Protokoll der Landratssitzung vom 16. November 2000

Nr. 704


7 2000/118


Postulat von Esther Maag vom 18. Mai 2000: Massnahmen für mehr Sicherheit am Fussgängerstreifen


RR Andreas Koellreuter ist bereit, das Postulat entgegenzunehmen und möchte es gleichzeitig abschreiben. Der Vorstoss von Esther Maag entspricht im Wortlaut einem im Frühjahr 2000 an die Justizdirektoren beider Basel gerichteten Schreiben des VCS. Als Voraushinweis gibt Regierungsrat Andreas Koellreuter zu Protokoll, dass sich die städtischen und die basellandschaftlichen Strassenverhältnisse nicht tel quel vergleichen lassen.


Kontrollen : Schon heute führt die Polizei regelmässig und teilweise auch in Schwerpunktaktionen Kontrollen bei Fussgängerstreifen durch. Selbstverständlich werden fehlbare Personen gebüsst. Dieselbe Modalität gilt für das Handyverbot beim Auto fahren.


Analysen : Nachdem im Juni 1994 die Vortrittsregelung für FussgängerInnen am Fussgängerstreifen geändert wurde, beobachtete die basellandschaftliche Polizei die Entwicklung und stellte eine Zunahme der Unfälle an Fussgängerstreifen fest. 1998 nahmen die Unfälle an Fussgängerstreifen massiv zu. Sowohl die Polizei des Kantons Basel-Landschaft wie die Verantwortlichen des Tiefbauamtes erkannten die Problematik schnell, wurden aktiv und leiteten im Frühjahr 1999 eine umfangreiche Untersuchung sämtlicher Fussgängerstreifen auf Kantonsstrassen im Kanton Basel-Landschaft ein. Diese Untersuchen werden in Zusammenarbeit mit einer externen Fachstelle durchgeführt. Aufgrund der grossen Zahl von Fussgängerstreifen und der umfangreichen Erhebungen werden die Arbeiten noch einige Zeit beanspruchen. Weil es sich bei den Unfällen am Fussgängerstreifen um ein landesweites Problem handelt, wird gesamtschweizerisch nach Lösungsansätzen geforscht. Fachleute der Polizei Basel-Landschaft und das kantonale Tiefbauamt analysieren in ihrer täglichen Arbeit laufend Verkehrssituationen und veranlassen die verschiedensten Massnahmen zur Erhöhung der Verkehrssicherheit. Dabei sind oft bauliche Veränderungen notwendig.


Kampagnen: In Zusammenarbeit mit der BfU und dem Verkehrssicherheitsrat sind in den vergangenen Jahren die Kampagnen "Freundliche Zone" durchgeführt worden. Selbstverständlich wird sich der Kanton Basel-Landschaft auch den weiteren schweizerischen Kampagnen anschliessen. Eine Kampagne "Handyverbot" würde wenig Nutzen eintragen, denn das Verbot ist sehr wohl bekannt. Einzig Kontrollen und Bussen werden die notwendige Wirkung zeigen.


Schwachstellensanierung: Die Verkehrssicherheit steht auch in der täglichen Zusammenarbeit mit den Gemeinden im Vordergrund. Diesbezüglich sind in den letzten Jahren wichtige Verbesserungen zu Gunsten der FussgängerInnen realisiert worden.
Abschliessend stellt der Regierungsrat fest, dass die Polizei Basel-Landschaft im Zusammenhang mit der Unfallverhütung nicht nur reagiert, sondern immer wieder frühzeitig zu agieren versucht. Das Postulat soll überwiesen und gleichzeitig abgeschrieben werden.


Esther Maag dankt für die regierungsrätlichen Ausführungen und ist erfreut, dass im Kanton Aktivitäten zu Gunsten der FussgängerInnnen laufen. Die Landrätin findet und erlebt auch immer wieder selber, dass beim Thema Sicherheit für FussgängerInnen Theorie und Praxis weit auseinander liegen. So sah sie sich gerade vor Kurzem an einem Streifen übelsten Beschimpfungen sowohl eines Auto- wie eines Motorradfahrers ausgesetzt. Eine Verbesserung könnte Tempo dreissig generell, allenfalls mit Ausnahmen, bringen.
Im Hinblick auf Unsitten wie etwa das Telephonieren mit dem Handy im Auto und auch, um adäquat reagieren zu können, möchte Esther Maag ihr Postulat stehen lassen.


