Protokoll der Landratssitzung vom 10. April 2008

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2007-277 vom 6. November 2007
Vorlage: Stellungnahme zur formulierten Gesetzesinitiative "Für einen leistungsstarken Öffentlichen Verkehr (ÖV-Initiative)"
- Bericht der Bau- und Planungskommission vom 19. März 2008
- Beschluss des Landrats am 10. April 2008: < beschlossen z.H. Volksabstimmung > || Landratsbeschluss

Nr. 419

Rolf Richterich (FDP) als Präsident der Bau- und Planungskommission erklärt, die im Januar 2007 eingereichte Initiative verlange einerseits die Schaffung eines Fonds für die Finanzierung der Investitionen im öffentlichen Verkehr und andererseits die rasche Realisierung von drei konkreten Bauvorhaben.


In der Kommission war Eintreten unbestritten. Einerseits wurde über die Zweckmässigkeit der Fondslösung diskutiert - die Mehrheit hielt diese für zu wenig flexibel -; andererseits wurde ferner die Auswahl und Priorisierung der zu fördernden Projekte in Frage gestellt und die jährliche Einlage von CHF 15 Mio. als zu tief empfunden.


Die Kommission folgt mit 8:5 Stimmen dem regierungsrätlichen Antrag, die Initiative abzulehnen und sie den Stimmberechtigten zur Ablehnung zu empfehlen.


- Eintretensdebatte


Martin Rüegg (SP) betont, die Initiative wolle das ÖV-Gesetz in zwei Punkten ergänzen:


In § 6a wird ein Investitionsfonds geschaffen, der jährlich mit CHF 15 Mio. alimentiert wird. So wird der Kanton fit gemacht für künftige Herausforderungen im öffentlichen Verkehr. Dieser Fonds bildet keine Gefahr für den kantonalen Haushalt, wie dies die Regierung etwas hilflos glauben zu machen versucht. Gefahr für den kerngesunden kantonalen Haushalt drohen allenfalls durch millionenschwere Steuergeschenke an Grossunternehmen und an die 4'400 Millionäre im Kanton sowie von den ständigen Kostenüberschreitungen bei Grossprojekten wie der H2 oder dem Justizzentrum Muttenz und von den schwarzmalerischen Finanzplänen, die zu Übungen wie GAP führen, aber nicht vom ÖV-Fonds. Die vorgeschlagene Lösung ist keine Erfindung der SP Baselland, sondern wird mit grossem Erfolg im Kanton Zürich praktiziert. Immer wieder wird betont, dass Zürich auf dem Gebiet der ÖV-Förderung Massstäbe setze, aber wenn nun ein Fonds mit einer vernünftigen Einlagehöhe angeregt wird, ist es auch wieder nicht richtig. Die Fondslösung ist prospektiv und weist den Weg für die nächsten fünfzehn Jahre. Der Landrat hat es zudem in der Hand, auf weitere Einlagen zu verzichten, wenn die drei priorisierten Projekte umgesetzt sind.


Mit § 14a soll das ÖV-Gesetz dahingehend konkretisiert werden, dass bis 2020 drei für die Region sehr wichtige und unumstrittene Projekte finanziert werden sollen:


Wird die Initiative vom Volk gutgeheissen, so werden bis 2020 immerhin CHF 150 Mio., also rund die Hälfte der benötigten Summe, bereits angelegt und bereitgestellt. Das ist nicht gefährlich, sondern vielmehr vorausschauend und intelligent.


Wer die Initiative ablehnt - und dies erst noch ohne Gegenvorschlag -, lehnt auch die genannten Projekte ab und spricht sich auch gegen die dringend notwendigen Verkehrslösungen aus, die insbesondere der untere Kantonsteil braucht. Die SP-Fraktion bittet den Rat, sich gut zu überlegen, ob er dem Stimmvolk schlicht und einfach ein Nein empfehlen möchte. Die Realisierung dieser ÖV-Projekte ist dringend nötig, und die Initiative wird dazu einiges beizutragen vermögen. Die SP-Fraktion ist selbstverständlich für Eintreten und beantragt, der Initiative zuzustimmen und sie den Stimmberechtigten zur Annahme zu empfehlen.


