LR Protokoll 14. Oktober 1999 (Teil 6)
Protokoll der Landratssitzung vom 14. Oktober 1999
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Übersicht Landratssitzungen (Traktanden und Protokolle)
Nr. 124
16 1999/150
Postulat von Esther Aeschlimann vom 1. Juli 1999: Trotz voller Erwerbstätigkeit keine Existenzsicherung
Regierungsrat Hans Fünfschilling weist vorweg darauf hin, dass mit diesem Postulat eine grundsätzliche Forderungen erhoben werde, die auf eine totale Umkrempelung des bestehenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Systems hinaus laufen würde, nämlich einen Eingriff des Staates in die Lohnfestlegung der Privatwirtschaft. Die Regierung sei nicht dazu bereit und lehne darum das Postulat ab.
Das soziale Netz, das der Staat bedürftigen Mitbürgerinnen und Mitbürgern anbieten könne, basiere einerseits auf Versicherungsleistungen und andererseits auf der Sozialhilfe. Selbst wenn der Staat Mindestlöhne festlegte, könnte er die Privatwirtschaft nicht zur Anstellung dieser Leute verpflichten. Vielmehr würden solche Working poors in arbeitslose Bedürftige umgewandelt, für die der Staat ganz und nicht nur für die Differenz zwischen Lohn und Existenzminimum aufzukommen hätte.
Esther Aeschlimann war schon zum Zeitpunkt der Einreichung des Postulats bewusst, dass der staatliche Handlungsspielraum zumindest zur Zeit sehr eng sei. Trotzdem halte sie das Thema Working poor und die damit verbundene Armut für ein Problem, das auf politischer Ebene zur Diskussion gestellt werden müsse. Bei der Behandlung des Sozialhilfegesetzes werde sich der Landrat damit zu befassen haben, denn seit Beginn der 90er-Jahre habe sich die Armut schwergewichtig von den Renterinnen und Rentnern vor allem zu kinderreichen Familien, allein erziehenden Personen und Leuten von tiefer formaler Bildung hin verlagert. Leute im Erwerbsalter könnten heutzutage arm sein, obwohl mindestens ein Haushaltmitglied erwerbstätig sei.
Von der Regierung erwarte sie eigentlich schon kreative Vorschläge, ja ein Massnahmenpaket zur Prävention und Milderung der Armut der arbeitenden Bevölkerung, beispielsweise durch Einflussnahme auf "Schwarze Schafe" in der Wirtschaft oder kooperative Zusammenarbeit der Arbeitgeber mit den Gewerkschaften und der Politik oder Erweiterung der Ergänzungsleistungen oder eben Festlegung von Minimallöhnen. Weitere Möglichkeiten sehe sie in der Schaffung günstigen Wohnraums und in der Einrichtung von Beratungsstellen.
Hinter der zunehmenden Tendenz zu individuellen Lohnabschlüssen und verstärkter Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse sei unschwer der Hintergedanke der Wirtschaft auszumachen, mit der kommunalen Fürsorge zu rechnen. Sie fordere den Regierungsrat auf, sich zu äussern, ob er diese Subventionierung des freien Lohnmarktes für richtig halte.
Rita Kohlermann gibt bekannt, dass die FDP-Fraktion das Postulat ablehne und sich dabei der sehr guten Begründung der ablehnenden Haltung des Regierungsrats durch Hans Fünfschilling vorbehaltlos anschliessen könne. Es sei unklar, was die Postulantin meine, wenn sie von einer "Subventionierung des freien Lohnmarktes" spreche; eine handfeste Tatsache sei allerdings der kolossale Konkurrenzdruck, dem die Wirtschaft ausgesetzt sei.
Esther Maag ist der Meinung, dass doch etwas nicht stimmen könne, wenn jemand, der voll arbeite, nicht in der Lage sei, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, und zwar selbst dann nicht, wenn noch Partner oder andere Familienmitglieder dazu beisteuerten.
