LR Protokoll 28. Oktober 1999 (Teil 5)
Protokoll der Landratssitzung vom 28. Oktober 1999
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Nr. 136
6 1999/029
Motion von Esther Maag vom 11. Februar 1999: Gründung eines Kantons Nordwestschweiz
Regierungsrat Andreas Koellreuter lehnt diese Motion aus folgenden Gründen ab: Mit der Aufnahme des Laufentals ins Baselbiet vor nicht allzu langer Zeit konnte der Kanton Basel-Landschaft viele Erfahrungen hinsichtlich der Eingliederung einer ausserkantonalen Region in den eigenen Kanton machen. Das Laufental lehrte uns nachhaltig, dass derartige Veränderungen vom Volk aus kommen müssen, und nicht von oben konstruiert werden dürfen. So glücklich wir über unseren fünften Bezirk Laufen sind, so reibungslos sich die Integration seit dem 1. Januar 1994 entwickelte, so eindrücklich ist auch, wie viel wertvolle Energie durch die Auseinandersetzungen und Verschiebung der territorialen Grenzen absorbiert wurde. Diese Auseinandersetzungen spielten sich nicht auf dem Papier, sondern in den Herzen der Menschen ab.
Der Vorschlag eines Kantons Nordwestschweiz atmet den Geist der planungseuphorischen 70er-Jahre und verkennt, dass politisches Zusammengehörigkeitsgefühl historisch und langsam wächst, also nicht durch einfache Grenzziehung entsteht oder von heute auf morgen geändert werden kann. Das politische Zugehörigkeitsgefühlt basiert auf stark emotionaler Ebene und beinhaltet Identität, Heimat und Geborgenheit. Diesem Faktor wird eine rein ökonomische Betrachtungsweise nicht gerecht. Formen der Zusammenarbeit sollten auf einer anderen Ebene gesucht werden, als durch die Veränderung von Kantonsgrenzen.
Im Zusammenhang mit dem Heimatbegriff sei auch kurz auf die Umfrage des Regionaljournals Basel (Radio DRS) hingewiesen, welche im April 1999 durchgeführt wurde. Die Resultate auf die beiden Fragen nach einem Kanton Nordwestschweiz und nach einer Wiedervereinigung beider Basel nahm der Regierungsrat mit Interesse zur Kenntnis. Aus Erfahrung ist jedoch bekannt, dass derartige Resultate stark von der aktuellen Lage beeinflusst sind. Zudem ist die Wahrscheinlichkeit eines anderen Ergebnisses gross, wenn auch konkret gefragt würde, ob Nachteile wie eine Steuererhöhung, die Einführung eines neuen Schulsystems oder Ähnliches in Kauf genommen würden.
Das Problem der Veränderung von Kantonsgrenzen ist rechtlich schwieriger zu lösen, als man sich dies gemeinhin vorstellt. Im Kanton Nordwestschweiz müssten zwischen den Kantonen Basel-Landschaft und Basel-Stadt sowie den betroffenen Bezirken der Kantone Aargau und Solothurn die bestehenden kantonalen Gesetze und Verordnungen und anschliessend die kommunalen Regelungen angepasst werden. Diese Harmonisierung der verschiedenen Rechtsnormen bräuchte etliche Jahre, was ein langes Übergangsregime mit geteilten Rechtsnormen, hohen Kosten und grossem politischen Energiekonsum bedeutet. Zudem weist der Kanton Basel-Stadt nach wie vor keine Kommunalstruktur für den Stadtbereich auf, was eine Zusammenlegung zusätzlich erschweren würde.
