Protokoll der Landratssitzung vom 19. Februar 2004

Nr. 418

7 2003/270
Berichte des Regierungsrates vom 11. November 2003 und der Volkswirtschafts- und Gesundheitskommission vom 28. Januar 2004: Nicht formulierte Spitalinitiative

In die Vorlage zur Spitalinitiative habe sich kein Textfehler eingeschlichen, bemerkt Rita Bachmann als Präsidentin der Volkswirtschafts- und Gesundheitskommission einleitend. Die Initiative verlangt, dass «spätestens ab dem 1. Januar 2008 die kantonalen Spitäler mit denjenigen des Kantons Basel-Stadt als zusammengefasste Organisation mit einheitlicher Leitung gemeinsam zu führen» sind.
Beide Kantone befassen sich seit der Behandlung der UKBB-Vorlage und der gemeinsamen Spitalplanung intensiv mit der regionalen Spitalpolitik. Das Zusammengehen unterschiedlicher Spitäler aus verschiedenen Kantonen ist ein äusserst anspruchsvolles Unterfangen, falls es sich überhaupt als beste Möglichkeit erweisen sollte. Die zeitliche Vorgabe ist kaum realisierbar.
Die drei Baselbieter Kantonsspitäler stellen eine gute Grund- sowie eine erweiterte Grundversorgung sicher und verfügen über eine klare Kostenstruktur. Das Kantonsspital Basel als Zentrums- und Universitätsspital hingegen hat eine Kostenstruktur, die im Bereich «Lehre und Forschung» und bei den hochspezialisierten Dienstleistungen erst noch transparent gemacht werden muss.
Eine kleine Kommissionsmehrheit teilt die Meinung des Regierungsrates, dass ein Spitalverbund zur Zeit nicht opportun ist und schlanke operative Einheiten speziell im Bereich der Grund- und der erweiterten Grundversorgung günstiger sind. Weil die Baselbieter Spitäler nur 61 % der von der eigenen Bevölkerung benötigten Dienstleistungen abdecken, bewegt sich der Landkanton stark unter dem Schweizer Schnitt von 87 %. Das heisst, Baselland kauft sich seit langem einen grossen Teil seines Bedarfs im Stadtkanton ein. Selbstverständlich soll Baselland auch weiterhin die Medizinische Fakultät und die Universität stützen und mittragen und Spitzenmedizin wann immer möglich in Basel-Stadt einkaufen - wobei jedoch die Kostenstruktur transparent werden muss.
Die Kommission lehnt mit 6:5 Stimmen die Initiative ab.

