2006-110


Am 29. November 2001 überwies der Landrat das folgende Postulat von Peter Tobler an den Regierungsrat:

"Unser System der Vernehmlassungen, in der Verfassung verankert und überdies den Status eines Gewohnheitsrechts geniessend, weist in einzelnen Randbereichen Lücken und Widersprüche auf. So unterliegt etwa eine formulierte Gesetzesinitiative nach Einreichung nicht der Vernehmlassung, obwohl sie vom Parlament behandelt wird und, bei Annahme durch das Volk, genauso Gesetz wird wie ein normal erlassenes Gesetz. Umgekehrt wäre es für den Landrat wegen der festen Fristen für eine Volksabstimmung (gleichgültig, ob es sich um 18 oder 24 Monate handelt) oft schwierig, in der Kommission oder im Plenum noch einen (oft verbesserten) Gegenvorschlag entgegenzustellen, wenn dieser Gegenvorschlag noch durch die Vernehmlassung gehen müsste wie dies heute (entgegen der bisherigen langjährigen Praxis) neu verlangt wird.


Es gibt dem Grundsatz nach nur zwei sinnvolle und konsequente Lösungen für die Problematik, nämlich entweder:


Ich bitte die Regierung, die gesamte Problematik zu prüfen und begutachten zu lassen, das Ergebnis der Prüfung und Begutachtung einem eingehenden Vernehmlassungsverfahren zu unterwerfen und dem Landrat anschliessend eine klare Verfassungsbestimmung zum Beschluss vorzulegen , die das Problem endgültig und und unzweideutig regelt".




Der Regierungsrat hat das Postulat eingehend geprüft und nimmt dazu wie folgt Stellung:


1. Ausgangslage, Rechtsgrundlagen


Die Rechtsgrundlagen für das Vernehmlassungsverfahren sind in der Kantonsverfassung vom 17. Mai 1984 (SGS 100) und im Gesetz über die politischen Rechte vom 7. September 1981 (SGS 120) sowie in der Verordnung zum Gesetz über die politischen Rechte (SGS 120.11) enthalten.


Im Zusammenhang mit diesem Postulat stehen die folgenden Bestimmungen im Vordergrund:


Kantonsverfassung (KV), §§ 29 Verfahren, Absätze 2-4 und § 34 Anhörung, Absatz 2


§ 29 Verfahren, Absätze 2 und 4:
Absatz 2 : "Formulierte Begehren werden in Form und Inhalt unverändert innert 18 Monaten dem Volk zur Abstimmung vorgelegt. Das Gesetz regelt die Ausnahmen und die Säumnisfolgen."
Absatz 4: "Der Landrat kann jedem Begehren einen Gegenvorschlag gegenüberstellen."


§ 34 Anhörung, Absatz 2:
"Bei Vorlagen, die der Volksabstimmung offen stehen, werden die politischen Parteien und interessierte Organisationen zur Vernehmlassung eingeladen."


Gesetz über die politischen Rechte (GpR), § 78a, Absatz 2:
"Der Regierungsrat unterbreitet dem Landrat in der Regel innert 6 Monaten seit der amtlichen Bekanntgabe des Zustandekommens einer Vorlage, worin beantragt wird, der formulierten Initiative zuzustimmen oder sie abzulehnen. Im Falle eines Gegenvorschlags entfällt das Vernehmlassungsverfahren.




2. Auslegung und Anwendung der Bestimmungen über das Vernehmlassungsverfahren


Wie im Postulat richtig dargestellt, werden Gegenvorschläge des Landrats zu formulierten Gesetzesinitiativen nicht der Vernehmlassung unterbreitet. Bei dieser Praxis handelt es sich allerdings nicht um Gewohnheitsrecht: Im GpR (§ 78a Absatz 2) ist ausdrücklich festgeschrieben, dass im Falle eines Gegenvorschlages zu einer formulierten Initiative das Vernehmlassungsverfahren entfällt. Diese Bestimmung wird so verstanden und angewendet, dass weder zum Gegenvorschlag, noch zur formulierten Initiative selbst ein Vernehmlassungsverfahren stattfindet. Eine andere Auslegung wäre nicht begründbar: Initiative und Gegenvorschlag müssen unter dem Blickwinkel des Vernehmlassungsverfahrens gleich behandelt werden. Es gibt keine Gründe, beim Gegenvorschlag auf die Vernehmlassung zu verzichten, zur formulierten Initiative hingegen ein Vernehmlassungsverfahren durchzuführen. Im Kontext der Regelungen über das Vernehmlassungsverfahren muss für die formulierte Initiative und den Gegenvorschlag zwingend eine einheitliche Betrachtungsweise gelten.


