Protokoll der Landratssitzung vom 13. November 2003
Protokoll der Landratssitzung vom 13. November 2003 |
Nr. 234
28 2003/188
Motion von Paul Schär vom 4. September 2003: Die Schule muss ein drogenfreier Raum werden!
RR Urs Wüthrich
ist bereit, die Motion von Paul Schär als Postulat entgegen zu nehmen. Der zentralen Feststellung des Vorstosses, dass der Alkohol- und Drogenkonsum an den Schulen ein bedenkliches Mass angenommen hat, widerspricht, so der Erziehungsdirektor, niemand. Die Aussage ist allerdings mit der Feststellung zu ergänzen, dass der Alkohol- und Drogenkonsum in der Gesellschaft ein bedenkliches Mass erreicht hat.
Die Motion erweckt beim Erziehungsdirektor den Eindruck, die Prävention werde an den Baselbieter Schulen vernachlässigt. Ganz eindeutig aber macht der Kanton grosse Präventionsanstrengungen an den Schulen, wenn auch einzugestehen ist, dass der Erfolg deutlicher ausfallen müsste. Der Regierungsrat wird deshalb dem Parlament über die neuen Massnahmen Bericht erstatten und die bestehenden Massnahmen einer Wirkungsprüfung unterziehen. Die Übernahme eines detaillierten Kochrezepts aber lehnt der Regierungsrat ab.
Die Gesundheitsförderung und die Suchtprävention sind in der Bildungsgesetzgebung verankert und zur Bewältigung von Krisensituationen soll die Schulsozialarbeit eingerichtet werden. Das Marschtempo der Einführung bestimmt der Landrat mit den entsprechenden Kreditbewilligungen.
Die Rechtsgrundlagen, auch repressiv eingreifen zu können, sind ebenfalls im Bildungsgesetz aufgeführt. Die Schulen sind befugt, Richtlinien und Vorgaben festzulegen sowie Sanktionen zu treffen.
Von zusätzlichen Situationsanalysen auf Kantonsebene will der Regierungsrat absehen, die bestehenden Daten reichen aus.
Wenn die Schulen zu Hauptverantwortlichen einer Riesenpalette von Problemen - angefangen bei Aids, über die Lausplage, die Sucht, die Drogenproblematik und die Gewalt bis zu Internet- und Essproblemen - gestempelt werden, ist es unumgänglich, dass Prioritäten gesetzt werden. Für besonders wichtig hält der Regierungsrat die Vorbildwirkung. Auch die PolitikerInnen hätten anlässlich ihrer zahlreichen Aperos und Festivitäten noch und noch Gelegenheit, Vorbildwirkung zu entfalten.
Paul Schär
ist es ein Anliegen zu betonen, dass die Motion nicht im Schnellschussverfahren geboren wurde und von 53 Kolleginnen und Kollegen unterschrieben wurde, er werde aufgrund grosser Besorgnis zwingend an der Motion festhalten.
Auch die Schulen selbst wünschten sich im Sinne der Rückendeckung die Situationsanalyse.
Dass die Prävention gepflegt wird, hoffen die Motionäre, sie sei auch im Drogenbericht vorgeschrieben, doch müssten, wenn die bestehenden Massnahmen eben nicht ausreichten, weitere Sofortmassnahmen eingeleitet werden. Von kompetenter Seite wurde Paul Schär bestätigt, dass weitere Massnahmen nötig sind, damit der Lehrkörper handlungsfähig wird.
Wohl wissend, dass mit dem Vorstoss nur ein Teil der Problematik angegangen wird, bittet Paul Schär den Rat, die Motion zu überweisen.
Regula Meschberger
lehnt im Namen einer Mehrheit der SP-Fraktion die Überweisung der Motion ab. Ohne die Situation beschönigen zu wollen, darf die Thematik nicht auf die Schulen begrenzt, sondern muss auf die Gesellschaft ausgedehnt werden.
