LR Protokoll 21. September 2000 (Teil 4)
Protokoll der Landratssitzung vom 21. September 2000
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Übersicht Landratssitzungen (Traktanden und Protokolle)
Nr. 629
5 2000/179 Fragestunde
1. Esther Maag: Polizeieinsatz an der Demonstration gegen Rechtsextremismus und Rassismus vom 9. September 2000
Der Polizeieinsatz an der Demonstration gegen Rechtsextremismus und Rassismus vom 9. September 2000 in Liestal hat zahlreiche Fragen aufgeworfen und auch in der Öffentlichkeit zu Kontroversen geführt.
Fragen:
1. Teilt der Regierungsrat das Gefühl, dass auch die Polizei durch ihr Auftreten mit zur Provokation beigetragen hat?
2. Auf Grund welcher Faktoren gelangte der Regierungsrat zur Auffassung, der Polizeieinsatz sei "verhältnismässig" gewesen?
3. Begreift der, Regierungsrat die Stimmen, die davon sprechen, die Polizei habe eine Demonstration kaputt gemacht, die auf die Verteidigung der freiheitlichen Grundordnung abgezielt hat?
4. Standen die zugezogenen Polizeien aus den Konkordats-Kantonen unter dem Kommando der Kapo BL? Wenn ja: Wieso wurde das von der Kapo BL mit den Organisatoren der Demonstration abgesprochene Einsatzdispositiv nachträglich abgeändert? Warum wurden die Organisatoren - trotz Telefonkontakt am Samstag Vormittag kurz vor der Demonstration - nicht über das abgeänderte Einsatzdispositiv informiert?
5. Wer konkret hat beschlossen, entgegen der Abmachungen Polizei in Kampfmontur sichtbar und gegen den Demonstrationszug gerichtet einzusetzen?
6. Auf Grund welcher gesetzlicher Grundlage wurde einem an der Demonstration teilnehmenden Grüppchen von der Polizei das Grundrecht der Demonstrationsfreiheit abgesprochen?
7. Wer konkret hat festgestellt, dass das Grüppchen die freiheitliche demokratische Grundordnung verletze?
8. Wer konkret hat den Befehl erteilt, einen Teil der bis dahin friedlich verlaufenen Demonstration abzutrennen und Verhaftungen vorzunehmen?
9. Wieso wurde der vereinbarte Handy-Kontakt der für die Ordnung im Demonstrationszug verantwortlichen Organisatoren der Demonstration von der Einsatzleitung nicht benützt?
10. Hat der Regierungsrat bei der Kantonspolizei Aargau gegen das Auftreten an der Demonstration protestiert? Welche Schlüsse zieht der Regierungsrat aus dem Auftreten der Kapo AG für weitere gemeinsame Einsätze?
11. Hat der Regierungsrat vor, kritische Polizeieinsätze künftig von psychologisch geschultem Fachpersonal begleiten zu lassen?
12. Wer ist nach Ansicht des Regierungsrates Träger einer "streitbaren Demokratie"?
Der Präsident Peter Brunner weist im Zusammenhang mit der ersten Frage von Esther Maag darauf hin, dass es sich hier um eine klassische Interpellation handle.
Obwohl es um ein äusserst aktuelles Thema geht bittet Peter Brunner, um den Rahmen der Fragestunde nicht zu sprengen, zukünftig eine schriftliche Interpellation einzureichen.
RR Andreas Koellreuter bemerkt vorweg, dass er bereits am Samstag, den 9. September 2000 gegenüber den Medien zum Ausdruck gebracht hat, dass er bedaure, dass die Kundgebung durch extreme Kreise gestört wurde.
Dazu stehe er nach wie vor. Denn nicht zuletzt habe er mit seiner Präsenz als Regierungspräsident, stellvertretend für die Regierung und das Parlament zum Ausdruck bringen wollen, dass ihm der Kampf gegen rechtsextremes Gedankengut sehr am Herzen liege.
Allerdings sei damit zu rechnen gewesen, dass sowohl von rechts- als auch von linksextremer Seite die Demonstration missbraucht werden könnte, was in der Folge auch geschah, durch 30 Personen der autonomen Szene aus Bern und Zürich und ca. 15 Personen der rechtsextremen Szene.
Die Autonomen, welche sich am Ende der Demonstration befanden, waren teilweise mit Holzstöcken bewaffnet und hatten "Accessoires" dabei um sich zu vermummen.
Die 15 Rechtsextremisten haben sich in Anbetracht des grossen Polizeiaufgebotes zurückgezogen.
Zu Frage 1
Nein, der Regierungsrat teilt dieses Gefühl nicht.
