Protokoll der Landratssitzung vom 14. März 2002

Nr. 1528

5 2001/235
Berichte des Regierungsrates vom 25. September 2001 und der Justiz- und Polizeikommission vom 5. Februar 2002: Entwurf zur Revision des Bürgerrechtsgesetz vom 21. Januar 1993 und Entwurf zur Revision der Verfassung des Kantons Basel-Landschaft vom 17. Mai 1984 in Sachen Zuständigkeit zur Erteilung des Gemeinde- und des Kantonsbürgerrechts. 1. Lesung

Dieter Völlmin erinnert einleitend an das Urteil des Verfassungsgerichtes, das vor zwei Jahren die Bestimmung des kantonalen Bürgerrechtsgesetzes, die Bürgergemeindeversammlung sei für die Einbürgerung ausländischer Staatsangehöriger zuständig, als verfassungsmässig höchst fragwürdig bezeichnet hatte. Deutsch gesagt, meinte das Verfassungsgericht, diese Bestimmung halte der Verfassung nicht Stand. Das Gericht sah aber davon ab, die Bestimmung aufzuheben und delegierte die Sache an den Gesetzgeber, was als Wink mit dem Zaunpfahl interpretiert werden konnte. Der Regierungsrat schickte in der Folge die nun zur Entscheidung stehende Vorlage in Vernehmlassung und darauf in die vorberatende Justiz- und Polizeikommission.
Das Gericht argumentiert, bei der Einbürgerung handle es sich nicht - wie bisher jahrezehntelang angenommen - um einen politischen Entscheid, sondern um einen Verwaltungsakt. Ein Verwaltungsakt müsse justiziabel sein, die Verfassungskonformität müsse überprüft werden können. Weil die materiellen Gründe bei einem Entscheid einer Versammlung kaum feststellbar seien, sei eine Bürgergemeindeversammlung nicht die geeignete Instanz, Einbürgerungen vorzunehmen.
Gegenstand der Vorlage ist somit die Transformation des politischen Einbürgerungsaktes in einen Verwaltungsakt. Als Kernänderung des Gesetzes kann angesehen werden, dass neu nicht mehr die Bürgergemeindeversammlung, sondern der Bürger- beziehungsweise der Gemeinderat für die Verleihung des Gemeindebürgerrechts zuständig ist. Als Option kann eine Bürgergemeinde diese Zuständigkeit an eine kommunale Einbürgerungskommission delegieren. Die zweite wesentliche Änderung sagt, dass für die Erteilung des Kantonsbürgerrechts an ausländische Staatsangehörige nicht mehr wie bisher der Landrat, sondern der Regierungsrat zuständig ist.
Die Kommission hat mit 8 zu 3 Stimmen Eintreten auf die Vorlage beschlossen, keine nennenswerten Änderungen angebracht und sie mit 5 zu 3 Stimmen bei 3 Enthaltungen dem Landrat zur Annahme empfohlen.

Ernst Thöni macht das Plenum und insbesondere die FraktionssprecherInnen darauf aufmerksam, dass zwei Nichteintretensanträge eingereicht wurden.