Vor rund dreissig Jahren, anlässlich der Wiedervereinigungsdebatte, bei welcher es nur um zwei, und nicht wie jetzt um vier Kantone ging, rechntete man damit, dass in Basel-Stadt und Basel-Landschaft je ungefähr 200 kantonale Gesetze und Verordnungen und anschliessend die kommunalen Regelungen hätten angepasst werden müssen. Wie diese Hochrechnung heute, nach 30 Jahren Gesetzgebung aussähe, hat die Regierung nicht eruiert. Konkret wären bei der Gründung eines Kantons Nordwestschweiz Grundlagen in folgenden Rechtsgebieten zu erlassen oder zu ändern: Ausarbeitung einer neuen Verfassung samt Einsetzung eines interkantonalen Verfassungsrates sowie Aufhebung unserer Kantonsverfassung, Ausarbeitung eines Staatsvertrages zwischen den beteiligten Kantonen samt Übertritt der beiden Aargauer und der beiden Solothurner Bezirke, Anpassung an die basellandschaftliche Gesetzgebung auf kantonaler- und kommunaler Stufe, Änderung der Bundesgesetzgebung und Bundesverfassung, soweit sie sich auf die bisherige Einteilung der Kantone beziehen.
Auch politisch gesehen bringt ein Kanton Nordwestschweiz kaum Vorteile. Die demokratische Einflussnahme der Bevölkerung wäre schwieriger als in den bisherigen Kantonen, denn je grösser ein Kanton, desto weniger gewichtig die Stimme des einzelnen Bürgers oder der einzelnen Bürgerin. Das in kleinen Gemeinden latent vorhandene Gefühl, von Agglomerationszentren majorisiert zu werden, würde massiv verstärkt. Zudem bestünde innerhalb eines so grossen Kantons die Gefahr einer bürgerfernen Verwaltung und Politik. Um eine stärkere Position innerhalb der Schweiz einzunehmen, ist ein Kanton Nordwestschweiz nicht erstrebenswert. Anzustreben ist vielmehr die Umwandlung der Halbkantone Basel-Landschaft und Basel-Stadt zu je einem Vollkanton, wie dies die Kantonsverfassung auch fordert.
Im Vergleich zu grösseren Kantonen der Schweiz ist festzustellen, dass mittlere und kleinere Kantone häufig bedeutend flexibler, günstiger und schlagkräftiger agieren. Dies vor allem auch im Sinn einer Bürgerorientierung und des New Public Management. Die Kantone Bern und Zürich hätten ungefähr die Grösse, wie man sie sich für einen Kanton Nordwestschweiz vorstellt, aber sind die BernerInnen und ZürcherInnen glücklichere und zufriedenere Menschen als wir? Funktionieren die Behörden besser? Ist der Staatshaushalt gesünder? Eher das Gegenteil ist der Fall.
Die Schnittstellen zu den Kantonen Aargau und Solothurn, welche die interkantonale Kooperation zur Notwendigkeit machen, werden durch den Kanton Nordwestschweiz nicht aufgehoben, sondern einfach weiter nach aussen verschoben. Die Problematik einer derartigen Kantonsfusion wird nur schon dadurch belegt, dass die in vieler Hinsicht nach Basel-Landschaft ausgerichtete Gemeinde Kienberg (SO) gemäss Motion gar nicht zum Kanton Nordwestschweiz gehören würde, da sie dem falschen Bezirk angehört. Ausserdem wissen wir unterdessen, dass die Kantone Aargau und Solothurn zu einer eigenen Selbstzerstückelung nicht Hand bieten wollen, und auch im Kanton Basel-Stadt hat man erkannt, dass diese Forderung unrealistisch ist.
Der Regierungsrat weiss, dass es trotz der über weite Strecken erfolgreichen regionalen Kooperation nach wie vor wichtige ungelöste Probleme gibt, ist aber der Meinung, der bisher beschrittene Weg der partnerschaftlichen Problemlösung sei viel effektiver und nicht zuletzt auch kostengünstiger als der Weg einer gross angelegten Fusion zweier Kantone.
Die internationale Kooperation hat zu einem breiten Fächer an gezielten Lösungen zum Vorteil der Menschen in unserer Region geführt. Die Kooperation wird auch inskünftig eine eminent wichtige Rolle spielen, so die trinationale Zusammenarbeit mit unseren Nachbarn in Frankreich und Deutschland. Unser Land steht vor drängenden Fragen, welche unser Verhältnis zum europäischen Raum betreffen. Diese Fragen sind für uns entscheidender als eine Kantonsfusion.
Der Regierungsrat beantragt dem Landrat, die Motion nicht zu überweisen.
