Protokoll der Landratssitzung vom 27. Mai 2004
Protokoll der Landratssitzung vom 27. Mai 2004 |
17 2004/069
Motion von Jürg Wiedemann vom 18. März 2004: Stimm- und Wahlrecht für Secondas und Secondos
RR Sabine Pegoraro vertritt die Meinung, die politischen Rechte müssten mit dem Schweizer Bürgerrecht verknüpft sein, AusländerInnen sollten also über den Weg der Einbürgerung zu den politischen Rechten gelangen. Persönlich begrüsst die Justizdirektorin sehr, dass die erleichterte Einbürgerung der zweiten Ausländergeneration voran getrieben wird.
Das Bundesparlament hat im Rahmen der Bürgerrechtsrevision einen entsprechenden Schritt getan, im Herbst 2004 soll das Volk an der Urne entscheiden. Sollte das Volk den Anspruch auf erleichterte Einbürgerung der zweiten Ausländergeneration verwerfen, wird der Regierungsrat dem Parlament eine Vorlage zur erleichterten Einbürgerung auf kantonaler Ebene vorlegen. Mehrere diesbezügliche Landratsvorstösse sind hängig.
Für problematisch hält die Justizdirektorin die in der Motion aufgeführte Definition der Secondas und Secondos. Zu verweisen ist in diesem Zusammenhang auf die Bürgerrechtsrevision auf Bundesebene. Damit können ausländische Jugendliche ein Gesuch um erleichterte Einbürgerung stellen, wenn sie ihre obligatorische Schulbildung während mindestens fünf Jahren in der Schweiz absolviert haben, vom Ende der obligatorischen Schulzeit bis zur Einreichung des Gesuches in der Schweiz gewohnt haben und ein Elternteil eine Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung oder ein anderes dauerhaftes Aufenthaltsrecht besitzt oder besessen hat.
Bezüglich der politischen Realisierbarkeit ist der Regierungsrat der Meinung, dass die Einführung des Stimm- und Wahlrechts für Secondas und Secondos zum heutigen Zeitpunkt im Kanton Basel-Landschaft chancenlos ist. In einer in Basel durchgeführten Vernehmlassung im Zusammenhang mit der neuen Verfassung bezeichnen laut BAZ vom 31. März 2004 21 Prozent der Bevölkerung das Ausländerstimmrecht als schlecht, 22 Prozent gar explizit als Stolperstein.
Jürg Wiedemann definiert vorab den Begriff Seconda beziehungsweise Secondo: Menschen, die bei uns aufgewachsen sind, unsere Schulen besuchen, perfekt Schweizerdeutsch sprechen, sich in Sportclubs und Musikvereinen engagieren, in der freiwilligen Feuerwehr mithelfen, in die Kirche gehen, einen Beruf ausüben, arbeiten, Steuern bezahlen, Teil unserer Gesellschaft sind. Ihre Heimat ist die Schweiz. Mit Ausnahme des Militärdienstes erfüllen sie sämtliche Leistungen und Verpflichtungen wie die übrigen SchweizerInnen, einzig bei den politischen Rechten werden sie gänzlich ausgeschlossen.
Welche Nachtteile hätte der Kanton in Kauf zu nehmen, wenn Secondos und Secondas am politischen Leben teilnähmen, mitbestimmen dürften? Nähme der Kanton Schaden? Verlöre er an Souveränität? Änderte sich die Politik? Beeinflussten die zusätzlichen Wahlberechtigten das Abstimmungsverhalten, die Parteiengrössen? Verursachten sie - abgesehen von den zusätzlichen Abstimmungsunterlagen - Kosten? Nähme der Einfluss der SchweizerInnen ab?
Können diese Argumente angesichts der rund 250'000 EinwohnerInnen des Kantons bei 2000 bis 3000 Secondas und Secondos als relevant gelten?
Im Jura erhalten AusländerInnen, die zehn Jahre im Kanton wohnen, das Stimm- und Wahlrecht bei kommunalen und kantonalen Angelegenheiten. Im Kanton Neuenburg erhalten sie bereits nach einem Aufenthaltsjahr das Stimm- und Wahlrecht auf kommunaler Ebene. Die folgenden drei Erfahrungen dieser beiden Kantone sind bemerkenswert.
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Wegen der stimmberechtigten AusländerInnen gab es weder einen Links- noch einen Rechtsrutsch in den genannten Kantonen, die Parteienverhältnisse blieben unverändert, die Stimmbeteiligung ist praktisch identisch mit jener der SchweizerInnen.
