LR Protokoll 2. September 1999 (Teil 4)
Protokoll der Landratssitzung vom 2. September 1999
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Übersicht Landratssitzungen (Traktanden und Protokolle)
Nr. 59
16 1999/064
Verfahrenspostulat von Matthias Zoller vom 25. März 1999: Mehr Bürgernähe
17 1999/065
Verfahrenspostulat von Matthias Zoller vom 25. März 1999: Aufklärung beginnt in der Schule
Walter Jermann schlägt die gemeinsame Behandlung dieser beiden Verfahrenspostulate von Matthias Zoller vor, die Abstimmung wird dann aber separat durchgeführt. Zum Verfahrenspostulat 1999/064 (Mehr Bürgernähe) nimmt das Büro wie folgt Stellung: Aufwand und Ertrag der vorgeschlagenen Massnahmen stehen in keinem Verhältnis zu dem, was der Postulant verlangt. Das Büro ist überzeugt, dass die Arbeit des Landrates heute durch geeignete Massnahmen transparent gemacht wird. Dabei denkt er an die ausführliche und kompetente Berichterstattung der Medien TV, Radio und Zeitungen. Alle Landratsprotokolle, Landratsvorlagen, Kommissionsberichte und parlamentarischen Vorstösse werden auf dem Internet publiziert. Die stufengerechte Darstellung des Landrates und seiner Funktion liegt in Broschüren und Videofilmen/Tonbildschau vor. Auch können alle Landratssitzungen von der Zuschauertribüne aus verfolgt werden. Gespräche mit Landratsmitgliedern sind immer möglich. In diesem Bereich ist die Öffentlichkeitsarbeit der einzelnen Landratsmitglieder in ihren Gemeinden gefordert.
Zum Verfahrenspostulat 1999/065: Die Namen sämtlicher Landratsmitglieder mit Partei- und Kommissionszugehörigkeit sowie Eintrittsdatum in den Landrat können im Amtskalender nachgeschlagen werden. Dieser wird jeder Schule zugestellt. Auch findet man ein solches Verzeichnis im Internet unter www.baselland.ch. Für Schulklassen ist die Landeskanzlei eine vielbesuchte Anlaufstelle.
Das Büro schlägt vor, dieses Verfahrenspostulat zu überweisen und gleichzeitig abzuschreiben.
Matthias Zoller spricht sowohl zu den beiden Verfahrenspostulaten als auch zu den Motionen 1999/066 (Volksrechte = Volkspflichten) und 1999/067 (Attraktivitätssteigerung von Wahlen). Er vergleicht seine Anliegen mit der Feuerwehr. Wenn es zu Hause brennt und die Feuerwehr rückt mit einem Mann weniger an, merkt man dies kaum. Fehlt die Hälfte der Mannschaft, macht man sich doch langsam Sorgen und ist froh, wenn auch ein Nachbardorf noch einige Leute schicken kann. Wenn jedoch nur noch ein Mann oder eine Frau der Feuerwehr anrückt, ist es höchstwahrscheinlich zu spät. Fast gleich verhält es sich mit der Demokratie. Es fällt nicht auf, wenn jemand sich nicht daran beteiligt. Beteiligt sich die Hälfte nicht, fällt dies zwar auf, aber man ist durchaus froh, dass diese nicht dabei sind. Wenn aber nur noch eine Person mitmacht, ist es zu spät.
Für alles Handeln in unserem Staat ist eine demokratische Legitimation nötig, wobei er sich nicht sicher ist, ob die Schweiz noch immer eine Vorzeigedemokratie darstellt. Von der Wohnbevölkerung in unserem Kanton sind rund 60% stimmberechtigt. Im Normalfall nimmt ein knappes Drittel sein Stimm- und Wahlrecht wahr, also rund 20% der Wohnbevölkerung, wobei von ihnen nur die Hälfte schlussendlich für einen Entscheid ausschlaggebend ist. Also bestimmen heute im Normalfall nur 10% der Wohnbevölkerung, wohin wir uns in Zukunft bewegen.
Natürlich gibt es auch Leute mit der Meinung, es sei schlauer, wenn diejenigen BürgerInnen an die Urne gehen, welche die Materie kennen. Es bleibt aber die Frage, ob dies tatsächlich nur 10% aller EinwohnerInnen sind.