Als Gewohnheitsrecht kann hingegen die Praxis beurteilt werden, dass auch bei formulierten Initiativen ohne Gegenvorschlag kein Vernehmlassungsverfahren stattfindet. Das Gesetz über die politischen Rechte sagt dies nicht ausdrücklich, im Gegensatz zu jenen Fällen, wo ein Gegenvorschlag zur formulierten Initiative vorgelegt werden soll. Die Praxis hat diese Lücke dadurch geschlossen, dass bei formulierten Initiativen nicht nur im Falle eines Gegenvorschlags, sondern auch beim Verzicht auf den Gegenvorschlag, kein Vernehmlassungsverfahren stattfindet. Mit anderen Worten: Die Regelung von § 78 a Absatz 2 letzter Satz GpR wird nicht nur bei formulierten Initiativen mit Gegenvorschlag, sondern analog auch bei formulierten Initiativen ohne Gegenvorschlag angewendet.


Diese Praxis ist nach Auffassung des Regierungsrats zwingend: Der Verzicht auf die Durchführung des Vernehmlassungsverfahrens bei formulierten Initiativen kann nicht davon abhängen, ob ein Gegenvorschlag unterbreitet werden soll oder eben nicht. Es wäre weder rechtlich noch staatspolitisch begründbar, bei formulierten Initiativen ohne Gegenvorschlag ein Vernehmlassungsverfahren durchzuführen, nicht aber bei formulierten Initiativen mit Gegenvorschlag.




3. Beurteilung des Verzichts auf die Durchführung von Vernehmlassungsverfahren bei formulierten Gesetzesinitiativen


3.1 Mit der Durchführung von Vernehmlassungen soll gewährleistet werden, dass die Betroffenen frühzeitig über die Entwürfe zu Regelungen auf Verfassungsebene, auf Gesetzesebene oder in Form von Staatsverträgen informiert werden und ihre Anliegen und Vorschläge einbringen können. Das Vernehmlassungsrecht enthält im Grunde genommen zwei Elemente: 1. das Anhörungsrecht und 2. die Möglichkeit, auf die Gestaltung von wichtigen Rechtserlassen Einfluss nehmen zu können, bzw. diese mitzugestalten. Das Vernehmlassungsrecht bezieht sich auf Vorlagen der Behörden. Das Anhörungs- und Mitwirkungsrecht der Bevölkerung erstreckt sich auf Entwürfe der Behörden für Erlasse, die der (fakultativen oder obligatorischen) Volksabstimmung unterliegen. Die Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens geben den Behörden Aufschluss darüber, ob der Entwurf - bspw. für ein neues Gesetz - die in ihn gestreckten Erwartungen und Anforderungen sachlicher Art erfüllt und mehrheitsfähig ist.


Gesetzesinitiativen - formuliert und nicht formuliert - stammen nicht von den Behörden (im Kanton Basel-Landschaft gibt es keine "Behördeninitiative), sondern entweder von mindestens 1'500 Stimmberechtigten (§ 28 Absatz 1 KV) oder von mindestens 5 Einwohnergemeinden (§ 49 Absatz 1 Buchstabe a KV). Ist die Initiative rechtsgültig, muss sie - vorbehältlich eines Rückzugs - dem Volk zur Abstimmung unterbreitet werden. Ist die Initiative zustande gekommen, hat sie das Stadium des Entwurfs längst überschritten. Da das Initiativbegehren direkt von den Stimmberechtigen oder von den Einwohnergemeinden und nicht von den Behörden stammt, braucht es kein Vernehmlassungsverfahren zur Anhörung der Betroffenen. Das "Anhörungsrecht" wird sozusagen durch die Ausübung des Stimmrechts anlässlich der Volksabstimmung ausgeübt.