Weil wahrscheinlich niemand im Saal von diesem Problem betroffen sei, falle die Ablehnung des Postulats leicht. Umgekehrt sei es bei der Kapitalgewinnsteuer, die offenbar die meisten tangiere und entsprechend vehement bekämpft werde.
Die Fraktion der Grünen würde den Katalog möglicher Massnahmen sogar gerne noch um die Einführung eines garantierten Mindesteinkommens gekoppelt mit einem Sozialdienst erweitern. Damit in diesem Bereich endlich etwas geschehen könne, beantrage sie Überweisung des Postulats.
Rita Bachmann bezeichnet es namens der CVP/EVP-Fraktion als ausserordentlich stossend, dass viele voll arbeitende Personen nicht in der Lage seien, ihre Familie zu ernähren. Von einem Randproblem könne angesichts der grossen Zahl Betroffener nicht die Rede sein. Es liege an der Politik, auf allen Ebenen dringend nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen, z.B. im Baselbiet bei der Ausgestaltung des Sozialhilfegesetzes. Eine Mehrheit ihrer Fraktion sei darum für Überweisung des Postulats.
Hans Fünfschilling weist darauf hin, dass das Geld nicht im Staat, sondern in der Wirtschaft verdient werde und man sich sehr wohl überlegen müsse, was mit den ihre Beschäftigung verlierenden Leuten geschehen solle, wenn man gewisse Branchen, die in scharfer Konkurrenz zu Billiglohnländern ständen, durch Festsetzung eines Mindestlohns aus diesem Kanton vertriebe und so zahlreiche Arbeitsplätze vernichtete. Mit Sicherheit würde der Staat über die Fürsorge zur Kasse kommen, und zwar in weit höherem Ausmass als wenn er sogenannte Working poor unterstützen müsse. Abgesehen davon sei es für die Betroffenen sicher weniger belastend, arbeiten zu können und nur subsidiär und nicht völlig von der Fürsorge abhängig zu sein.
Esther Aeschlimann erwidert, dass sie in ihrem Postulat nicht die Festsetzung eines Mindestlohns fordere, sondern von der Regierung verlange, alle vorhandenen Möglichkeiten zu prüfen und Massnahmen zu ergreifen, die geeignet seien, das Problem einigermassen in den Griff zu bekommen. Persönlich störe sie besonders, dass mit Steuergeldern Unternehmungen subventioniert würden, die nicht bereit seien, ausreichende Löhne zu zahlen.
Hans Fünfschilling fragt, wie "die Höhe des Lohnes geregelt" werden könnte ohne staatlichen Eingriff in die Wirtschaft.
Rita Bachmann bittet die Postulantin, den zweiten Teil ihrer Forderungen zu streichen. Sie denke, dass die ganze Palette der bestehenden Möglichkeiten geprüft werden sollte.
Röbi Ziegler stellt sich vor, dass anstelle eines generell festgelegten Mindestlohnes eine Regelung treten könnte, die dem Staat erlaube, gezielt dort zu intervenieren und das Gespräch zu suchen, wo Arbeitgeber Löhne zahlten, die den Leuten nicht ermöglichten, ohne zusätzliche Fürsorgeleistungen zu existieren.
Von Hans Fünfschilling möchte er noch wissen, ob Arbeitgeber, die ihre Angestellten unter dem Existenzminimum entlöhnten, tatsächlich nur in der Textilbranche und nicht auch im Gastgewerbe, im Detailhandel, im Reinigungsgewerbe usw. anzutreffen seien.
Esther Aeschlimann ist bereit, den zweiten Teil der Forderungen ihres Postulats zu streichen, lautend: "Insbesondere sind präventiv wirksame Massnahmen gefragt, die die Höhe des Lohnes regeln - sowie Massnahmen, die ungenügende Erwerbseinkommen auf ein existenzsicherndes Einkommen anheben."
://: Das modifizierte Postulat wird mit 37:26 Stimmen überwiesen.