Hanspeter Frey (FDP) gibt bekannt, auch die freisinnige Fraktion stehe hinter der Vorlage der Regierung. Es ist nicht geschickt, dass in ein und derselben Initiative die Bildung eines Fonds vorgeschlagen und die zu realisierenden Projekte aufgezählt werden - das sollte getrennt werden. Die Fondsbildung ist kein anzustrebendes Instrument - das gab es bisher im Baselbiet erst für den Bau der H2. Zudem fordert die Initiative konkrete Projekte, deren Planung bereits angedacht ist. Vielleicht bekommen plötzlich andere Projekte eine höhere Dringlichkeit, die dann aber ins Hintertreffen geraten könnten, weil der Kanton an die Initiative gebunden ist.


Die FDP-Fraktion setzt auf den Objektkredit, so wie er bisher schon immer gehandhabt wurde. Dieses Instrument bietet eine viel grössere Beweglichkeit. Deshalb sollte die Initiative abgelehnt werden.


Christian Steiner (CVP) hält fest, auch die CVP/EVP-Fraktion lehne die Initiative ab. Eine Fondslösung bringt nämlich keine namhafte Verbesserung. Die Fraktion ist aber weder gegen den öffentlichen Verkehr noch gegen die drei spezifischen Projekte, sondern sie findet, einzelne Projekte sollten nicht in den kantonalen Gesetzen festgeschrieben werden. Würde das Schule machen, wären am Schluss jede Menge Gesetze gespickt mit lokalen oder regionalen Bedürfnissen - das wäre nicht sachgerecht. Und es ist nicht möglich, schon fixe Termine zu setzen, wenn zuerst noch mit ganz vielen Beteiligten Absprachen zu treffen sind.


Gleichwohl hätte die CVP/EVP-Fraktion von der Regierung etwas mehr erwartet als einfach nur eine blosse Ablehnung der Inititiative. Unter dem Titel «Für einen leistungsstarken öffentlichen Verkehr» hätten sich verschiedene Felder aufgetan, auf denen der Regierung hätte tätig werden oder zumindest ein Zeichen setzen können. Wenn drei beliebige Verkehrsprojekte nur über eine Initiative endlich einmal auf den Tisch kommen, liegt dies wohl daran, dass ein eigentlicher Masterplan Öffentlicher Verkehr, eine Gesamtübersicht über den ganzen Kanton mit allen notwendigen Massnahmen und einem ungefähren Zeithorizont, fehlt. Dass Handlungsbedarf besteht, liegt wohl daran, dass die Realisierung von ÖV-Projekten selten aufgrund einer vernetzten, kontinuierlichen Planung erfolgt, sondern dass meist jene Projekte umgesetzt werden, die am weitesten fortgeschritten sind, weil nur gerade für diese aus dem Agglomerationsfonds des Bundes Gelder locker gemacht werden können.


Die CVP/EVP-Fraktion wird demnächst eine Motion einreichen, die eine umfassende Planung des öffentlichen Verkehrs im ganzen Kanton Baselland zum Thema hat.


Isaac Reber (Grüne) kommt zu ähnlichen Befunden wie sein Vorredner, aber zu anderen Schlüssen. Die grüne Fraktion unterstützt die richtige und nötige Initiative.


Tatsächlich wohnt dem Priorisieren einzelner Projekte die Gefahr einer gewissen Willkür inne, aber es wäre komplett verfehlt, diesen Vorwurf der SP zu machen. Dass sie diese Initiative überhaupt lancieren musste, ist ein Zeichen dafür, dass im Kanton Baselland eine ÖV-Strategie fehlt. Diesbezüglich ist die Regierung in der Pflicht, wesentlich mehr zu bringen als einfach ein Nein zu einer Initiative, die unbestritten sinnvolle Projekte verwirklichen möchte. Das ist billig und zielt am Problem vorbei: Was fehlt, ist ein Plan, was wo in welcher Reihenfolge realisiert werden solle.


Die grüne Fraktion findet es seltsam, dass nun so viel Kritik an einer Fondslösung laut wird. Denn im Kanton gibt es schon sehr viele Fonds, und wieso jetzt ausgerechnet ein ÖV-Fonds etwas Schlechtes sein soll, ist nicht nachvollziehbar; wahrscheinlich kann das niemand in diesem Saal einleuchtend erklären. Der einzige Haken am vorgeschlagenen Fonds ist, dass die Minimaleinlage von CHF 15 Mio. etwas gar bescheiden ausgefallen ist. Dass sich die SP nicht getraut hat, mehr zu verlangen, beweist, wie kleine Brötchen im Baselbiet im ÖV-Bereich gebacken werden.