Der Inhalt der Motion ist repressiven Charakters und suggeriert, an den Schulen werde keine Prävention betrieben. Fakt ist vielmehr, dass sämtliche Schulen im Rahmen des Schulprogramms verpflichtet sind, ein Gesundheitsförderungskonzept zu entwickeln. Dabei ist festzulegen, wie mit Drogen, Alkohol und Nikotin umzugehen ist.
Regula Meschberger ist überzeugt, dass nur das, was an der Schule selbst diskutiert und umgesetzt wird, Wirkung entfaltet. Massnahmen aus irgend einem Amt hingegen werden entweder nicht umgesetzt oder wirken nicht entsprechend. Über die Wahl der Schulräte kann diesbezüglich Einfluss genommen werden.
Die Thematik auf die Schule zu fokussieren und gleichzeitig die Tabakwerbung und den Verkauf von Alkohol an den Tankstellen zuzulassen, empfindet die Landrätin als eigenartig und widersprüchlich.
Elsbeth Schmied
spricht sich als Minderheitssprecherin der SP-Fraktion für die Überweisung des Vorstosses als Postulat aus. Der Landrätin ist es ein Anliegen, dass endlich auf den Tisch kommt, was mit welchem Erfolg unternommen wird, damit das Parlament von denselben Grundlagen aus weitere Schritte planen kann.
Madeleine Göschke
und wohl auch alle übrigen im Saal wünschen sich eine drogenfreie Schule. Die Frage allerdings lautet: Wie erreichen wir dieses Ziel?
Die Motion von Paul Schär erscheint der Landrätin all zu sehr auf Repression ausgerichtet; je strenger ein Verbot, desto reizvoller ist es für junge Leute, es zu brechen. Ein Polizeiaufmarsch an den Schulen findet nicht die Unterstützung der Grünen. Verbote allein werden mit Bestimmtheit nicht zum Erfolg führen und auch die Schulwege bleiben der Kontrolle entzogen.
Aufgabe der aufgrund des neuen Bildungsgesetzes teilautonom geführten Schulen ist es, gemeinsam mit den SchülerInnen und eventuell auch mit den Eltern in einer Schulordnung klare Vorschriften festzulegen. Nur mit Einbezug aller Betroffenen lassen sich durchführ- und gangbare Lösungen finden. Solche Wege müssen zudem von Fachleuten, von Suchtexperten - beispielsweise Dr. Simon, Bruderholzspital - begleitet werden.
Ohne fachliche und personelle Unterstützung dürfen der Schule keine weiteren Aufgaben übertragen werden. Die Aufklärungs- und Präventionsarbeit ist zu verstärken und muss früher einsetzen.
Viele Kinder sind emotional unterernährt, was zu Suchtverhalten führen kann. Zudem fehlt häufig die Vorbildfunktion. Eltern und Lehrpersonen, aber auch alle anderen Menschen sind aufgefordert, ihr eigenes Suchtverhalten anzusehen, eingeschlossen die Bereiche Alkohol, Nikotin, TV-Konsum, Workaholic, Einkaufssucht und anderes. Es stellt sich die Frage, was wir den jungen Menschen vorleben.
Nur unter der Voraussetzung, dass der Vorstoss nicht als Repressionsmittel, sondern als Präventionsauftrag und Forderung nach vermehrter Jugendarbeit an den Schulen verstanden wird, können die Grünen einem Postulat zustimmen.
Rita Bachmann
hält namens der CVP/EVP-Fraktion an der Motion fest. Damit könnte der Landrat ein korrigierendes Signal gegenüber der vom Landrat gutgeheissenen Standesinitiative für einen straffreien Cannabiskonsum nach aussen senden.
Die Fokussierung auf die Schulen ist angesichts des intensiv steigenden Konsums vor allem sehr junger Schülerinnen und Schüler gerechtfertigt.
Hanni Huggel
stimmt dem Vorschlag des Regierunsgrates zu, obwohl sie die Motion Paul Schärs auch unterschrieben hat.