Der Regierungsrat ist davon überzeugt, dass Dank des Polizeieinsatzes eine Konfrontation zwischen links- und rechtsextermen Kräften verhindert werden konnte.
Wie die Vorkommnisse des letzten Wochenendes in Emmen und Luzern klar gezeigt haben, kam es damals zu etlichen Scharmützeln zwischen Links- und Rechtsextremen, wobei der Grund möglicherweise darin zu suchen ist, dass die Polizei ungenügende Präsenz markierte.
Zu Frage 2
Die eingesetzten Mittel entsprechen der Recht- und Verhältnismässigkeit, wie sie die Kantonsverfassung und auch das Polizeigesetz gebieten.
Aufgrund der Nachrichtenlage, verbunden mit einer eingehenden Analyse wurden die Mittel festgelegt, welche sich nachträglich gesehen auch bewährt haben.
Zu Frage 3
Regierungsrat und Behörden haben die Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten und Bürgerinnen und Bürger, welche einer Demonstration friedlich beiwohnen wollen zu schützen. Dasselbe trifft auch für die übrige sich im „Stedtli" befindliche Bevölkerung und die Ladenbesitzer zu.
Zu Frage 4
Die Einsatzleitung für sämtliche beteiligten Kantone lag bei der Polizei des Kantons Basel-Landschaft.
Die Besprechung zwischen der Polizei und den beiden Komitees fand am Mittwoch abend vor der Demonstration statt.
Der Gesamteinsatzleiter konnte dannzumal den Organisatoren die Zusage erteilen, unter der Voraussetzung, dass sich die aktuellen Voraussetzungen nicht ändern, dass die polizeilichen Ordnungskräfte nicht sichtbar postiert sein werden.
Im Laufe des Donnerstag Nachmittag hat sich die Nachrichtenlage dramatisch verändert, sodass Andreas Koellreuter am Freitag die Partner des Nordwestschweizer Polizeikonkordats um Hilfe gebeten hat. Dies um dem Grundsatz des Regierungsrats Nachahmung zu verschaffen, im Baselbiet keine extremistischen Aktionen, von welcher Seite auch immer, zu dulden.
Die Lage präsentierte sich an diesem Freitag so, dass mit einer Demo von Autonomen aus Bern und Zürich gerechnet werden musste, dem sich aufgrund eines Aufrufs die Rechtsextremen zu einer Gegendemonstration anschlossen.
Zu Frage 5
Er übernehme persönlich die Verantwortung, dass aufgrund der Nachrichteneinschätzung das Nordwestschweizerische Polizeikonkordat um Hilfe ersucht wurde.
Er verwahre sich jedoch mit aller Entschiedenheit gegen den Vorwurf Esther Maags, die Polizeiaktion habe sich gegen den Demonstrationszug gerichtet.
Wie bereits ausgeführt, habe der Schutz den DemonstrationsteilnehmerInnen und der restlichen anwesenden Bevölkerung gegolten.
Zu Frage 6
Es ging dabei um die Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung und nicht um die Beschneidung von Grundrechten.
Zu Frage 7
Der örtliche Einsatzleiter, nach Vorliegen der Erkenntnisse der polizeilichen Aufklärung.
Zu Frage 8
Der örtliche Einsatzleiter, unter Absprache mit dem Gesamteinsatzleiter. Die fraglichen Personen sind zudem nicht verhaftet, sondern lediglich einer Personenkontrolle gemäss Polizeigesetz unterzogen worden.
Zu Frage 9
Abgesehen davon, dass rasches Handeln Not tat, kann es nicht angehen, dass die Polizei vor dem Ergreifen von Sofortmassnahmen diese noch mit Dritten diskutiert.
Zu Frage 10
Es gibt keinen Grund, sich über die Nachbarn aus dem Kanton Aargau zu beklagen. Es stehe im Ermessen jedes Konkordatspartners diejenigen Kräfte zur Verfügung zu stellen die notwendig sind. Eine Vorschrift der Uniformierung bestehe nicht.
Er sei den Konkordatspartnern für ihre rasche und unbürokratische Hilfe dankbar und sehe nicht ein, warum die Zusammenarbeit mit dem Kanton Aargau nicht fortgesetzt werden soll.
Ausserdem erübrige sich diese Frage von dem Moment an, wo alle dem Nordwestschweizer Polizeikonkordat zugehörigen Polizeikräfte über ein einheitliche Ausrüstung verfügen.
Zu Frage 11
Esther Maag verkennt hier die Tatsache, dass ein Polizeieinsatz gut analysiert und vorbereitet werden kann. Anlässlich des effektiven Einsatzes bleibt jedoch keine Zeit für psychologische Diskussionen; Handeln ist angesagt.