Esther Maag beginnt ihr Votum mit der Auflistung einiger Zahlen, etwas, was sie sonst nicht tut. Folgende Frage wurde anfangs April vom Konso-Institut im Auftrag von Radio DRS einer repräsentativen Stichprobe von 1'300 Personen gestellt (300 Basel-Stadt, 300 Unterbaselbiet, 300 Oberbaselbiet, 200 Fricktal und 200 Schwarzbubenland):
In letzter Zeit ist verschiedentlich über eine neue Gebietsaufteilung der Kantone in der Schweiz gesprochen worden. Auch betreffend unserer Region gibt es verschiedene Vorschläge. So diskutiert man über einen Kanton Nordwestschweiz, dem Basel-Stadt und Basel-Landschaft mit dem Fricktal und dem Schwarzbubenland angehören würden. Wenn Sie sich morgen entscheiden müssten, ...
Zwar haben wohl die meisten Landräte und Landrätinnen von dieser Umfrage gehört, jedoch ist den wenigsten richtig bewusst, was daraus hervorging. 47% aller Befragten sprachen sich für einen Kanton Nordwestschweiz aus, nur 37% dagegen. 16% sind noch unentschieden. Im Schwarzbubenland waren sogar 61% dafür und in Basel-Stadt 52%. Andreas Koellreuter sagte vorher, es sei wichtig, dass Veränderungen von unten wachsen. Genau diese Zahlen belegen dies. Es sprechen sich mehr Leute dafür aus als dagegen. Esther Maag hat das Gefühl, die offizielle Politik wolle am liebsten nichts zu diesem Thema sagen. Als VolksvertreterInnen könne man nicht einfach an den Leuten vorbei politisieren.
Die zweite Frage lautete wie folgt:
Denkbar wäre auch ein Kanton Basel, nur mit Basel-Stadt und Basel-Landschaft. Wenn Sie sich morgen zu dieser Frage entscheiden müssten, wären Sie für oder gegen einen Zusammenschluss der Kantone Basel-Landschaft und Basel-Stadt zu einem Kanton?
Niemand hätte erwartet, dass sich 64% aller BaslerInnen dafür aussprechen würden. Sogar im Oberbaselbiet befürworteten noch 48% aller Befragten einen Zusammenschluss, während sich in Basel-Stadt erschlagende 78% und im Unterbaselbiet 58% dafür aussprachen. Können wir es uns weiterhin leisten, zwei verschiedene Strafprozessordnungen zu verabschieden, zwei verschiedene Beschaffungsgesetze zu besitzen, nach zwei verschiedenen Gastwirtschaftsgesetzen zu wirtschaften und nach zwei verschiedenen Ladenschlussgesetzen die Läden zu schliessen? Davon hat die Bevölkerung offensichtlich genug.
Vor allem an folgenden Punkten stören sich die Befragten: 91% an der Doppelspurigkeit in Verwaltung und Behörden, 93% an den zwei verschiedenen Schulsystemen, 82% an den mühsamen Formalitäten bei einem Wohnortswechsel. 65% glauben, das Aufheben der Grenzen würde das Wirtschaftswachstum erleichtern. 91% sind der Meinung, die grossen Aufgaben könnten gemeinsam besser gelöst werden und 89% denken, durch einen Zusammenschluss könne die Qualität von Bildung und Kulturleistungen von Basel-Stadt erhalten bleiben. Lauter Vorteile also, hinter welchen eine grosse Mehrheit von Personen steht. Regierung und Parlament hingegen verschanzen sich und zaudern.
Hohe Unterschiede in der Steuerbelastung in einzelnen Kantonen, stark unterschiedliche Krankenkassenprämien, ungerechte Verteilung der zentralörtlichen Leistungen der Städte zeigen, dass die heutige Struktur mit jeweils 26 verschiedenen Lösungen für jedes Problem weitere Probleme schafft, welche immer grösser werden. Die Lebenswelt der BürgerInnen macht schon lange nicht mehr an den Kantonsgrenzen halt, auch nicht die Wirtschaftswelt. Viele Leute überqueren die Kantonsgrenzen täglich mehrmals, ohne davon etwas zu merken. Bis jetzt wurde vor allem die interkantonale Zusammenarbeit verstärkt, wodurch mit mehr Regierungskonferenzen und Konkordaten eine zusätzliche Ebene zwischen Bund und Kanton eingerichtet wird. Dies bedeutet eine Untergrabung der Demokratie, denn Technokraten und Regierungen werden gestärkt, während Parlamente zu reinen Kopfnicker-Gremien verkommen.
