Protokoll der Landratssitzung vom 11. Dezember 2008
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2008-268 vom 21. Oktober 2008
Vorlage: Aufbau eines Kompetenzzentrums für die Begleitforschung zu den Life Sciences ( 2006-153 ); Abschreibung
- Bericht der Bildungs-, Kultur- und Sportkommission vom 19. November 2008
- Beschluss des Landrats am 11. Dezember 2008 < Abschreibung abgelehnt >
Nr. 954
Kommissionspräsident Karl Willimann (SVP) berichtet, am 8. Juni 2006 habe Landrat Ruedi Brassel ein Postulat betreffend den Aufbau eines Kompetenzzentrums für die Begleitforschung zu den Life Sciences eingereicht. Das Postulat wurde am 19. Oktober 2006 vom Landrat überwiesen . Mit der Vorlage 2008/268 vom 21. Oktober 2008 beantragt der Regierungsrat dem Landrat, vom Bericht des Regierungsrates Kenntnis zu nehmen und das Postulat Brassel als erledigt abzuschreiben. Zielsetzung des Postulats ist, an der Universität beider Basel oder am ETH-Institut für Life Sciences die Bildung eines Kompetenzzentrums für die Begleitforschung zu den gesellschaftlichen Implikationen im Bereich der Life Sciences anzuregen und sich für eine allenfalls dazu nötige Anschubfinanzierung einzusetzen. Die Vorlage wurde in Beisein des Postulanten beraten.
Der Postulant bat die BKSK vorweg, dem regierungsrätlichen Antrag auf Abschreibung des Postulats nicht zu folgen und das Postulat stehen zu lassen. Die Regierung verpasse eine Chance, wenn sie die dezentrale Lösung als den richtigen Weg und das Kompetenzzentrum als verfehlte Lösung erachte. Denn letztlich könnte dort die Verknüpfung der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse mit den gesellschaftlichen Fragestellungen stattfinden. Vertreter der Bildungsdirektion gaben zu bedenken, allein schon der Umstand, dass das Postulat direkten Eingang in die Strategie 2007 der Universität fand, sei ein Hinweis darauf, dass das Anliegen nicht ungehört verklungen ist und es wird auf weitere Umsetzungsmassnahmen verwiesen. So wurde etwa von Uni und ETH-Biozentrum (D-BSSE) gemeinsam die Professur für Bioethik eingerichtet. In allen anderen Gebieten, die sich damit befassen, werden Module teils von externen, teils von internen Leuten angeboten. Ein weiteres Beispiel ist das Ethikmodul in den Nanowissenschaften.
In der Kommissionsberatung ergaben sich zwei unterschiedliche, je fast hälftige Meinungen. Die eine hält fest, dass der Bereich Life Sciences nur einer von vielen ist, in welchem sich Ethikfragen stellen. Mit ethischen Fragen müssten sich auch die Bereiche Kultur, Nanowissenschaften, Pharmakologie, Psychologie und IT auseinander setzen. Die Frage stelle sich nun, mittels welcher Struktur das Problem gelöst werden solle. In einer ersten Aufbauphase sei die erfolgte Schaffung der Bioethik-Professur die richtige Antwort auf das Postulat. Die andere Auffassung geht davon aus, dass letztendlich die Postulatsforderung - ob die Lösung nun zentral oder dezentral ist - auch Kostenfolgen haben wird. Dabei hätte ein zentrales Kompetenzzentrum wesentlich mehr Chancen, unter der Voraussetzung, dass der Landrat bereit ist, einen entsprechenden Betrag zu sprechen. Es sei kaum anzunehmen, dass in den einzelnen Fakultäten mit ihren relativ restriktiven Budgets noch Geld dafür locker gemacht werden kann. Gemäss Wissen von Regierungsrat Urs Wüthrich sind innerhalb der Hochschulen keine Widerstände gegenüber einer ethisch-kritischen Begleitforschung auszumachen.
Die Frage aus der Kommission nach der Stellungnahme der baselstädtischen Regierung auf den gleichlautenden Vorstoss im Grossen Rat wurde seitens der BKSD wie folgt beantwortet: Es fand eine Absprache zwischen den beiden Regierungen statt. In Basel-Stadt wurde von der Regierung eine sinngemäss gleichlautende Antwort abgegeben. Postulant Ruedi Brassel stellte klar, es gehe beim Postulat keineswegs um den Gegensatz Freiheit der Lehre versus Politik, wie ein Kommissionsmitglied festgestellt habe.