Esther Bucher geht mit Esther Maag einig: Der Strassenverkehr kostet viel zu viele Opfer! In der Gesellschaft werden Verkehrsunfälle und deren Folgen offenbar als unabwendbare Schicksalsschläge verdrängt. Nur so lassen sich die 80'000 Strassenverkehrsunfälle mit 29'500 verletzten und 583 getöteten Personen im Jahre 1999 deuten. Dies wird als Preis für die fragwürdige Mobilität mehr oder weniger stillschweigend hingenommen. Der Ansatz der Sicherheitsabteilung der schwedischen Strassenverkehrsbehörden, die der Vision von 0 Todesopfer im Strassenverkehr verpflichtet ist, erscheint Esther Bucher der zukunftsweisende Weg zu einer menschengerecht gestalteten Mobilität zu sein. In die Praxis umgesetzt, bedeutet dies, dass das Regelwerk des Strassenverkehrs primär den Bedürfnissen der Schwächeren, also der FussgängerInnen, Rechnung tragen muss.
Die während der vergangenen sechs Jahre gesammelten Erfahrungen mit der neuen Regelung am Fussgängerstreifen zeigen folgende zwei Punkte klar auf:


1. Die neue Vortrittsregel schützt die schwächeren Verkehrsteilnehmer.
2. Vielen motorisierten VerkehrsteilnehmerInnen geht das Verständnis für die Regel ab.


Etwa 50 Prozent der Automobilistinnen und der Automobilisten halten sich nicht an die Vorschrift. Die von Esther Maag geforderten vermehrten Kontrollen, Analysen, Kampagnen und Schwachstellensanierungen sind deshalb nur folgerichtig und absolut notwendig. Die SP-Fraktion unterstützt das Postulat einstimmig.


Heinz Mattmüller erteilt Esther Maag einleitend in einer Duden-gestützten Abhandlung eine Lektion über die korrekte Schreibweise der männlichen beziehungsweise weiblichen Formen der deutschen Sprache.
Zur Sache selbst zitiert er aus dem Postulat Die neue Fussgängerregelung (Vortritt ohne zwingendes Handzeichen) am Streifen hat sich bewährt und bezeichnet diese Aussage als völlig aus der Luft gegriffen und reinem Wunschdenken entsprechend. Die Unfallstatistiken zeigten vielmehr, dass seit der Einführung dieser neuen Regelung im Jahre 1996 nicht weniger, sondern deutlich mehr FussgängerInnen am Fussgängerstreifen angefahren wurden als zuvor. Wenn die Unfallzahlen in der Zwischenzeit besser aussehen, dann nur deshalb, weil die FussgängerInnen ihre Lehren aus dem Fehlentscheid gezogen haben und die Strassen neuerdings vorsichtiger überqueren. Im Nationalrat eingereichte Vorstösse fordern den Bundesrat auf, die realitätsfremde und nicht praktikable Lösung rückgängig zu machen. Zwar ist der Bundesrat - er will ja schliesslich sein Gesicht wahren - nicht dazu bereit, doch hat er immerhin eingesehen, dass es ebenso falsch ist und die Automobilistinnen und Automobilisten unnötig verunsichert, wenn sich FussgängerInnen am Streifen aufhalten, obwohl sie die Strasse nicht queren wollen. Im Übrigen ist es strafbar, wenn eine Fussgängerin oder ein Fussgänger ihren beziehungsweise seinen vermeintlichen Vortritt am Fussgängerstreifen erzwingt und mit ihrem beziehungsweise seinem Verhalten eine Notsituation verursacht. Die in Bern über das Dilemma nachdenkenden Personen haben ins Auge gefasst, auf den Trottoirs Markierungen anzubringen, innerhalb derer die FussgängerInnen nicht unnötigerweise stehen bleiben dürfen, und auf den Fahrbahnen sollen vor den Streifen Zonen geschaffen werden, welche die zu Fuss Gehenden darauf aufmerksam machen, dass sie den Streifen nicht betreten dürfen, wenn sich ein Motorfahrzeug in den markierten Zonen befindet. Realisiert wurde bisher aber noch nichts, in Bern findet man sich offenbar damit ab, dass die neue Regelung keinen Anklang findet und lässt einfach Gras drüber wachsen.
Sicher ist aber, so Heinz Mattmüller, dass der biologisch bedingte Reaktionsweg und der physikalisch bedingte Bremsweg mit einem Gesetzesparagraphen nicht eliminiert werden können. Die geforderten Massnahmen der Postulantin erachtet er zwar nicht als allzu schlecht, doch etwas einseitig, teilweise überholt und überflüssig, weshalb er das Postulat nicht unterstützen wird.


