Protokoll der Landratssitzung vom 15. Januar 2004

Nr. 311

7 2003/268
Berichte des Kantonsgerichts vom 3. November 2003 und der Justiz- und Polizeikommission vom 22. Dezember 2003: Einsetzung eines a.o. Strafgerichtspräsidiums mit einem Pensum von 50% ab 1. Januar bis 31. Dezember 2004

Kommissionspräsidentin Regula Meschberger zeigt die Auswirkungen auf, wenn bei der Polizei und den Strafuntersuchungsbehörden mehr Personal eingestellt wird: die Anzahl der angezeigten Delikte nimmt klar zu. Denn mehr Polizeipräsenz bedeutet, dass auch mehr Delinquenten erwischt werden. So hat die Zahl der Strafuntersuchungen innerhalb von vier Jahren (1999 bis 2002) um 10'000 Fälle zugenommen.
Auch die Erklärung von häuslicher Gewalt zu einem Offizialdelikt wird zu einem Ansteigen der Verfahren führen. Die Aufarbeitung der Fälle im Statthalteramt Arlesheim aus dem Jahr 2001 und früher wird sich dieses Jahr durch zusätzliche Fälle auswirken. Zudem erwartet das Kantonsgericht für 2004 die Überweisung einiger komplexer, also sehr arbeitsintensiver Fälle des Besonderen Untersuchungsrichteramts (BUR). Daher wird das Strafgericht dieses Jahr massiv unter Druck geraten. Der Mehranfall an Verfahren kann mit den vorhandenen Präsidien nicht abgedeckt werden.
Die Einsetzung eines a.o. Strafgerichtspräsidiums mit einem 50%-Pensum wäre auf das Jahr 2004 beschränkt. Die Gerichtsleitung würde bestimmen, ab wann es eingesetzt wird.
Die Kommissionsmehrheit ist der Meinung, für einen Rechtsstaat wäre es nicht akzeptabel, wenn einerseits die Polizeipräsenz ausgebaut wird und dadurch mehr Delikte angezeigt werden, andererseits aber immer mehr Verfahren wegen Verjährung im Nichts enden, da sie auf Grund von Personalmangel nicht rechtzeitig behandelt werden können. Das Parlament kann so etwas nicht zulassen.

Ursula Jäggi votiert namens der SP-Fraktion für Eintreten. Der hohe Sicherheitsstandard gilt laut dem Jahres- und dem Regierungsprogramm als Standortvorteil des Kantons. Um diese Sicherheit zu gewährleisten, braucht es mehr als die von rechter Seite immer wieder geforderte verstärkte Polizeipräsenz, nämlich auch Massnahmen bei den Strafuntersuchungsbehörden und am Strafgericht. In diesem zusammenhängenden System kann nicht einfach nur der eine Teil hochgefahren werden und der andere nicht.
Alle Strafverfahren müssen innert nützlicher Frist, d.h. ohne die Gefahr einer Verjährung, abgehandelt werden. Diese Gefahr droht aber bei Personalmangel und Arbeitsüberlastung an den Gerichten.

Für die SVP erinnert Dieter Völlmin daran, dass am 1. April 2002 die Gerichtsreform in Kraft gesetzt wurde. Davor gab es einen a.o. Strafgerichtspräsidenten, einen 50%igen a.o. Obergerichtspräsidenten, einen 75%igen a.o. Bezirksgerichtspräsidenten Arlesheim, einen 50%igen a.o. Bezirksgerichtspräsidenten Liestal sowie drei a.o. Vizepräsidenten am Verwaltungs- und Versicherungsgericht. Je länger dieser Zustand andauerte, desto lauter wurde das Murren.
Die Gerichtsreform hatte zwei Ziele, nämlich den mittelfristigen Bedarf der Gerichtspräsidien festzulegen und deren Zahl nicht mehr ins Gesetz zu schreiben, damit sie den Bedürfnissen angepasst werden kann. Dabei konnten die Gerichte ihre Bedürfnisse anmelden, und diese wurden in die landrätlichen Beschlüsse einbezogen. Wenn sich also diesbezüglich etwas geändert hat, könnte das Dekret angepasst werden.
Innerhalb der letzten anderthalb Jahre wurde die Zahl der Strafgerichtspräsidien bereits von zwei auf drei erhöht - wir sind schon wieder beim alten Muster, was zu einer gewissen Konsternation führt.
Aus der Begründung wird klar, dass die beantragte Schaffung eines a.o. Präsidiums nichts mit einer ausserordentlichen, d.h. vorübergehenden Situation zu tun hat, sondern dass es wieder mittels Salamitaktik der erste Schritt zu einer dauerhaften Einrichtung ist. Denn alle vorgebrachten Gründe sind nicht vorübergehender Natur, sondern haben einen bleibenden Effekt. Die Entwicklung der Fallzahlen war schon längst bekannt, und das BUR wird auch weiterhin bestehen und komplexe Fälle überweisen.
Bei der Gerichtsreform wurden die Aufgaben offensichtlich nicht richtig gemacht. Deshalb wäre jetzt eine Dekretsänderung ehrlicher gewesen.
Das Hauptargument der Verjährung ist ein wahres Keulen-Argument. Niemand ist dafür, dass viele Fälle verjähren. Aber stimmt das Argument wirklich? Das wäre bekannt, die GPK hätte es erfahren und es wäre schon vor zwei Jahren ein Thema gewesen bei der Gerichtsreform.
Im Bezug auf die BUR-Fälle hat es schon 2002 geheissen, sie kämen 2003. Jetzt heisst es in der Vorlage, die Probleme seien 2004 zu erwarten. Prognosen über Engpässe bei der Behandlung von BUR-Fällen sind spekulativ. Ausserdem sind gerade in diesem Bereich die Verjährungsfristen verlängert worden.
Eine Aufstockung des Strafgerichtspräsidiums hätte bestimmt keine nachteiligen Folgen; aber im Vergleich mit anderen Dienststellen wird hier mit unterschiedlichen Ellen gemessen. Engpässe gibt es auch anderswo; trotzdem wird dort das Personal nicht aufgestockt.
Daher beantragt die SVP zum heutigen Zeitpunkt Nicht-Eintreten. Sobald die Voraussagen eintreffen sollten, muss die Regierung eine Vorlage bringen für die Änderung des Dekrets.
Dieter Völlmin wagt einen Blick in die Zukunft dieses Geschäfts: etwa im September 2004 kommt eine Vorlage zur Weiterführung des zusätzlichen Präsidiums um mindestens ein Jahr. Ein Jahr danach kommt eine weitere Vorlage, um die Aufstockung mit einer Dekretsänderung dauerhaft zu beschliessen. Ausserdem zieht dies noch eine weitere Vorlage mit der gleichen Begründung nach sich, nämlich eine Aufstockung des Kantonsgerichtspräsidiums. Wer heute Ja zur Vorlage sagt, öffnet die Schleusen zum alten Trott und schafft Sachzwänge.