Als SP-Fraktionssprecherin ergreift Sabine Stöcklin das Wort. Sie gibt zu bedenken, dass, wer jetzt nicht im Saal ist, ihre visionäre Rede zur Spitallandschaft verpasse.
[Heiterkeit]
Die SP befürwortet ein enges Zusammengehen der beiden Kantone im Gesundheitswesen und steht darum hinter der Spitalinitiative. Leitmotiv der Weiterentwicklung der regionalen Spitallandschaft soll der Erhalt der Medizinischen Fakultät und der universitären Medizin in der Region Basel sein.
Das Bekenntnis der Baselbieter Regierung zur regionalen Spitalplanung und zur Medizinischen Fakultät ist bisher nur halbherzig. Die Nordwestschweiz muss im Spitalwesen unverzüglich enger zusammenarbeiten, damit am Jura-Nordfuss weiterhin ein spitzenmedizinisches Zentrum und eine Medizinische Fakultät zu räsonablen Bedingungen angeboten werden können. Die Spitalinitiative legt dafür einen wichtigen Grundstein.
Es ist kurzsichtig, bezüglich Kostenentwicklung im Gesundheitswesen mit dem Finger auf Basel-Stadt zu zeigen und mit dem Leistungseinkauf in anderen spitzenmedizinischen Zentren zu drohen. Die baselstädtische Bevölkerung zahlt auch nicht nur mit Freude ihre hohen Steuern und Krankenkassenprämien, womit sie überproportional universitäre Leistungen in der Medizin mitfinanziert. Besorgniserregend sind in diesem Zusammenhang die von Isaac Reber zitierten Bevölkerungsprognosen des Bundesamts für Statistik: sie gehen für die nächsten Jahrzehnte von einem deutlichen Bevölkerungsrückgang für Basel-Stadt, von einem kleinen für Baselland aus. Gerade für den Stadtkanton wird es also immer schwerer, alleine und mit kleiner werdender Bevölkerung ein universitäres spitzenmedizinisches Angebot zu halten. Diese demographische Sachlage sollte auch der SVP Eindruck machen, denn sie ist mit ein Grund für das von Karl Willimann und Dieter Völlmin erwähnte Muster, dass Basel-Stadt immer mehr Geld braucht. Deshalb werden die BaselbieterInnen eingeladen, sich in Weitsicht zu üben, auf die tourismusgeförderten Jurahügel zu steigen und über die Zukunft der Nordwestschweiz mit ihrem urbanen Zentrum Basel - dem Zuhause der wertschöpfungsstärksten Industrie der Nordwestschweiz, nämlich der Life-Sciences- und der Pharmabranche - nachzudenken.
Die SP verlangt von der Regierung eine Umkehr in der spitalpolitischen Verhandlungsführung. Im Bewusstsein der wirtschaftpolitischen Bedeutung der Life-Sciences- Strategie, zu der die universitäre Medizin gehört, ist mit der Basler Regierung an der Entwicklung gemeinsamer Spitalplanungs-, Spitalführungs- und Spitalfinanzierungs-Lösungen und einer gemeinsamen Trägerschaft der Universität zu arbeiten. Das ist nicht nur für kranke und verunfallte Menschen von vitaler Bedeutung, sondern auch wirtschaftspolitisch. Das Stimmvolk kann diesen Kurs im Mai an der Urne bestimmen.
Der laufende nationale Restrukturierungsprozess im Bereich der medizinischen Fakultäten gefährdet den Standort Basel: In einem Strategiepapier von Charles Kleiber von der Gruppe «Wissenschaft und Forschung» unter Bundesrat Couchepin wurde die hiesige Medizinische Fakultät einmal gänzlich weggelassen. Der Zürcher FDP-Nationalrat Felix Gutzwiller hat letzten Sommer geäussert, in fünf bis zehn Jahren würden nur noch drei medizinische Fakultäten in der Schweiz betrieben. Das Hearing der VGK mit einem Bundesvertreter zu diesem Thema hat aufgezeigt, dass diese Überlegungen beim Bund unter dem Titel «Modele a trois» ernsthaft verfolgt werden und auf der Vorgabe von rund zwei Millionen EinwohnerInnen pro Fakultät gründen. Eine Fakultät in der Romandie ist ebenso gesetzt wie eine im Grossraum Zürich. Wo aber bleibt die Nordwestschweiz? Und wie wehrt sich die Bundeshauptstadt Bern? Es braucht nun Solidarität und Kooperation zwischen den beiden Basel und nicht Streit bzw. Schadenfreude darüber, dass der Stadtkanton alleine ein Problem zu lösen hat. Ein geeintes Vorgehen ist effizienter und kostengünstiger als der Unterhalt einer Lobbyagentur in Bern, wie es der Partnerschaftsbericht vorschlägt.
Überhaupt muss sich die randständige Nordwestschweiz anstrengen, um gegen die Sogwirkung des geeinten Mittellands und des Grossraums Zürich anzukommen; erinnert sei an die Abwertung des Radiostudio Basel, den Wegzug der Banken in Richtung «Downtown Switzerland» oder an die Post-Restrukturierung.
Die Nordwestschweiz ist ein Lebens- und Wirtschaftsraum; daher braucht es Freizügigkeit im Spitalwesen, kurze Wege, effiziente Leistungserbringung und Konkurrenzfähigkeit im nationalen Standortwettbewerb. Das geht einfacher gemeinsam.
Die Fusionsmühen, welche eine Annahme der Spitalinitiative bringen wird, müssen in Kauf genommen werden. Die Bildung eines Spitalverbunds oder eines Universitätsspitals beider Basel ist kein Sonntagsspaziergang. Aber diese staatspolitische Herausforderung ist anzunehmen. Was beim UKBB möglich war, ist auch bei der Erwachsenenmedizin anzustreben, mit dem Ziel, die universitäre Spitzenmedizin in der Nordwestschweiz zu erhalten.

Jörg Krähenbühl als Sprecher der SVP-Fraktion erinnert an den Grundsatz, dass eine Fusion nur bei einer Win-win- Situation Sinn macht. Bei einem Ja zur Spitalinitiative wird es aber wenige Gewinner geben und schon gar nicht in unserem Kanton. Es kommt nämlich zu einem Kostenschub, der nur mit einer Steuererhöhung aufgefangen werden kann. Das können gewählte Volksvertreter nicht wollen.
Bei einer Annahme erhielte eine neue, nur sehr schwer lenkbare Organisation einen Freipass. Die SVP steht daher voll hinter der Regierungsstrategie mit den Eckwerten:

Alle drei Initiativen regen, so findet FDP-Fraktionschef Paul Schär , zum Nachdenken an. Das ist positiv, aber trotzdem ist die Spitalinitiative abzulehnen.
Die Freisinnigen wollen das Ganze weniger visionär, sondern vielmehr pragmatisch angehen. Den in der Presse erhobenen Vorwurf, wer gegen die Initiative ist, sei gegen die Partnerschaft, weisen sie zurück. Im Spitalsektor läuft schon einiges; vielleicht wird es schlecht kommuniziert:
So liegt das Bekenntnis vor zur koordinierten regionalen Spitalplanung - die FDP hat in der VGK eine Vernetzung der entsprechenden Berichte von BL und BS gefordert -, zum UKBB gab es ein klares Ja (weil es sich dort, trotz aller Unbekannter, um eine überblickbare Grösse handelte), und es kam klar zum Ausdruck, dass das Baselbiet fast 40 % seiner medizinischen Bedürfnisse in Basel einkauft. Auch zur Medizinischen Fakultät steht die FDP und kündigt entsprechende Vorstösse an.
Es werden klar Gemeinsamkeiten mit Basel-Stadt gesucht; der vorgeschlagene Riesen-Verbund ist aber abzulehnen. Darum ist die Initiative überflüssig.

Wie Paul Rohrbach erklärt, sei auch die CVP/EVP-Fraktion trotz ihres Herzbluts für die Zusammenarbeit nach eingehender Auseinandersetzung mit der Materie zu einem Nein gekommen.
Das Ziel der Initianten ist die Errichtung einer Grossorganisation, was allein keine Gewähr bietet für gute Ergebnisse. Grösse führt zu Machtkonzentration und Monopolbildung. Die kommende KVG-Revision jedoch postuliert schlankere Strukturen, und aus der Wirtschaft ist bekannt: Holdingstrukturen sind teuer und intransparent.
Es schleckt keine Geiss weg, das Baselland auf einen Schlag und dauerhaft Mehrkosten tragen müsste, ohne einen Mehrwert zu bekommen.
Der Strategiebericht zur Spitalversorgung ist eine ausgezeichnete Grundlagenarbeit der Regierung, auf deren Basis nun im Spitalbereich mit den Partnerkantonen weiter diskutiert werden kann.

Madeleine Göschke-Chiquet , die Sprecherin der grünen Fraktion, bittet vorab Paul Schär, dass sich die FDP nicht mit fremden Federn schmückt. Die Forderung nach einem gemeinsamen Spitalplanungsbericht von Basel-Stadt und -Land haben in der VGK die Grünen zuerst gestellt, erst an der nächsten Sitzung haben sich die Freisinnigen diesen Vorschlag zu Eigen gemacht. Darüber freuen sich die Grünen.
Die Regierung fasst die Stärken der Spitalinitiative mit Begriffen wie «Führung vereinheitlichen», «Dienstleistungsangebot optimieren» und «Kosten senken» zusammen. Genau aus diesen Gründen ist die grüne Fraktion für die Initiative und glaubt daran, dass sich langfristig die Kosten senken lassen.
Die angeblichen Schwächen der Initiative sind hingegen haltlos. So spricht niemand von einem einzigen «Spital beider Basel». Es ist allen klar, dass es nur um die Schaffung einer gemeinsamen Dachorganisation und einer gemeinsamen Leitung eines Spitalverbunds geht. Die Regierung wählt aber solche tendenziösen Formulierungen, weil sie damit suggerieren will, bei der Spitalinitiative handle es sich um ein überdimensioniertes, unrealistisches Projekt. Die angebliche Erschwerung der interdisziplinären Zusammenarbeit und der gesamtschweizerischen Schwerpunktbildung, die Verwischung der Verantwortlichkeiten und hohe Fusionskosten sind ebenfalls Unterstellungen des Regierungsrats: Genau das Gegenteil ist wahr.
Ein Zusammenschluss führt zu einer betriebswirtschaftlichen Optimierung des Angebots, zur besseren Nutzung von Synergien und zur langfristigen Kostenreduktion.
Der Landrat muss sich auch bewusst sein, wie seine Stellungnahme zur Spitalinitiative in der übrigen Schweiz wahrgenommen wird. Eine Zustimmung wäre ein verbindliches Ja zur Medizinischen Fakultät und zum Standort Basel im Verteilungskampf der gesamtschweizerischen medizinischen Schwerpunktbildung. Eine Ablehnung hätte genau die gegenteilige Wirkung. Die Erhaltung der Medizinischen Fakultät und der klinischen Forschung ist von immenser Bedeutung für den Wirtschaftsstandort Nordwestschweiz. Es gilt, keine Zeit mehr zu verlieren und ein klares Signal nach Bern zu schicken, wo der Entscheid über die künftigen Standorte medizinischer Fakultäten fällt. Mit zu viel «Mir-wei-luege»-Mentalität ist es bald zu spät.
Die Grünen befürworten die nicht formulierte Initiative, die den Regierungen viel Verhandlungs- und Gestaltungsfreiraum lässt.