Willi Grollimund weist darauf hin, dass es für jeden normalen Menschen einen Alptraum darstellt, jemandem am Arbeitsplatz oder auf der Baustelle Schaden zuzufügen oder ihn am Fussgängerstreifen zu verletzen. Alle Personen, die ein Motorfahrzeug lenken, müssen sich bewusst sein, dass sie nicht in einen anderen Rechtsstatus fallen, wenn sie ihr Fahrzeug abgestellt haben und fortan als Fussgängerin oder Fussgänger unterwegs sind. Dass heute mehr Unfälle am Fussgängerstreifen passieren, ist ein Indiz dafür, dass diese Regelung falsch ist. Die eingängigen Slogans "lose, luege, laufe", "Handzeichen schaffen Klarheit" oder "Schau hin, gib nach" scheinen in Vergessenheit geraten zu sein. Ein Motorfahrzeug muss die verschiedenesten Kennzeichnungen, Lichter und Rückstrahler tragen, Fussgänger aber bewegen sich kaum sichtbar durch Nebel und Dunkelheit. Bedarf zur Lösung der Problematik ist folglich auch bei den Fussgängern gegeben.


Paul Schär leitet mit dem Hinweis ein, in der Zielsetzung unterscheide sich die FDP-Fraktion nicht vom Postulat. Allerdings springe man auf einen fahrenden Zug auf, weshalb es sich nicht aufdränge, das Postulat stehen zu lassen.
Insbesondere die laufenden Informationskampagnen und die zu Schulbeginn getroffenen Massnahmen erachtet die Fraktion als sehr wertvoll.
Persönlich wünscht sich Paul Schär, dass sich die Fussgängerin und der Fussgänger gegenüber der Automobilistin und dem Automobilisten deutlicher erkennbar und bemerkbar macht. Zudem verunsichern auch viele Velofahrerinnen und Velofahrer die Motorfahrzeuglenkerinnen und -lenker, indem sie beispielsweise ohne Licht unterwegs sind oder die Stoppsignale nicht beachten.
Dem Postulat soll aufgrund dieser Überlegungen mit direkter Asbchreibung zugestimmt werden.


Esther Maag nimmt den Hinweis von Paul Schär über die Velofahrerinnen und Velofahrer auf und fügt bei, es gehe ihr keinesfalls um das Ausspielen der verschiedenen Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrtseilnehmer. Es gelte aber, die Kräfteverhältnisse im Auge zu behalten, ein Fussgänger verursache mit einem anderen Fussgänger keine tödlichen Verkehrsunfälle. Die Gefährdung gehe von den Automobilistinnen und Automobilisten aus.


://: Der Landrat spricht sich dafür aus, das Postulat 2000/118 zu überweisen.


://: Der Landrat schreibt das Postulat 2000/ 118 ab.