Matthias Zoller will keine Maximalforderungen, denn er ist sich bewusst, dass niemals alle Stimmberechtigten an die Urne gehen werden, aber alle an der Politik Beteiligten müssen etwas unternehmen, dass wieder vermehrt ein Interesse an Wahlen und Abstimmungen besteht. Jede(r) muss seine Pflicht wahrnehmen, denn es reicht nicht zu jammern, man müsse etwas tun.
Aus diesen Überlegungen hat er einen Blumenstrauss mit vier verschiedenen Ansätzen eingereicht, über welche er kurz einzeln berichten möchte.
Zum Verfahrenspostulat 1999/064: Dass sehr gute Dokumentationen und eine ausführliche Berichterstattung existieren, dies ist wichtig und richtig. Aber wer liest diese Unterlagen? Auch kann festgestellt werden, dass nur selten Leute von der Tribüne aus die Verhandlungen im Landrat mitverfolgen. Eine Antwort auf dieses Problem lautet: Dann geht der Landrat eben zu den Leuten hin. Unsere Volksrechte müssen es uns wert sein, den Mut für einen Versuch aufbringen.
Zum Verfahrenspostulat 1999/065: Zu Recht wurde auch hier aufgezählt, was heute schon alles gemacht wird. Wichtig für ihn ist allerdings die Aufforderung , die vorhandenen Materialien und Möglichkeiten zu gebrauchen.
Zur Motion 1999/066: Dies ist wohl derjenige der vier Vorstösse, welcher am meisten zu Diskussionen Anlass gab. Sogar im Kanton Schaffhausen erschienen Zeitungsberichte denn dort wunderten sich viele Leute darüber, dass ein Kollege aus dem Landrat am Radio verlauten liess, dies sei der dümmste Vorstoss, den er je gesehen habe. Im Kanton Schaffhausen stiess dies verschiedenen Leuten relativ sauer auf, da dort ein Stimmobligatorium besteht und auch in Zukunft praktiziert werden soll.
In den ersten beiden Vorstössen ging es dem Postulanten darum, dass der Landrat versucht, die Situation zu verbessern. Allerdings muss auch das ganze Volk sich einsetzen. Er umreisst dazu kurz das Beispiel des Kantons Schaffhausen, wo ein Stimmobligatorium für alle Menschen bis und mit dem Alter 65 gilt. Das Obligatorium verlangt, dass die Stimmrechtsausweise bis und mit drei Tage nach dem Urnengang abgegeben werden. Wer dies nicht tut, dem wird eine Busse von Fr. 3.- auferlegt, welche einmal jährlich von der Gemeinde per Einzahlungsschein eingefordert wird. Nach Auskunft des stellvertetenden Landschreibers hat dies keinen besonderen Mehraufwand für die Kasse zur Folge. Heute liegt die durchschnittliche Stimm- und Wahlbeteiligung in Schaffhausen bei 60 bis 65%, also doppelt so hoch wie im Kanton Basel-Landschaft. Die Abschaffung dieses Stimmobligatoriums wurde in den Jahren 1990 und 1993 im Grossen Rat diskutiert, wobei offensichtlich wurde, dass dafür keine Chance besteht. Auch scheiterte eine Abschaffung an einer Volksabstimmung und in der neuen Verfassung des Kantons Schaffhausen ist dieser Punkt bereits wieder vorgesehen.
Es geht nun nicht darum, dass der Regierungsrat diese Vorschläge genau so umsetzt, sondern dass er diese und auch andere Möglichkeiten zur Verbesserung der Stimmbeteiligung überprüft.
Zur Motion 1999/067: Die Attraktivitätssteigerung von Wahlen ist eine Frage, welche auch national diskutiert werden müsste. Sowohl in der Schweiz als auch im Baselbiet kann über alles und jegliches abgestimmt werden, was zum Teil nicht sehr viel Sinn macht. Zudem ist die Zahl von 1'500 Unterschriften relativ einfach zu sammeln, was sich darin zeigt, dass bei wichtigen Initiativen innert kürzester Frist 10'000 oder mehr Unterschriften gesammelt werden. Eine Steigerung der benötigten Unterschriften von 1'500 auf 7'500 ist nicht nur verkraftbar, sondern kann für unser System durchaus heilsam sein.