Ruedi Brassel führt aus, es gehe bei der Vorlage darum, die Zuständigkeiten neu zu regeln und nicht um eine materielle Änderung der Einbürgerungsvoraussetzungen. Vordergründig werden die Kompetenzen von der Bürgergemeindeversammlung zum Bürgerrat oder einer Spezialkommission sowie vom Landrat zum Regierungsrat verschoben, im Hintergrund aber ist mit dieser Kompetenzverschiebung ein neues Verständnis des Einbürgerungsaktes verbunden, dass der Einbürgerungsentscheid nämlich nicht als politischer Akt, sondern als Verwaltungsakt zu werten ist.
Das erwähnte Gerichtsurteil hatte nicht nur die Rückweisung mehrerer Fälle an die Bürgergemeinden zur Folge, sondern rief auch explizit die Legislative dazu auf, ein rechtsstaatlich klar geregeltes Verfahren zu entwickeln.
Die gewählte Lösung kann nicht als singuläre, baselbieterische betrachtet werden, vielmehr zeichnet sich der beschrittene Weg als konform mit der Bürgerrechtsrevision auf Bundesebene ab. Der Einbürgerungsakt muss dem Grundsatz der Willkürfreiheit entsprechen. Was Willkür bedeutet, kann nachgezeichnet werden am Fall eines Landratsmitglieds und zugleich Gemeindepräsidenten, der abstruserweise nicht ins Bürgerrecht seiner Gemeinde aufgenommen werden soll. Ein solcher Entscheid wäre im Falle einer Annahme der Gesetzesrevision zwar nicht unmöglich, aber der Entscheid müsste begründet werden.
Die SP- Fraktion stellt sich einstimmig hinter die Vorlage und dankt dem Regierungsrat, dass er so schnell auf den Gerichtsentscheid reagiert hat.
Die Argumente der Opposition gegen die neue Regelung werfen Fragen auf. Ein Argument lautet, bei der Erteilung des Bürgerrechts handle es ich um eine Wahl. Eine Wahl aber ist etwas grundsätzlich anderes, sie setzt ein Auswahl voraus. Bei der Einbürgerung geht es nicht darum, Herrn x oder Frau y alterativ das Bürgerrecht zu erteilen. Bei der Einbürgerung handelt es sich vielmehr um eine Zusage an eine bestimmte Person, welche die Kriterien der Einbürgerung erfüllt.
Weiter argumentieren die Bürgergemeinden, die Einbürgerungen seien ein politischer Akt und müssten es bleiben; es gehe nicht an, den Souverän in einer für die Volksgemeinschaft so wichtigen Angelegenheit für unmündig zu erklären. Es sei zudem ein Urrecht jeder Gemeinschaft, ein Grundwert seit 1291, zu bestimmen, wer dazu gehören darf und wer nicht. Tatsache allerdings ist, dass im Kanton zirka 15 Prozent der Stimmberechtigten über dieses Urrecht verfügen, die übrigen 85 Prozent zu diesem Akt gemäss geltendem Recht aber absolut nichts zu sagen haben. Das Recht entspricht der vor 200 Jahren in allen Kantonen geltenden Bestimmung, dass jene, die nicht vom Ort waren, die so genannten Hintersassen, in politischen Angelegenheiten der Gemeinde schlicht nichts zu sagen hatten. Man muss somit folgern, dass heute 85 Prozent der Baselbieter Stimmberechtigten in Sachen Erteilung des Kantonsbürgerrechtes nach wie vor zu den Hintersassen zählen. Wenn das Bestimmen über Einbürgerungen ein demokratisches Urrecht ist, dann kann es nicht korrekt sein, wenn nur eine kleine 15-prozentige Minderheit darüber befindet, und es ist zudem nicht vereinbar mit der Verfassung, dass einige Bürger mehr politische Rechte beanspruchen dürfen als andere. Beim angesprochenen Recht handelt es sich somit heute nicht um ein Recht, sondern um ein Vorrecht, um ein Privileg, das der Bundesverfassung widerspricht.
Der Kanton Basel-Landschaft entstand in den Dreissigerjahren des neunzehnten Jahrhunderts aus dem Kampf für "die Aufhebung von allen Vorrechten von einzelnen Teilen und Klassen" (Stephan Gutzwiller, 1830).
Sollte am bisherigen Recht festgehalten werden, dann beanspruchten die Bürgergemeinden weiterhin dieses nicht mit der Verfassung vereinbare Privileg.
Das vorgeschlagene neue Recht löst somit auch das Problem der mangelnden Legitimation der Bürgergemeinden, Einbürgerungen ausüben zu dürfen.

Peter Tobler gibt bekannt, dass die freisinnige Fraktion nach eingehender Diskussion Nichteintreten beschlossen hat. Obwohl er als Jurist die anstehenden, rechtlichen Fragen gerne diskutiert hätte, kann sich Peter Tobler der Rückweisung aufgrund der Überlegung anschliessen, dass die Sache - wie gehört - beim Bund schon weit fortgeschritten ist und es deshalb nicht ausnehmend gescheit wäre, eine Lösung zu treffen, die später vom Bund wieder gestürzt wird. Die Fraktion hält bezüglich der Willkür eine gerichtliche Kontrolle der Bürgergemeindeentscheide für richtig. Zur Diskussion steht an sich nur die Frage, ob die Situation für derart prekär erklärt werden darf, dass sofort entschieden werden muss. Die FDP-Fraktion kam zum Schluss, dass zwar eine Klärung notwendig ist, dass diese aber nicht alleine im Kanton Basel-Landschaft, sondern zusammen mit dem Bund und den anderen Kantonen zu finden ist.
Das immer wieder vorgebrachte Argumente, es sei nicht mit letzter Sicherheit garantiert, dass die Bürgergemeinde richtig entscheide, lässt Peter Tobler nicht gelten, kein System garntiere nur richtige Entscheide, die Bilanz der Bürgergemeinden präsentiere sich allerdings ganz gut und vertretbar.