Er empfinde die Aussage als unterschwellige Unterstellung, dass die Polizei nicht fähig sei einen Einsatz mit psychologischem Geschick durchzuführen.
Zu Frage 12
Erkundigungen bei der Fragestellerin, die Frage konnte nicht interpretiert werden, ergaben, dass es ihr offensichtlich nach philosophischem Abwägen um die Frage nach der Demonstrations- und Meinungsäusserungsfreiheit einerseits und dem quantitativen Polizeiaufgebot andererseits gehe.
Darüber könnte man unendlich diskutieren, was jedoch den Rahmen einer Fragestunde bei weitem sprengen würde.
Es galt nicht, das Grundrecht einzelner Links- oder Rechtsextremer, welche die Störung der Kundgebung beabsichtigten zu schützen, sondern vielmehr die Grundrechte und Sicherheit der friedlichen Demonstranten und der restlichen Bevölkerung zu gewährleisten.
Abschliessend bemerkt Andreas Koellreuter, dass die Polizei auf die Unterstützung des Parlaments angewiesen sei. Diese wurde ihr mit der kürzlich verabschiedeten Resolution auch zugesichert.
Die Angehörigen der Polizei des Kantons Basel-Landschaft stehen unter einem enormen Einsatzdruck, da wie immer sie auch entscheiden, das Echo negativ ausfalle.
Aber auch die hohe Frustrationstoleranz der Sicherheitskräfte stosse an ihre Grenzen. Zudem wolle er daran erinnern, dass die Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus nicht primär ein polizeiliches, sondern ein gesamtgesellschaftliches Problem darstellt.
Esther Maag bedankt sich für die Ausführungen von Andreas Koellreuter.
Wenn man die Polizei erlebt habe, in voller Kampfesmontur, komme man zum Schluss, dass von beiden Seiten nicht unter idealsten Voraussetzungen gehandelt wurde.
Nachträglich habe sie erfahren, dass der Kanton der Stadt Liestal eine Rechnung für den Einsatz stellen werde. Aufgrund der derzeitigen Finanzlage sei Liestal daran interessiert zu erfahren, wie hoch diese ausfalle.
Ursula Jäggi fragt nach, ob es stimme, dass zu den von der Demonstration abgeschnittenen Personen auch friedliche Demonstranten gehörten, welchen damit verwehrt wurde der Rede beizuwohnen.
RR Andreas Koellreuter hat den Stadtpräsidenten der Stadt Liestal bereits informiert, dass der Polizeieinsatz der Stadt nicht in Rechnung gestellt werde.
Zur Frage von Ursula Jäggi erwidert er, dass gemäss Aussage der Polizei einige Personen zurückbehalten wurden, die anscheinende danach kein Interesse mehr für die Rede zeigten, sondern sich mit den Autonomen aus Bern und Zürich solidarisierten und beim Törli zurückblieben bis die vier überprüften Personen zurückkehrten.
2. Bruno Steiger: Dolmetscherkosten
Auch im Baselbiet ist der Kriminaltourismus leider eine zunehmende Tatsache. Dank den Fahndungserfolgen der Polizei müssen bei der Aufklärung der Delikte vermehrt auch fremdsprachige Dolmetscher beigezogen werden. Dies zum Teil zu jeder Tages- und Nachtzeit, will man den gesetzlichen Vorgaben für die erste Einvernahme einhalten.
Fragen:
1. Für welche Sprachen sind heute Fremdsprachen-Dolmetscher für die Polizei und die Gerichte im Baselbiet im Einsatz?
2. Wieweit findet auch eine interkantonale Zusammenarbeit in diesem Bereich statt?
3. Mit welchen Folgekosten und Einsatzstunden pro Jahr muss im Baselbiet gerechnet werden?
4. Aus welchen Kreisen werden diese Dolmetscher rekrutiert?
Zu Frage 1
RR Andreas Koellreuter antwortet, dass bei den genannten Behörden vor allem die Sprachen Albanisch, Englisch, Französisch, Italienisch, Kurdisch, Portugiesisch, Rumänisch, Russisch, Serbokroatisch, Tamilisch, Türkisch und mehrere afrikanische Sprachen zur Anwendung gelangen.
Zu Frage 2
Bei Statthalterämtern und Gerichten findet keine interkantonale Zusammenarbeit statt. Die Polizei zieht auch Uebersetzer aus anderen Kantonen, jedoch vorwiegend aus den Halbkantonen Baselland und Basel-Stadt bei.
Zudem werden die Adressen guter Dolmetscher ausgetauscht.
Zu Frage 3
Bei den Statthalterämtern und der Polizei fallen jährliche Kosten in Höhe von ca. Fr. 300'000.-- an.