Zum Schluss bittet er seine RatskollegInnen, keine Angst vor dem eigenen Mut zu haben und seinen Vorschlägen zuzustimmen.
Heinz Mattmüller nimmt zum Verfahrenspostulat 1999/064 Stellung: Er versteht die Sorgen des Postulanten und kann sie auch ein Stück weit teilen. Allerdings sind die Schlussfolgerungen für ihn nicht ganz nachvollziehbar. Wenn es eine Rolle spielte, wo der Landrat tagt, dann müsste auch jetzt die Tribüne voll mit Leuten aus Liestal sein. Dies ist aber nicht der Fall. Die hier vorhandene Infrastruktur ist sowohl den Ratsmitgliedern als auch der Presse und den Zuschauern sehr dienlich, zudem ist Liestal für Schulklassen und interessierte MitbürgerInnen mit dem öffentlichen Verkehrsmittel gut erreichbar. Da er bezweifelt, ob eine Verlegung der Landratssitzung an einen anderen Ort sehr einfach machbar ist, enthält er sich zu diesem Thema der Stimme.
Roger Moll gibt im Namen der FDP die Unterstützung der Bürobeschlüsse bekannt. Er nimmt zu fünf Punkten des Votums von Matthias Zoller wie folgt Stellung:
Zum Stichwort Demokratie: Die Demokratie ist eine komplexe Angelegenheit, denn wenn sie einfach wäre, hätten wir anstelle einer Demokratie eine Diktatur oder eine Monokratie. Bei Wahlen liegt ein erstes Problem für den Bürger schon darin, das Proporz- und Majorzsystem zu unterscheiden. Am Schluss geht es für den Bürger darum, "Köpfe" zu wählen. Wenn er an die nächsten Abstimmungen denkt, so ist er überzeugt, dass so komplexe Themen wie das öffentliche Beschaffungswesen oder die Strafprozessordnung dem Bürger nur schwerlich auf einfache Art verständlich gemacht werden können. Er glaubt nicht einmal, dass alle Landräte die Vorlagen jeweils lesen. Hier sei es schwierig, Einfluss zu nehmen.
Für jeden Politiker spielt die Ehrlichkeit, sich mit einer Sachvorlage zu beschäftigen, eine grosse Rolle. Wenn sich Politiker nicht so verhalten, schrecken die Bürger davor zurück, sich weiterhin mit der Politik zu beschäftigen.
Die Aufklärung der Jugendlichen sollte schon recht früh im Elternhaus beginnen, um diese schrittweise an die Problematik Politik und Demokratie heranzuführen. Dabei haben auch die Schule und die Medien einen wichtigen Einfluss.
Für die Idee, eine Landratssitzung in einer Gemeinde abzuhalten, kann er noch ein gewisses Verständnis aufbringen, vor allem dann, wenn eine die Gemeinde betreffende Thematik diskutiert wird. Dies würde aber enorme Kosten verursachen, und es ist schlussendlich eine politische Frage, ob man sich dies leisten will.
Er hat Mühe damit, mit Bussen einen Zwang auf die Stimmbürger auszuüben. Wenn viele Leute ihre Stimmzettel leer einlegen, so ist dies der Qualität des Abstimmungsresultats ebenfalls nicht zuträglich.
Hildy Haas wurde nach den Wahlen von ähnlichen Gefühlen heimgesucht wie Matthias Zoller. Es schien ihr unglaublich, dass schlussendlich nur ein Drittel aller Stimmberechtigten wählen ging. Auch sie ist der Meinung, es müsse etwas unternommen werden, kam aber nicht zu den gleichen Lösungen wie Matthias Zoller, welche die SVP-Fraktion nicht begeistern.
Zum Postulat 1999/064 ist zu sagen, dass der Aufwand in keinem Verhältnis zum Ertrag steht. Neben dem grossen organisatorischen Aufwand müsste eine Gemeinde recht viel Werbung betreiben, damit überhaupt jemand zur Landratssitzung erscheinen würde.