Elisabeth Schneider empfindet die aktuelle Situation durchaus als prekär, weil die geltende Rechtslage im Einbürgerungsrecht im Kanton Basel-Landschaft nach ihrer Ansicht einerseits dem Grundrecht des Demokratieprinzips und andererseits dem der Rechtsstaatlichkeit widerspricht.
Die volle Unterstützung Elisabeth Schneiders finden die Gegner der Vorlage, wenn sie das Argument vortragen, die Vorlage verstosse gegen das Demokratieprinzip; allerdings fragt sich, wer welches Demokratieverständnis vertritt, jenes der Gegner weiche vom ihrigen ab. Demokratie bedeutet Volksherrschaft, und das Volk bildet die Gesamtheit der stimmberechtigten Einwohnerinnen und Einwohner. Nicht von Demokratie darf hingegen gesprochen werden, wenn - wie im Kanton Basel-Landschaft - der Entscheid über die Einbürgerungen alleine den Ortsbürgerinnen und Ortsbürgern überlassen wird. In den allermeisten Gemeinden beträgt der Anteil der Ortsbürgerinnen und Ortsbürger nur wenige Prozent, in Biel Benken etwa sind es 17 Prozent. Da wäre es doch angezeigt, die Bürgergemeinden generell von ihren Einbürgerungsaufgaben zu entlasten und die Einbürgerungen als Verwaltungsakt bei den Einwohnergemeinden oder einer Verwaltungsinstanz des Kantons anzusiedeln.
Trotzdem darf die Vorlage als Kompromiss im Sinne des Verfassungsgerichtsurteils im Fall Pratteln angesehen werden, zumal die Einbürgerungsaufgaben auch nach einer eventuellen Genehmigung der Vorlage nach wie vor bei den Bürgergemeinden bleiben. Allerdings ist nicht mehr die Versammlung zuständig, sondern der Bürgerrat oder eine dafür eingesetzte Kommission. Damit könnte dem zweiten eingangs erwähnten Grundwert, jenem der Rechtsstaatlichkeit, nachgelebt werden. Zentrales Anliegen eines rechtsstaatlichen Gemeinwesens ist ja seine Distanzierung von jeglicher Willkürherrschaft. Artikel 9 der Bundesverfassung vermittelt einen grundrechtlichen Anspruch auf willkürfreies Verhalten der Einbürgerungsbehörden. Dieser Anspruch kann durch die Einbürgerung durch Volksentscheide nicht erfüllt werden, weil der Entscheid der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger ein Ja oder ein Nein ist und die Einbürgerung auch aus unsachlichen und verfassungsrechtlich verpönten Gründen verweigert werden kann. Damit wäre das Einbürgerungsverfahren eine reine Machtdemonstration, der Kerngedanke der Willkürfreiheit wäre verletzt.
Fazit: Bei einem Einbürgerungsverfahren, in dem das Stimmvolk anlässlich einer Versammlung entscheidet, liegt ein beträchtliches Missbrauchspotenzial, wie es sich vor Kurzem wieder in der Gemeinde Nenzlingen gezeigt hat - wo es sich notabene nicht um einen Bewerber aus dem islamischen Kulturkreis handelte. Solche Defizite dürfen in einem rechtsstaatlichen Gemeinwesen nicht länger akzeptiert werden. Grundrechtsschutz und Volksentscheide lassen sich im Einbürgerungsverfahren nicht vereinbaren.
Auch bei Annahme der Vorlage fielen die wichtigen Einbürgerungsgebühren nach wie vor in die Kassen der Bürgergemeinden. Der einzige wesentliche Revisionspunkt ist der Übergang der Entscheidungsbefugnis an den Bürgerrat, der von den stimmberechtigten Bürgerinnen und Bürgern gewählt ist. Sollten die Entscheide des Bürgerrates oder der dazu gewählten Kommission nicht gefallen, so bestände die Möglichkeit, bei den Wahlen andere Entscheidungsträger einzusetzen. Genau dieses Vorgehen bedeutet demokratisches Handeln. Aufgrund dieser Überlegungen stimmt eine knappe Mehrheit der CVP/EVP-Fraktion der Vorlage zu.