Aus den oben genannten Gründen soll die Regionalisierung grundsätzlich zur Diskussion gestellt werden. Grössere und weniger heterogene Kantone können ihre Aufgaben besser wahrnehmen, denn damit wird eine Zentralisierung und das Stärkerwerden einer dritten, nicht mehr kontrollierbaren Ebene verhindert. Schlussendlich geht es darum, Gestaltungsspielraum zurückzugewinnen.
Wirtschaft und Bevölkerung haben längst den Weg der Regionalisierung eingeschlagen, so wurde beispielsweise der Tarifverbund im öffentlichen Verkehr TNW schon längere Zeit auch im Ausland als leuchtendes Beispiel einer Regionalisierung wahrgenommen. Nur auf der strukturellen Ebene hinken wir hintendrein. Der "Kantönligeist" wird noch immer gross geschrieben und notwendige Gebietsreformen werden als Tabuthemen behandelt. Wichtige Strukturreformen werden anhand unzähliger Einzellösungen umgangen, womit die Politik hinter die grundlegenden Entwicklungstrends der Regionalisierung zurück fällt.
Die Kantonsgrenzen erweisen sich heute immer mehr als Hindernisse im alltäglichen Leben, da sie nicht mehr mit unseren täglichen Erfahrungen übereinstimmen und der Grund für unzählige Mängel, Ineffizienzen und Ungerechtigkeiten (Steuern, Fürsorge) sind. Am eklatantesten zeigt sich die Problematik beim Schulsystem, wo Basel-Landschaft und Basel-Stadt nicht unterschiedlicher sein könnten. Um seine Kinder schulisch nicht zu benachteiligen, kann der Kanton nicht mehr gewechselt werden. Auch die Probleme im Gesundheitswesen sind dem Landrat schon hinlänglich bekannt.
Im Zeitalter der weltweiten Integration müssen wir uns fragen, ob ineffiziente Lösungen und Mehrkosten unseres Systems dem Kantönligeist zuliebe in Kauf genommen werden sollen. Wir müssen uns darüber klar werden, dass sich so Wirtschaft und Verwaltung immer mehr der politischen Kontrolle entziehen. Wollen die Landrätinnen und Landräte wirklich lieber schleichend entmachtet werden, als sich neu zu orientieren und mutig voran zu gehen?
Die Motion ist in Zusammenarbeit mit allen Parteien entstanden und kann daher nicht einfach als grüne Idee abgetan werden. Angesprochen wurde auch der Punkt, der Kanton Basel-Landschaft würde gesamtschweizerisch an Gewicht verlieren. Jedoch ist für die Motionärin ganz klar, dass mit der Reform der Kantonsgrenzen auch eine Reform des Ständemehrs und des Ständerates einhergehen muss.
Eine Ablehnung der Motion durch die Kantone Aargau und Solothurn war zu erwarten, trotzdem sind 64% aller BaslerInnen für die Zusammenlegung beider Kantone sowie 47% für die Gründung eines Kantons Nordwestschweiz. Die ursprünglich eingereichte Motion war etwas eng gefasst, weshalb Esther Maag über Bruno Krähenbühls Vorschlag froh war. Sie hat gehört, dieses Vorgehen sei bemängelt worden. Für sie war es allerdings korrekt, da sie von Anfang an informiert war und hinter dem stehen kann, was Bruno Krähenbühl selbst noch ausführlicher vortragen wird. Eine Ablehnung der Motion aus formaljuristischen Gründen wäre sehr schade. Selbst wenn die Motion heute abgelehnt würde, ist das Thema noch nicht vom Tisch, denn schweizweit wird weitergearbeitet. Esther Maag wird den Landrat darüber auf dem Laufenden halten.