Die Argumente der SVP bezüglich des Postulats "Aufklärung beginnt in der Schule" lauten folgendermassen: Auch LehrerInnen sind StimmbürgerInnen, welche die Stimmcouverts mit allen Unterlagen erhalten. Da ein Interesse am Gemeinwesen vorausgesetzt werden kann, sollte es an der Information also nicht fehlen. Darum ist es nicht sinnvoll, noch mehr Papier zu verschicken.
Ihr persönlicher Ansatz sieht so aus, dass jeder Landrat sich eine Gruppe von Personen aussuchen muss, in der er für die Politik und die Tätigkeit im Landrat die Werbetrommel rührt. Sie selber schreibt beispielsweise nach jeder Landratssitzung eine Kolumne im Waldenburger Anzeiger und hat viele positive Echos erhalten.
Niemand ist mit dem, was Matthias Zoller durch seine Vorstösse erreichen möchte, nicht einverstanden. Die SVP lehnt jedoch die vorgeschlagenen Lösungsansätze ab.
Sabine Stöcklin betont, auch für die SP müsse eine niedrige Stimm- und Wahlbeteiligung ein Problem sein. Was aber unternommen werden soll und wie schwergewichtig das Problem tatsächlich ist, dabei gehen die einzelnen Meinungen auseinander. Nach ihrer eigenen Auffassung handelt es sich nicht nur um ein alarmierendes Zeichen, sondern es ist auch ein Zeichen, dass viele Leute mit unserem Staat zufrieden und nicht durch ein grosses Problem politisiert sind. Andere Fraktionsmitglieder sind jedoch der Meinung, das Problem müsse angepackt werden.
Eine "Landratstournee" würde sich, wie schon Hildy Haas erklärt hat, nicht lohnen. Wichtig für den Landrat sei auch ein partnerschaftlicher Umgang mit den Kommunen, und als es darum ging, abzuwarten, wie die Allschwiler Bevölkerung sich zum Hochwasserschutz stelle, habe auch Matthias Zoller sich dafür ausgesprochen, nicht abzuwarten und voranzugehen. Dieses Vorgehen trage zu einer gewissen Politik-Verdrossenheit in der Bevölkerung bei.
Die SP unterstützt das Verfahrenspostulat 1999/064 nicht, spricht sich aber nicht gegen die Idee aus, in einem Spezialfall auch einmal auswärts eine Sitzung abzuhalten.
Was das Postulat 1999/065 angeht, so ist es unnötig, noch mehr Papier zu verschicken, vor allem auch, weil die Schulen grosszügig mit Internet ausgerüstet werden und somit mit aktuellen Informationen versorgt sind. Ein guter Ansatz liegt sicherlich in einem attraktiven Staatskundeunterricht an unseren öffentlichen Schulen und in der Einführung von Schulparlamenten. Die von Matthias Zoller vorgeschlagene Idee wird von der SP also nicht unterstützt.
Roland Meury gibt bekannt, auch die Grüne Fraktion empfinde den Aufwand gegenüber den Erfolgsaussichten als zu hoch. Er selbst wäre damit einverstanden, eine solche Sitzung in Form einer Landsgemeinde abzuhalten oder eine Europatournee durchzuführen. Dabei würde er sich schon freuen, wenn Bruno Steigers Ansichten zu Europa in Paris auf Französisch verbreitet würden. Zum Postulat "Aufklärung beginnt in der Schule" kann sich seine Fraktion Sabine Stöcklins Ausführungen anschliessen.
Hans Schäublin unterstützt Matthias Zollers Idee, die Politik attraktiver zu gestalten, bezweifelt allerdings, ob dessen Vorstösse der richtige Weg dazu sind. Zum Verfahrenspostulat 1999/064 meint er, den Landrat im Kanton herumzuschieben widerspreche der Forderung nach Effizienz. Obwohl auch die Idee hinter dem Verfahrenspostulat 1999/065 gut ist, soll es nicht überwiesen werden.
Matthias Zoller zeigt sich nicht überrascht, dass seine Vorschläge wenig Anklang finden. Wenn alle Ideen, welche an der heutigen Diskussion geäussert wurden, eine Mehrheit fänden und umgesetzt würden, wäre er längst zufrieden.
