Protokoll der Landratssitzung vom 22. Januar 2004
Protokoll der Landratssitzung vom 22. Januar 2004 |
Nr. 350
31 2003/220
Postulat von Dieter Völlmin vom 18. September 2003: Verkehrssicherheit durch Verkehrserziehung
Namens der CVP/EVP-Fraktion votiert
Agathe Schuler
gegen die Überweisung des Postulats. Zwar ist die Verkehrserziehung eine wichtige Aufgabe, die die Verkehrspolizei und ihre Instruktoren hervorragend wahrnehmen, aber die Schule hat viele verschiedene Nebenaufgaben wie etwa Gesundheitserziehung oder Sucht- und Gewaltprävention. Die Verkehrserziehung muss lange vor dem Schuleintritt anfangen. Jedes Kind, das laufen lernt, muss von seiner Familie auf das Verhalten im Verkehr trainiert werden. In anderen Erziehungs- und Präventionsbereichen kann das die Familie nicht immer leisten, etwa bei den Themen Aids, Sucht oder Gewalt - dann muss die Schule einspringen.
Wenn der Polizist in die Klasse kommt, ist das etwas Besonderes. Wenn es aber zu viel wird, nimmt dieser Unterricht an Attraktivität ab. Ausserdem befassen sich viele Jugendliche auch ausserhalb der Schule mit Verkehrserziehung, etwa wenn sie sich als 14-Jährige auf die Töffli-Prüfung vorbereiten.
Aus Rücksicht auf die knappen Finanzen muss sich der Kanton im Rahmen der Generellen Aufgaben-Prüfung (GAP) überlegen, was nötig und möglich ist. Auf die Ausdehnung der Verkehrserziehung zu verzichten, wäre eine praktische Anwendung dieses Sparauftrags.
Kaspar Birkhäuser
findet die Zielsetzung des Postulats gut und votiert im Namen der grünen Fraktion für dessen Überweisung. Allerdings können Kinder nur sehr beschränkt dem Autoverkehr angepasst werden. Noch im Primarschulalter können sie beispielsweise keine Distanzen oder Geschwindigkeiten abschätzen. Verkehrserziehung ist deshalb in ihrer Wirkung limitiert. Sehr wichtig ist daher auch die Erziehung der AutofahrerInnen und die Beruhigung des Verkehrs innerorts sowie ein konsequenter Stopp dem Telefonieren am Steuer.
Die Verkehrserziehung durch die Polizei bekommt auch von
Christoph Rudin
gute Noten. Sehr wichtig ist sie vor allem im Kindergarten und an der Primarschule. Ob es aber wirklich nötig ist, jedes Jahr in jeder Klasse - neun Schuljahre lang - Verkehrserziehung durchzuführen, bezweifelt eine grosse Mehrheit der SP-Fraktion, vor allem vor dem Hintergrund, dass im Bildungssektor 100 Millionen Franken eingespart werden müssen. Daher wird die Überweisung des Postulats abgelehnt.
Dieter Völlmin
staunt über diese Argumentation. Es geht ihm um das Leben junger Menschen. Sein Vorstoss wurde auch von SP-Ratsmitgliedern unterzeichnet. Der Anstoss dazu kam von der Lehrerin seines Sohns - die Tochter eines alt Landrats der CVP -: Es ist etwas anderes, ob ein Vater seinem Kind sagt, wie es sich verhalten soll, oder ob dies im Rahmen der Schule durch einen Polizisten geschieht. Letzteres hat öfter zur Folge, dass die Kinder auch das Verhalten ihrer Eltern kritisieren oder korrigieren.
In der beginnenden Pubertät mit dem dazu gehörenden Imponiergehabe wie etwa Mutproben, auch im Verkehr, ist ein stetiger Kontakt zur Polizei wichtig.
Die Finanzierung würde das Budget der Bildung nicht belasten; da der Personalbestand der Polizei in den letzten Jahren richtigerweise vergrössert wurde und die Busseneinnahmen unter dem Titel "Verkehrssicherheit" stark gestiegen sind, könnten zusätzliche Verkehrserziehungseinheiten an den Schulen via Polizei finanziert werden. In anderen Kantonen wie Basel-Stadt funktioniert das längst.
