Protokoll der Landratssitzung vom 11. September 2008

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2008-076 vom 18. März 2008
Vorlage : Postulat 2006/046 Eva Chappuis, Schulbesuch am Tagesaufenthaltsort - Bericht an den Landrat (Abschreibung)
- Bericht der Bildungs-, Kultur- und Sportkommission vom 10. Juli 2008
- Beschluss des Landrats am 11. September 2008: < beschlossen; Postulat 2006/046 nicht abgeschrieben >

Nr. 664

Karl Willimann (SVP) als Präsident der Bildungs-, Kultur- und Sportkommission berichtet, Landrätin Eva Chappuis habe am 16. Februar 2006 ihr Postulat für eine familienfreundlichere rechtliche Regelung des Schulbesuchs am Tagesaufenthaltsort eingereicht. Darin wird der Regierungsrat aufgefordert, die Absätze 5 der Paragraphen 10 und 16 der Verordnung für den Kindergarten und die Primarschule so zu formulieren, dass alle Kinder, welche während mindestens der Hälfte einer Arbeitswoche nicht in ihrer Wohngemeinde betreut werden, ab Schuljahr 2006/2007 Kindergarten oder Primarschule der Tagesaufenthaltsgemeinde besuchen können. Das Postulat wurde vom Landrat deutlich überwiesen.


Der Regierungsrat beschloss, ausgehend von einem Gutachten des Rechtdienstes des Regierungsrates, die Verordnung zu ändern. Die Rückmeldungen der Gemeinden aufgrund der Vernehmlassung waren sehr negativ. Der Regierungsrat beantragt dem Landrat deshalb, die bestehende Lösung beizubehalten und das Postulat als unerfüllt abzuschreiben.


Die Bildungsdirektion erläuterte gegenüber der Kommission, der Antrag der Regierung sei Ergebnis eines einigermassen «verwinkelten Weges». Zunächst wurde versucht, mit den Gemeinden ins Gespräch zu kommen. Man wurde aber verschiedentlich abgewiesen. Der VBLG-Vorstand signalisierte, er habe weder Gesprächs- noch Änderungsbedarf. Der Rechtsdienst wurde beauftragt abzuklären, wie restriktiv bzw. wie offen die heutige Gesetzesbestimmung interpretiert werden könne. Aufgrund der Ergebnisse arbeitete die Bildungsdirektion daraufhin eine Vorlage aus, die dem Postulat Chappuis entgegenkam.


Die anschliessende Vernehmlassungsrunde zeitigte dann aber ein relativ ernüchterndes Resultat: Ein Grossteil der Gemeinden ist gegen die vorgeschlagene Lösung und für die Beibehaltung der strengeren Regelung punkto Schulbesuch am Tagesaufenthaltsort.


Aufgrund dessen und aufgrund der Abklärungen des Rechtsdienstes, welche bestätigen, dass eine restriktive Handhabung ebenfalls möglich ist, beschloss der Regierungsrat, an der heutigen Fassung festzuhalten, da er andere Ansätze für relativ aussichtslos hielt.


In der Kommissionsberatung wurde die Frage gestellt, ob es denn im jetzigen Zeitpunkt schon möglich sei, dass zwei Gemeinden sich gegenseitig absprechen. Diese Frage wird von der BKSD bejaht. Die Direktion präzisiert, dass Gemeindeabsprachen nur dann funktionieren, wenn die Mindestanzahl (8 SchülerInnen) in den Kindergärten eingehalten wird. Letztlich muss die Direktion immer den ganzen Kanton im Auge behalten, und die Gewährung von Ausnahmeregelungen birgt auch immer die Gefahr von Nachfolgeforderungen aus anderen Gemeinden in sich.


Ein Teil der Kommission entnimmt diesen Aussagen, dass entsprechende Absprachen unter den Gemeinden in der Regel funktionieren, also liege es auch nahe, dies so zu belassen. Andererseits könne mit der restriktiveren Bestimmung einer weiteren Zersplitterung entgegengewirkt werden. Auch die Gemeinden würden damit gestärkt.