Für das Protokoll:
Erich Buser, Landeskanzlei
Nr. 125
17 1999/073
Motion von Max Ribi vom 15. April 1999: Beschleunigung der Verfahren am Strafgericht
Regierungsrat Andreas Koellreuter eröffnet die Begründung des Ablehnungsantrags der Regierung mit der Frage, ob man ein Gesetz tatsächlich schon wieder revidieren solle, obwohl es von der Baselbieter Bevölkerung kürzlich, wenn auch bei schlechter Stimmbeteiligung, so doch mit grosser Mehrheit, angenommen worden sei und am 1. Januar 2000 in Kraft treten werde. Ferner müsse sich der Landrat fragen, ob er sich mit einem Thema, das er im Zusammenhang mit der Revision der Strafprozessordnung in extenso diskutiert habe, nach so kurzer Zeit erneut befassen oder es mit der Initiative von Hans Rudolf Gysin halten wolle, die wenigstens ein zweijähriges Moratorium vorsehe.
Das an sich berechtigte Hauptanliegen des Motionärs, dass das ganze Beschleunigungspotential ausgeschöpft werden solle, sei auch das erklärte Ziel der Revision der Strafprozessordnung gewesen, und wie die folgende respektable Auflistung zeige, habe man es im Wesentlichen erreicht:
- Einführung des Strafgerichtspräsidiums als Einzelrichterin bzw. Einzelrichter
- Erweiterung der Zuständigkeit des Strafdreiergerichts
- Erweiterung der Spruchkompetenz im Strafbefehlsverfahren
- Ansiedlung der Strafbefehlskompetenz bei den Statthalterämtern und beim Besonderen Untersuchungsrichteramt
- Einführung des einstufigen Verfahrens beim Besonderen Untersuchungsrichteramt
- Einführung kurzer Fristen für Entscheide über Haftentlassungsgesuche und Haftbeschwerden
- Einführung der Möglichkeit des abgekürzten Verfahrens (plea bargaining)
- Lockerung des Unmittelbarkeitsprinzip im Gerichtsverfahren durch Zulassung der vorgängigen Aktenzirkulation bei den Gerichtsmitgliedern
- Beschränkung der schriftlichen Urteilsbegründung auf Verurteilungen zu unbedingten Freiheitsstrafen sowie auf Appellationen
- Einführung eines gemässigten Opportunitätsprinzips.
Selbstverständlich seien das Obergericht und das Strafgericht über ihre Meinung im Zusammenhang mit diesem Vorstoss befragt worden. Beide teilten die Auffassung des Regierungsrats, dass die revidierte Strafprozessordnung dem Anliegen der Motion bereits entspreche. Aus ihrer Sicht würden speziell die neu eingeführte Einzelrichterkompetenz und der Ausbau des Zuständigkeitsbereichs des Strafdreiergerichts zu einer Verkürzung der Verhandlungsdauern beitragen.
Max Ribi erwidert, dass er bei der Lancierung seiner Motion von der üblichen Dauer eines Gesetzesänderungsverfahrens von mindestens zwei Jahren und damit nicht von der Möglichkeit einer unverzüglichen Revision der Strafprozessordnung ausgegangen sei. Im Übrigen trete nächstes Jahr das eingeschränkte obligatorisches Gesetzesreferendum in Kraft, so dass schneller gehandelt werden könnte.
Er müsse zugeben, dass die neue Strafprozessordnung ein gewisses Beschleunigungspotenzial enthalte, doch habe der Präsident der Justiz- und Polizeikommission, Dieter Völlmin, damals, als er im gleichen Sinne wie heute Antrag gestellt habe, seinerseits eingestehen müssen, dass noch weiteres Beschleunigungspotenzial drin läge.