Hanni Huggel lebt alkoholabstinent, setzt sich seit Langem schon mit alkoholpolitischen Themen auseinander, macht Jugendarbeit und hat deshalb die Motion unterschrieben. Die vertieftere Auseinandersetzung mit dem Vorstoss zeigte ihr den stark repressiven Aspekt der Motion auf.
Der Landrat sollte über ein Postulat erfahren können, was im Kanton in Sachen Prävention und Repression effektiv unternommen wird.
Von der Arbeit im Vorstand der Basler Fachstelle für Alkoholismusprophylaxe weiss die Landrätin, wie in den Schulen flächendeckend Prävention betrieben wird. Wenn auch die Baselbieter Verhältnisse nicht direkt vergleichbar sind, kann doch mit Sicherheit gesagt werden, dass in Schulen, Vereinen und in der Freizeit nie zu viel an Prävention unternommen werden kann.
Hanni Huggel ruft den Landrat auf, das Thema mittels Überweisung des Vorstosses als Postulat aufzunehmen.
Bruno Steiger
hat den Ausführungen, insbesondere der Brandstifterfraktionen FDP und CVP zugunsten der Cannabislegalisierung, mit Interesse zugehört.
Obwohl auch die legalen Drogen Alkohol und Nikotin missbraucht werden, darf es nicht sein, mit Bezugnahme auf diese Suchtmittel die illegalen Drogen zu verharmlosen. Wenn die Schulräte tatsächlich so viel Einfluss ausüben können, wie von Regula Meschberger vorgetragen, dann sei geraten, die 30 Prozent kiffender Oberstufenlehrer aus dem Schuldienst zu entfernen.
Die Schweizer Demokraten sehen keinen Grund, die Motion nicht zu unterstützen.
Karl Willimann
beantragt im Namen der SVP-Fraktion ein Ja zur Motion. Damit kann nach Auffassung der Fraktion ein richtiges und notwendiges Signal Richtung Schule und SchülerInnen ausgesandt werden. Ganz entschieden wehrt sich die SVP-Fraktion gegen die immer wieder kehrende, vergleichende Wertung zwischen Alkohol, Nikotin und Drogen. Mit dem Cannabisentscheid hat der Landrat wirklich kein gutes Signal gesetzt. Die Wahl ist zwischen laisser faire und Repression zu treffen. Den Lehrern soll durchaus der Rücken gestärkt und auch zugemutet werden, dass in den Schulen die Ordnungsschraube angezogen werden darf.
Hanspeter Ryser
beantragt, die noch sieben Wortmeldungen umfassende Rednerliste zu schliessen.
://: Der Landrat stimmt dem Antrag des Landratspräsidenten zu.
Sabine Stöcklin
erkennt im Suchtmittelmissbrauch der Schülerinnen klar ein Symptom für die Tatsache, dass sie mit den gegebenen Anforderungen nicht zurecht kommen. Statt Steuersenkungspostulate zu überweisen, sollte der Landrat besser die Mittel für die Einrichtung der Schulsozialdienste in allen Gemeinden bewilligen.
Zudem ist der unmissverständlich repressive Charakter der Motion der falsche Weg.
Kaspar Birkhäuser
meldet sich als Praktiker zu Wort. Suchtprävention wird an "seiner" Schule beispielsweise mit Sportlagern, für die der Landrat die Mittel gerade jetzt gestrichen hat, betrieben. Vor Kurzem hat Kaspar Birkhäuser nach vier Jahren eine Klasse verabschiedet, in der kein einziges Kind raucht.
Sein Ansatz geht nicht in Richtung Unterdrückung, sondern in Richtung Vorbildcharakter.
Nachdem die Frage von Kaspar Birkhäuser, ob im Begriff "Suchtmittel" auch der Alkohol eingeschlossen sei, bejaht wird, kann er den Vorstoss als Postulat unterstützen.
Thomi Jourdan
vermittelt zwischen links und rechts mit dem Hinweis, Alkohol gelte durchaus als Droge, wenn auch als legale.
