Protokoll der Landratssitzung vom 19. Februar 2004

Nr. 413

4 2002/320
Berichte des Regierungsrates vom 3. Dezember 2002 und der Finanzkommission vom 10. März 2003: Bericht und Antrag zur formulierten Verfassungsinitiative "Für eine faire Partnerschaft"

Finanzkommissionspräsident Marc Joset weist vorab darauf hin, dass der Landrat der Gültigerklärung der SVP-Initiative "Für eine faire Partnerschaft" gefolgt ist. Mit der Fristverlängerung war die SVP einverstanden, die Initiative wird zusammen mit den Jubiläumsinitiativen am 16. Mai dem Volk zur Abstimmung vorgelegt.
Der Regierungsrat lehnt die Initiative mit folgenden Begründungen ab:
Die Festsetzung einer fixen Limite schränkt aus finanzpolitischer Sicht die Flexibilität ein. Gegenüber den Verhandlungspartnern wäre mit einer Vertrauenseinbusse zu rechnen und die Aufwandpositionen würden bloss verlagert.
Aus staatspolitischer Sicht kollidieren die Forderungen der Initiative mit den Forderungen der NFA.
Die noch in alter Besetzung beratende und Bericht erstattende Finanzkommission führte ein Hearing mit einer Delegation des Initiativkomitees durch. Die Initianten wiesen im Hearing darauf hin, dass die Fokussierung auf Basel-Stadt zu durchbrechen und gegenüber den anderen Kantonen eine Öffnung zu erwirken sei.
Das Komitee brachte zum Ausdruck, dass eine allfällige Überschreitung der Richtwerte für die Höchstgrenze geduldet werden könnte.
Die Kommission kam zum Schluss, dass die Beiträge an Basel-Stadt gemeinsamen Interessen entsprechen und Leistungen betreffen, die Baselland zu einem fairen Preis sinnvollerweise dort einkaufen soll, wo sie am günstigesten zu beziehen sind. Statt schematisch zu plafonieren, soll die finanzielle Grenze im Einzelfall sorgfältig abgewogen werden.
Die Finanzkommission beantragt mit 8 zu 2 Stimmen, die Initiative "Für eine faire Partnerschaft" abzulehnen.

Ruedi Brassel lehnt die "Initiative für eine faire Partnerschaft" im Namen der SP-Fraktion einstimmig ab.
Die Initiative verlangt eine Änderung ganz zu Beginn der Verfassung. In §1 Absatz 1bis soll festgehalten werden:
Der Kanton arbeitet darauf hin, die ihm aus Verfassung und Gesetz aufgetragenen zentralen Aufgaben für die Bevölkerung aus eigener Kraft erbringen zu können.
Was heisst denn aus eigener Kraft in einer Zeit, da zur Problemlösung immer mehr auf Kooperation gesetzt wird und die Interdependenzen der komplexen Welt unübersehbar sind?
Die Antwort gibt § 3 der Verfassung mit dem Passus, dass der Kanton mit Vereinbarungen und gemeinsamen Institutionen arbeiten soll und dass er in diesem Bereich eine zentrale Aufgabe zu erfüllen hat. Aus eigener Kraft suggeriert letztlich, das Baselbiet sollte als Nische in dieser Welt erhalten werden. Fakt ist aber, dass der Kanton Basel-Landschaft aufgrund seiner vielfältigen Vernetzungen wirtschaftlich wie politisch seine Stärke, seine Existenz und seine Zukunft schöpft. In ihrem Kern leugnet die Initiative diesen Zusammenhang und will die Leugnung in die Verfassung hineintragen. Dafür ist die SP in keiner Art und Weise zu gewinnen.
Auch ganz grundsätzliche, pragmatische, vom Kommissionspräsidenten referierte Gründe sprechen gegen die Initiative.
Interessanterweise wartet die SVP mit einer Quotenregelung auf, die, würde sie erfüllt, eine sinnvolle Aufgabenverteilung und ein effizientes Arbeiten verunmöglichen könnte.
Der Titel "Für eine faire Partnerschaft" provoziert die Frage, was denn bisher unfair war. Ging das Baselbiet in seinen Zahlungen nach Basel zu schnell oder zu langsam vor? Welches ist der Massstab der Fairness? Wird allenfalls suggeriert, Basel sei unfair zu Baselland oder war Baselland gegenüber seinen Partnern unfair?
Der Titel spielt mit gefährlichen Emotionen, Überprüfungsmöglichkeiten sind nicht gegeben, mit Rattenfängertricks will die Initiative die Menschen hinter sich scharen. Die Initiative spielt vor, nun sei das Patentrezept für Fairness erfunden worden. Ein solches Verhalten ist unfair - auch deshalb gehört diese Initiative in den Senkel gestellt.