Eintreten war unbestritten. In der Beratung stellte die SP einen Gegenantrag auf Stehenlassen des Postulats, während die SVP und die FDP dem Regierungsantrag auf Abschreibung des Postulates zustimmten. Die CVP und die Grünen stimmten dem Gegenantrag auf Stehenlassen des Postulats zu.
Bei der Gegenüberstellung Regierungsantrag versus Antrag der SP sprach sich die BKSD mit 6 : 7 Stimmen für ein Stehenlassen des Postulats Brassel aus, weshalb die BKSD dem Landrat beantragt, das Postulat Brassel als nicht-erledigt stehen zu lassen.
Ruedi Brassel (SP) meint, die Antwort der Regierung auf das Postulat falle sehr positiv aus und könne gemäss Regierung ad acta gelegt werden. Man muss aber genau hinsehen, was im Postulat verlangt wurde und was die gegenwärtige Situation in der wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Diskussion, was Life-Sciences-Ergebnisse an Folgen auslösen können, verlangt. Die Antwort der Regierung läuft auf einen Gegensatz hinaus zwischen der Begleitforschung einerseits, die nahe an den Projekten laufen soll, und der Bildung eines Kompetenzzentrums andererseits, das durch Forschungsergebnisse ausgelöste Fragen von einer breiteren Bedeutung interdisziplinär angeht. Betrachtet man die Entwicklung der Universität der letzten Monate, so stellt man fest, dass Ende Oktober vom Universitätsrat zwei Kompetezzentren bewilligt wurden, eines zu African Studies, eines zu Neurosciences. Zwei weitere Kompetenzzentren (kulturelle Topografien und Stem Cells) stehen zur Bewilligung an. Diese Bereiche weisen nicht die gleiche Tragweite auf wie der Life-Science-Bereich. Weshalb wird nicht ein Kompetenzzentrum geschaffen in einem Bereich, der für unsere Gesellschaft und für unsere Region am wichtigsten ist? Es ist zu betonen, es geht nicht allein um eine rein wissenschaftliche ethisch-kritische Beurteilung der Ergebnisse der Life-Scienc-Forschung - der Anspruch einer solchen Begleitforschung ist viel weiter zu fassen: Es geht um eine Abschätzung der gesellschaftlichen Implikationen durch eine Implementierung dieser Ergebnisse. Wie kann die Gesellschaft an diesen Erkenntnissen teilhaben, wie kann dies kommuniziert werden, wie kann die Gesellschaft in einen Veränderungsprozess eingebunden werden, der bereits im Gange ist? Es handelt sich um einen wichtigen Punkt, wenn es darum geht, die Life Sciences in der Region zu stärken. Die Life Sciences sollen nicht nur ihrer wirtschaftlichen Bedeutung wegen akzeptiert werden, sondern man soll auch zu ihren Ergebnissen Ja sagen können und genau dies ist die Aufgabe der Begleitforschung. Die Universität wie das ETH-Institut dürfen diese Aufgabe nicht den einzelnen Projekten zuschieben - somit wird eine Chance verpasst, insbesondere auch im Verhältnis zu anderen Universitäten. Wenn die Uni Basel sich im Diskurs um die Entwicklungen im Rahmen der Life-Science-Forschung an die Spitze zu stellen vermag, dann kann sie sich dort positionieren, wo sie hingehört und wo sich die Forschung bereits befindet: an die Spitze.
Das Postulat hat zum Ziel, Stärken zu stärken. Mit der Abschreibung würde dieser Anspruch verkümmern.
Laut Argumentation der Regierung soll zu Beginn einer Forschungsausrichtung und der Fokussierung der Forschung das wissenschaftliche Interesse und nicht ein politischer Auftrag stehen. Wahrscheinlich handelt es sich hier um ein grobes Missverständnis: Leistungsaufträge sind politische Aufträge, die sich jedoch nicht im Gegensatz zum wissenschaftlichen Interesse bewegen, sondern im Einklang mit diesem. Aus diesen Gründen soll das Postulat stehen bleiben.
Paul Wenger (SVP) erklärt, die SVP-Vertreter hätten sich für eine Abschreibung des Vorstosses entschieden. Zur Diskussion steht ein zentrales Forschungszentrum versus eine vernetzte, dezentrale Form der Forschung, was hier nicht weiter ausgeführt werden soll. Die SVP-Fraktion wird einstimmig für Abschreibung votieren.
