2006-85


Am 29. November 2001 überwies der Landrat das folgende Postulat von Esther Maag an den Regierungsrat:

Von wegen "Freundliche Zone" - auf der Strasse gilt heute das Faustrecht. Corina Christens "Angerichtet"-Kolumne in der BaZ zeugt davon, wie oft wegen Verkehrsdelikten, über die man nur den Kopf schütteln kann, die Gerichte bemüht werden. Ehrverletzungsklagen sind noch das Harmloseste, sehr oft geht es in der Zwischenzeit um Tätlichkeiten. Viele AutofahrerInnen sind offensichtlich vom wachsenden Verkehr überfordert, (den sie selbst verursachen) - und laufen Amok. "Die Leute fahren immer aggressiver. Alle sind zu spät dran, da wird zu schnell gefahren, links und rechts überholt, hineingedrückt - es wird immer schlimmer", meint dazu ein Taxichauffeur (TA vom 16.12.2000).


Mit schweren Fällen, bei denen die Polizei gerufen wird, befasst sich Erwin Scheuchzer, Chef der Abteilung Verkehrssicherheit in Zürich (TA 16.12.00). Er fragt sich manchmal, ob so etwas überhaupt möglich ist, wenn beispielsweise eine hochschwangere Frau mit ihrem Vierjährigen bei Grün über die Strasse geht und ihr ein Autofahrer, dem es nicht genug schnell geht, in die Beine fährt - selbstverständlich mit Fahrerflucht. Oder ein leider inzwischen klassischer Fall ist die Machtdemonstration mit Unfallfolgen zwischen zwei Blechkisten. Dazu Scheuchzer: "In solchen Situationen kommt der Urmensch zum Vorschein; jeder will zeigen, dass er der Stärkere ist".


Kaum jemand denkt in seiner blinden Wut daran, wie gefährlich ein aggressiver Fahrstil ist. Velokurier Alex Schück sagt: "AutofahreInnen vergessen oft, dass unser Bremsweg viel länger ist und bremsen uns aus. Das ist extrem gefährlich - nicht für sie, für uns kann das aber den Tod bedeuten." Dazu meint Scheuchzer: "Mit dem Auto wird eine Masse in Bewegung gesetzt, gegen die FussgängerInnen und VelofahrerInnen keine Chance haben."
Berufschauffeure meinen, dass zum aggressiven Klima nicht nur die zusätzlichen Fahrzeuge führen, sondern auch der Kulturwandel in der Gesellschaft. Früher bewahrten LenkerInnen bei einem Zwischenfall eher Haltung, heute lässt man sich gehen. An die Konsequenzen denken die meisten erst wenn es zu spät ist und sind dann völlig erstaunt, wenn sie plötzlich vorbestraft sind oder - vermutlich für die meisten inzwischen noch schlimmer - den Führerschein abgeben müssen.


Für notorische Verkehrsdelinquenten hat das Bezirksgericht Zürich nun einen interessanten Modellversuch unter dem Stichwort "Aggression im Strassenverkehr" gestartet. Dabei handelt es sich um einen Verkehrserziehungskurs, bei dem die Teilnehmer mit Zahlen und Fakten über Verkehrsunfälle, aber auch mit Unfallopfern konfrontiert werden. Er wendet sich an Rückfalltäter, die auch wegen Alkohol am Steuer von der Justiz zugewiesen werden. Das Angebot ist - zu unserem grossen Erstaunen, wir dachten, etwas Analoges gäbe es bereits längstens - erstmalig in der Schweiz, doch hoffentlich nicht einmalig! Denn da offensichtlich Bussen nichts nützen, braucht es griffigere Massnahmen, um der lebensverachtenden Aggression im Strassenverkehr beizukommen. Wir fordern den Regierungsrat deshalb auf,


1. sich über den Modellversuch in Zürich kundig zu machen
2. abzuklären, ob ein ähnlicher Versuch auch im Kt. BL durchgeführt werden kann
3. die nötigen Voraussetzungen für die Einführung zu schaffen
4. den Verkehrserziehungskurs durchzuführen
5. die Resultate auszuwerten und zu evaluieren, ob er zur Institution werden kann.