Karl Willimann-Klaus zitiert im Hinblick auf die Redelust des Parlaments Willhelm Busch: «Das Reden tut dem Menschen gut, vor allem wenn man's selber tut!»
Er nennt die Motive für die Lancierung der SVP-Initiative: die Sorge um die Finanzen sowie um die Eigenständigkeit von Baselland. Schon damals war abzusehen, dass die ständigen Forderungen von Basel-Stadt unseren Kanton in eine finanzielle Schieflage bringen würden. Es flossen aus dem Baselbiet als Beitrag an Zentrumsleistungen wie Spitäler, Uni, Theater, Orchester, öffentlicher Verkehr, Schulen usw. über 215 Millionen Franken jährlich in den Stadtkanton. 2002 lag dieser Betrag bereits bei 236 Millionen, heute bei 281 Millionen Franken - Tendenz steigend. Dazu kommen noch 55 Millionen Franken für gemeinsame Aufgaben.
Bei genauer Betrachtung der finanziellen Eckwerte der beiden Kantone kommt man zum Schluss, dass vergleichbare Leistungen in Basel-Stadt deutlich teurer sind als im Baselbiet. Bei der Zusammenlegung von Aufgaben muss daher Baselland unter dem Strich mit höheren Kosten rechnen als bei einem Alleingang.
Karl Willimann nennt als Eckdaten:


Bestünde ein Finanzausgleich zwischen diesen beiden Kantonen, so müssten Gelder von Basel-Stadt die Ergolz hinauf nach Liestal fliessen. BS leistet sich einen überdimensionierten Verwaltungsapparat und lebt über den Verhältnissen.
Mit der Initiative bekennt sich die SVP zu einer guten Partnerschaft mit Basel-Stadt und stellt die Zahlungen nicht grundsätzlich in Frage. Sie will aber kein Fass ohne Boden. Fünf Jahre lang sollen keine Erhöhungen der Baselbieter Beiträge mehr vorgenommen werden. Langfristig dürfen die Baselbieter Leistungen 30 % des Steuerertrags der natürlichen Personen nicht überschreiten.
Es muss genügen, dass wie heute jeder dritte Steuerfranken Richtung Basel abfliesst.
Die Initiative versteht sich auch als Zeichen gegen die so genannten «Jubiläumsinitiativen». Diese sind ein plumper Versuch der Wiedervereinigung durch die Hintertür. Die SVP möchte, dass Basel-Stadt erst einmal die eigene Verwaltung und den eigenen Finanzhaushalt in Ordnung bringt und sich nicht dauernd aufs Baselbiet als Geldgeber verlässt.
Die heutige Situation kann mit zwei verwandten Familien verglichen werden: die eine pflegt einen luxuriösen Lebensstil bei einem guten Einkommen; die andere versucht Einnahmen und Ausgaben in Einklang zu bringen, denkt haushälterisch, und doch wird ihr zugemutet, den aufwändigen Lebensstil der anderen Familie dauernd zu finanzieren. Das darf nicht weitergehen, und deshalb ist die SVP-Initiative anzunehmen.

Die FDP lässt sich, so Juliana Nufer , keine Fesseln anlegen und lehnt die Initiative einstimmig ab. Ihr Titel klingt zwar toll, die Initiative lässt aber eine Reihe Fragen offen:
Sollen Regierung und Landrat wirklich nur noch reagieren statt agieren? Das Parlament kann von Fall zu Fall über Ausgaben und Beiträge beschliessen und sollte seinen Spielraum nicht einengen lassen. Bei einer Annahme der Initiative besteht die Gefahr, dass auf ein partnerschaftliches Geschäft, das zu einer Win-win- Situation führt, verzichtet werden müsste, weil der Zeitpunkt ungünstig ist, also weil z.B. die Steuereinnahmen in diesem Moment gerade rückläufig sind.
Sollen nun einfach mehr partnerschaftliche Verträge mit anderen Kantonen wie Aargau, Solothurn oder - als extremem Beispiel - dem Tessin abgeschlossen und gleichzeitig Verträge mit Basel-Stadt gekündet werden? Das wäre paradox, denn das Baselbiet ist als Einkäufer-Kanton darauf angewiesen, Leistungen bei seinem Partner zu beziehen. Den Preis kann das Parlament festlegen.
Will das Baselbiet wirklich den Eindruck eines unzuverlässigen, willkürlichen und launischen Geschäftspartners vermitteln? Für die FDP-Fraktion ist es klar, dass Baselland ein fairer Partner sein will.
Die partnerschaftliche Zusammenarbeit muss finanzielle Grenzen haben, weil das Baselbieter Steuereinkommen geringer ist als dasjenige in der Stadt. Die richtige Strategie besteht aber in einem sorgfältigen Abwägen im Einzelfall.