Finden zu formulierten Gesetzesinitiativen keine Vernehmlassungsverfahren statt, ist es folgerichtig, dass Gegenvorschläge der Behörden ebenfalls davon ausgenommen werden (§ 78a Absatz 2 GpR) und somit eine einheitliche Betrachtungsweise gilt.


3.2 Formulierte Gesetzesinitiativen sind dem Volk "von Verfassungs wegen" in Form und Inhalt unverändert innert 18 Monaten zur Abstimmung vorzulegen (§ 29 Absatz 2 KV). Diese Zeitspanne reicht aus, damit die Initiative durch den Regierungsrat und durch den Landrat behandelt werden kann und die Volksabstimmung fristgerecht durchgeführt wird. Müsste aber ein allfälliger Gegenvorschlag - entgegen der heutigen Regelung (vgl. § 78a Absatz 2 GpR) - der Vernehmlassung unterbreitet werden (mit anschliessender Auswertung der Vernehmlassungsergebnisse und eventueller Überarbeitung des Entwurfs für den Gegenvorschlag aufgrund der Vernehmlassungsresultate) könnte die verfassungsmässige Frist von 18 Monaten wahrscheinlich in den meisten Fällen nicht mehr eingehalten werden. Es ist ein Kernanliegen der Initianten und Initiantinnen, dass über ihre Initiativen mit oder ohne Gegenvorschlag möglichst rasch abgestimmt werden kann. Müssen Gegenvorschläge zu formulierten Gesetzesinitiativen jeweils einem Vernehmlassungsverfahren unterzogen werden, wird sich die Volksabstimmung über Initiativen gegenüber heute vielfach wesentlich verzögern. Die geltende Regelung mit dem Verzicht auf die Durchführung von Vernehmlassungsverfahren über Gegenvorschläge zu Gesetzesinitiativen trägt dem Charakter und der Zielsetzung des Initiativrechts Rechnung.


3.3 Der Regierungsrat gelangt zur Beurteilung, dass aus sachlichen Gründen (vgl. Ziffer 3.1) und aus zeitlichen Gründen (vgl. Ziffer 3.2) weiterhin auf die Durchführung von Vernehmlassungsverfahren zu formulierten Gesetzesinitiativen und allfälligen Gegenvorschlägen zu verzichten ist.




4. Zum Vorschlag, die Ergebnisse der Abklärungen im Zusammenhang mit dem Postulat einem eingehenden Vernehmlassungsverfahren zu unterwerfen und dem Landrat anschliessend eine klare Verfassungsbestimmung zum Beschluss vorzulegen, die das Problem endgültig und unzweideutig regelt


Die Regelung, wonach weder über formulierte Gesetzesinitiativen noch über dazu gehörige Gegenvorschläge ein Vernehmlassungsverfahren stattfindet, beurteilt der Regierungsrat als richtig und sinnvoll. Die im Gesetz über die politischen Rechte verankerten Rechtsgrundlagen (§ 78a Absatz 2 GpR) sind klar und spezifizieren die verfassungsmässigen Bestimmungen zum Vernehmlassungsverfahren (§ 34 Absatz 2 KV). Eine Änderung der Kantonsverfassung schafft keine zusätzliche Rechtsklarheit und ist deshalb nicht erforderlich. Da keine gesetzliche oder verfassungsrechtliche Neuregelung beabsichtigt ist, erübrigt sich auch die Durchführung eines Vernehmlassungsverfahrens über die Ergebnisse der Abklärungen im Zusammenhang mit diesem Postulat.




5. Antrag


Mit dem vorliegenden Bericht hat der Regierungsrat das Postulat geprüft und dem Landrat über seine Abklärungen berichtet.


Der Regierungsrat beantragt dem Landrat, das Postulat 2001/167 von Peter Tobler abzuschreiben.


Liestal, 11. April 2006


Im Namen des Regierungsrates
die Präsidentin: Schneider-Kenel
der Landschreiber: Mundschin



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