Die Postulantin blendete zurück zur Beratung des Bildungsgesetzes. In der Kommissionsberatung wurde der betreffende Bildungsgesetzesparagraph ohne grosse Diskussionen durchgewinkt. Den Anliegen der Gemeinden wurde bei der Verabschiedung des Bildungsgesetzes Rechnung getragen, und auch im Plenum habe der Paragraph nicht zu weiteren Diskussionen Anlass gegeben. Der Gesetzgeber habe klar eine liberalere als die vorliegende Lösung vorgesehen.


In der Kommission waren die Meinungen geteilt. Dem Postulat wird einerseits eine familienfreundlichere Regelung zugebilligt. Andererseits wird darauf verwiesen, dass die Gemeinden sehr wohl in der Lage seien, wie Beispiele zeigen, untereinander Absprachen zu treffen, ohne dass der Kanton ihnen wieder eine neue Vorschrift macht.


Alle Fraktionen sind für Eintreten.


Die SVP spricht sich für den Antrag des Regierungsrates aus. Die Gemeinden sollen nicht wiederum per Gesetz zu etwas verpflichtet werden, was bereits funktioniere.


Die FDP erklärt, sie habe bereits in den Beratungen zum Bildungsgesetz den klaren Willen zum Ausdruck gebracht, dass ein Kind, wenn es an anderem Ort betreut wird, dort auch zur Schule gehen kann. Das Postulat wird abgelehnt.


Die CVP/EVP-Fraktion ist der Meinung, das Problem müsse diskutiert werden. Grundsätzlich würde der Gesetzestext - welcher für Kindergarten und Primarschule gilt - durchaus genügen. Die CVP/EVP-Fraktion spricht sich gegen eine Abschreibung des Postulats aus. Es soll stehen gelassen werden, bis die Vorlage der BKSD betreffend FEB-Gesetz auf dem Tisch liegt. Dann soll das Problem erneut diskutiert werden.


Die Grünen halten die von der Postulantin vorgeschlagene Lösung für gut, gerade im Hinblick auf die Abstimmung betreffend die Volksinitiative zur freien Schulwahl.


Auch die Regierung hat sich nach Aussagen des Bildungsdirektors ernsthafte Gedanken über eine offenere Fassung gemacht. Nochmals betont er aber, abgesehen vom Positionsbezug der Gemeinden sei auch vom Rechtsdienst des Regierungsrates bestätigt worden, dass die heute gültige Regelung durchaus nicht im Widerspruch zum Bildungsgesetz steht.


Die CVP stellte den Antrag, das Postulat 2006/046 von Eva Chappuis «Schulbesuch am Tagesaufenthaltsort» bis zur Unterbreitung des FEB-Gesetzes stehen zu lassen. Die Postulantin beantragte die (uneingeschränkte) Nichtabschreibung ihres Postulats.


Die BKSK beantragt dem Landrat bei 6:6 Stimmen mit Stichentscheid des - der Regierung gegenüber stets autoritätsgläubigen - Präsidenten [Heiterkeit] , das Postulat von Eva Chappuis «Schulbesuch am Tagesaufenthaltsort» als unerfüllt abzuschreiben.


Eva Chappuis (SP) beantragt, das Postulat stehenzulassen. Sie hofft auf die Unterstützung aller Befürworterinnen und Befürworter der freien Schulwahl und bittet sie, dieses Mini-Türchen, das erwerbstätigen Eltern geöffnet werden soll, nicht gleich wieder zuzuschlagen.


Die Argumentation der Kommission ist befremdlich: Heute sagt die Verordnung, der Schulbesuch am Tagesaufenthaltsort sei nur möglich, wenn ein Kind an fünf Vormittagen und einigen Nachmittagen dort betreut wird - und gleichzeitig heisst es, die Gemeinden könnten sich untereinander organisieren. So werden die Gemeinden indirekt aufgefordert, die Verordnung zu missachten und sich über sie hinweg zu setzen. Das kann ja nicht wahr sein!


Nicht alle Gemeinden sind gleich stark betroffen; aber das Warten auf das FEB-Gesetz ist nicht angezeigt. Es braucht jetzt eine liberalere Lösung. Der Regierungsrat hat bereits aufgezeigt, wie eine Lösung aussehen kann, welche die Erwerbstätigkeit von Eltern nicht einschränkt und nicht dazu führt, dass Alleinerziehende - also zumeist Mütter - auf eine Erwerbstätigkeit verzichten müssen, weil sie in der Wohngemeinde keinen Betreuungsplatz finden, obschon sie in der Nachbargemeinde einen bekommen könnten, und dann letztlich Sozialhilfe beziehen müssen. Dies ist unheimlich viel teurer als der Ausgleich, den die abgebende Gemeinde zu leisten hätte. Mit ihrem Widerstand schneiden sich die Gemeinden ins eigene Fleisch. Mit einer liberalen Regelung könnten sie erheblich gewinnen.