Eugen Tanner glaubt, die bisher praktizierte und in der Verfassung postulierte Partnerschaft sei den Initianten ein Dorn im Auge. Alle Gelder, die nach Basel fliessen, sind Abgeltungen für bezogene Leistungen und werden nicht a fonds perdu für irgend etwas ausgegeben. Die Initiative hat die Abschottung des Baselbiets zum Ziel, was dem Gedanken einer starken Region absolut abträglich ist. Die Initianten verkennen die enge kulturelle, gesellschaftliche und wirtschaftliche Verflechtung zwischen den beiden Kantonen. Zwar besteht die Region auch noch aus Teilen anderer Kantone; diese sind aber mehrheitlich auf die Regionen Zürich und Bern ausgerichtet.
Die Initiative widerspricht der Idee des Neuen Finanzausgleichs, und der Titel «faire Partnerschaft» entspricht nicht dem Inhalt. Faire Partnerschaft würde heissen, dass bezogene Leistungen auch bezahlt werden. Das ist auch eine gutbürgerliche Haltung. Daher lehnt die CVP/EVP-Fraktion die Initiative klar ab.

Namens der Grünen erklärt Jürg Wiedemann eine offene, transparente und partnerschaftliche Zusammenarbeit mit anderen Kantonen für wichtiger als eine Abkapselung und eine antiquierte Igel-Mentalität. Basel-Stadt ist ein gleichberechtigter, integrer Partner und kein Gegner. Die Mentalität der Initianten schadet der wirtschaftlichen Entwicklung unseres Kantons. Anstehende komplexe Aufgaben wie die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, die Senkung der Gesundheitskosten, der öffentliche Agglomerationsverkehr, die Verbesserung der Bildungssysteme, die Reduktion der Umweltbelastungen, die Sicherung der Sozialleistungen oder die Attraktivitätssteigerung des Wirtschaftsstandorts harren ihrer Lösung - dies geht nur gemeinsam.
Zwei Unternehmen, die im stillen Kämmerlein getrennt an einem Problem arbeiten, kommen nicht zur gleich guten und kostengünstigen Lösung, wie wenn sie es zusammen tun. Die partnerschaftliche Zusammenarbeit ist in den nächsten Jahren weiter zu intensivieren, so dass alle beteiligten Kantone, also teilweise auch AG und SO, davon profitieren können.
Die in der Initiative verlangte Ausgaben-Plafonierung ist willkürlich und kann unter Umständen bedeuten, dass der Kanton Leistungen, die er erbringen muss, nicht mehr dort beziehen kann, wo sie am günstigsten sind, sondern sie selber anbieten muss - dies kann teurer werden als der Einkauf beim Nachbarn. Die Initiative mit ihrem irreführenden Titel verursacht eine Schwächung der interkantonalen Zusammenarbeit. Finanziell und volkswirtschaftlich kann das Baselbiet sich das nicht leisten, weshalb die grüne Fraktion Nein sagt.

Dieter Völlmin antwortet auf einige Vorwürfe an die Adresse der Initianten. So werden etwa die Kriterien des Neuen Finanzausgleichs noch längstens eingehalten.
Ein Beispiel dafür, wie es für die SVP nicht mehr weitergehen kann, bot die gestrige Grossrats-Sitzung zum Uni-Immobilienvertrag: Dort hat Regierungsrat Eymann laut einem Zeitungsbericht gesagt, Basel-Stadt richte sich darauf ein, dass ab 2005 mehr Geld aus Baselland zur Verfügung stehe. Das ist das bewährte Muster. Ohne diesen ständigen Mechanismus - Jammern, Medienkampagne, mehr Geld - gäbe es die vorliegende Initiative nicht.
Leistungen von Basel-Stadt - schweizweit als Hochpreisinsel bekannt - werden einfach bezahlt, ohne abzuklären, ob der Preis gerechtfertigt ist oder die Leistungen anderswo günstiger wären. Dagegen wehren sich die Initianten. Gemeinsam Aufgaben zu lösen, mag schon günstiger sein, aber nicht, wenn es immer mit dem teuersten Partner gemacht wird. Bei gemeinsamen Projekten steigen die Preise immer auf das hohe Basler Niveau, nie sind sie auf das Baselbieter Niveau gesunken.
Ausgaben bewilligen geht nicht, ohne die Finanzierung zu sichern. Gerade neulich hat der Landrat wieder 7 Millionen bewilligt (für Immobilienvertrag Uni, Basel Sinfonietta und Deep Heat Mining), jetzt ist schon wieder die Rede von weiteren rund 30 Millionen Franken (für Uni, Theater usw.). Irgendwann kommt der Tag der Wahrheit, wenn dem Volk eine Steuererhöhung angekündigt werden muss.
Auch wer die Initiative heute ablehnt, war in letzter Zeit schon einige Male froh, dass es sie gibt - nicht zuletzt Delegationen des Regierungsrates, deren Verhandlungsposition gestärkt wurde.