Die Gerichte können ihren Aufwand nicht beziffern, da eine fallweise Abrechnung erfolgt und Details in der Buchhaltung nicht ausgewiesen werden.
Zu Frage 4
Gute Dolmetscher werden unter Berufskollegen weiter empfohlen. Grösstenteils handelt es sich um ausländische Personen, welche mit einem Schweizer oder einer Schweizerin verheiratet sind.
Bruno Steiger bedankt sich bei Regierungspräsident Andreas Koellreuter für die Beantwortung seiner Fragen.
3. Esther Aeschlimann-Degen: Verordnung über Art und Massnahme der Fürsorgeunterstützung (§ 2, Abs. 1), gültig ab 1.6.2000
Der Regierungsrat hat per 1.6.2000 eine Anpassung der Verordnung über Art und Mass der Fürsorgeunterstützungen (§ 2 Abs. 1) in Kraft gesetzt.
Mit der Änderung der Verordnung wurde folgender Zusatz neu eingeführt: Während der ersten drei Monate einer Unterstützung wird ein Notbedarf ausgerichtet, während den zweiten drei Monaten der Grundbedarf 1 und danach der Grundbedarf 1 und 2. Nach sechsmonatiger Unterstützung kann Jugendlichen nach dem vollendeten 16. Altersjahr ein monatliches Sackgeld von Fr. 50.-- ausgerichtet werden. Beim sog. Notbedarf soll es sich um einen um 15% reduzierten Grundbedarf handeln.
Gemäss Protokoll der landrätlichen Fragestunde vom 18. Mai 2000 führt Regierungsrat Hans Fünfschilling zur Verordnungs-Änderung aus: ... dass damit nicht die Absicht verbunden war zu sparen, sondern zu kommunizieren, dass bei einer kurzfristigen Unterstützung, je nach Situation, der Grundbedarf bis max. 15% reduziert werden kann... Im weiteren hält der Regierungsrat fest, dass Handlungsbedarf bestanden habe bezüglich der Definition "kurz- und längerfristige Unterstützung". Von Regierungsseite unbestritten ist, gemäss Protokoll, ... dass man den Text der Verordnung durchaus auch anders interpretieren könne.... Die Verordnungs-Änderung hat einige Verwirrung gestiftet.
Fragen:
1. Wie handhaben die Sozialdienste, resp. die Fürsorgebehörden in den Gemeinden die geänderte Verordnung konkret ?
2. Wie läuft es jetzt in der Praxis, d.h. wenn - in wiefern hat sich die finanzielle Situation der kurz- und längerfristig unterstützten Personen verändert ?
3. Wenn mit der Verordnungs-Änderung nicht die Absicht verbunden war, zu sparen, müsste sie dann nicht wieder ausser Kraft gesetzt werden ?
Peter Brunner informiert, dass diese Frage ebenfalls von RR Andreas Koellreuter in Vertretung von RR Adrian Ballmer beantwortet wird.
RR Andreas Koellreuter führt aus, dass aufgrund der Landratssitzung vom 18.5.2000 das kantonale Fürsorgeamt, der Verband Sozialhilfe Baselland und die Koordination Sozialarbeit das weitere Vorgehen besprochen haben.
Der Regierungsrat hat am 15.6.2000 die Verordnungsänderung vom 25.4.2000 aufgehoben und durch die der obgenannten Institutionen erarbeitete neue Fassung ersetzt.
Die Inkraftsetzung erfolgte rückwirkend auf den 1.6.2000.
Die kommunalen Fürsorgebehörden und weitere Stellen wurden am 16.6.2000 schriftlich informiert.
Zu Frage 1
Die momentane Lösung wurde mit den Vertretungen der kommunalen Sozialhilfeorgane besprochen. Sie scheint sich in der Praxis zu bewähren.
Zu Frage 2
Gemäss der geltenden Verordnung werden Fälle, bei welchen die Langfristigkeit von Beginn an abzusehen ist in der Regel mit dem Grundbedarf 1 und 2 unterstützt. Dies im Sinne des Individualisierungsgrundsatzes.
Die übrigen Fälle werden während der ersten sechs Monate grundsätzlich mit dem Grundbedarf 1 unterstützt.
Anschliessend erfolgt eine Neuüberprüfung, wie das die Präambel der Richtlinien der Schweizerischen Konferenz
für Sozialhilfe, KOS, vorsieht.
Zu Frage 3
Mit vorerwähntem Regierungsratsbeschluss wurde besagte Verordnung wieder ausser Kraft gesetzt.
Fortsetzung des Protokolls vom 21. September 2000