Fredy Gerber erklärt Nichteintreten der SVP-Fraktion auf die vorliegende Bürgerrechtsrevision. Störend für die SVP ist vor allem § 6 mit seinen riskanten Kompetenzübertragungen von den Einbürgerungsgemeinden auf Einbürgerungskommissionen. Wegen ein paar wenigen diskutablen Fällen sollte eine jahrzehntelange, bewährte Einbürgerungspraxis nicht abgeschafft werden. Gemeinsam mit dem Verband der Baselbieter Bürgergemeinden wehrt sich die SVP-Fraktion gegen den Abbau der direkten Volksrechte. Demokratisch gefällte Einbürgerungsentscheide dürfen nicht justiziabel werden, und die Machtübertragung von 90 Landräten auf 5 Regierungsräte lehnt die SVP ebenfalls ab. Bei sensiblen Geschäften, wie es die Einbürgerungen von Ausländern bedeuten, sollen die Entscheide nicht von einzelnen, namhaften Personen gefällt werden, derart wichtige Entscheide soll ein grosses Gremium fällen, wie es der Landrat darstellt.

Bruno Steiger dankt für die Lektion in Demokratie, gibt aber zu bedenken, dass die Ansichten zu diesem Thema nicht überall dieselben sein dürften.
Sagenhaft ist es, ja es kommt einer Beerdigung der Demokratie gleich, mit welch haltlosen Begründungen die Regierung versucht, aus dem geltenden Einbürgerungsakt einen Verwaltungsakt zu konstruieren. Das Vorgehen lässt ahnen, dass der Justizdirektor in dieser Sache ein sehr fragwürdiges Demokratieverständnis hat. Dass sich der Justizdirektor als Steigbügelhalter der Bürgerrechtsrevision auf Bundesebene erweist, mit welcher jeder in dritter Generation hier geborene Ausländer automatisch Schweizer werden soll, stimmt schon sehr bedenklich. Es darf nicht angehen, dass der Souverän bei wichtigen Angelegenheiten wie den Einbürgerungen für unmündig erklärt wird und die Demokratie trendgemäss durch eine "Juristokratie" ersetzt wird. Jede Gemeinschaft hat das Grundrecht, selbst zu bestimmen, wer dazu gehört und wer nicht.
Die Schweizer Demokraten können in der abstrusen Vorlage nichts Positives sehen und beantragen Nichteintreten.

Isaac Reber schickt die Bemerkung voraus, dass er zu jenen 85 Prozent gehört, welche zu den Einbürgerungen nichts zu sagen haben.
An der Landratssitzung vom 22. November 2001 meinte Fredy Gerber: So wird beispielsweise jemandem aus bestimmten Gründen in einer Unterbaselbieter Gemeinde das Bürgerrecht verweigert, in einer bestimmten Oberbaselbieter Gemeinde aber wird die Person eingebürgert, ohne je dort gewohnt zu haben. Es reicht für den Bewerber schon, mit dem Bürgergemeindepräsident ein Gespräch geführt zu haben und dabei einen recht guten Eindruck gemacht zu haben.
Damit wird klar, dass mit dem heutigen Verfahren Einbürgerungsentscheide willkürlich ausfallen können - dagegen stellt sich die grüne Fraktion ganz entschieden. Die Fraktion wäre zwar gerne noch einen Schritt weiter vorgestossen, kann aber mit dem nun vorgelegten Kompromiss, der die richtige Richtung anzeigt, leben und stimmt für Eintreten. Sollte die Landratsmehrheit gegen die Verfassung und die demokratischen Grundrechte Nichteintreten beschliessen, käme das einer grossen Enttäuschung gleich.