Für das Protokoll:
Urs Troxler, Landeskanzlei



Nr. 705

8 2000/147


Interpellation von Uwe Klein vom 22. Juni 2000: Unhaltbare Verschleppung der Voruntersuchungen im "Fall Wehrli". Schriftliche Antwort vom 19. September 2000


Uwe Klein bedankt sich für die Beantwortung seiner Interpellation vom 22. Juni 2000 und gibt folgende Erklärung zu Protokoll: Mit der vorliegenden Beantwortung kann und darf ich nicht zufrieden sein. Es handelt sich um eine arrogante Rechtfertigung vieler, sich hintereinander reihender Fehler, die in einem Rechtsstaat nicht passieren dürfen. Das Obergericht hat es sich mit der Beantwortung der Interpellation sehr einfach gemacht, versteckt sich hinter der Gewaltentrennung und dem laufenden Verfahren. Das Gericht weist darauf hin, dass nur Fragen gestellt werden dürfen, welche die kantonale Politik betreffen. Diesen Wink mit dem Zaunpfahl nehme ich zur Kenntnis.
Nach Abschluss des Verfahrens muss die dritte Gewalt mit politischen Fragen rechnen und Auskunft erteilen.
Ich werde den Eindruck nicht los, dass das Obergericht begangene Fehler der Untersuchungsorgane des Statthalteramtes, des Verfahrensgerichtes in diesem Falle konsequent deckt, dass sich auch die Justizpersonen, die sich mit dem Fall beschäftigen, gegenseitig decken und dass Herr S.W. vorverurteilt wurde.
Im Frühling meldete der Statthalter, bis zu den Sommerferien werde der Fall abgeschlossen sein. Bedauerlich finde ich, dass sich das Obergericht nicht bemühte, wenigstens andeutungsweise einzuräumen, dass Fehler begangen wurden und in einigen Punkten übers Ziel hinaus geschossen wurde.
Die Anschuldigungen sind sehr einseitig und massiv. Sie belasten Herrn S. W. und haben ihre Spuren hinterlassen. Sein Vertrauen in die Justiz ist tief erschüttert.


RR Andreas Koellreuter bezweifelt, ob er im Namen des Obergerichtspräsidenten überhaupt eine persönliche Erklärung abgeben darf, doch stellt er klipp und klar fest: So wie eben Uwe Klein die Justizbehörden, die sich in einem laufenden Verfahren befinden und sich nicht wehren können, desavouiert hat, so gehe es nicht. Der Regierungsrat wünschte, dass die GPK der Sache nachgehen würde.
Das Hinauszögern des Falles habe sehr viel mit Herrn W. selbst zu tun, der laufend irgendwelche Beschwerden einreicht, die bisher allesamt abgewiesen wurden.


://: Damit ist die Interpellation erledigt.


Für das Protokoll:
Urs Troxler, Landeskanzlei



Nr. 706

9 2000/076


Interpellation von Uwe Klein vom 6. April 2000: Konsequenzen aus dem Urteil des Verfassungsgerichtes betreffend Einbürgerung von Ausländern. Antwort des Regierungsrates


RR Andreas Koellreuter zu Frage 1: Auch der Regierungsrat ist der Meinung, dass es sich bei den Einbürgerungen um einen Verwaltungsakt handelt, wenn er auch den Begriff Verwaltungsakt für die vorzunehmende Handlung nicht als besonders schön empfindet.

Zu den Fragen 2 und 3: Jeder Entscheid einer demokratisch gewählten Behörde ist grundsätzlich demokratisch legitimiert. Ob der Entscheid einer Überprüfung auf die verfassungsmässigen Grundrechte (Diskriminierungsverbot, Rechtsgleichheitsgebot, Willkürverbot) standhält, ist eine andere Frage. Als Folge des Urteils des Basellandschaftlichen Verfassungsgerichtes betreffend der Pratteler Fälle vom 25. Oktober 2000 hat der Regierungsrat eine Vorlage zur Revision des Bürgerrechtsgesetzes in Sachen Einbürgerungszuständigkeit in die Vernehmlassung geschickt.
Gemäss Revisionsentwurf soll der Bürgerrat anstelle der Bürgergemeindeversammlung und der Regierungsrat anstelle des Landrates für die Erteilung des Gemeinde- beziehungsweise des Kantonsbürgerrechtes zuständig sein. Mit der Verlagerung der Einbürgerungskompetenz von der Legislative zur Exekutive erhofft sich der Regierungsrat eine Entpolitisierung und Versachlichung der Einbürgerung.