Eva Gutzwiller (FDP) gibt bekannt, dass die freisinnige Fraktion der Regierung folge und das Postulat als nicht erfüllt abschreiben möchte. Denn zur Zeit wäre es völlig sinnlos, etwas gegen den erklärten Willen der Gemeinden durchboxen zu wollen. Zudem geht es um eine Verordnungsänderung - und dies liegt letztlich in der Kompetenz der Regierung, die nach intensiver Abklärung und reiflicher Überlegung zum Schluss gekommen ist, eine Änderung der Verordnung sei im Moment nicht opportun.


Es bestehen bereits Möglichkeiten - und zwar legal -, in Notfällen Lösungen zu finden. Nach wie vor ist nur eine relativ kleine Anzahl Familien betroffen.


Das Gesetz über die familienexterne Betreuung (FEB) wird kommen - irgendwann [Heiterkeit] . Und viele Gemeinden sind bereits daran, ihre Betreuungsangebote immer weiter zu verbessern. Das ist gut so, und darum braucht es jetzt keine vom Landrat verordnete Verordnungsrevision.


Paul Wenger (SVP) erinnert sich, dass in der Kommission die Reaktion von Eva Chappuis auf den Stichentscheid des Präsidenten für einige Heiterkeit sorgte. Um es kurz zu machen: Die SVP-Fraktion folgt dem Abschreibungsantrag der Regierung.


Jacqueline Simonet (CVP) als klare Befürworterin einer guten Volksschule für alle plädiert für die Aufrechterhaltung des Postulates. Das Gesetz erlaubt eine liberalere Haltung als in der Verordnung festgelegt.


Seit dem Inkrafttreten der Verordnung sind über fünf Jahre vergangen, und in dieser Zeit haben sich die Familien verändert. Wer für eine gute Volksschule ist, muss den jungen Familien mit ihren Problemstellungen entgegenkommen. Deshalb stimmt die CVP/EVP-Fraktion für Stehenlassen des Postulats.


Jürg Wiedemann (Grüne) betont, Tagesbetreuungsplätze seien nach wie vor relativ rar. Junge Eltern, die berufstätig sind, sind darauf angewiesen, dass ihre Kinder betreut werden - oft übernehmen dies auch Private wie Grosseltern, Freunde usw., und häufig leben diese nicht am Wohnort der Eltern.


Es ist unbestritten, dass dies sehr viel einfacher zu organisieren wäre, wenn die Kinder an ihrem Tagesaufenthaltsort die Schule besuchen könnten.


Die grüne Fraktion unterstützt das Postulat weiterhin und ist gegen seine Abschreibung. Erstaunlich ist die Haltung der Kreise, die sonst KMU- und Wirtschafts-Interessen vertreten. Viele junge, gut ausgebildete Berufsleute steigen aus dem Berufsleben aus, weil sie Kinder bekommen. Wer möchte, dass diese Leute im Berufsleben bleiben können sollen, muss dafür die Voraussetzungen schaffen. Dazu gehört eine reibungslose Tagesbetreuung. Gerade aus Sicht der Wirtschaft müsste man sich eigentlich für dieses Postulat einsetzen.


Madeleine Göschke (Grüne) bezieht sich auf das Argument, man solle das FEB-Gesetz abwarten. Das hiess es auch schon im Zusammenhang mit der Forderung nach Mittagstischen für die Sekundarstufe. Hätte man wirklich auf das FEB-Gesetz gewartet, gäbe es auch heute noch keine Mittagstische! Denn dieses Gesetz lässt schon ziemlich lange auf sich warten.


Der Ruf nach flexibleren Schulen ist nicht mehr zu überhören - das ist eine Frage des gesunden Menschenverstandes.


://: Der Landrat beschliesst mit 43:26 Stimmen bei einer Enthaltung, das Postulat 2006/046 stehen zu lassen. [ Namenliste ]


Für das Protokoll:
Alex Klee-Bölckow, Landeskanzlei



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