Dölf Brodbeck gewinnt den Eindruck, dass der Landrat mit dieser Vorlage am Volk vorbei politisiert und auf dem Weg ist, die Volksrechte zu beschneiden und abzubauen. Wer argumentiert, die Einbürgerung repräsentiere nicht einen politischen, sondern einen Verwaltungsakt und glaubt, mit der jetzigen Vorlage, werde das Einbürgerungsverfahren entpolitisiert, kennt die Einbürgerungen nur aus Distanz und hat mit der Einbürgerung nichts zu tun gehabt. Zweitens haben Personen, die so - ausschliesslich juristisch - argumentieren, Einbürgerungsgesuche nie beurteilen und sorgfältig begründete Anträge an eine Bürgergemeindeversammlung stellen müssen.
Wenn mit markigen Sätzen von Willkür die Rede ist, so entsteht zwangsläufig der Eindruck, hier sei im grossen Ausmass etwas nicht in Ordnung, die Bürgergemeinden hätten unqualifizierte und schlechte Arbeit geleistet, der Willkür sei Tür und Tor geöffnet. Hunderte von Einbürgerungsentscheiden im Baselbiet zeigen auf, dass dem nicht so ist. Auch der Kanton St. Gallen hat die Einbürgerung als politischen Akt in der Verfassung festgeschrieben.
Der Vergleich der alten mit der neuen Kompetenzordnung zeigt, dass es zur Hauptsache darum geht, das Einbürgerungsverfahren justiziabel zu gestalten, wobei die Qualität dieses Prozesses offenbar nebensächlich ist. Die Formulierung des neuen Paragraphen 6 reduziert das Einbürgerungsverfahren auf ein einphasiges Verfahren. Dies bedeutet, dass eine Instanz beurteilt, mit Bewerberinnen und Bewerbern redet und entscheidet, während bisher eine Behörde beurteilte und Antrag stellte, eine zweite Instanz aber den Entscheid getroffen hat. Insbesondere bei aufwändigen, heiklen Fragen ist im Landrat ein dreistufiges Verfahren - Regierung, Kommission, Landratsplenum - Normalität.
Bezüglich des Abbaus von Volksrechten ist festzuhalten, dass die Vorlage das in der Schweiz geltende Primat des Ortsbürgerrechts unterschlägt, dem Einbürgerungsverfahren auf Kantons- und Bundeseben aber nur sekundäre Bedeutung zukommt. Massgeblich sollten für den Kanton somit die Antworten der Gemeinden sein.
Ganz klar lehnt eine grosse Mehrzahl der Gemeinden die Vorlage ab, was auch für Regierung und Verwaltung ein Signal sein sollte. Dass das Volk die von der SP stammende Jubiläumsaktion bei einer Stimmbeteiligung von 41 Prozent mit über 60 Prozent abgelehnt hat, wird ebenfalls unterschlagen.
Eine Mehrheit der Kantone erachtet die Einbürgerung nach wie vor als politischen Akt, vielfach kann nach wie vor an der Urne über die Einbürgerung entschieden werden. Zumindest ungeschickt wäre es, wenn der Landrat mit der Zustimmung zur Vorlage das Recht der Bürgerrechtsverleihung massiv beschneiden würde, ein Bürgerrecht, das ausdrücklich erwähnt ist in Paragraph 44 der Verfassung.
Der Landrat wird gebeten, nicht auf die Vorlage einzutreten.

Peter Holinger hat in seiner Funktion als zuständiger Stadtrat währen vier Jahren in der Bürgergemeinde Liestal gute Erfahrungen bei den Einbürgerungsgesprächen gesammelt. Nur ganz wenige Gesuche konnten nicht weitergeleitet werden. Gründe dazu waren etwa das völlige Fehlen von Wissen über die Schweiz und den Kanton oder die Unmöglichkeit, sich auf Deutsch, Französisch oder Italienisch zu verständigen. 98 Prozent der Gesuche wurden akzeptiert, die Bewerberinnen und Bewerber eingebürgert und am Schluss vom Landrat bestätigt. Von Willkür war nie etwas festzustellen, so dass nicht einsichtig ist, warum dieser wirklich demokratische Prozess nun delegiert werden soll.
Das Verfahren hat sich bewährt. Eine Bürgergemeindeversammlung, in Liestal bedeutet dies eine Versammlung zwischen 60 und 100 Personen, ist kompetent und frei, während ein fünfköpfiger Bürgerrat leicht unter Druck geraten könnte.
Was sich gut bewährt hat, soll nicht unnötig umgekrempelt werden.

