Protokoll der Landratssitzung vom 11. November 2004
Protokoll der Landratssitzung vom 11. November 2004 |
Nr. 875
11 2004/157
Interpellation von Martin Rüegg vom 24. Juni 2004: Schule und Wirtschaft - ein (un-)getrübtes Verhältnis? Schriftliche Antwort vom 12. Oktober 2004
Landratspräsidentin
Daniela Schneeberger
findet die Stimmung im Saal etwas träge und bittet um etwas mehr Schwung.
[Heiterkeit]
Martin Rüegg
beantragt Diskussion.
://: Dem Antrag auf Diskussion wird stattgegeben.
Martin Rüegg
hebt mit viel Schwung an und bedankt sich für die regierungsrätliche Antwort. Einerseits ist er beruhigt, weil die Leistungen der Lehrstellensuchenden und der BerufsschülerInnen als gut, erfreulich und lobenswert beschrieben werden. Es ist auch schon einiges getan worden (Stichworte: Berufsschau und Berufsschnuppertour), und einiges ist in Bewegung wie etwa die verbesserte Berufswahlvorbereitung an den Sekundarschulen.
Andererseits gibt die Antwort aber auch zu denken und ist nicht befriedigend. Trotz offenbar guter Leistungen sind gewisse Vorurteile gegenüber der Schule und den Lehrpersonen latent vorhanden. Die Information der Lehrbetriebe über Neuerungen im Schulbetrieb scheint verbesserungswürdig zu sein. Aber die Regierung sieht keinen oder nur geringen Handlungsbedarf.
Der Kontakt zwischen der Wirtschaft und der Schule ist nicht institutionalisiert. Man könnte sich die Einsetzung eines Runden Tisches überlegen.
Zu spezieller Sorge Anlass geben die SchülerInnen mit tiefem Anspruchsniveau, die mit der Wirtschaft gar nie wirklich in Kontakt kommen, weil sie beispielsweise keine Lehrstelle finden. Da besteht der grösste Handlungsbearf, zumal das neue Bildungsgesetz keine Anlehren mehr vorsieht.
Sorgen bereitet auch der Umstand, dass der Druck vonseiten der Wirtschaft immer grösser wird, um - wie es heisst - im globalen Wettbewerb bestehen zu können (Stichworte: frühere und flexiblere Einschulung, mehr und früheres Fremdsprachenlernen, Einführung des Fachs «Wirtschaft und Recht» für alle, Eignungstest auch für Berufe mit sehr niedrigem Anspruchsniveau, ja sogar für Schnupperlehren - die Liste liesse sich beliebig verlängern). Auch hier besteht Handlungsbedarf.
Fazit: Die Situation ist längst nicht so harmlos, wie die Antwort einen glauben machen will. Es herrscht eine trügerische Ruhe.
Die Antworten der Regierung haben
Jürg Wiedemann
sehr überrascht. Sie implizieren, dass die Baselbieter SchülerInnen sehr gute Leistungen zeigen, dass alles in Ordnung und die Wirtschaft mit den SchulabgängerInnen zufrieden ist.
Fragt man aber bei Clariant, Roche und Aprentas nach, tönen die Antworten ganz anders. Auf die Frage, ob das Leistungspotenzial der SchülerInnen in den letzten zehn Jahren rückläufig gewesen sei, antwortet der Lehrlingsbeauftrage von Clariant wie folgt:
«Eindeutig Ja. Speziell in Mathematik ist die Leistung deutlich gesunken.»
Gefragt, ob seit der Einführung der OS und der WBS in Basel-Stadt freie Lehrstellen vermehrt an Schulabgänger-Innen aus Baselland vergeben würden, hat sich die Hoffmann-La Roche folgendermassen vernehmen lassen:
«Bei Roche kommen 7-8 % der SchulabgängerInnen aus Basel, 30 % aus Baselland, der Rest aus Deutschland und den umliegenden deutschsprachigen Kantonen, zum Beispiel Aargau und Solothurn.»
Die beiden Basel bekommen es zustande, dass nur gerade 38 % der Roche-Lehrlinge sich aus ihren SchulabgängerInnen zusammensetzen! Zur gleichen Frage heisst es bei Aprentas:
«Ja. Schüler werden zu einem Test eingeladen. Generelle Beobachtung ist, dass WBS-Schüler aus Basel den Test nicht bestehen, im Gegensatz zu Sek.-Schülern Stufe E aus Baselland. Es werden aber vermehrt Schüler aus der gesamten Deutschschweiz rekrutiert. Schüler aus dem Aargau und speziell aus der Ostschweiz werden als deutlich besser beurteilt als Schüler aus der Region BS/BL.»
Diese Antworten stammen von Lehrlingsbeauftragten, die mit den jungen Menschen direkt zu tun haben und dies besser beurteilen können als alle anderen. Der Forschungsleiter der Abteilung Farben von Clariant hat die Situation wie folgt kommentiert:
«Es fällt auf, dass in letzter Zeit vermehrt Schüler ausserhalb der Region Basel berücksichtigt werden und dass solche Schüler in der Regel bezüglich Schulwissen/Motivation besser abschneiden.»
Und was meint die Regierung dazu?
«Dem Amt für Volksschule wie auch dem Amt für Berufsbildung und Berufsberatung sind keine einschlägigen Klagen bekannt.»
Man kann natürlich auch wegschauen. Aber ob das der richtige Weg ist, darf bezweifelt werden.
Bei den von der Regierung erwähnten Orientierungsarbeiten mussten die Noten auf der Sekundarstufe I im Niveau P in beiden Fächern, in denen sie durchgeführt wurden, von den Verantwortlichen nach der Korrektur der Prüfungen generell im ganzen Kanton um eine halbe Note heraufgesetzt werden, damit die Resultate gegenüber der Öffentlichkeit nicht allzu schlecht aussahen. Dazu behauptet die Regierung:
«Die Schülerinnen und Schüler, die wenigstens die letzten beiden Jahre ihrer Volksschulzeit an Baselbieter Schulen absolviert haben, haben gute Leistungen gezeigt.»
Diese Antworten sind nicht seriös. Die Regierung vermittelt vorsätzlich ein falsches Bild der SchulabgängerInnen, weil mit den GAP-Massnahmen weitere, ganz deutliche Abbauschritte im Bildungsbereich erfolgen werden.
Bezugnehmend auf die Orientierungsarbeiten, erklärt Regierungsrat
Urs Wüthrich
, die Noten seien nachträglich korrigiert worden, weil die Fragestellung als nicht adäquat eingeschätzt wurde, und nicht etwa, um das Resultat zu beschönigen.
Im Zusammenhang mit der Rekrutierung von Lehrlingen muss festgehalten werden, dass die gefragtesten Ausbildungsbetriebe wie Clariant und Aprentas logischerweise in der ganzen Schweiz rekrutieren können. Das vermögen die KMU nicht. Es kommt wohl kaum ein Schulabgänger aus Romanshorn auf die Idee, sich bei einem kleinen Bauunternehmer in Liestal um eine Lehrstelle zu bewerben. Die Pharmaunternehmen dagegen können aus viele Bewerbern aus dem ganzen Land auswählen. Das ist aber kein Beweis, dass die Baselbieter SchülerInnen nicht wettbewerbsfähig sind. 30 % sind ein guter Anteil - schliesslich rekrutiert die ETH auch nicht ausschliesslich aus dem Kanton Zürich.
://: Damit ist die Interpellation erledigt.
Für das Protokoll:
Alex Klee-Bölckow, Landeskanzlei
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