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Die Diskriminierung von AusländerInnen und die Ausländerfeindlichkeit von SchweizerInnen generell wurde in diesen beiden Kantonen spürbar kleiner, genauso wie die Kriminalitätsrate der AusländerInnen signifikant gesunken ist, und zwar nicht nur bei jenen, die im Besitze des Stimm- und Wahlrechts sind, sondern auch bei jenen, die es nicht besitzen.
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3.
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Generell ist das Gewaltpotenzial in den Kantonen Jura und Neuenburg zwischen den jugendlichen AusländerInnen und SchweizerInnen in den Schulen deutlich gesunken.
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Die Erfahrungen in den Kantonen Jura und Neuenburg sind derart positiv, dass sich der Verfassungsrat des Kantons Freiburg im November 2003 für die Einführung des AusländerInnenstimmrechts auf Gemeindeebene ausgesprochen hat. Auch das Berner Parlament ist dabei, einen entsprechenden Verfassungsartikel auszuarbeiten. Ein ähnliches Modell strebt der Kanton Graubünden an, und sogar im wahrlich nicht linksdominierten Kanton Ausserrhoden führten zwei Gemeinden das AusländerInnenstimmrecht ein.
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In Schweden, Dänemark und Norwegen erhalten die AusländerInnen nach drei Jahren Niederlassung das Stimmrecht sowie das aktive und passive Wahlrecht auf kommunaler und regionaler Ebene. In Griechenland müssen AusländerInnen fünf Jahre warten und Irland gewährt AusländerInnen das Stimm- und Wahlrecht auf kommunaler Ebene bereits nach sechs Monaten.
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Bruno Steiger ist insofern Recht zu geben, dass einige AusländerInnen tatsächlich nicht in die Kirche gehen, sondern in die Moschee. Zudem stimmt es, dass Secondas und Secondos anders aussehen als SchweizerInnen. Das Argument aus den Reihen der Schweizer Demokraten, Ausländerinnen hätten anderes Blut, hat Jürg Wiedemann nicht nachgeprüft. Ob es wohl grün fliesst? Vielleicht hören sie auch andere Musik und möglicherweise tanzen sie nicht so gerne Walzer, mögen lieber Vanillecreme als Baselbieter Kirschen.
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Bisher wurde kein rationales Argument laut, das die Verweigerung des Stimm- und Wahlrechts für Secondas und Secondos begründen könnte. Klar ist, dass die meisten ParlamentarierInnen bezüglich der gestellten Frage in einem sehr engen Parteienkorsett stecken. Somit braucht es sehr viel Mut, eine abweichende Haltung zu vertreten. Die in Neuenburg gemachten Erfahrungen sind indes überzeugender als ein paar emotionale Argumente.
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Wer hier geboren und aufgewachsen ist, kann sich problemlos einbürgern lassen, wenn er beziehungsweise sie der deutschen Sprache mächtig ist. Allerdings gibt es auch seit 20 Jahren hier wohnende Secondos, die unsere Sprache nicht beherrschen.
Die Motion soll nicht überwiesen werden, sie sendete ein falsches Signal.
Paul Schär , FDP, stellt sich mit folgenden Argumenten gegen die Motion von Jürg Wiedemann:
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Ob die Motion als Integrationsmassnahme gelten darf, ist zu bezweifeln.
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Die notwendig werdende Verfassungsänderung beurteilt die FDP als chancenlos.
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Das Anliegen scheiterte bereits mehrmals, insbesondere wegen der Verfassungskompetenz auf Stufe Gemeinde.
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Die FDP stellt sich gegen Automatismen. Auch Unmündige können sich unter den Voraussetzungen der Wohnsitzdauer einbürgern lassen.
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Die ganz banale Äusserung:
Ich will Schweizer werden!
geniesst für die FDP die allerhöchste Priorität.
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Über die zur Zeit im Bund diskutierte erleichterte Einbürgerung wird die FDP mit sich reden lassen.
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Der Motionstext führt aus, wie viel Gutes die AusländerInnen für unsere Gesellschaft tun. Auch da gilt: Dies trifft auf einzelne zu, aber längst nicht auf alle und sicher nicht auf die Mehrheit der AusländerInnen in unserem Land. Weil die Schweiz den Ausländeranteil aufgeblasen hat wie kein anderes europäisches Land, nehmen die sozialen Konflikte ständig zu. Alles, was Rudolf Keller schon vor 10 und 12 Jahren hier im Rat prophezeit hat, ist eingetroffen. Heute kann prophezeit werden, dass die Probleme rund um die Ausländerfrage irgendwann mit einem grossen Knall eskalieren werden. Dies werden sich die Linken ihrer unersättlichen Ausländerpolitik zuschreiben lassen müssen. Mit einem ausgedehnteren Stimm- und Wahlrecht lassen sich die Probleme nicht lösen.