Zu Frage 4: Der Vorstand des Verbandes Basellandschaftlicher Bürgergemeinden erarbeitete 1998 einen Leitfaden, der bei den Verbandsmitgliedern allerdings nicht allzu grossen Anklang fand. Zahlreiche Bürgergemeinden kreierten ihren eigenen Leitfaden, den sie den Bewerbern abgeben. Eine einheitliche Beurteilung der Kriterien ist mit einem Leitfaden nicht garantiert. Die für die Eignungsprüfungen zuständigen Bürgerräte werden je nach Gemeinde einen mehr oder weniger strengen Massstab zur Beurteilung der Eignungskriterien setzen. Eine einheitliche Beurteilung der Eignungskriterien wäre nur dann sichergestellt, wenn eine einzige Behörde für die Beurteilung zuständig wäre.


Zu Frage 5: Die angesprochene Vorlage ist mittlerweile vom Baselbieter Volk mit 68 Prozent der Stimmen angenommen und wird am 1.1.2001 in Kraft treten.
Im Nachhinein ist festzustellen, dass es richtig war, die Beratung fortzusetzen. So können ab nächstem Jahr Bewerberinnen und Bewerber von einem gestrafften Einbürgerungsverfahren ganz im Sinne von Regierung und Parlament profitieren.


://: Der von Uwe Klein beantragten Diskussion wird stattgegeben.


Uwe Klein bedankt sich sehr herzlich für die Beantwortung beim Regierungspäsidenten. Die Fraktion ist gespannt, was am Ende von der guten, inzwischen in Vernehmlassung gegangenen Idee der Regierung noch übrig bleibt. Nach den ersten Presseinformationen haben sich die Bürgerratspräsidenten offenbar nicht besonders wohlwollend geäussert. Es ist nach Ansicht von Uwe Klein deshalb von Bedeutung, dass alle politischen Kräfte Hand bieten für ein den heutigen Verhältnissen angepasstes neues Bürgerrechtsgesetz mit logischen und menschlichen Einbürgerungsverfahren.


Bruno Steiger bemerkt an die Adresse von Uwe Klein, in Traktandum 8 habe er sich hinter der Gewaltentrennung versteckt und in seiner zweiten Interpellation, die einen fragwürdigen Gerichtsentscheid in Sachen Einbürgerungen beinhalte, begrüsse er die Gewaltentrennung. Diesen eigenartigen Gesinnungswandel könne die Fraktion der Schweizer Demokraten nicht als glaubwürdig hinnehmen.


Uwe Klein verwahrt sich gegen die Anschuldigung von Bruno Steiger und weist ihn darauf hin, dass es sich im einen Fall um ein Strafverfahren, im anderen um das Einbürgerungsrecht handelt.


://: Damit ist die Interpellation erledigt.


Für das Protokoll:
Urs Troxler, Landeskanzlei



Nr. 707

10 2000/077


Interpellation der SVP-Fraktion vom 6. April 2000: Stellungnahme des Justizdirektors zum Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 29. März 2000 betreffend Einbürgerung. Antwort des Regierungsrates