Wie Daniele Ceccarelli ausführt, hat sich die FDP-Fraktion ähnliche Gedanken gemacht wie Dieter Völlmin, allerdings malen die Freisinnigen nicht so schwarz wie jener. Deshalb folgt die FDP-Fraktion den Ausführungen der Kommissionspräsidentin, erlaubt sich aber, ein Auge darauf zu halten, dass es bei der Befristung bis Ende Jahr und beim 50%-Pensum bleibt.

Elisabeth Schneider glaubt auch, dass die Hausaufgaben im Personalbereich bei der Gerichtsreform nicht ganz richtig gemacht wurden. Die Schaffung eines Besonderen Untersuchungsrichteramts zur Entlastung der Statthalterämter und zur Untersuchung von Wirtschaftskriminalität war zwar richtig, aber die personellen Auswirkungen auf die Gerichte kam damals nicht zur Sprache. Dabei ist klar, dass ein BUR-Fall mit hundert Bundesordnern auch das Strafgericht belasten wird - genau wie auch andere Bereiche des Strafrechts. Die Stichworte "Internetkriminalität" (Bsp. Kinderpornographie), "Erhöhung der sichtbaren Polizeipräsenz", "härtere Gangart in der Hanfpolitik" führen zu einer Zunahme der Fallzahlen, die vor Gericht landen.
Damit das Strafrecht konsequent vollzogen werden kann, werden zur Zeit die Statthalterämter personell so aufgerüstet, dass Strafuntersuchungen professionell durchgeführt werden können. Diesen Entwicklungen kann das Strafgericht mit seinen heutigen Ressourcen aber nicht standhalten. Das vorgeschlagene a.o. Präsidium ist nur eine Sofortmassnahme, quasi die Spitze des Eisbergs. Weitere Schritte werden folgen.
Die CVP/EVP-Fraktion stimmt der Vorlage zu.

Auch die Grünen mit Kaspar Birkhäuser widersprechen Dieter Völlmins Votum, mit Eintreten auf die Vorlage würden Sachzwänge geschaffen. Im Gegenteil: der Sachzwang ist schon da. Das Gericht hat nicht mehr die Kapazitäten, um den Ansprüchen genügen zu können. Nur eine fuktionierende Justiz bleibt aber glaubwürdig. Der Stau von Fällen ist zu beheben, was nur mit der Einführung eines a.o. Präsidiums möglich ist. Der entsprechende Betrag ist bereits im Budget 2004 enthalten. Die Grünen sind für die Vorlage.

Als Nichtjurist stellt Bruno Steiger fest, dass die Justiz offenbar eine heilige Kuh ist. Immer häufiger hat das Strafgericht in letzter Zeit mit seinen Urteilen Täter zu Opfern gemacht. Eine weitere Aufblähung der Justiz lehnen die Schweizer Demokraten ab.
Längere Krankheitsfälle von Richtern sind kein genügendes Argument für eine Aufstockung; denn solche Ausfälle gibt es in anderen Verwaltungszweigen auch, ohne dass dort gleich das Personal aufgestockt wird.
Die Hauptverursacher der das Gericht zusätzlich beanspruchenden Häuslichen Gewalt werden von der SP laufend importiert - den Rechtsparteien ist kein Vorwurf zu machen.
Die SD unterstützen den Rückweisungsantrag.

Landratspräsident Hanspeter Ryser weist auf eine Textänderung im Antrag des Kantonsgerichts hin. Ziffer 1 lautet neu: "Die Schaffung eines ausserordentlichen Strafgerichtspräsidiums vom 1. Januar bis 31. Dezember 2004 mit einem Pensum von 50% eines Vollamtes wird bewilligt."

://: Die Vorlage wird mit klarem Mehr angenommen.

Landratsbeschluss
befristete Einsetzung eines a.o. Strafgerichtspräsidium mit einem Pensum von 50% ab 1. Januar bis 31. Dezember 2004


Vom 15. Januar 2004

Der Landrat des Kantons Basel-Landschaft beschliesst:

Für das Protokoll:
Alex Klee-Bölckow, Landeskanzlei



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