Martin Rüegg (SP) ergänzt, es gebe neben dem H2-Fonds noch weitere Fondslösungen im Kanton. Wo es einem passt, setzt man auf Fonds; nur wenn eine Initiative aus der falschen politischen Ecke kommt, blockt man ab.


Die CVP/EVP-Fraktion kann sich die Formulierung einer neuen Motion sparen, denn diese liegt bereits auf dem Tisch: die Motion 2007/249 von Eric Nussbaumer mit dem Titel «Öffentlicher Nahverkehr im unteren Kantonsteil bis 2030». Die SP-Fraktion freut sich schon jetzt, dass diese Motion dann von der CVP/EVP-Fraktion unterstützt wird.


Fünfzehn Millionen Franken seien zu wenig, kritisieren die Grünen - es ist egal, wie hoch die Summe ist: hätte die SP 30 oder 40 Millionen in ihre Initiative geschrieben, wäre es zu viel gewesen. Wie man's auch macht, nie ist es richtig. Etwas Richtiges tun kann der Landrat jetzt, indem er der Initiative zustimmt.


Regierungsrat Jörg Krähenbühl (SVP) möchte die Aussage Martin Rüeggs nicht gelten lassen, dass eine Ablehnung der Initiative einer Ablehnung von ÖV-Ausbauprojekten gleichkomme. Der Kanton Basel-Landschaft macht sehr viel für den öffentlichen Verkehr und hat noch viele weitere Projekte in petto . Zur Zeit wird am nächsten Generellen Leistungsauftrag gearbeitet, der eine massive Erhöhung des Angebots mit sich bringen wird - hoffentlich werden Gemeinden und Landrat dahinterstehen. Ausserdem wird der Planung des Margarethenstichs eine hohe Priorität zuteil, aber in dieses Geschäft sind verschiedene Partner einbezogen, die ein Wort mitzureden haben.


Die Initiative pickt einzelne Projekte heraus und behindert damit andere. Je nachdem, wie sich Salina Raurica entwickelt, muss dort rascher etwas geschehen als im Gewerbegebiet Kägen - das lässt sich heute noch nicht sagen.


Mit einer Fondsbildung wird die Regierung der Flexibilität beraubt. Der H2-Fonds ist kein gutes Vergleichsbeispiel, wird dieser doch durch die Steuerzahler bzw. Automobilisten gespiesen.


In den letzten Jahren hat der Kanton sehr viel in den ÖV investiert. Das letzte Beispiel war gerade die Zustimmung des Landrates zum Ausbau der Verkehrsdrehscheibe Arlesheim/Dornach im vorangegangenen Traktandum.


Die Regierung bittet den Landrat, die Initiative abzulehnen und sie der Bevölkerung mit Empfehlung auf Ablehnung vorzulegen.


Thomi Jourdan (EVP) glaubt auch, dass der Kanton Baselland in Sachen ÖV nicht schlecht positioniert sei. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass vor vielen Jahrzehnten in der Nordwestschweiz die Tramlinien nicht zugunsten des Individualverkehrs abgeschafft worden sind.


Aber der SP ist insofern Recht zu geben, dass durchaus noch mehr gemacht werden könnte und sollte. In den letzten Jahren sind im Landrat wohl mehr Millionen für den Bau von Strassen beschlossen worden als während viel längerer Zeit für ÖV-Ausbauprojekte. Es fehlt der Mut zum Grossen und Neuen. So gibt es beispielsweise nie eine grosse Debatte über eine ÖV-Alternative zur Südumfahrung, schon lange bevor dann eine Lösung realisiert wird.


Der Stolperstein der Initiative ist, dass sie auf Gesetzesebene drei konkrete Projekte festschreibt. Denn gegen die Fondslösung ist nicht viel einzuwenden; schliesslich macht dies der Staat noch in vielen anderen Bereichen, auch wenn er dazu nicht immer Fonds sagt, sondern Rückstellungen. Auch die Bürgerlichen finden es gewöhnlich richtig, Geld im Hinblick auf später kommende Aufgaben zurückzulegen.


Isaac Reber (Grüne) möchte nochmals auf das Thema «Fonds» zurückkommen. Solche Rückstellungen zu bilden, ist eine sinnvolle Methode, auf die man schon in vielen anderen Bereichen zurückgegriffen hat: beim Kantonsspital Bruderholz, bei der Fachhochschule Nordwestschweiz etc. Das ist vorausschauendes Planen und Handeln.