An die Adresse von Sabine Stöcklin bemerkt Isaac Reber , es sei unzutreffend, dass er die Bevölkerungsprognosen des Bundesamts für Statistik zitiert habe. Er hinterfragt die Aussagen dieser Prognose nicht nur wegen des langen Prognosezeitraums von vierzig Jahren.
Wenn es beispielsweise heisst, unsere Gesamtregion verliere langfristig EinwohnerInnen, so ist dies nicht unter einen Hut zu bringen mit dem Umstand, dass die Nordwestschweiz seit vielen Jahren die am stärksten wachsende Wirtschaftsregion der Schweiz ist. Bisher wurde die Prognose noch gar nicht vollständig publiziert. So wird bei einem ebenfalls untersuchten positiven Szenario der Stadt Basel ein Wieder-Überschreiten der 200'000er-Grenze vorausgesagt.
Bevölkerungsprognosen können eine wichtige Planungsgrundlage sein, aber Isaac Reber würde sie nicht ohne vorgängige gründliche Prüfung und Hinterfragung zitieren.

Karl Willimann-Klaus zählt kurz auf: Basel-Stadt hat trotz Bevölkerungsrückgangs sieben Spitäler, Baselland trotz 80'000 Einwohner(inne)n mehr deren drei. Das Basel-Stadt mindestens ein Spital zu viel hat, ist kein Geheimnis. Deshalb kommt auch dauernd das Bruderholzspital ins Visier. Bei einer Fusion ist leicht auszurechnen, welches Spital inkl. Personal unter die Räder kommen würde.

Regierungsrat Erich Straumann ist überzeugt, dass die Spitalpolitik ein nachmittagsfüllendes Thema wäre, will sich aber wegen der fortgeschrittenen Zeit kurz fassen.
Zwar lässt die Initiative einen Spitalverbund mit mehreren Standorten zu. Aber die Erfahrungen mit dem UKBB haben gezeigt, dass das nicht funktioniert; also wird es in der Erwachsenenmedizin auch nicht besser klappen, schon gar nicht mit sieben oder acht Standorten.
Die Schaffung eines Verbundes bedeutet eine Auslagerung der Spitäler; dies ist der Grund, warum sich im Basler Grossen Rat die Linke dagegen wehrt. Der Einfluss des Parlaments würde beschnitten, und der Landrat könnte wieder «brüele» wie bei der Post-Reorganisation.

Sabine Stöcklin stellt zu Handen von Kaspar Birkhäuser richtig, dass die Grossratsfraktion der SP Basel-Stadt die Jubiläumsinitiativen grossmehrheitlich befürwortet.
Zum Stichwort «Ausgliederung» sagt der Initiativtext nichts; die Spitalleitung kann genauso gut in der Verwaltung eingegliedert bleiben.

Landratspräsident Hanspeter Ryser gibt bekannt, dass zum Antrag 2 namentliche Abstimmung verlangt ist.

Abstimmung: Antrag 1

://: Die nicht formulierte Spitalinitiative wird für gültig erklärt.

Abstimmung: Antrag 2

://: Die nicht formulierte Spitalinitiative wird mit 45 Nein- zu 29 Ja-Stimmen abgelehnt.

Ja-Stimmen:
SP: Abt, Brassel, Chappuis, Degen, Halder, Helfenstein, Hilber, Huggel, Joset, Marbet, Meschberger, Münger, Nussbaumer, Rudin, Rüegg, Schmied, Schweizer, Stöcklin, Svoboda, Ziegler
FDP: Musfeld
CVP/EVP: Corvini, Tanner
Grüne: Birkhäuser, Göschke, Morel, Reber, Schoch, Wiedemann

Nein-Stimmen:
SVP: de Courten, Gerber, Grollimund, Haas, Hasler, Hess, Jordi, Krähenbühl, Liechti, Ringgenberg, Ryser, Straumann, Thüring, Völlmin, Willimann, Wirz, Wullschleger
FDP: Anderegg, Ceccarelli, Gutzwiller, Kunz, Mangold, Nufer, Richterich, Rufi, Schäfli, Schär, Schenk, Schneeberger, Schulte, Van der Merwe, Wenk, Zihlmann
CVP/EVP: Augstburger, Bachmann, Franz, Jermann, Jourdan, Rohrbach, Schneider, Simonet, Steiner, Zoller
SD: Keller, Steiger

Abstimmung: Antrag 3

://: Den Stimmberechtigten wird mit 46:27 Stimmen empfohlen, die nicht formulierte Spitalinitiative abzulehnen.

Für das Protokoll:
Alex Klee-Bölckow, Landeskanzlei



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