Dass das Obergericht und das Strafgericht in der Meinung übereinstimmten, alles sei zum besten bestellt, verwundere insofern nicht, als beide direkt betroffen seien und naturgemäss kein Interesse an weiteren Änderungen hätten. Aus diesem Grunde halte er es für notwendig, die Arbeits- und Verfahrensabläufe, die Einhaltung von Terminen und den Umfang der Schriftenwechsel einer externen Überprüfung unterziehen zu lassen.
In einem relativ einfachen Fall, in den er jüngst involviert gewesen sei, habe das Gericht die Appellationsfrist gleich zweimal um einen Monat verlängert, bloss weil der Appellant Zeitmangel geltend gemacht habe, und danach auch ihm noch einen Monat Zeit eingeräumt, um die Vertretung der Gegenpartei vorzubereiten. Wahrscheinlich wäre auch ihm die Frist erstreckt worden, wenn er entsprechend Antrag gestellt hätte.
Dass sein Anliegen durchaus berechtigt sei, bestätige ein Artikel der Basellandschaftlichen Zeitung vom 2. September 1999, der wie folgt gelautet habe:
"Das Baselbieter Strafgericht kann sich wie die anderen Gerichte im Kanton wahrlich nicht über Mangel an Arbeit beklagen. Regelmässig tagen die Mitglieder des Strafgerichts, um über Straftäter zu richten. Dies war auch gestern vormittag der Fall. Anwesend waren die Staatsanwältin, der Angeklagte und dessen Anwalt, Strafgerichtspräsidentin Jacqueline Kiss und einige Strafrichter. Es fehlte einzig und zum wiederholten Male René Borer, Mitglied des Strafgerichts aus Laufen. Seinetwegen musste der Fall auf Ende November vertagt werden. Lapidar kommentierte Kiss die Abwesenheit des Richters mit Management by Chaos."
Dagegen müsse doch etwas unternommen werden, insbesondere mit Rücksicht auf die Opfer, deren Leben sich nach der Tat total verändere, wie ein in der heutigen Basler Zeitung erschienener Artikel nachweise. Für sie sei das Gerichtsurteil von grosser Bedeutung, weil sie mit ihren Forderungen bis zu dessen Eröffnung zuwarten müssten.
Indem man die Arbeitsabläufe und die Arbeitsweise der Gerichte zu optimieren versuche, taste man in keiner Weise die richterliche Unabhängigkeit an.
Matthias Zoller bezeichnet das Anliegen dieser Motion als absolut wichtig, ortet aber das Hauptproblem weniger in der Gesetzgebung als in der personellen Unterdotierung der Gerichte. Dort müsse der Hebel angesetzt werden, und aus dieser Überlegung beantrage die CVP/EVP-Fraktion, die Motion nicht zu überweisen.
Bruno Steiger erinnert daran, dass die SD-Fraktion die Revision der Strafprozessordnung seinerzeit abgelehnt habe, weil ihrer Meinung nach das vorhandene Beschleunigungspotenzial nur ansatzweise ausgeschöpft worden sei, während die FDP-Fraktion sich trotzdem vorbehaltlos hinter das Gesetz gestellt und u.a. den Ausbau des Täterschutzes unterstützt habe, bei dem es sich um alles andere als eine beschleunigende Massnahme handle. Zudem habe sie aus parteipolitischen Gründen und Eigeninteressen die Schaffung eines kantonalen Untersuchungsrichteramtes nicht ernsthaft in Erwägung gezogen.
Nachdem auch noch das Baselbieter Volk die neue Strafprozessordnung angenommen habe, sehe seine Fraktion keinen Handlungsbedarf und lehne die Motion ab.
Esther Maag gibt bekannt, dass die Fraktion der Grünen das Anliegen der Motion als berechtigt erachte und grundsätzlich auch nichts gegen ein Rückkommen auf einmal Beschlossenes einzuwenden hätte. Trotzdem habe sie sich entschieden, die Motion abzulehnen, weil es ihrer Ansicht nach andere Möglichkeiten gäbe, die von Max Ribi geschilderten Missstände zu beheben, als die vom Volk eben angenommene Strafprozessordnung schon wieder zu ändern.