Urs Baumann spricht nicht für die knappe Mehrheit, sondern für die starke, für Rückweisung der Vorlage plädierende Minderheit der CVP/EVP-Fraktion. Grundsätzlich hat sich das heute geltende System der Bürgergemeinden tausendfach bewährt. Das Ganze nun wegen Einzelfällen im Promillebereich über den Haufen zu werfen und das Gesetz ändern zu wollen, ist nicht angemessen.
Ein grosses Fragezeichen ist hinter das Argument zu setzen, die Sicherheit werde erhöht. Die Bürgergemeinden dürfen nicht als Folklore disqualifiziert werden.
Man sollte auch nicht vergessen, dass der Landrat Millionen von Franken für den Integrationsprozess von Ausländern beschliesst. Der Anlass der Bürgergemeindeversammlungen bietet Bewerberinnen und Bewerbern für das Bürgerrecht eine hervorragende Gelegenheit, Kontakte mit anderen Mitbürgerinnen und Mitbürgern zu knüpfen und sich in das Vereins- und das politische Leben einzufügen.

Christoph Rudin erachtet den Nichteintretensantrag der FDP, der in der vorberatenden Kommission nicht vorgetragen wurde, als Regelverletzung. Weil sich die FDP-Fraktion mit einem Antrag nicht durchsetzen konnte, möchte sie nun die ganze Vorlage nicht behandeln. Wer kalte Füsse bekommt, sollte das schon mehrfach eingebrachte, schlechte Argument, man möchte auf den Vorschlag des Bundes warten, nicht schon wieder vortragen. Die FDP sollte nicht in der rechten Ecke politisieren, sondern Farbe bekennen und die Entemotionalisierung und Entpolitisierung des Einbürgerungsverfahrens mit rechtsstaatlichen Verfahrensgrundsätzen mittragen.

Eva Chappuis entgegnet Dölf Brodbeck, die Revision strebe nicht zur Hauptsache an, das Verfahren justiziabel zu gestalten, vielmehr sei das Verfahren schon heute justiziabel, wie im Fall Pratteln und im Fall Nenzlingen zu sehen. Die Justiz werde dem Landrat vorschreiben, was er zu tun hat, wenn er das Verfahren jetzt nicht ändere.

Hildy Haas gibt - mit Bezugnahme auf die Willkürproblematik - zu bedenken, dass ein Bürgerrat aus fünf Personen besteht, die von allen Seiten unter Druck geraten können. Zudem sind auch Richter nur Menschen, weshalb gefolgert werden kann, dass eine Volksversammlung eine demokratischere Lösung darstellt.
Die Qualität einer Aufnahme steigt mit der Anzahl Menschen, die diese Aufnahme vornehmen. Wenn eine Bürgergemeindeversammlung eine Familie aufnimmt, hat dies eine bessere Qualität, als wenn jemand auf irgend einem Büro einen Stempel setzt. Die heutige Regelung erweist sich somit als die bessere, Handlungsbedarf besteht nicht.

Ruedi Brassel weist darauf hin, dass der Auftrag sauber abgeklärt ist, ein Ausweichen nicht möglich ist. Die SP verlangt deshalb namentliche Abstimmung zum Eintreten.
Dem Argument von Dölf Brodbeck, die Vorlage baue die Volksrechte ab und beschneide die Demokratie, hält Ruedi Brassel entgegen, eine grosse Mehrheit der Stimmberechtigten dürfe gemäss aktuellem Recht nicht mitbestimmen. Es liege geradezu im Interesse der Bürgergemeinden, dem Vorschlag zuzustimmen, denn sie dürften in Schwierigkeiten gelangen, wenn es darum gehen wird, ihre demokratische Legitimation darzulegen.

Isaac Reber fügt bei, das Gesetz sei nicht wegen der wenigen Einzelfälle, sondern wegen der Ungerechtigeit zu ändern. Das geltende Verfahren verstosse gegen das verfassungsmässig festgehaltene Willkürverbot.
An die Adresse von Dölf Brodbeck meint Isaac Reber, er hoffe, die FDP-Fraktion werde der Stimme der Jungfreisinnigen folgen, die der Vorlage zugestimmt haben.

Peter Tobler hat die Erfahrung gemacht, dass er immer dann, wenn Christoph Rudin schimpft, auf dem richtigen Weg ist. Grässlicherweise habe die FDP tatsächlich gesagt, dass der Bund am Thema arbeite, eine Botschaft dazu sei veröffentlicht. Verboten sollte solches ja wohl nicht sein.

