aber dann fehlt dieses Geld, wenn sie z.B. ins Spital gehen müssen. Und dann müssen die Gemeinden noch einmal bezahlen, weil die Spitalrechnungen bezahlt werden müssen. Die Gemeinden zahlen in der Regel den Prämienausstand nach, weil dies meistens billiger ist als die Spitalrechnung. Es wird weiterhin so sein, dass die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler weiterhin zweimal zahlen werden, nämlich die Prämienverbilligung und die Prämien der Ergänzungsleistungsbezüger und nachträglich noch einmal die volle Prämie für all jene, die ihre Rechnungen nicht begleichen. Das ist nicht korrekt, weshalb die Motion bitte zu überweisen ist.


Thomas de Courten (SVP) lehnt namens seiner Fraktion diese Motion klar ab. Und diese wäre auch ohne den Bericht des Regierungsrats abgelehnt worden. Nun liegt in einer ungewöhnlichen und nicht alltäglichen Art und Weise und in vorauseilendem Gehorsam bereits ein ausführlicher und klarer Bericht der Regierung zur Situation und zum Problem vor, ohne dass dafür vom Landrat ein Auftrag erteilt worden ist. Deshalb soll doch bitte auch die Motionärin den ausführlichen und detailliert dargelegten Zahlen und Fakten der Regierung ihr Vertrauen schenken, genau gleich wie er, der Votant, selbst den Prämienverbilligungsempfängern sein Vertrauen schenkt, dass sie tatsächlich mit diesem Geld zweckgebunden das machen, was damit vorgesehen ist. Dies liegt tatsächlich auch in der Verantwortung jeder einzelnen Person und kann nicht auch noch durch diese Motion verbessert werden, weshalb der Vorstoss bitte abzulehnen ist.


Laut Mirjam Würth (SP) hat sich die SP schon bei Einführung des Systems der Prämienverbilligungen dafür ausgesprochen, dass diese Gelder direkt an die Versicherer ausbezahlt werden.


Angesichts der Zahlen, die die Regierung mit diesem Bericht vorgelegt hat, ist dieses Problem aber offenbar relativ klein, welches nur einzelne Sozialarbeiter betrifft. Sie selbst wurde auch schon angefragt, ob sie nicht einen derartigen Vorstoss einreichen könnte. Aber es scheint relativ wenige, derartige Fälle zu geben.


Die SP schlägt vor, die Motion in ein Postulat umzuwandeln, dieses nicht abzuschreiben und zu warten, um zu sehen, was in Bern passiert. In der Dezembersession wird der Ständerat als Zweitrat einen Beschluss zum Thema fassen, und es wird sehr wahrscheinlich so sein, dass danach so oder so in der ganzen Schweiz alle Prämien an die Versicherer ausbezahlt werden werden. Das wird wohl relativ schnell abgeschlossen werden, denn dies muss ihres Wissens jeweils innerhalb von zwei Jahren erledigt werden.


Rita Bachmann (CVP) legt dar, dass ihre Fraktion sich in dieser Frage nicht einig gewesen sei. Zwei Aspekte gilt es zu beachten: Aus der Begründung der Regierung ist ganz klar zu ersehen, dass die Änderung des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung in Angriff genommen worden ist und dass ganz massive Verschiebungen stattfinden und eine grössere Belastung auf den Kanton Baselland zukommen werden - wenn die Änderung in Kraft tritt. Diese Entscheidung wird wohl demnächst fallen, aber natürlich probiert man immer, wenn es in Zukunft mehr kostet, ein bisschen Druck aufzusetzen.


Sie selbst lehnt den Vorstoss ab, weil mit der Änderung der bisherigen Praxis ein grosser administrativer Aufwand verbunden sein soll. Begründungen in diese Richtung sind bereits früher schon einmal so mitgeteilt worden. Würden die Prämienverbilligungen direkt den Versicherern überwiesen, entstünde auch wegen der heutzutage häufigeren Wechsel der Krankenkasse durch die Patienten ein sehr grosser, administrativer Aufwand.


Petra Studer (FDP) hält fest, dass die FDP diese Thematik auch diskutiert habe. Sie beantragt, dem Vorschlag der Regierung zu folgen. Damit folgt ihre Partei ihrer eigenen Tradition, gemäss welcher sie sich bereits in der Vergangenheit mehrmals gegen einen Systemwechsel ausgesprochen hat. Die Situation ist nun ein wenig anders, als dass der Nationalrat in der jetzigen Herbstsession entschieden hat, in allen Kantonen einen Systemwechsel durchzuführen und die Prämienverbilligungen direkt und nur noch an die Versicherer auszubezahlen. Es ist anzunehmen, dass in der Wintersession der Ständerat dem Nationalrat folgen und den Systemwechsel ebenfalls gutheissen wird. Dann muss damit gerechnet werden, dass bereits 2012 ein für die Kantone obligatorischer Systemwechsel kommen müsste. Deshalb ergibt es wenig Sinn, innerhalb von kurzer Zeit zwei Modellumstellungen vorzunehmen, denn der Bundesrat wird Mindeststandards definieren, die von den Kantonen einzuhalten sein werden.