Christoph Rudin teilt die allgemeine Auffassung, dass dem Faktor Zeit im Rechtswesen grosse Bedeutung zukomme, denn das beste Urteil nütze nichts, wenn es viel zu spät komme. Gerade die Strafjustiz habe sich in der Praxis nicht als speziell langsam erwiesen, denn erstens riskiere man happige Schadenersatzforderungen, wenn man jemanden zu lange inhaftiere, und zweitens ständen die Gerichte wegen der relativ kurzen Verfolgungsverjährungsfristen unter einem gewissen Druck. Grössere Probleme sehe er bei der Sozialgerichtsbarkeit, wo die Leute sehr lange auf Rentenentscheide warten müssten.
Wenn ein Richter sein Amt nicht seriös wahrnehme, nütze eine Gesetzesrevision nichts; vielmehr müsste bei der Nomination und Wahl dieser Leute ein höherer Massstab angelegt werden.
Eine Erhöhung der Effizienz der Gerichte lasse sich meist nur auf Kosten der Rechtssicherheit realisieren. Die SP-Fraktion plädiere dafür, die neue Strafprozessordnung erst einmal in Kraft treten und sich in der Praxis bewähren zu lassen, bevor man sie wieder antaste. Aus diesen Gründen lehne sie die Motion ab.
Dölf Brodbeck hat den Eindruck, dass man nicht verstehen wolle, was Max Ribi mit seiner Motion bezwecke. Seiner Meinung nach gehe es diesem weniger um eine Revision der neuen Strafprozessordnung als um eine Erfolgskontrolle, der auch eine Gesetzgebung laufend unterzogen werden müsse. Dass dafür das Instrument der Motion bemüht werde, habe ihn allerdings schon ein wenig erstaunt, weil es zu den permanenten Aufgaben jeder Verwaltung gehöre, die Effizienz ihrer eigenen Arbeitsweise kritisch zu prüfen. Obwohl der Vorstoss eher Postulatcharakter habe, werde er die Motion unterstützen.
Max Ribi haben die positiven Erfahrungen mit dem neuen Raumplanungs- und Baugesetz dazu ermutigt, auch im Falle der Strafprozessordnung zu versuchen, die Verfahrensabläufe optimieren zu lassen. Nur wenn dies nicht gelinge, dürften Personalaufstockungen in Betracht gezogen werden.
Andreas Koellreuter gibt Dölf Brodbeck zu bedenken, dass das Verfahren im Strafprozess nun einmal in der Strafprozessordnung geregelt werde und die letztere angetastet werden müsse, wenn man am ersteren etwas ändern wolle. Wenn hingegen der Landrat an der Arbeitsweise der Gerichte etwas auszusetzen haben sollte, verfüge der er über ein anderes Interventionsinstrument, nämlich die Geschäftsprüfungskommission, die er im Rahmen seines Oberaufsichtsrechts damit beauftragen könne, die Gerichte in dieser Hinsicht einmal unter die Lupe zu nehmen.
Max Ribi müsse er darauf hinweisen, dass Opferhilfe schon vor Durchführung eines Strafprozesses in Anspruch genommen werden könne, wenn ein Opfer in Bedrängnis geraten sei.
://: Die Überweisung der Motion wird grossmehrheitlich abgelehnt.
Für das Protokoll:
Erich Buser, Landeskanzlei
Nr. 126
18 1999/082
Interpellation von Bruno Krähenbühl vom 15. April 1999: Ausschluss der Öffentlichkeit bei Strafprozessen. Schriftliche Antwort vom 29. Juni 1999
://: Auf Antrag des Interpellanten wird Diskussion bewilligt.