RR Andreas Koellreuter nimmt vor der Beantwortung der Fragen einleitend zu jedem der drei Abschnitte Stellung.
Zum ersten Abschnitt: Der Regierungsrat ging bis zum Urteil des Verfassungsgerichtes davon aus, dass sich der Einbürgerungsentscheid einer Bürgergemeindeversammlung nicht auf Verfassungsmässigkeit und Willkürverbot hin überprüfen lässt. Aufgrund der fehlenden Begründungspflicht und der Möglichkeit der geheimen Stimmabgabe war es nach Meinung des Regierungsrates kaum feststellbar, welche Gründe die Mehrheit der Stimmenden zu einer negativen beziehungsweise positiven Stimmabgabe bewogen hat. Nun hat aber das Verfassungsgericht festgestellt, dass eine solche Überprüfung möglich ist, indem dazu die äusseren Umstände des konkreten Einzelfalles zu Rate gezogen werden. Die Beschlüsse der Bürgergemeinde Pratteln verletzen das Rechtsgleichheitsgebot und das Willkürverbot klarerweise, weil es sich gegen eine bestimmte Kategorie von Staatsangehörigen richtet.
Zum zweiten Abschnitt: Das Urteil des Verfassungsgerichtes hat eine neue Situation geschaffen, indem das Gericht an den Gesetzgeber appelliert, die notwendigen Änderungen zu beschliessen. Andernfalls bestände das Risiko, dass das Verfassungsgericht die im Bürgerrechtsgesetz verankerte Zuständigkeit der Bürgergemeindeversammlung ausser Kraft setzen würde.
Zum dritten Absatz: Der Regierungsrat hat tatsächlich das Urteil am Tage der Entscheidungsverkündung gegenüber den Medien begrüsst, drohte aber nicht mit Ersatzvornahme, sondern sagte, eine solche Möglichkeit müsste allenfalls geprüft werden, wenn die Bürgergemeinde Pratteln die Einbürgerungen noch einmal ablehnen sollte. Die Richter äusserten sich anlässlich der Urteilsberatung dahin gehend, dass das Problem der willkürlichen Abweisungen von Einbürgerungen durch Bürgergemeindeversammlungen mit ihrem Urteil nicht gelöst ist und dass jetzt der Gesetzgeber gefordert ist. Die Richter haben die Pratteler Fälle mit der Androhung zum Neuentscheid an die Bürgergemeinde Pratteln zurückgewiesen, dass die Verweigerung der Einbügerungen als verfassungswidrig erklärt werden könnte. Die richterlichen Ausführungen sowie der Umstand, dass zu diesem Zeitpunkt die Justizkommission über die Revision des Bürgerrechtsgesetzes beriet, führten zu den Äusserungen des Regierungsrates, als er von den Medien zu den Konsequenzen des Urteils angesprochen wurde. Gegenüber den Medien gab er aber auch klar zu verstehen, dass die schriftliche Begründung des Urteils abzuwarten sei. Diese ist Ende April eingetroffen und inzwischen hat die Bürgergemeinde Pratteln entschieden, die Fälle nicht ans Bundesgericht weiter zu ziehen.


Zu Frage 1: Es handelte sich ausschliesslich um die Meinung des Justizdirektors, weil niemand, weder die Bevölkerung noch die Medien es verstanden hätten, wenn er an diesem Tage geschwiegen hätte. Die Regierungsratskollegin sowie die Regierungsratskollegen wurden an der folgenden Regierungssitzung selbstverständlich informiert.


Zu Frage 2: Zwischen den Erwägungen in den Beschwerdeentscheiden und den Ausführungen des Justizdirektors anlässlich der Landratssitzung vom 10. 2. 00 besteht keine Diskrepanz. Wie bereits dargelegt, ging der Regierungsrat davon aus, dass sich die Einbürgerungsentscheide der Bürgergemeindeversammlung einer materiellen Überprüfung entziehen und somit nicht justiziabel sind. Zum zweiten, polemischen Teil der Frage kann gesagt werden, dass sowohl der Regierungs- wie der Landrat Verfassungsentscheide wohl kaum ignorieren dürften.


Zu Frage 3: Beschwerdeentscheide des Regierungsrates haben genau jenen Stellenwert, den ihnen Verfassung, Gesetz und Gesellschaft zubilligen.


Zu Frage 4: Die Interpellanten haben bei der Fragestellung wohl übersehen, dass schon heute die entscheidenden, angesprochenen Bereiche auf Verfassungsmässigkeit hin überprüfbar sind. Vorbehalten bleiben Beschlüsse des Landrates über Begnadigungen. Gegen diese Beschlüsse ist gemäss § 32 Absatz 5 litera a. der Verwaltungsprozessordnung Beschwerde wegen Verletzung der verfassungsmässigen Rechte ausgeschlossen.


