Vorlage an den Landrat
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Vorlage an den Landrat |
Titel: | Teilrevision des Gesetzes über die Verfassungs- und Verwaltungsprozessordnung (Verwaltungsprozessordnung, VPO) | |
vom: | 19. Juni 2007 | |
Nr.: | 2007-153 | |
Bemerkungen: | Inhaltsübersicht dieser Vorlage || Verlauf dieses Geschäfts |
5. Effizienter Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsprozess
Mit Beschluss Nr. 858 vom 24. Mai 2005 hat der Regierungsrat die im Zusammenhang mit dem Postulat von Elisabeth Schneider vom 13. November 2003 betreffend das Beschwerderecht der Gemeinden im verfassungs- und verwaltungsgerichtlichen Verfahren eingesetzte interdepartementale Arbeitsgruppe mit einer EFFILEX-Überprüfung der VPO beauftragt. Dabei wurde die Arbeitsgruppe angewiesen, auch die Umsetzung der bereits früher seitens des Rechtsdienstes des Regierungsrates formulierten Anpassungsvorschläge zu prüfen. Dieser war in einem Bericht vom 20. Dezember 2002 zum Schluss gelangt, dass sich die VPO grundsätzlich bewährt habe und dass sie mit Blick auf vergleichbare Regelungen ein äusserst schlankes Gesetz sei, weshalb kein zwingender Überarbeitungsbedarf bestehe. In der Praxis seien aber auch einige Schwächen und Lücken der VPO zutage getreten, deren Behebung in Betracht zu ziehen sei, sobald sich aufgrund anderer Umstände eine Gesetzesrevision aufdränge.
Die vorliegend unterbreiteten Änderungen der VPO setzen diese Ideen um. Gleichzeitig werden weitere Anpassungen vorgeschlagen, mit denen das Verfahren vor den Abteilungen Verfassungs- und Verwaltungsrecht sowie Sozialversicherungsrecht des Kantonsgerichts noch effizienter ausgestaltet werden soll. Dabei wird zum Teil auch an das neue Bundesgerichtsgesetz angeknüpft, um eine möglichst einheitlich strukturierte Regelung der Verfahrensabläufe und der Verfahrensrechte zu gewährleisten und damit dem Bürger und der Bürgerin die Inanspruchnahme des zur Verfügung stehenden Rechtsschutzes erleichtern zu können.
So soll die aus Gründen der Verfahrensökonomie sinnvolle Vereinigung von Beschwerdeverfahren mit identischen Streitgegenständen gesetzlich geregelt werden. Ebenfalls eine Steigerung der Verfahrenseffizienz und überdies eine Reduktion der Kosten bewirkt die Einführung der Einzelrichterkompetenz für Prozessentscheide. Die Beschränkung der Anfechtbarkeit von Zwischenverfügungen verhindert eine Aufsplitterung des Prozessthemas und bewirkt damit wiederum eine Beschleunigung des Verfahrens.
Gegenüber dem Vernehmlassungentwurf enthält die Landratsvorlage keine Bestimmungen mehr über die Verfahrenkosten für Kanton und Gemeinden. Da diese Kostenregelung einen engen sachlichen Zusammenhang mit der Erweiterung des Gemeindebeschwerderechts aufweist, wurde sie in diese Landratsvorlage überführt (Vorlage Nr. 2007/129).
Im Übrigen sind weitere in der Gerichtspraxis erkannte Mängel und Lücken zu beseitigen. Darauf wird in der Kommentierung der einzelnen Gesetzesbestimmungen eingegangen (vgl. insbesondere §§ 3, 8 und 10 VPO).
5.1 Vereinigung und Trennung von Verfahren
Mit Motionsbegehren vom 23. Februar 2006 (Nr. 2006-063) verlangen Ivo Corvini und die CVP/EVP-Fraktion, dass das Verwaltungsverfahrensgesetz und die Verwaltungsprozessordnung so zu ändern sind, dass getrennt eingereichte Eingaben, die denselben Gegenstand mit denselben Rechtsfragen betreffen, in der Regel vereinigt werden sollen, dass der damit verbundene Bearbeitungsaufwand eine Gebührenreduktion zur Folge hat. Aus verfahrensökonomischen Gründen mache es in der Regel Sinn, dass die verschiedenen Eingaben durch einen Verwaltungsakt oder ein Urteil erledigt werden. Dies setze voraus, dass die getrennt eingereichten Eingaben bzw. Beschwerden von der instruierenden Behörde vereinigt werden. In der Regel profitieren sowohl Parteien als auch Behörden von einer solchen Vereinigung. In der Sitzung vom 18. Mai 2006 überwies der Landrat diese Motion mit grossem Mehr.