Bruno Krähenbühl erklärt, unser Föderalismus stamme aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, aus einer Zeit also, in der zwischen Flüelen und Bellinzona noch dreimal wöchentlich eine Postkutsche zirkulierte. Die Strecke von Basel nach Mailand wurde in einer Rekordzeit von 50 Stunden zurückgelegt. Unser Föderalismus stammt aus einer Zeit, in der mit viel Mühe die kantonalen Währungen aufgehoben und der Schweizer Franken eingeführt wurde. Erst damals wurde das Verbot von Mischehen zwischen Katholiken und Protestanten aufgehoben und in Lenzburg wurde ein kleiner Ladendieb wegen Verunglimpfung der Polizei zum Tode durch Enthauptung verurteilt. Napoleon sagte einst, die Schweiz sei ein unregierbares Land. Unser Föderalismus ist eine Erfolgsstory, dank dessen unsere eigenwilligen Völker überhaupt regierbar wurden.
Die sprachkulturelle und konfessionelle Integrationsleistung des Föderalismus ist ohne Beispiel in ganz Europa und erfüllt uns mit Dankbarkeit und Bewunderung. Erfolgsgeschichten gehen aber auch einmal zu Ende. Nach Überschreiten des Höhepunkts wird der Erfolg leider oft in Misserfolg verkehrt. Es ist augenfällig, dass unser Föderalismus nicht mehr das leistet, was geleistet werden kann und was eine moderne Gesellschaft erwarten darf. Auf die Mängel hat Esther Maag bereits hingewiesen.
In diesem Zusammenhang erinnert er sich immer an den Roman "Der Leopard" von Giuseppe Tomasi di Lampedusa. Darin kam ein Fürst zu folgender Einsicht: "Wenn wir wollen, dass alles bleibt, wie es ist, ist es nötig, dass alles sich verändert." Ein gleicher Ausspruch in der französischen Kultur lautet: "Il faut tout changer pour que rien ne change."
Die Motion will eine Antwort finden auf die Frage, wie zeitgemäss der schweizerische Föderalismus noch sei. Eine nicht einfach zu beantwortende Frage, braucht es doch dazu eine ehrliche und vertiefte Analyse über den Ist-Zustand. Bei einer solchen Analyse wird man unweigerlich feststellen, dass sich in unserem Land in den letzten 150 Jahren doch Verschiedenes geändert hat. An erster Stelle steht dabei der Mentalitätswandel, verursacht durch die Binnenwanderung der Bevölkerung und durch die massive Zuwanderung aus dem Ausland. Der wirtschaftliche Wandel präsentiert sich wie folgt: Vom Agrarstaat wandelte sich die Schweiz über den Industriestaat zu einem Dienstleistungsstaat. Von der klassischen Klassengesellschaft haben wir uns zu einer multikulturellen, durchlässigen Gesellschaft entwickelt. Auch ist der staatspolitische Wandel nicht zu übersehen.
Ebenfalls wichtig sind Mobilität, Wandel in Europa und neue Arten der internationalen Zusammenarbeit. Dazu gehört die Globalisierung mit all ihren Herausforderungen. Soll dieser gewaltige Wandel in allen Bereichen unserer Gesellschaft nachvollzogen werden, braucht es eine Renaissance des Föderalismus auf modernen Grundlagen. Der real existierende Föderalismus muss hinterfragt und die politischen Strukturen unserer Kantone vermehrt wieder mit den wirklichen Lebenswelten in Übereinstimmung gebracht werden. Dabei dürfen die heutigen innerschweizerischen Grenzen selbstverständlich nicht tabu bleiben.
Grenzen sind mehr als Linien auf einer Landkarte, sie trennen, dienen dem Schutz von Eigeninteressen und sind für viele Menschen schlicht und einfach ein Ärgernis. Heute geht es in Tat und Wahrheit nicht in erster Linie um einen Kanton Nordwestschweiz, sondern um den Mut, an der Schwelle zum nächsten Jahrtausend unsere föderalen Strukturen unter wirtschaftlichen, politischen, kulturellen sowie sprachlichen Gesichtspunkten zu überprüfen. Sollte sich ein Handlungsbedarf herausstellen, müssen wir die politische Gestaltungskraft für einen Umbau aufbringen.