Der Regierungsrat hat das Postulat betreffend Aggression im Strassenverkehr auftragsgemäss geprüft und nimmt dazu wie folgt Stellung:

1. Ausgangslage


Wie im Postulat erwähnt wird, hat der Kanton Zürich als bisher einziger Kanton in der Schweiz, Ende 1999 einen Modellversuch im Bereich Strassenverkehr zur Schulung von Angehörigen der folgenden Zielgruppen gestartet:


Im Kanton Zürich werden die Schulungsmodule durch die zuständige Bezirksanwaltschaft oder durch die Gerichte bei bedingten Freiheitsstrafen verfügt. Die Lernprogramme finden 10 mal im wöchentlichen Rhythmus a 2 Stunden mit 6 - 10 Kursteilnehmenden statt.


Kurs 1 wird 4 - 6 mal pro Jahr angeboten, Kurs 2 jeweils rund 20 mal. Betreut werden die Kursteilnehmenden jeweils durch 2 Trainer/-innen (PsychologIn und SozialarbeiterIn des Bewährungsdienstes).


Von den Kurskosten haben die Teilnehmenden anteilsmässig Fr. 500.-- zu übernehmen. Die Kursunterlagen werden ihnen gratis abgegeben. Aus wichtigen Gründen kann der Kurskostenanteil ermässigt oder gar erlassen werden.


Die bewilligte Versuchsphase von 31/2 Jahren war per 30. September 2003 abgeschlossen. Das Programm wird seither definitiv weitergeführt.



2. Angebote im Kanton Basel-Landschaft

Im Rahmen der von der Polizei Basel-Landschaft verfügten Administrativmassnahmen (Verwarnung, Führerausweisentzug) werden im Bereich des Fahrens in angetrunkenem Zustand (FiaZ) folgende Kurse angeboten werden:


FiaZ-Kursangebot der "Beratungsstelle für Alkohol- u. a. Suchtprobleme" (BfA)


FiaZ A-Kurs "Orientierung"
Der A-Kurs ist ein Orientierungskurs von vier Stunden Dauer in einer Gruppe von maximal 12 Teilnehmenden. Angesprochen sind "Erst-täter" und "Ersttäterinnen". Bei erfolgreichem Abschluss des Kurses erhält der Teilnehmer oder die Teilnehmerin den Führerausweis einen Monat früher zurück als verfügt. Er oder sie hat die Kurskosten von Fr. 150.-- pro Person zu übernehmen. Im Jahr 2005 haben 42 Personen diesen Kurs besucht. Die durchschnittliche Rückfallquote in den ersten fünf Jahren nach dem Kursbesuch beträgt 9.5 %, diejenige nach 6 - 10 Jahren 0 %.


FiaZ B-Kurs "Prävention"
Der B-Kurs ist ein Präventionskurs und dauert insgesamt acht Stunden, verteilt über vier Wochen, mit höchstens 12 Kursbesuchern und Kursbesucherinnen. Dieses Angebot richtet sich einerseits an Personen, die nach 1 - 10 Jahren rückfällig wurden, und andererseits an "Erst-täter" und "Erstttäterinnen", die hohe Blutalkoholwerte (? 2.2‰) aufwiesen. Die Kosten für die Teilnahme an diesem Kurs betragen Fr. 300.-- pro Person und sind von dieser zu tragen. Im Jahr 2005 haben 56 Personen diesen Kurs besucht. Die durchschnittliche Rückfallquote beträgt innerhalb von 1 - 5 Jahren nach dem Kursbesuch 10.7% und innerhalb von 6 - 10 Jahren 3.5%. In anderen Kantonen werden ähnliche Kurse von der Beratungsstelle für Unfallverhütung bfu angeboten.


Die beiden FiaZ-Kurse A und B werden freiwillig besucht und ermöglichen - bei erfolgreichem Abschluss - eine Reduktion der Entzugsdauer von 1 - 3 Monaten, wobei die gesetzlich vorgeschriebene Entzugsdauer nicht unterschritten werden darf.


Einzig im Kanton Basel-Landschaft wird, als weitere Stufe, der Kurs B zusammen mit dem Blastest-Programm, hier als Kurs C bezeichnet, angeordnet (durch Verfügung).