Es heisst immer, der Steuerzahler und Automobilisten zahlen in den H2-Fonds ein. Das stimmt, und das ist richtig so. Wenn einmal im Kanton für ein grosses ÖV-Projekt 400 bis 500 Millionen Franken fällig sind, so wird sich Isaac Reber dafür einsetzen, dass die ÖV-Nutzer hundert Millionen dazu beitragen.


Klaus Kirchmayr (Grüne) findet, die SVP/FDP-Seite betreibe Angsthasenpolitik, und gibt zu bedenken, dass das ganze vorbildliche ÖV-System im Grossraum Zürich inklusive S-Bahn nicht entstanden wäre ohne eine Fondslösung. Einen ÖV-Fonds zu schaffen, wäre vorausschauende Politik und würde der Regierung - in Zusammenarbeit mit dem Bund - schnelles Handeln ermöglichen. Die Skepsis der bürgerlichen Seite ist enttäuschend.


Hans-Jürgen Ringgenberg (SVP) erinnert an die Abstimmung zur Defizitbremse. Verschiedene linke Exponenten haben gefordert, vermehrt Gelder projekt- und bedürfnisorientiert flexibel einzusetzen. Werden hingegen Fonds gebildet, wird dem Kanton Eigenkapital entzogen. Es ist zu bezweifeln, dass die Linke dann die Verantwortung für eine mögliche Steuererhöhung übernehmen wird. [Unmutsbekundungen bei der SP und den Grünen]


Ruedi Brassel (SP) hat vergeblich versucht, die Argumentation seines Vorredners zu begreifen. [Gelächter bei der Ratslinken]


Immer wieder wird eine stetige Finanzpolitik gefordert. Die Bildung eines jährlich zu speisenden Fonds wäre ein Beitrag genau dazu. Von der SP aus darf es selbstverständlich auch mehr sein als CHF 15 Mio. Zusätzliche, projektbezogene Investitionen in den ÖV sind auch weiterhin möglich. Das Fonds-System erhöht nämlich die Flexibilität, indem sie eine Basisfinanzierung schafft und zugleich die Möglichkeit erlaubt, zusätzliche Mittel ins Budget aufzunehmen. An das Argument der geringeren Flexibilität glauben die Bürgerlichen ja selber nicht - das ist einfach «Chabis»!


Interessant ist, dass die Regierung in ihrer Vorlage plötzlich die Problematik der Oberaufsicht über die Fonds entdeckt hat - nun, da es darum geht, einen Fonds zu verhindern. Die SP, die seit längerem Zeit darauf hinweist, dass diesbezüglich Handlungsbedarf besteht, ist selbstverständlich für eine gute Oberaufsicht und eine transparente Bewirtschaftung von Fonds.


Offensichtlich gibt es kaum Argumente gegen die Initiative, also muss man mit Ausflüchten vorlieb nehmen, die weder Hand noch Fuss haben. Die SP freut sich auf den Abstimmungskampf über ihre Initiative, denn das Baselbiet steht für einen guten öffentlichen Verkehr, und es braucht weitere Projekte. Die Initiative ist ein Anstoss zu einer stetigen, vernünftigen, langfristig ausgerichteten und innovativen Politik.


://: Eintreten ist unbestritten.



- Detailberatung

Titel und Ingress keine Wortbegehren


Ziffer 1


Die SP-Fraktion beantragt, wie Landratspräsidentin Esther Maag (Grüne) mitteilt, die Umformulierung von Ziffer 1:


1. Der formulierten Gesetzesinitiative wird zugestimmt.


://: Der Antrag der SP-Fraktion wird mit 49:32 Stimmen abgelehnt. [ Namenliste ]



Ziffer 2


Laut Landratspräsidentin Esther Maag (Grüne) beantragt die SP-Fraktion folgende Umformulierung von Ziffer 2:


2. Die Initiative wird den Stimmberechtigten zur Annahme empfohlen.


://: Der Antrag der SP-Fraktion wird mit 50:32 Stimmen abgelehnt, somit wird dem Landratsbeschluss in vorgelegter Fassung zugestimmt. [ Namenliste ]



Landratsbeschluss
über die formulierte Gesetzesinitiative "Für einen leistungsstarken Öffentlichen Verkehr (ÖV-Initiative)

vom 10. April 2008


Der Landrat des Kantons Basel-Landschaft beschliesst:


1. Die formulierte Gesetzesinitiative wird abgelehnt.


2. Die Initiative wird den Stimmberechtigten zur Ablehnung empfohlen.


Für das Protokoll:
Alex Klee-Bölckow, Landeskanzlei



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