GAP bedeutet, Ausgaben zu überprüfen. Um den Vorstoss überprüfen zu können, braucht es aber zuerst eine Überweisung des Postulats.
Jürg Wiedemann
berichtet von einem Besuch eines Verkehrspolizisten in seiner Klasse, einer 4. PG-Klasse. Das Feedback reichte von "megacool" bis "megageil". Die SchülerInnen haben sehr viel gelernt. Sie haben mit dem Polizisten in den zwei Stunden nicht nur über Verkehrsregeln gesprochen, sondern schnitten auch andere wichtige Themen an (Drogen im Verkehr, Demonstrationen usw.). Diese Begegnungen ermöglichen Annäherungen zwischen der Polizei und den Jugendlichen.
Das Postulat Dieter Völlmins bleibt in der Mitte des Weges stehen, weil Verkehrserziehung nicht bei den Kindern endet, sondern auch bei Automobilist(inn)en ansetzen müsste. Jürg Wiedemann erhofft sich weitere Vorstösse in diese Richtung.
Das Postulat verleite zu Polarisierung, befürchtet
Röbi Ziegler
. Mit dem Titel sind wohl alle einverstanden. Aber das Thema "Kinder und Verkehr" ist eine Wurst mit zwei Enden. Die Gefahr der Polarisierung besteht darin, dass der Vorstoss aus einer politischen Ecke kommt, die gewöhnlich aufschreit, wenn Forderungen nach Tempo 30 laut werden. Damit die Verkehrssicherheit erhöht wird, braucht es einen Effort auf beiden Seiten.
In Pratteln stehen jeweils zu Beginn eines neuen Schuljahrs Freiwillige im Einsatz, die an den Fussgängerstreifen und Ampeln die Autofahrer mit einem kleinen Geschenk zum Langsamfahren und zur Vorsicht animieren. Bei den Kindern wird ebenfalls heute schon einiges unternommen, auch mit finanziellem Engagement des Kantons. Um der Polarisierung entgegen zu wirken, müsste ins Postulat auch aufgenommen werden, was der Kanton in Sachen "Verkehrserziehung für Autofahrer" unternehmen könnte.
Christine Mangold
ist überzeugt, dass das erwähnte "Pratteler Modell" auch bei Überweisung des Postulats weiter laufen wird. Die Verkehrserziehung als Sache der Eltern zu definieren, greift leider zu kurz. Immer mehr Eltern fahren ihre Kinder im Auto zur Schule, statt dass sie ihnen das Verhalten auf dem Schulweg beibringen.
Von einem Polizisten werden Regeln anders angenommen als von den Eltern. Die Verkehrspolizisten würden nicht neun Jahre lang das gleiche Programm wie im Kindergarten durchziehen, sondern das Programm altersstufengerecht anpassen.
Das Bundesamt für Strassen legt Wert auf Sensibilisierung und Erziehung, was ein klarer Auftrag für die Kantone ist. Die FDP-Fraktion steht hinter dem Postulat.
Ein Postulat verlangt von der Regierung nur "Prüfen und Berichten", betont
Rudolf Keller
. Der Widerstand gegen den Vorstoss ist unerklärlich angesichts der vielen im Strassenverkehr verletzten oder getöteten Kinder. In ihren Gemeindewahlkampf-Prospekten weist gerade die SP auf solche Probleme hin, fordert mehr Verkehrserziehung, Verkehrsbeschränkungen und -kontrollen. Dass sie sich jetzt gegen die Überweisung wehrt, steht dazu im Widerspruch.
Die Verkehrserziehung ist sehr nachhaltig. Rudolf Keller selber wurde schon von seinen eigenen Kindern nach dem Besuch des Polizisten zurecht- und auf die Einhaltung der Regeln hingewiesen. Bei kleineren Kindern ist der Polizist noch eine Autoritätsperson; was er sagt, wirkt.
Dass auch auf der Seite Autofahrer Erziehung nötig ist, bestätigt ein Vorfall in Frenkendorf, wo der Gemeindepräsident vor einiger Zeit mit Tempo 80 beinahe jemanden überfahren hat. Schärfere Kontrollen sind deshalb nötig. Das Postulat wird von den Schweizer Demokraten unterstützt.
Zwölf RednerInnen haben sich bereits geäussert, rechnet Landratspräsident
Hanspeter Ryser
vor, und weitere fünf stehen auf der Rednerliste. Der Präsident beantragt Schluss der Rednerliste.