Paul Schär ist von Christoph Rudin leider nicht überzeugt worden und die FDP lasse sich sicher nicht in die rechte Ecke drängen. Insgesamt erweise sich das Vorhaben als "Murks", dies könne er nach siebenjähriger Mitgliedschaft und Erfahrung in der Petitionskommission mit Überzeugung vertreten.

Röbi Ziegler bemerkt zum Thema Abbau der Volksrechte, gemäss der aktuell geltenden Regelung stehe dem Volk das Recht zu, Bestimmungen festzulegen, nach welchen Kriterien eine Einbürgerung möglich ist. Sollte das Gesetz revidiert werden, hätte das Volk dieses Recht nach wie vor. Wenn der Bürgerrat nach festgelegten Kriterien entscheidet, eine einbürgerungswilllige Person erfülle die Wohnsitzpflicht, könne sich sprachlich verständigen, habe die Steuern bezahlt und führe einen guten Leumund, dann könne doch nicht gesagt werden, irgendein Volksrecht sei beschnitten.
In der Frage, wo die Volksrechte anzusiedeln sind, spiele auch das Moment der Kompetenz mit. Ein Bürgerrat, der die Einbürgerungswilligen kennen lernt, mit ihnen Gespräche führt, verfüge über grössere Kompetenzen als eine Bürgergemeindeversammlung.

Thomi Jourdan vergleicht das Vorgehen mit dem Autofahren: Den meisten Menschen sei klar, dass es nicht sein darf, mit 140 Stundenkilometern durch ein Quartier zu rasen. Für jene, die sich aber nicht von sich aus daran halten, stelle der Gesetzgeber Regelungen auf, damit die Fehlbaren zur Rechenschaft gezogen werden können. Damit werde das Potenzial des Falschhandelns vermindert.
Zum Argument der Willkür bemerkt Thomi Jourdan, Willkür liege in der Tatsache, dass ein Ja- oder Neinbeschluss einer Bürgerratsversammlung gar nicht überprüfbar sei. Nach Annahme der Revision hingegen müsste der Bürgerrat seine Begründung für das Ja oder das Nein darlegen - und diese Begründung könnte dann von jedermann angefochten werden.
Schliesslich fragt Thomi Jourdan, wovor denn so viele im Saal sich ängstigen, ob davor, dass zu viele das rote Büchlein in der Hand halten könnten oder davor, Wählerstimmen zu verlieren.
Mit seinem Entscheid sende der Landrat eine Message über sein Verhalten jenen Menschen gegenüber, die seit zwanzig, dreissig oder mehr Jahren im Lande leben und nicht eingebürgert werden, weil ihre Nase jemandem nicht gefällt.

Eva Chappuis gibt zu bedenken, dass die Bürgergemeinden, deren Autonomie so sehr beschworen wird, wie die Jungfrau zum Kind zwar nicht zu zusätzlichen Bürgern, aber zu zusätzlichen Bürgerinnen kommen. Ihre Bürgergemeinde, Mervelier im Kanton Jura, in einem Tal, das la terre sainte genannt wird, hätte wohl gerne auf sie verzichtet.

Hans Schäublin erachtet es als unverständlich, dass Christoph Rudin ein neues Gesetz einführen will, das zwei Jahre später wieder geändert werden muss. Selbst wenn Willkür vorliegen sollte, habe jede Bewerberin und jeder Bewerber jederzeit die Möglichkeit, wieder neu anzutreten.

RR Andreas Koellreuter weist den Landrat darauf hin, dass dem Regierungsrat, falls der Landrat Nichteintreten beschliessen sollte, für den allen bekannten aktuellen Beschwerdefall zwei Möglichkeiten bleiben: Sagt die Regierung Nein, wird der Beschwerdeführer an das Verwaltungsgericht gelangen, sagt sie Ja, wird die Bürgergemeinde ebenfalls an das Verwaltungsgericht gelangen. Dieses Gericht habe dem Landrat einen Wink mit dem Zaunpfahl gezeigt und die Regierung habe, weil sie den Handlungsbedarf für gegeben hielt und hält, den zur Diskussion stehenden Vorschlag präsentiert. Dieser Vorschlag zwinge das Entscheidungsgremium zu begründen, warum jemand nicht eingebürgert werden soll.
Der Justizdirektor bittet den Landrat, von der Vogel Strauss-Politik zu lassen, auf das Geschäft einzutreten und die Verantwortung wahrzunehmen.