Bei Firmen und Volkswirtschaften kennt man die Zyklen Aufstieg - Niedergang - Untergang. Professor Walter Wittmann schreibt in seinem Buch "Countdown 2000": "Ein Land, das nicht Willens und in der Lage ist, seine Strukturen rechtzeitig anzupassen, befindet sich im Niedergang und damit auf dem Weg zum Untergang." Soweit soll es nicht kommen.
Nach Bruno Krähenbühls Abänderungsantrag zu Esther Maags Motion soll die Regierung beauftragt werden, eine Expertenkommission einzusetzen, um den heutigen Föderalismus zu analysieren, Lösungsansätze für Verbesserungen auszuarbeiten, ein Modell für einen eventuellen Kanton Nordwestschweiz zu entwickeln und alternativ dazu aufzuzeigen, wie die interkantonale Zusammenarbeit ohne Gebietsreform verbessert werden könnte. Gremien wie beispielsweise die Finanz- oder Erziehungsdirektorenkonferenz sind ein Zwischenglied zwischen Kanton und Eidgenossenschaft und nicht demokratisch legitimiert.
Im Übrigen verweist er auf den allen zugestellten Text, mit dem Esther Maag, wie bereits erklärt, einverstanden ist. Die Reform unseres Föderalismus braucht Geduld und Beharrlichkeit, beides wünscht er vor allem den jüngeren Kolleginnen und Kollegen, denn nur ihnen wird es vergönnt sein, den Erfolg des heute eventuell eingeleiteten Prozesses zu erleben.
Über unserem Land liegt eine riesige Käseglocke, welche langsam aber sicher alles erstickt. Diese muss aufgebrochen werden, ein Prozess, der heute in Gang kommen könnte. Nachdem er jedoch die vorhergehende Debatte gehört hat, ist ihm klar, dass das Thema Motocross für unsere Region selbstverständlich viel wichtiger als eine Reform des Föderalismus sei. Er bittet seine Ratskollegen und -kolleginnen, heute den Anstoss für eine Reform zu geben.
Heidi Tschopp stellt einen Ordnungsantrag. Sie empfindet das Vorgehen von Bruno Krähenbühl als falsch. Eine Motionärin oder Postulantin könne ihr Postulat umwandeln oder verändern, aber was Bruno Krähenbühl dem Landrat zugestellt habe, sei etwas anderes, als die von Esther Maag eingereichte Motion. Daher sollte Bruno Krähenbühl seine Ergänzung als neue Motion einreichen, eine Behandlung zum heutigen Zeitpunkt sollte abgelehnt werden.
Bruno Krähenbühl verweist auf § 45 der Geschäftsordnung:
§ 45 Behandlung von Motionen und Postulaten
5 Der Antragsteller oder die Antragstellerin kann während der Beratung den Wortlaut einer Motion oder eines Postulats ändern oder eine Motion in ein Postulat umwandeln.
Der Rat habe nicht über etwas abzustimmen, was das Recht der Motionärin sei. Zudem konnte sich jedermann rechtzeitig auf diese Änderung einstellen.
Esther Maag betont, sie sei von Bruno Krähenbühl von Anfang an informiert worden und habe vorher ausdrücklich gesagt, sie stimme seinem Abänderungsvorschlag zu. Der Motionstext wird also folgendermassen aussehen: Ihre eigene Motion bleibt bis und mit dem Satz Der Regierungsrat wird hiermit beauftragt, stehen gelassen, nachher wird der Text Krähenbühl ab eine Expertenkommission, bestehend aus... mit den Punkten a) bis d) eingefügt.
Nach einiger Verwirrung, ob nun über den Ordnungsantrag abgestimmt werden müsse, zieht Heidi Tschopp diesen zurück. Sie betont aber, dass derartige Neuformulierungen in Zukunft zu unterbleiben hätten.
Fortsetzung des Protokolls vom 28. Oktober 1999