://: Schluss der Rednerliste wird beschlossen.
Hanspeter Ryser
bittet um Effizienz und Kürze.
Peter Zwick
ist bewusst, dass das Zeitalter der Postkutsche vorüber ist. Es ist nun nicht so, dass es in den Schulen keine Verkehrserziehung durch die Polizei gibt. Erstaunlich ist die Politik der SVP, alles abzulehnen, aber hier 500 Stellenprozente aufzustocken. Das Polizeikorps ist schon explosionsartig gewachsen - aus dem heutigen Bestand sollte die Verkehrserziehung zu leisten sein, selbst bei einer Erhöhung.
Matthias Zoller
mag sich nicht gerne in eine Ecke drängen lassen mit dem Killer-Argument, es gehe um das Leben von Kindern. Dies impliziert, dass Gegner des Postulats sich einen Deut um das Leben von Kindern scherten, nichts von Prävention hielten und der Polizei keine gute Verkehrserziehung zutrauten. Dem ist aber nicht so; vielmehr soll die Eigenverantwortung der Familie grundsätzlich bejaht werden. Eine jährliche Wiederholung der Verkehrserziehungseinheiten während der gesamten Schulzeit führt zu einem Overkill.
Willi Grollimund
merkt an, wenn die Polizisten bei ihren Schulbesuchen erreichen, dass nur 50 % der Schüler mit Licht Velo fahren, wäre dies schon ein Erfolg.
Regula Meschberger
bestreitet die Wichtigkeit der Verkehrserziehung absolut nicht. Es ist aber heikel, etwas jährlich wieder und wieder zu machen, weil es sich dann leerlaufen und das genaue Gegenteil der löblichen Absicht bewirken kann.
Unterstützung erfährt das Postulat von
Isaac Reber
. Alle, die die vielen Verletzten und Toten im Strassenverkehr als Argument anführen, sollen sich aber auch daran erinnern, wenn das nächste Mal über Verkehrsberuhigung diskutiert wird. Eine erste Nagelprobe wird der folgende Vorstoss von Remo Franz zum Thema "Bussen" sein.
Jürg Wiedemann
berichtet, dass die Verkehrspolizisten jeden ihrer Besuche völlig anders aufbauen. Es gibt genügend Themen, die angeschnitten werden könnten, selbst bei jährlichen Besuchen.
Von Regierungsrätin Sabine Pegoraro wird die Auskunft erwünscht, ob die Zusatzkosten für mehr Verkehrserziehung tatsächlich dem Bildungsbereich belastet würden oder dem Polizeibudget.
Dieter Völlmin
stellt klar, dass im Postulat nichts von der Schaffung von fünf zusätzlichen Stellen steht. Bis jetzt wird die Verkehrserziehung mit 490 % abgedeckt; wie viel die Aufstockung bräuchte, ist Sache der JPMD, aber sicher nicht eine Verdoppelung. Bezahlt werden müsste es aus den Mitteln der Polizei- und bestimmt nicht der Bildungsdirektion.
Als langjährige Schulpflegepräsidentin weiss
Jacqueline Simonet
, dass die Schule unter Zeitmangel für die Vermittlung des Schulstoffs leidet. Jedesmal, wenn ein neues gesellschaftliches Problem an die Schule weitergewiesen wird, geht wieder etwas Zeit für den Stoff verloren.
Regierungsrätin
Sabine Pegoraro
ist erstaunt über die heftige Diskussion. Der Vorstoss hat bei ihr offene Türen eingerannt. Verglichen mit den Nachbarkantonen, ist die Verkehrserziehung im Baselbiet auf einem hohen Stand. Ein Ausbau würde zur Erhöhung der Verkehrssicherheit im Kanton beitragen. Allerdings bedingt es zusätzliche personelle Mittel; auf Grund der erwarteten Rahmenbedingungen für das nächste Schuljahr (550 Klassen mehr wären zu betreuen) würden drei zusätzliche Verkehrsinstruktoren benötigt. Die Regierung ist bereit, das Postulat entgegen zu nehmen.
://: Das Postulat wird mit klarer Mehrheit überwiesen.
Für das Protokoll:
Alex Klee-Bölckow, Landeskanzlei
Fortsetzung >>>
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