Isaac Reber meint an die Adresse von Hans Schäublin, es gehe nicht an zu argumentieren, wer willkürlich abgewiesen worden sei, habe ja das Recht, wieder neu anzutreten. Die Landräte hätten gelobt, die Verfassung zu achten, Willkür sei verfassungsmässig verboten, das Verfahren folglich zu ändern.

Namentliche Abstimmung

Für Eintreten stimmen : Simone Abt, Heinz Aebi, Esther Aeschlimann, Rita Bachmann, Ruedi Brassel, Eva Chappuis, Remo Franz, Beatrice Fuchs, Madeleine Göschke, Jacqueline Halder, Franz Hilber, Urs Hintermann, Ursula Jäggi, Marc Joset, Thomi Jourdan, Uwe Klein, Peter Meschberger, Daniel Münger, Eric Nussbaumer, Roland Plattner, Heidi Portmann, Isaac Reber, Christoph Rudin, Karl Rudin, Olivier Rüegsegger, Elsbeth Schmied, Elisabeth Schneider, Agathe Schuler, Sabine Stöcklin, Urs Wüthrich, Röbi Ziegler, Matthias Zoller,

Gegen Eintreten stimmen
: Romy Anderegg, Roland Bächtold, Urs Maumann, Margrith Blatter, Patrizia Bognar, Dölf Brodbeck, Monika Engel, Hanspeter Frey, Thomas Friedli, Toni Fritschi, Barbara Fünfschilling, Beatrice Geier, Fredy Gerber, Willi Grollimund, Hildy Hass, Thomas Haegler, Gerhard Hasler, Peter Holinger, Walter Jermann, Jörg Krähenbühl, Silvia Liechti, Christine Mangold, Heinz Mattmüller, Mirko Meier, Roger Moll, Juliana Nufer, Sabien Pegoraro, Max Ribi, Max Ritter, Hanspeter Ryser, Liz Rytz, Patrick Schäfli, Paul Schär, Hans Schäublin, Dieter Schenk, Daniela Schneeberger, Bruno Steiger, Urs Steiner, Ernst Thöni, Peter Tobler, Heidi Tschopp, Judith Van der Merwe, Dieter Völlmin, Helen Wegmüller, Hanspeter Wullschleger, Peter Zwick

Stimmenthaltung : Paul Rohrbach

://: Der Landrat beschliesst mit 46 zu 32 Stimmen bei 1 Enthaltung Nichteintreten auf Vorlage 2001/235.

Für das Protokoll:
Urs Troxler, Landeskanzlei





Nr. 1529

Frage der Dringlichkeit:

2002/064
Interpellation der FDP-Fraktion vom 14. März 2002: Chemiemülldeponien: Kooperation oder Filz? was ist wirklich geschehen

2002/065
Interpellation von Olivier Rüegsegger vom 14. März 2002: Überarbeitung Deponienbericht - ein Einzelfall


://: Die Regierung zeigt ihre Bereitschaft, die Vorstösse dringlich zu behandeln. Dringlichkeit ist stillschweigend beschlossen.

Ernst Thöni kündigt die Bürositzung für 13.40 Uhr an und wünscht guten Appetit.

Schluss der Sitzung: 12.00 Uhr

Für das Protokoll:
Urs Troxler, Landeskanzlei





Nr. 1530

Überweisungen des Büros

Landratspräsident Ernst Thöni begrüsst die Anwesenden zur Nachmittagssitzung und gibt Kenntnis von folgenden Überweisungen:

2002/059
Bericht des Regierungsrates vom 5. März 2002: Drei kleine Revisionen des Landwirtschaftsgesetzes Basel-Landschaft; an die Volkswirtschafts- und Gesundheitskommission

2002/060
Bericht des Regierungsrates vom 5. März 2002: Kantonaler Nutzungsplan Rheinhäfen; an die Bau- und Planungskommission

2002/062
Bericht des Regierungsrates vom 12. März 2002: Genehmigung des Vertrages zwischen den Kantonen Basel-Stadt und Basel-Landschaft über das TSM Schulzentrum für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen in Münchenstein (Partnerschaftliches Geschäft); an die Erziehungs- und Kulturkommission

Für das Protokoll:
Andrea Maurer-Rickenbach, Landeskanzlei



Fortsetzung >>>
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