Walter Jermann lässt über das Verfahrenspostulat 1999/064 abstimmen.
://: Das Verfahrenspostulat 1999/064 wird nicht überwiesen.
://: Ebenso wird das Verfahrenspostulat 1999/065 nicht überwiesen.
Für das Protokoll:
Andrea Maurer-Rickenbach, Landeskanzlei
Nr. 60
18 1999/066
Motion von Matthias Zoller vom 25. März 1999: Volksrechte = Volkspflichten
Andreas Koellreuter muss Matthias Zoller enttäuschen, da die Regierung für diese Motion nicht allzu viel übrig hat. Matthias Zoller entwickle sich zum "Volksrechts-Winkelried" des Landrates, was als positiv empfunden wird. Das Stimmrecht in eine Stimmpflicht umzuwandeln wird jedoch vom Regierungsrat als untaugliches Mittel betrachtet.
Ein temporärer Stimmrechtsausschluss ist mit höchster Wahrscheinlichkeit bundesverfassungsrechtswidrig, so dass diese Forderung gleich zu Beginn schon gestrichen werden kann. Ebenso hegt der Regierungsrat keine grosse Sympathie für eine Sonderbesteuerung bei Stimmabstinenz. Auf diesem Gebiet soll es nicht Zwang oder Pflicht geben, sonder das Recht des einzelnen Stimmbürgers, an die Urne zu gehen. Mit der Lockerung des obligatorischen Gesetzesreferendums per 1. Januar 2000 muss nicht mehr über jedes Gesetz abgestimmt werden, wodurch mindestens 10 Vorlagen jährlich wegfallen, falls der Rat diese mit 4/5 der Stimmen gut geheissen hat. Offenbar sind kantonale Abstimmungen nicht von riesigem Interesse, denn ohne interessante eidgenössische Vorlage ist die Stimmbeteiligung immer sehr gering. Wenn möglich soll über kantonale Vorlagen also nur noch zusammen mit eidgenössischen befunden werden. Die Regierung kann sich den von Matthias Zoller vorgeschlagenen Lösungsansätzen nicht anschliessen und lehnt die Motion ab.
Sabine Stöcklin spricht sich namens der SP-Fraktion ebenfalls gegen die Motion aus. Wie Andreas Koellreuter bereits erklärt hat, kann die Attraktivität von Wahlterminen dadurch gesteigert werden, wenn kantonale und eidgenössische Abstimmungstermine auf das selbe Datum gelegt werden. In den Kantonen Luzern und Zürich wird dies bereits praktiziert.
Peter Tobler informiert über die Ablehnung der Motion durch die FDP-Fraktion. Das vorgeschlagene Verbot, an Wahlen teilzunehmen, ist rechtlich gar nicht durchführbar. Was das Stimmobligatorium betrifft, so glaubt er nicht, dass Traditionen aus Schaffhausen ohne weiteres ins Baselbiet übertragen werden können. Der eine Vorschlag sei also rechtswidrig, während der andere nicht zur Geschichte und den Traditionen des Baselbiets passt.
Roland Meury betont, die Grüne Fraktion sei sich einig, dass ein Stimmrechtsausschluss nicht in Frage komme. Die überwiegende Mehrheit lehnt diese Motion ab, denn wenn etwas unternommen werden soll, müsste man eher mit einer Art Bonus positive Anreize schaffen. Auch wird der Strafcharakter der Motion abgelehnt.
Als Redner hat er den Vorteil, seine persönliche Meinung präsentieren zu können: In unserer Gesellschaft gibt es verschiedenste Bürgerpflichten, und die Pflicht, abzustimmen, wo es lediglich darum geht, im Minimalfall ein Couvert abzugeben, ist nicht zu viel verlangt. Wenn die Lösung dahin geht, jetzt einfach weniger Abstimmungen durchzuführen, so ist dies eigentlich widersinnig. Der Landrat entschuldigt sich damit beim Volk dafür, dass es überhaupt abstimmen darf. Als einziger seiner Fraktion unterstützt er die Motion.