Christine Mangold (FDP) legt dar, im Bericht der Regierung sei ersichtlich, dass die Universität und die Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) grundsätzlich mit den Anliegen des Postulanten einig sind. Dies zeigt sich darin, dass das Anliegen direkt Zugang in die Strategie 2007 der Universität fand. Die Universität und die ETH haben gemeinsam das Institut für Bioethik eingerichtet, auch in den Nanowissenschaften ist ein Ethikmodul errichtet worden. Beide Institutionen erachten eine Intensivierung und verstärkte Koordination der aufgeführten Angebote und Initiativen als wünschenswert. Aus diesen Gründen findet die FDP es richtig, wenn die Regierung aus strukturellen Gründen und Gründen der Forschungskompetenz davon absieht, direkt in die Frage der Forschungsorganisation an den autonom geführten Hochschulen einzugreifen. Hinter dieser Kernaussage kann die FDP stehen. Im Weiteren begrüsst die FDP-Fraktion, dass der Regierungsrat die weitere Forschung im Bereich der interdisziplinären Risiko- und Begleitforschung an den beiden Hochschulen mitverfolgen und gegebenenfalls seinen Einfluss im Universitätsrat und Regierungsausschuss der Fachhochschule Nordwestschweiz geltend machen möchte. Es wurde ein Postulat überwiesen, die Regierung prüfte und berichtete, in einem Sinne, der für die FDP-Fraktion nachvollziehbar ist, weshalb das Postulat seitens der FDP einstimmig abgeschrieben wird.
Auch die CVP/EVP-Fraktion freue sich, dass das Anliegen des Postulats Eingang in das Strategiepapier 2007 der Universität gefunden habe, so Jacqueline Simonet (CVP). Jedoch wurde das ständige Ziel immer noch nicht erreicht. In der Vorlage 2008/178 , in der es um den Wirtschaftsstandort ging, war zu vernehmen, die hohe Standortqualität unseres Kantons wird unter anderem wesentlich durch den hochentwickelten und innovativen Cluster-Ansatz der Schlüsselbranche Life Sciences sowie durch den qualitativ hochstehenden und international ausgerichteten Forschungsplatz mit Innovationsdynamik geprägt. Ein Kompetenzzentrum für ethische Fragen bezüglich dieser Forschung wäre ebenfalls ein Standortvorteil für diese Region. Oder sollen wirklich andere Regionen zuvorkommen und selbst ein solches Kompetenzzentrum eröffnen und vielleicht später diktieren, was die Forschung machen solle? Hier sind alle Elemente vorhanden, um etwas Gutes auf die Beine zu stellen. Zur Erinnerung: Nach der Katastrophe Schweizerhalle gründete der Kanton eine Stiftung genannt MGU - Mensch, Gesellschaft, Umwelt - die 15 Jahre vom Kanton Baselland getragen wurde und heute in die Universität integriert ist. Diese Stiftung konnte eine hohe Resonanz verzeichnen. Braucht es immer zuerst eine Katastrophe, um etwas in dieser Art zu schaffen? Die CVP/EVP-Fraktion findet, das Anliegen passt zu ihrem Credo und wird gegen die Abschreibung des Postulats stimmen.
Jürg Wiedemann (Grüne) erklärt, Ruedi Brassel habe die Vorteile eines solchen Kompetenzzentrums deutlich aufgezeigt, weshalb die Grüne Fraktion ebenballs gegen die Abschreibung des Postulats sei. Die Life Sciences sollen im Kanton Baselland eine grosse Bedeutung haben - nicht nur an der Fachhochschule Nordwestschweiz, sondern auch an der Universität. Hier kann ein Kompetenzzentrum einen grossen Beitrag leisten.
Christoph Frommherz (Grüne) legt dar, die Forschung solle und dürfe nicht im Elfenbeinturm stattfinden. Und genau dies stellt die Chance und den Auftrag eines solchen Kompetenzzentrums dar, in dem die gesellschaftlichen Implikationen aufgezeigt werden. Seitens der SVP war zu erfahren, dass dieses Anliegen nicht bestritten wird, sondern man ist sich nicht einig, ob diese Forschung vernetzt oder zentral erfolgen soll. Aber es braucht doch beides, auch eine Vernetzung muss an einer zentralen Stelle organisiert werden. Deshalb soll das Anliegen nicht abgeschrieben werden.
://: Der Landrat lehnt mit 43:35 Stimmen ohne Enthaltungen eine Abschreibung des Postulats 2006-153 ab. [ Namenliste ]
Für das Protokoll:
Miriam Schaub, Landeskanzlei
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