Aus Gründen der Verfahrensökonomie ist die Verfahrensvereinigung - auch ohne ausdrückliche gesetzliche Grundlage - bereits heute möglich und wird auch immer wieder praktiziert. Allerdings führt eine Verfahrensvereinigung nicht immer zwingend zu einem geringeren Bearbeitungsaufwand. Auch wenn die Streitgegenstände grundsätzlich identisch sind, kann sich der den angefochtenen Entscheidungen zugrunde liegende Sachverhalt unterschiedlich darstellen, die Begründungen der Parteien können voneinander abweichen oder es stellen sich formelle Fragen (insbesondere bezüglich der Beschwerdelegitimation), welche einer gesonderten Prüfung bedürfen. Damit die Rechtsmittelinstanz solchen Umständen im Einzelfall Rechnung tragen kann, sollen die Voraussetzungen der Verfahrensvereinigung nicht zwingend geregelt werden. Werden Verfahren zusammen gelegt, sollen die unterliegenden beschwerdeführenden Parteien für die Verfahrenskosten solidarisch haften.
Die instruierende Instanz muss schliesslich auch die Möglichkeit haben, gemeinsam eingereichte Eingaben aus fallspezifischen Überlegungen trennen zu können. Die für das verwaltungsinterne Beschwerdeverfahren und das Verfahren vor dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilungen Verfassungs- und Verwaltungsrecht und Sozialversicherungsrecht, vorgeschlagenen Regeln der Verfahrensvereinigung und der Verfahrenstrennung lehnen sich an die Formulierungen der bernischen Gesetzgebung an. Die Vorschrift über die Haftung für die Verfahrenskosten orientiert sich am Bundesgerichtsgesetz (Artikel 66 Absatz 5 BGG).
Schliesslich sollen die Vorschriften über Vereinigung und Trennung von Verfahren sowohl im Verwaltungsverfahren, als auch im Verwaltungsprozess gleich lauten.
5.2 Einführung der Einzelrichterkompetenz für Prozessurteile
Heute müssen alle Abschreibungsbeschlüsse (beispielsweise im Falle des Beschwerderückzuges, des nachträglichen Wegfalles des Rechtsschutzinteresses oder des nicht fristgemässen Leistens des Kostenvorschusses gemäss § 20 Absatz 4 VPO) durch den in der Hauptsache zuständigen Spruchkörper gefällt werden. So wurden im Jahre 2005 in den Abteilungen Verfassungs- und Verwaltungsrecht und Sozialversicherungsrecht des Kantonsgerichts Basel-Landschaft von insgesamt 827 erledigten Verfahren 247, also rund 30% abgeschrieben (im Jahre 2004: 215 von 787 und im Jahre 2003: 263 von 952). Dabei handelt es sich in der Regel um einfache Prozessentscheide, in denen zumeist auch über die Verlegung der entstandenen Verfahrenskosten sowie allfälliger ausserordentlicher Kosten entschieden werden muss. In der Regel erscheint eine Befassung durch das Fünfer- bzw. Dreiergericht in Anbetracht des damit verbundenen Zeit- und Kostenaufwandes aber unverhältnismässig. Dasselbe gilt für Beschwerden und Klagen, auf die beispielsweise wegen offensichtlicher Unzuständigkeit, offensichtlichen Fehlens einer Eintretensvoraussetzung oder nicht fristgemässem Ergänzen einer Rechtsschrift (vgl. § 5 Absatz 3 VPO) nicht eingetreten werden kann.
Die Einführung einer Einzelrichterkompetenz für solche Prozessentscheide bewirkt eine Steigerung der Verfahrenseffizienz und eine Reduktion der Kosten. Allerdings müssen bei Abschreibungsbeschlüssen zum Teil auch materielle Rechtsfragen zumindest summarisch entschieden werden. Dies beispielsweise dann, wenn die strittige Verfügung während des Prozesses durch die Vorinstanz in Wiedererwägung gezogen und demzufolge die dagegen gerichtete Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegenstandslos wird. In diesen Fällen bleibt dem Kantonsgericht der Entscheid über die Verlegung der Kosten, welcher in der Regel nach einer Beurteilung des hypothetischen Prozessausganges, mithin einer materiellen Beurteilung der Streitsache verlangt. Dieser Problematik könnte einzig dadurch begegnet werden, dass in der VPO eine Weiterzugsmöglichkeit der durch den Einzelrichter entschiedenen Prozessurteile an das Gesamtgericht statuiert wird. Mit einem solchen Rechtsmittel könnte aber auch die überwiegende Mehrheit der präjudiziell unbedeutenden Fälle mit Einsprache angefochten werden. Um nicht Gefahr zu laufen, dass die vorstehend genannten positiven Effekte einer Einzelrichterkompetenz neutralisiert werden, ist indessen von einer Einsprachemöglichkeit abzusehen. Zu beachten ist auch, dass die Entscheidung des Einzelrichters - soweit sie Bundesrecht oder kantonales Verfassungsrecht verletzt sowie vorbehältlich einer in Artikel 83 BGG statuierten Ausnahme - als Endentscheid mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beim Bundesgericht angefochten werden kann (vgl. Regula Kiener, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten in: Neue Bundesrechtspflege, Bern 2007, S. 229 f. und 271 ff.).