Madeleine Göschke (Grüne) fragt, wieso sich die Regierung so stark gegen den Systemwechsel sträube, wenn doch schon heute sehr klar sei, dass dieser kommen werde.


Sie betont noch einmal, dass es in der Begründung der Regierung Fehler hat. Sie hat zudem in ihrem Vorstoss verlangt, auch die Situation der Personen zu untersuchen, die Ergänzungsleistungen beziehen, da diese einen Grossteil der fraglichen Gelder beziehen. Diese Frage wurde aber völlig ausgeblendet und wird mit keinem Wort erwähnt, obwohl sie mindestens so gewichtig ist wie die Frage der Prämienverbilligungen.


Wenn es der Sache dient, ist sie bereit, ihren Vorstoss in ein Postulat zu wandeln und stehen zu lassen. Sie ist überzeugt, dass die Regierung und ihre Leute diese Arbeit in Angriff nehmen müssen.


Elisabeth Augstburger (EVP) erinnert als Mitunterzeichnerin des Vorstosses an die guten Erfahrungen anderer Kantone mit dem Systemwechsel, u.a. Basel-Stadt und Aargau. Deshalb ist dieser Vorstoss zu unterstützen.


Regierungsrat Adrian Ballmer (FDP) bittet den Landrat, dem Antrag der Regierung zu folgen.


Diese Frage wurde schon einmal eingehend geprüft - einen gleichen Vorstoss hatte Madeleine Göschke ja auch am 7. April 2005 eingereicht. Auch bei der Teilrevision des Einführungsgesetzes zum Krankenversicherungsgesetz wurde diese Frage wieder diskutiert, wobei das Parlament dabei dann 2006 die als Postulat überwiesene Motion als erfüllt abgeschrieben hat.


Die Regierung hält diesen Vorstoss für unnötig, weil der Nationalrat als Erstrat eine entsprechende Gesetzesrevision beschlossen hat. Der Entscheid des Nationalrats überrascht überhaupt nicht, wenn man weiss, wer von diesem Entscheid profitiert und wieviele Krankenkassenvertreter im Parlament sitzen. Wenn man das nachzählt, ist das erschreckend!


Man muss sich also über solche Entscheide überhaupt nicht wundern. Er, Regierungsrat Adrian Ballmer, wehrt sich dagegen, in vorauseilendem Gehorsam einen Entscheid des Nationalrats zu akzeptieren, bevor dieser rechtskräftig ist, vor allem, weil er aus Sicht der Baselbieter Regierung falsch ist.


Dies wurde eingehend begründet, auch wenn Madeleine Göschke behauptet, die Begründung enthalte Fehler. Er selbst, Regierungsrat Adrian Ballmer, ist durchaus daran interessiert, diese aufgelistet zu erhalten, aber im Zweifel vertraut er eher den sehr seriösen und sehr guten Berechnungen von Lothar Niggli als stellvertretendem Leiter der Abteilung Finanz und Volkswirtschaft im Generalsekretariat der FKD [Heiterkeit].


Auch wenn es sich tatsächlich um ein Problem handelt, so ist es dennoch kein Problem der Krankenkassenprämienverbilligungenbezüger. Die Lösung, die man wählt, sollte immer auch noch zum dazugehörigen Problem passen. Für Sozialhilfebezüger ist das Problem gelöst; mit der gewählten Massnahme müssen die Kantone auch die Schulden der Nicht-Sozialhilfebezüger übernehmen. Wenn das Schule macht, werden in Zukunft wahrscheinlich den Leistungserbringern auch noch die Mietzinsen oder auch noch anderes garantiert. Ist das dann sinnvoll?


Es geht um einen enormen, administrativen Aufwand. Die Behauptung, dass in den anderen Kantonen alles so wunderbar sei, ist noch zu belegen. Nach bisherigen Erkenntnissen ist es auch bei den anderen Kantonen so, dass sie sehr viel an Schulden übernehmen. Auch muss für die gesamte Bevölkerung die Versicherung erhoben und allenfalls mutiert werden. Wie gehört, kommt es immer zu einigen Wechsel. Und auch wenn es keine Wechsel gibt, ist jeder einzelne Fall eigenständig abzuklären und das Geld an den richtigen Ort zuzustellen.


Dabei geht es um viel Geld zu Lasten der Kantone. Insofern sollten zumindest die Kantonsparlamente - wenn schon der Bund relativ locker Geld der Kantone ausgibt - die Sache im Auge behalten und bremsen.


://: Der Landrat lehnt mit 42:28 Stimmen bei 2 Enthaltungen das Postulat 2009/008 ab. [ Namenliste ]


Für das Protokoll:
Michael Engesser, Landeskanzlei



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