Franz Ammann erinnerte sich beim Lesen des Vorstosses daran, dass er selbst vor genau zehn Jahren mit einem Postulat die gleiche Diskussion ausgelöst habe. Die Antwort des damaligen Regierungsrates Werner Spitteler lautete praktisch gleich wie diejenige, welche Andreas Koellreuter heute gab. Zudem hat sich in den letzten zehn Jahren an der Stimmbeteiligung überhaupt nichts geändert. Heute ist er der Meinung, dass die Einführung von Strafmassnahmen an dieser Situation nichts ändert. Der daraus entstehende Aufwand ist viel zu gross und daher lehnen die Schweizer Demokraten diesen Vorschlag heute ab.
Hans Schäublin begründet kurz die Ablehnung der Motion durch die SVP. Er hat Mühe mit der Formulierung des Motionärs: Damit ein hart errungenes Privileg unseres Staates (die freie Selbstbestimmung) nicht leichtfertig aufgegeben wird. Dies steht im Gegensatz dazu, dass der Stimmberechtigte stimmen oder eine Busse zahlen muss. Die Beteiligung an Abstimmungen soll dem Stimmbürger frei gelassen werden.
Franz Bloch erklärt, warum Matthias Zoller mit seinen Vorstössen nicht im Regen stehen gelassen werden soll. Er wird der Motion zustimmen, weil darin nur verlangt wird, zu prüfen und zu berichten. Das Postulat könnte auch dahingehend erweitert werden, dass der Regierungsrat sich grundsätzliche Überlegungen zu Massnahmen gegen die Stimmabstinenz machen sollte. Der Regierungsrat sollte die Gelegenheit bekommen, sich neben Sachgeschäften auch einmal mit Strategien auseinander zu setzten. Vielleich könnte man sich überlegen, ob die Gültigkeit einer Abstimmung an die Stimmbeteiligung gekuppelt werden soll. In Italien sind Referendumsabstimmungen beispielsweise nur dann gültig, wenn mindestens mehr als die Hälfte aller StimmbürgerInnen an die Urne gehen.
Alfred Zimmermann bemerkt, die Klage über die niedrige Stimmbeteiligung sei älter als Matthias Zoller. Vor dreissig Jahren gab die Regierung dem Soziologischen Institut der Universität Basel den Auftrag, eine Volksbefragung durchzuführen um herauszufinden, warum viele Leute nicht an die Urne gehen und was dagegen unternommen werden könnte. Die Studie gab danach eine ganze Reihe von Empfehlungen ab, die einzige jedoch, welche später umgesetzt wurde, ist die briefliche Stimmabgabe. Trotzdem nahm die Stimmbeteiligung seither nicht merklich zu oder ab. Als demokratische BürgerInnen sollten wir wirklich das Recht haben, nicht abzustimmen.
Heinz Mattmüller meint, anstatt zu bestrafen könnte man auch denjenigen etwas geben, welche an die Urne gehen. In Pratteln aber hat es beispielsweise nichts gebracht, dass die briefliche Stimmabgabe gratis wurde. Auch andere Massnahmen haben keine Veränderung bewirken können, so dass er die Motion nicht überweisen wird.
Matthias Zoller dankt Franz Bloch dafür, dass er seine Motion richtig gelesen habe. Nach dem neuen Landratsgesetz könne man mit einer Motion auch einen Bericht verlangen, und genau das habe er getan. Neben seinen Vorschlägen ist er selbstverständlich offen für irgendwelche andere Ideen. Die Zusammenlegung der Termine von kantonalen und eidgenössischen Abstimmungen ist sicher ein gutes und richtiges Mittel, es stört ihn aber unheimlich, dass Politik so gemacht werden muss, dass die Abstimmungen mit einer "grossen Show" zusammenfallen.
Walter Jermann lässt über die Motion 1999/066 abstimmen.
://: Diese wird vom Landrat nicht überwiesen.