Im Übrigen überträgt auch das BGG der Instruktionsrichterin bzw. dem Instruktionsrichter die Kompetenz, über die Abschreibung des Verfahrens zufolge Gegenstandslosigkeit, Rückzugs oder Vergleichs zu entscheiden (Artikel 32 Absatz 2 BGG).
5.3 Beschränkung der Anfechtung von Zwischenverfügungen und Einführung der Einzelrichterkompetenz
Nach heutigem Recht können grundsätzlich sämtliche, durch eine Vorinstanz des Kantonsgerichts erlassenen Zwischenverfügungen beim Kantonsgericht angefochten werden. Dies kann dazu führen, dass eine Partei durch Inanspruchnahme sämtlicher Rechtsmittelmöglichkeiten den Fortgang des Verfahrens erschwert, was den Interessen der anderen Parteien zuwiderlaufen kann. Aus Gründen der Prozessökonomie und der Verfahrensbeschleunigung soll deshalb die Anfechtbarkeit von Zwischenverfügungen beschränkt werden.
Dabei soll aber nicht die Formulierung von Artikel 93 Absatz 1 Buchstabe a BGG zum Vorbild genommen werden, wonach Vor- und Zwischenentscheide nur dann mit Beschwerde angefochten werden können, wenn sie einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken können. Vielmehr wird in einem abschliessenden Katalog aufgelistet, welche Zwischenverfügungen selbständig angefochten werden können. Inhaltlich orientiert sich diese Auflistung an § 28 Absatz 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes Basel-Landschaft vom 13. Juni 1988 (VwVG BL; SGS 175; Beschwerde an den Regierungsrat gegen Zwischenverfügungen) und an § 7 Absatz 2 VPO (Möglichkeit der Einsprache gegen verfahrensleitende Verfügungen des Instruktionsrichters).
Beschwerden gegen vorinstanzliche Zwischenentscheide müssen heute dem Gesamtgericht vorgelegt werden. Wird ein solcher Zwischenentscheid beim Kantonsgericht angefochten und von den Beschwerdeführenden gleichzeitig verlangt, dass die von der Vorinstanz abgelehnten oder angeordneten Massnahmen nunmehr für die Dauer des Gerichtsverfahrens angeordnet bzw. aufgehoben werden sollen, ist dafür nach geltendem Recht die Einzelrichterin bzw. der Einzelrichter zuständig (vgl. § 7 Absatz 1 VPO). Ein Beispiel soll die heutigen Zuständigkeiten verdeutlichen: Zum Schutz des Kindeswohles kann es angezeigt sein, den Eltern die Obhut für ihr Kind zu entziehen und dieses bei Pflegeeltern oder in einem Heim zu platzieren. Ist das Kindeswohl akut gefährdet, kann die zuständige Vormundschaftsbehörde die ihres Erachtens geeigneten Massnahmen bereits im Verlauf der Abklärungen treffen, das heisst die Obhut vorsorglich entziehen und das Kind bis zum definitiven Entscheid fremdplatzieren. Die betroffenen Eltern haben die Möglichkeit, diese vorsorgliche Massnahme (Zwischenverfügung) beim Kantonsgericht anzufechten, worüber das Gesamtgericht entscheidet. Gleichzeitig können sie verlangen, dass der Obhutsentzug sowie die Fremdplatzierung bis zum Entscheid des Gesamtgerichts aufgehoben werden. Hierüber hat heute der Einzelrichter zu entscheiden. Im Verfahren vor dem Kantonsgericht entscheiden somit letztendlich zwei Spruchkörper darüber, wie dem Kindeswohl bis zum Entscheid der Vormundschaftsbehörde Rechnung getragen werden soll.
Dieser Verfahrensablauf trägt den geltend gemachten Interessen (Schutz des Kindeswohles, Schutz elterlicher Besuchsrechte, Beibehaltung der Handlungsfähigkeit für die Dauer eines Entmündigungsverfahrens, usw.) unzureichend Rechnung. Zudem führt die Zuständigkeit des Gesamtsgerichts aufgrund der zeitaufwändigen Aktenzirkulation zu einer aus Sicht der Betroffenen unerwünschten Verfahrensverzögerung. Können Beschwerden gegen vorinstanzliche Zwischenentscheide durch die Einzelrichterin bzw. den Einzelrichter entschieden werden, führt dies nicht nur zu einer Beschleunigung dieser Verfahren, die im Interesse der Rechtssuchenden liegt, sondern auch zur Reduktion der Verfahrenskosten.
Mit der Einführung der Einzelrichterkompetenz gegen selbständig anfechtbare prozess- und verfahrensleitende Verfügungen gemäss Art. 52 Absatz 1 ATSG (beispielsweise die Ernennung von Sachverständigen oder die Beurteilung von Gesuchen betreffend Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege durch einen Sozialversicherungsträger) wird schliesslich dem Willen des Bundesgesetzgebers Rechnung getragen, der diese Verfahren beschleunigen will, weshalb hier die Einsprache ausgeschlossen ist (vgl. Ueli Kieser, ATSG-Kommentar, N 18 zu Art. 52).
Fortsetzung >>>
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