Nach Pratteln zeichnen sich in vielen Gemeinden des Kantons - etwa in Liestal, Frenkendorf, Birsfelden und Allschwil - schon heute Ghettobildungen ab, wo das edle Wort der Integration gar nicht mehr erfüllbar ist. In diesen Quartieren leben AusländerInnen, die zwar hier arbeiten, andererseits aber unter sich bleiben wollen und sich ganz bewusst abschotten. Niemand hat eine Lösung für dieses von Tag zu Tag virulenter werdende Problem. Darum sollen die romantisch politischen Träumereien der Motion vergessen werden. Je mehr Leute in unser Land kommen, desto deutlicher zeigen sich die Illusionen.
Was heisst eigentlich, wie in der Motion festgehalten: Sie sprechen perfekt Schweizerdeutsch. Wer sich die Mühe nimmt, einmal hinter einer aus Secondas und Secondos bestehenden Menschengruppe zu gehen und der Kommunikation zu lauschen, vernimmt ein Mischmasch aus verschiedenen Sprachen. Die damit verbundenen bildungspolitischen Probleme sind ja allen bekannt.
Die Schweizer Demokraten postulieren unmissverständlich, das Stimm- und Wahlrecht weiterhin an das Erfordernis Staatsbürgerschaft zu koppeln. Alles andere führt nicht weiter und destabilisierte das Staatswesen zusätzlich. Die Schweizer Demokraten lehnen diese Motion, die dem Land noch mehr Probleme einbrockte, ab.
Zu Neuenburg: Vor wenigen Jahren gelangte in Neuenburg ein Referendum der Schweizer Demokraten gegen die Ausweitung des Stimm- und Wahlrechts für Ausländer zur Abstimmung. 68 Prozent der NeuenburgerInnen lehnten diese Ausweitung ab.
Ursula Jäggi verweist auf zahlreiche Länder, die das Doppelstaatsbürgerrecht nicht kennen. Möglicherweise wollen sich Leute hier nicht einbürgern, weil sie eben den Europapass nicht verlieren wollen.
Nachdem Jürg Wiedemann seine Motion so gut begründet hat, gibt Ursula Jäggi, ohne weiter auszuholen, bekannt, dass die SP mit grosser Mehrheit hinter der Motion Wiedemann steht.
Matthias Zoller merkt an, dass sich die CVP/EVP-Fraktion schon vor Jahren klar für die erleichterte Einbürgerung stark machte und hofft, dass sie ihr Ja schon bald wieder einbringen kann. Gleichzeitig ist die Fraktion auch klar der Meinung, dass das Erfordernis des BürgerIn-Seins richtig ist und keine zweite Möglichkeit geschaffen werden soll. Wo gerechtfertigt, sollen BewerberInnen alle Rechte und Pflichten erleichtert zugestanden erhalten.
Zwei Zusatzbemerkungen:
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Nicht Thomi Jourdan hat die Motion unterschrieben, sondern Marc Joset.
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Die emotionale Argumentationsebene
Wer nicht für die Motion stimmt, ist ausländerfeindlich
bedauert die CVP/EVP-Fraktion ausserordentlich.
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Isaac Reber
erinnert Urs Hess daran, dass die Militär- und Zivilschutzpflicht gegenüber dem Bund gilt. Alle übrigen Pflichten, das kantonale und kommunale Recht betreffend, sind den Secondas und Secondas bereits auferlegt.
Die Zweifel Paul Schärs, ob die Gewährung des Stimm- und Wahlrechts zur Integration beiträgt, kann Isaac Reber einerseits verstehen, andererseits wünschte er sich von der FDP Mut zum Wagnis und zu Verbesserungen.
Daniele Ceccarelli
outet sich als Secondo und sieht sich nicht als derart gefährliches Element wie von den Schweizer Demokraten befürchtet. Dennoch an die Adresse der Linken: Ich habe mich bewusst entschieden, Schweizer zu werden, weil ich mitreden möchte. Ich lehne die Motion ab.
Hans Jürgen Ringgenberg
kennt das Thema Integration bestens und weiss auch, dass es Menschen gibt, die ihre Identität und ihren Pass unbedingt behalten möchten. So zeigt sich in der Realität die Lage. Um SchweizerIn zu werden, soll man sich bemühen müssen, ohne damit enorm hohe Hürden aufstellen zu wollen. Automatisch soll einem dieses Recht nicht in den Schoss fallen.
://: Der Landrat lehnt die Motion 2004/069 von Jürg Wiedemann ab.
Hanspeter Ryser
begrüsst den auf der Tribüne eingetroffenen alt Landratspräsidenten Ernst Thöni.
Für das Protokoll:
Urs Troxler, Landeskanzlei
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