Für das Protokoll:
Andrea Maurer-Rickenbach, Landeskanzlei
Nr. 61
19 1999/067
Motion von Matthias Zoller vom 25. März 1999: Attraktivitätssteigerung von Wahlen
Regierungsrat Andreas Koellreuter stellt vorab fest, die "alte" Frage der Erhöhung der Unterschriftenzahl für Initiativen und Referenden sei letztmals bei der Lockerung des obligatorischen Gesetzesreferendums diskutiert und an die Adresse der Öffentlichkeit klar in dem Sinne beantwortet worden, dass die Unterschriftenzahl zumindest in nächster Zukunft nicht angetastet werden solle. Der Regierungsrat sehe keinen Grund, daran zu rütteln, denn er habe nie den Eindruck gehabt, dass die verhältnismässig niedrige Schwelle je zu einem Missbrauch geführt habe; seit Inkrafttreten der neuen Kantonsverfassung vor 12 Jahren seien durchschnittlich pro Jahr nur 3 Volksinitiativen lanciert worden.
Obwohl er sich vorstellen könne, dass gelegentlich einmal die Aktualität der Limite von 1'500 Unterschriften bei Volksinitiativen hinterfragt werde, halte der Regierungsrat eine Anhebung auf 7'500 für unrealistisch. Aus all diesen Erwägungen lehne er die Motion ab.
Sabine Stöcklin gibt bekannt, dass die SP-Fraktion die Motion nicht zuletzt deshalb ablehne, weil sämtliche Initiativen und Referenden der letzten Jahre es Wert gewesen seien, dem Volk zur Abstimmung unterbreitet worden zu sein.
Sabine Pegoraro begründet die Ablehnung der Motion durch die FDP-Fraktion damit, dass diese einerseits nicht zu erkennen vermöge, wie mit der Anhebung der Unterschriftenzahl für Initiativen und Referenden die Attraktivität von Wahlen gesteigert werden könnte, und dass sie andererseits nur ein Jahr, nachdem eine Lockerung des obligatorischen Gesetzesreferendums dem Volk gerade mit dem Hinweis auf das ausgleichende Instrument des Referendums habe schmackhaft gemacht werden können, nicht Hand dazu bieten wolle, das Stimmvolk mit einer Anhebung der Unterschriftenzahl vor den Kopf zu stossen.
Hans Schäublin meldet, dass sich die SVP-Fraktion von der treffenden Argumentation des Regierungsrates habe überzeugen lassen und die Motion ebenfalls ablehne.
Heinz Mattmüller kann als "alter Fuchs", der auf eine mehr als dreissigjährige Karriere als Unterschriftensammler zurückblicke, an der Idee gar keinen Geschmack finden, ausgerechnet für jene, die sich aktiv an der Politik beteiligten, die Messlatte fünfmal höher zu hängen.
Roland Meury erschreckt den Rat mit der Bekanntgabe, dass er für einmal mit Heinz Mattmüller völlig einig sei. Wie dieser könne auch er keine Attraktivitätssteigerung darin erblicken, es den Leuten, die sich politisch überhaupt noch engagierten, durch eine Anhebung der Unterschriftenzahl noch schwerer zu machen. Die Fraktion der Grünen lehne die Motion auch deshalb ab, weil es besonders schwierig sei, für randständige Initiativen die nötigen Unterschriften zusammen zu bringen.
Bruno Steiger macht den Motionär darauf aufmerksam, dass seine Rechnung nur aufginge, wenn er die Unterschriftenzahl nicht mit fünf multiplizierte, sondern dividierte.
Matthias Zoller hält Sabine Pegoraro entgegen, dass die Unterschriftenzahl für Initiativen und Referenden durchaus mit Wahlen eng zusammenhänge, indem mit einer Anhebung der Limite vermieden werden könnte, den Stimmbürger ständig an die Urne zu rufen zu müssen. Aus seiner Sicht sei dies das grössere Problem als die relative Erschwerung des Unterschriftensammelns, von der er sich sogar eine Aufwertung des Initiativ- und Referendumsrechts verspreche.
Andreas Koellreuter erinnere er daran, dass die CVP-Fraktion seinerzeit nicht nur für die Lockerung , sondern für die gänzliche Aufhebung des obligatorischen Gesetzesreferendums, also für die Umstellung auf das fakultative Gesetzesreferendum, eingetreten sei.
://: Die Überweisung der Motion 1999/067 wird grossmehrheitlich abgelehnt.
Für das Protokoll:
Erich Buser, Landeskanzlei
Fortsetzung des Protokolls vom 2. September 1999