Bruno Krähenbühl erklärt, dass ihn die Interpellationsbeantwortung des Regierungsrates nicht ganz befriedigt habe, und macht geltend, dass es nicht verfassungskonform sei, wenn das Strafgericht wie in den von ihm kritisierten Fällen mit dem Hinweis auf das Steuergeheimnis und die besondere prozessuale Situation die Öffentlichkeit teilweise von Prozessen ausschliesse. Das Studium verschiedener Kommentare zum Öffentlichkeitsprinzip , u.a. auch des StPO-Kommentars Hauser-Schweri aus dem Jahre 1997, habe ihn in der Überzeugung bestärkt, dass die Wahrung des Steuergeheimnisses kein triftiger Grund für den Ausschluss der Öffentlichkeit sei.
In der Stellungnahme des Strafgerichts sei ihm folgender Satz ins Auge gesprungen:
"Festzuhalten bleibt überdies, dass durch die deliktischen Handlungen der Angeklagten allein der Staat und nicht etwa Zivilpersonen geschädigt wurden."
Unterschwellig verharmlose das Gericht mit einer solchen Aussage Steuerdelikte zu "Kavaliersdelikten" , was den Interessen der Öffentlichkeit diametral zuwider laufe. Gerade bei diesen Verurteilten handle es sich um Angehörige der Funktionselite der Gesellschaft, die dem Staat viel verdanke, z.B. ihre langjährige Schul- und Universitätsausbildung, welche die öffentliche Hand viel Geld gekostet habe, aber auch die gesetzlich garantierten Tarife für ihre Arbeit. Der gleiche Staat, der sie auch noch vor in- und ausländischer Konkurrenz schütze, verdiene nicht, von ihnen betrogen zu werden. Abgesehen davon handle es sich bei der Abgabe von Medikamenten, um die es in diesen Prozessen gegangen sei, um einen gesundheitspolitisch hochsensiblen Bereich, und die Öffentlichkeit habe ein legitimes Interesse daran zu erfahren, was diesbezüglich alles ablaufe.
Positiver beurteile er die Stellungnahme des Obergerichts. Obwohl sie insgesamt sehr zurückhaltend ausgefallen sei, habe es ihm darin folgender Satz angetan:
"Der Ausschluss der Öffentlichkeit ist noch nie verfügt worden, weil jemand seine wirtschaftlichen Verhältnisse, eingeschlossen seine Steuerverhältnisse, offen zu legen hatte."
Er interpretiere diese Aussage des obersten kantonalen Gerichts dahingehend, dass der vom Strafgericht mit dem Hinweis auf das Steuergeheimnis verfügte Ausschluss der Öffentlichkeit nicht als Präjudiz für künftige Steuerstraffälle herangezogen werden dürfe. Er gehe davon aus, dass diese Meinung von der Mehrheit des Landrats geteilt werde. Gerade beim organisierten Verbrechen werde es immer wieder darum gehen, dass auch die Steuerangelegenheiten dieser Herrschaften dem Gericht gegenüber offen gelegt werden müssten.
Abschliessend gestatte er sich an die Adresse der Regierungsbank noch die Frage, wie viele der verurteilten Ärzte appelliert hätten, nachdem ihnen bekannt geworden sei, dass die Öffentlichkeit vor Obergericht nicht mehr ausgeschlossen sein werde.
Regierungsrat Andreas Koellreuter : Meine Vorabklärungen haben folgendes ergeben: Von den 8 Verurteilten haben 7 appelliert und von den letzteren 6 ihre Appellation zurückgezogen, nachdem sie erfahren haben, dass der Obergerichtpräsident entschieden hat, die Öffentlichkeit nicht auszuschliessen. Ob dies der alleinige Rückzugsgrund war, weiss ich nicht.
Nach der heutigen Debatte könnte ich mir vorstellen, dass auch noch der letzte Verurteilte seine Appellation zurückziehen wird.
://: Damit ist die Interpellation erledigt.
Für das Protokoll:
Erich Buser, Landeskanzlei
Die nächste Landratssitzung findet statt am Donnerstag, 28. Oktober 1999, 10 Uhr