Wer die Motion nur aus dem Blickwinkel der Repression sieht, läuft Gefahr, einen Schulhof vor Augen zu haben, auf dem irgendwelche Männchen über den Pausenplatz rennen, um kiffende SchülerInnen zu packen und ins Gefängnis zu stecken. Aus einer etwas freieren Distanz betrachtet aber lasse sich Gutes in der Motion erkennen. Einen Jugendlichen in das vom Kanton finanzierte Präventionsprogramm "Take-off" zu stellen, um ihm die Möglichkeit zu geben, über sich und sein Suchtverhalten nachzudenken, sei zwar ein Disziplinarverfahren, aber keine Repression.
Wer das Ziel einer drogenfreien Schule - drogenfrei von legalen und illegalen Drogen - verfolge, ein utopisches Ziel zwar, werde die Motion unterstützen, um wenigstens etwas in Bewegung zu setzen.
Röbi Ziegler
fragt sich, warum denn die Schule ein drogenfreier Raum werden soll und nicht der Kanton Baselland, warum also der Drogenkonsum auf dem Schulareal anders gewertet werden soll als 100 Meter neben dem Schulareal. Realität ist doch, dass die Massnahmen nicht über das Areal hinaus greifen.
Wer Lehrer, die schon mal einen Joint geraucht haben, von der Schule weisen will, verkennt, dass Drogen zur gesellschaftlichen Realität gehören. Ziel jeder Präventionsmassnahme muss sein, Menschen in den Zustand der Eigenverantwortung, des bewussten Umgangs mit Suchtmitteln zu versetzen.
Neue Disziplinarmassnahmen sind nicht notwendig. Schon heute wird ein Schüler, der Schwierigkeiten macht, über kurz oder lang von der Schule gewiesen.
Regula Meschberger
empfindet den Verlauf der Diskussion als etwas eigenartig, sie ordnet die Thematik nicht in das Links- / Rechtsschema ein.
Man sollte doch nicht im Ernst annehmen, dass der Beschluss des Landrates auf die Jugendlichen in den Schulen Einfluss hat. Wirkung hat nur, was in den Schulen direkt passiert. Weisungen von aussen sind unnötig.
Philipp Schoch
berichtet, als Mitarbeiter auf einer grossen Notfallstation in der Region sei er täglich - und konzentriert an den Wochenenden - mit riesigen Problemen von alkoholisierten Personen befasst. Alkohol verursache jährlich Kosten in der Höhe von vier Milliarden Franken.
RR Urs Wüthrich
befürchtet, im Gegensatz zu einzelnen seiner Fraktionskolleginnen, nicht, dass mit der Motion eine Repressionswelle eingerichtet werden könnte. Vielmehr hegt der Erziehungsdirektor Vorbehalte gegen die Motion, weil er sie nicht als ganz ehrlich erachtet.
Das Problem dürfte ausserhalb der Schule mindestens so krasse Ausmasse angenommen haben wie innerhalb der Schule.
Schon aus formellen Gründen wäre es eher korrekt, den Vorstoss als Postulat statt als Motion zu überweisen, zumal es nicht darum gehen kann, ein neues Gesetz vorzulegen.
Der Erziehungsdirektor möchte sich in seinem Spielraum nicht einschränken lassen. Um erschüttert zu sein, brauche er keine Situationsanalyse, wie in Punkt 1 des Vorstosses gefordert. Bereits die Tatsachenberichte seiner drei Töchter genügten.
Im Sinne des Auftrages möchte der Erziehungsdirektor Richtlinien vorschlagen und diese von den teilautonom geleiteten Schulen umsetzen lassen.
Schliesslich hofft Urs Wüthrich, dass der Rat bei der Werbung für die gesellschaftlich anerkannten Suchtmittel mit derselben Vehemenz eintreten wird.
://: Der Landrat überweist die Motion 2003/188 von Paul Schär
Die Schule muss ein drogenfreier Raum werden.
Für das Protokoll:
Urs Troxler, Landeskanzlei
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