Die von Karl Willimann angeführten Zahlen stimmen, bestätigt Kaspar Birkhäuser . Aber es wurden auch wichtige Fakten weggelassen, die ebenfalls hätten erwähnt werden müssen. Das Bild der beiden Familien, reich und arm, war schief. Denn die sogenannt reiche Stadt-Familie stellt den «armen Schluckern vom Lande» auch vieles zur Verfügung, das diese dauernd nutzen und nur ungenügend zahlen.
Regierungsrat Eymann unlautere Motive zu unterstellen, ist unfair. Eymann jammert nicht, er macht darauf aufmerksam, dass Baselland in Sachen Uni zu wenig bezahlt für bezogene Leistungen.

Finanzkommissionspräsident Marc Joset erläutert die Anträge, über welche der Landrat zu beschliessen hat: erstens ob die Verfassungsinitiative angenommen oder abgelehnt wird - die Kommission empfiehlt Ablehnung -, zweitens welche Empfehlung den Stimmberechtigten gemacht werden soll - die Kommission empfiehlt ein Nein.

Regierungsrat Adrian Ballmer fühlt sich von Kaspar Birkhäusers Votum herausgefordert: Es ist nicht wahr, dass Baselland zu wenig zahlt für die Universität. Auch die Basler Regierung anerkennt, dass der Landkanton die Kosten für die Studierenden aus dem Baselbiet vollständig trägt. Die Diskussion dreht sich um die ungedeckten Kosten für Studierende aus der übrigen Schweiz und dem Ausland. Darüber kann miteinander gesprochen werden.

Landratspräsident Hanspeter Ryser gibt bekannt, dass namentliche Abstimmung für Antrag 1 verlangt wurde.

Abstimmung: Antrag 1

://: Die formulierte Verfassungsinitiative «Für eine faire Partnerschaft» wird mit 58 Nein- gegen 21 Ja-Stimmen bei 2 Enthaltungen abgelehnt.

Ja-Stimmen:
SVP: de Courten, Gerber, Grollimund, Haas, Hasler, Hess, Holinger, Jordi, Krähenbühl, Liechti, Ringgenberg, Ryser, Straumann, Thüring, Völlmin, Willimann, Wirz, Wullschleger
SD: Blatter, Keller, Steiger

Nein-Stimmen:
SP: Abt, Brassel, Chappuis, Degen, Halder, Helfenstein, Hilber, Hintermann, Huggel, Jäggi, Joset, Küng, Marbet, Meschberger, Münger, Nussbaumer, Rudin, Rüegg, Schmied, Schweizer, Stöcklin, Svoboda, Ziegler
FDP: Anderegg, Ceccarelli, Frey, Gutzwiller, Kunz, Mangold, Musfeld, Nufer, Richterich, Rufi, Schär, Schenk, Schulte, Van der Merwe, Wenk, Zihlmann
CVP/EVP: Augstburger, Bachmann, Corvini, Jermann, Jourdan, Rohrbach, Schneider, Schuler, Simonet, Steiner, Tanner, Zoller, Zwick
Grüne: Birkhäuser, Göschke, Maag, Morel, Reber, Schoch, Wiedemann

Enthaltungen:
FDP: Schäfli, Schneeberger

Abstimmung: Antrag 2

://: Den Stimmberechtigten wird mit 58 zu 20 Stimmen empfohlen, die formulierte Verfassungsinitiative «Für eine faire Partnerschaft» abzulehnen.

Landratsbeschluss
zur formulierten Verfassungsinitiative „Für eine faire Partnerschaft"


Vom 19. Februar 2004

Der Landrat des Kantons Basel-Landschaft beschliesst:

Für das Protokoll:
Urs Troxler, Landeskanzlei


Für das Protokoll:
Alex Klee-Bölckow, Landeskanzlei



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