FiaZ C-Kurs "Präventionsprogramm"
Der C-Kurs ist ein Präventionsprogramm und umfasst neben der Teilnahme am B-Kurs Prävention (siehe oben) eine kontrollierte Alkoholabstinenz während 6 Monaten. Die Abstinenz wird durch Atemlufttests kontrolliert, welche die Polizei durchführt. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer werden innert 6 Monaten 70 - 80 mal durch einen Zufallsgenerator ausgewählt und zum Atemlufttest aufgeboten. Gegenüber diesen Personen wurde ein sogenannter Sicherungsentzug verfügt. Sie haben den Tatbeweis zu erbringen, dass keine Alkoholabhängigkeit besteht. Durch einen erfolgreichen Abschluss des Kurses kann die verfügte Führerausweisentzugsdauer um neun Monate verkürzt werden. Die Kurskosten belaufen sich auf Fr. 900.-- pro Person und sind von dem oder von der Teilnehmenden zu übernehmen. Die in der Schweiz einmalig tiefe Rückfallquote liegt bei diesem Programm seit dessen Einführung im Jahre 1991 bei 4,2%. Bisher haben insgesamt 471 Personen teilgenommen.


Bevorstehendes Angebot: Nachschulung für aggressive und risikobereite Verkehrsteilnehmer und Verkehrsteilnehmerinnen


Trainings für aggressive und risikobereite Verkehrsteilnehmende, die sich wiederholt grobe Verkehrsverletzungen haben zu Schulden kommen lassen, werden im Kanton Basel-Land-schaft ab Sommer 2006 mit der Einführung des Verkehrsunterrichts zur Nachschulung angeboten. Der Besuch der Nachschulung wird von der Polizei Basel-Landschft mittels Verfügung angeordnet (vgl. dazu die Vorlage des Regierungsrats an den Landrat zum Postulat 2004/026 von Jürg Wiedemann).



3. Zusammenfassung

Ähnlich wie im Kanton Zürich steht auch in unserem Kanton ein breites Angebot an Kursen für fehlbar gewordene Verkehrsteilnehmer und Verkehrsteilnehmerinnen zur Verfügung, insbesondere im Zusammenhang mit angeordneten Administrativmassnahmen wegen Fahrens im angetrunkenem Zustand (FiaZ).


Die im Kanton Basel-Landschaft seit 1991 durchgeführten Kurse für FiaZ-Delinquenten und


-Delinquentinnen haben sich bewährt. Vor allem das Blastest-Programm in Verbindung mit dem Kursbesuch verlangt von den Betroffenen grosse Selbstdisziplin. Die Rückfallquote ist erfreulicherweise niedrig. Dieses Modell hat innerhalb der Schweiz eine Vorbildfunktion.


Ab Sommer 2006 wird zusätzlich auch ein Angebot zur Nachschulung von aggressiven und risikobereiten Verkehrsteilnehmern und Verkehrsteilnehmerinnen ("Wiederholungstäter" und speziell geschwindigkeitsauffällige Verkehrsteilnehmende) zur Verfügung stehen. Der Besuch dieser Kurse wird durch die Polizei Basel-Landschaft mittels Verfügung angeordnet.


Das Angebot der aufgeführten Kurse wird laufend überprüft und einer Erfolgskontrolle unterzogen. Grundlage hierfür bildet u.a. die systematisch erfasste Rückfallquote. Bei Bedarf wird das Kursangebot im Interesse einer möglichst optimalen Verkehrssicherheit den aktuellen Anforderungen und Bedürfnissen angepasst.


Die Kurskosten sind in jedem Fall entsprechend dem Verursacherprinzip vollumfänglich von den Kursteilnehmenden zu tragen. Dem Kanton entstehen daraus keine Kosten.



4. Antrag

Mit dem vorliegenden Bericht hat der Regierungsrat auftragsgemäss das Postulat geprüft und dem Landrat über seine Abklärungen berichtet.


Der Regierungsrat beantragt dem Landrat, das Postulat 2001/073 von Esther Maag betreffend Aggression im Strassenverkehr als erfüllt abzuschreiben.


Liestal, 28. März 2006


Im Namen des Regierungsrates
die Präsidentin: Schneider-Kenel
der Landschreiber: Mundschin



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Fussnoten:


1 "Wer durch grobe Verletzung der Verkehrsregeln eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft oder in Kauf nimmt, wird mit Gefängnis oder Busse bestraft."


2 "Wer in angetrunkenem Zustand ein Motorfahrzeug führt, wird mit Gefängnis oder Busse bestraft."