Zu Frage 5: Die Ausführungen des Verfassungsgerichtes anlässlich seiner Urteilsberatung, wonach der Gesetzgeber jetzt gefordert sei, aber auch die Androhung des Verfassungsgerichtes, § 6 des Bürgerrechtsgesetzes, wonach die Bürgergemeindeversammlung für sein Gemeindebürgerrecht zuständig ist, als verfassungswidrig zu erklären und ausser Kraft zu setzen, haben den Justizdirektor veranlasst, den Gesetzgeber darauf hinzuweisen, dass Handlungsbedarf für ihn besteht.


Zu Frage 6: Die Konsequenz aus dem Urteil ist, dass der Regierungsrat bei einer Beschwerde gegen einen negativen Einbürgerungsentscheid die Verfassungsmässigkeit des Entscheides zu überprüfen hat und bei Verletzung der verfassungsmässigen Rechte diese Beschwerde gutzuheissen hat. Wenn nun Bürgergemeinden gegen solche Entscheide des Regierungsrates Beschwerde erheben werden, wird das Verwaltungsgericht inskünftig mehr Beschwerden im Bereich der Einbürgerungen zu behandeln haben. Die Bürgergemeinden müssen davon ausgehen, dass in gleichen oder anders gelagerten Fällen die Beschwerden abgewiesen werden und sie die Kosten zu tragen haben. Negative Einbürgerungsentscheide seitens der Bürgergemeinden sind relativ selten. Eine Flut von Beschwerden, die einen Ausbau des Verwaltungsgerichtes nach sich zögen, ist kaum zu erwarten.


Zu Frage 7: Eine diesbezügliche Androhung ist nicht erfolgt. Der Justizdirektor verwies lediglich darauf, dass die Möglichkeit einer Ersatzvornahme notfalls zu prüfen ist. Wenn sich die Bürgergemeindeversammlungen trotz Gutheissung einer Beschwerde weigern sollten, Einbürgerungen vorzunehmen, dann stellte sich die Frage, wer an Stelle der Bürgergemeindeversammlung das Gemeindebürgerrecht erteilen sollte. Damit wäre nicht mehr die Frage der Gemeindeautonomie gestellt, sondern die Frage, wie den betroffenen Personen das Recht verschafft wird, auf das sie Anspruch haben.


Zu Frage 8: Es liegt kein Gesinnungswandel des Regieungsrates vor, sondern ein rechtskräftiges Verfassungsgerichtsurteil. Am 18. Mai entschied der Landrat auf die Vorlage zur Revision des Bürgerrechtsgesetzes einzutreten und das Baselbieter Volk stimmte Ende September zu. Eine neue Grundsatzdiskussion über die Einbürgerungen ist unumgänglich, was mit der jetzt in Umlauf gesetzten Vorlage auch gezeigt wird.


Hans Schäublin dankt dem Regierungspräsidenten für die zeitlich etwas hinausgezögerte Beantwortung der Interpellation. Die Bevölkerung war enttäuscht, dass der Regierungsrat mit den nun gehörten Begründungen, die wohl alle korrekt sind, so lange zugewartet hat. Störend ist für die Bürgergemeinde Pratteln, dass sie ständig in aller Leute Mund ist. Vergessen wird auch, dass sich die Abgewiesenen ein zweites Mal zum Einbürgern melden können. Nachdem nun die Bevölkerung der kleinen Bürgerrechtsrevision zugestimmt hat, liegt bereits eine neue Vernehmlassung vor, was störend ist, zumal die Bürgerrechtsrevision noch nicht einmal in Kraft ist. Künftig sollen die Schritte wirklich kürzer werden und der Bevölkerung soll die Zeit eingeräumt erhalten, die sie braucht, um die neuen Verhältnisse zu verstehen.


://: Damit ist die Interpellation erledigt.


Für das Protokoll:
Urs Troxler, Landeskanzlei



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