2006-180


1. Die Petition

Am 20. Januar 2006 hat der Jugendrat die Petition «Arbeit für die Jugend» mit 555 Unterschriften an den Landrat gerichtet. Darin werden die fünf folgenden Forderungen erhoben:



2. Vorgehen der Petitionskommission

Die Petitionskommission hat die Petition «Arbeit für die Jugend» an ihren Sitzungen vom 7. Februar, 14. März und 25. April 2006 behandelt. Sie hat die Petenten, die Bildungs-, Kultur- und Sportdirektion wie auch die Wirtschaftskammer Baselland angehört. Sie hat bei der Volkswirtschafts- und Gesundheitsdirektion eine Stellungnahme angefordert und sich bei den zuständigen Stellen jener Kantone, die über einen Berufsbildungsfonds verfügen, über dessen Ausgestaltung erkundigt.



3. Anhörung der Petenten

Der Jugendrat liess sich durch Joëlle Leu (Muttenz), Matthias Wiesinger (Pratteln) und Reto Wyss (Zunzgen) vertreten. Sie anerkannten, dass im Baselbiet viel für die Lehrstellenförderung getan werde. Trotzdem sei die Jugendarbeitslosigkeit seit 2003 stetig gestiegen und habe 2004 einen Höchstwert von 5,6% erreicht. Im Dezember 2005 habe sie bei 4,7% gelegen und sei damit im Schnitt etwa 2% höher als die Gesamtarbeitslosigkeit gewesen. Der Höchststand an Schulabgänger(inne)n werde in Baselland erst 2009 und somit zwei Jahre nach dem Schweizer Durchschnitt erreicht. Bis 2009 werde somit die Jugendarbeitslosigkeit noch zunehmen.


Zu den einzelnen Forderungen hielten sie fest:


1. Recht auf Ausbildung
Ein solches müsse rechtlich verankert werden.


2. Quantität und Qualität
Ausbildungsplätze müssten zahlenmässig der Nachfrage genügen, aber auch von hoher Qualität sein. Qualitativ gut ausgebildete Leute seien in der Nordwestschweiz gefragt. Nur sie hätten in der Zeit der Personenfreizügigkeit auf dem Stellenmarkt eine Chance. Lehrlinge dürften nicht mehr als billige Hilfskräfte angesehen werden.


3. Ausbildungsfonds
Die Petenten sehen darin das Kernstück der Petition. Der Fonds würde einen solidarischen Ausgleich zwischen ausbildenden und nicht ausbildenden Unternehmen ermöglichen. Kleinstbetriebe sollten davon jedoch nicht betroffen sein.


4. Lehrlinge weiter beschäftigen
Die Arbeitslosigkeit sei unter jenen Jugendlichen am höchsten, die nach abgeschlossener Ausbildung keine Arbeitsstelle erhalten. Viele Arbeitgeber erwarten von Bewerbern, dass sie über Berufserfahrung verfügten. Wie aber sei es möglich, Berufserfahrung zu erwerben, wenn man nach der Lehre keine Anstellung finde. Deshalb seien Betriebe, die ihre Lehrling nach der Ausbildung für mindestens drei Jahre beschäftigen, mit Steuererleichterungen zu belohnen und bei der Vergabe von Aufträgen durch die öffentliche Hand vermehrt zu berücksichtigen.
Finanziert werden soll die Unterstützung durch den Ausbildungsfonds.


5. Junge Leute beschäftigen
Aus der gleichen Quelle sollen auch jene Unternehmen unterstützt werden, die Leute zwischen 18 und 23 Jahren nach abgeschlossener Lehre einstellen.
Die Petenten betonen, die Jugendarbeitslosigkeit sei ein drängendes Problem. Sie beharren nicht darauf, dass sie mit den Forderungen ihrer Petition die Patentlösung gefunden hätten, aber es ist ihnen wichtig, dass die Politik das Problem erkenne und etwas unternehme. Zielsetzung müsse sein, dass die Jugendarbeitslosigkeit nicht höher sei, als die generelle Arbeitslosigkeit.



4. Anhörung der Bildungs-, Kultur- und Sportdirektion

Als Vertretung der BKSD hörte die Petitionskommission Niklaus Gruntz, Leiter des Amtes für Berufsbildung und Berufsberatung, an.


Er erläuterte, wie sich die Situation in der Berufsausbildung in den letzten Jahren verändert hat. Vor zehn Jahren habe es im Sommer noch 900 unbesetzte Lehrstellen gegeben. Zurzeit seien es gerade noch 65 unbesetzte Lehrstellen, die 1'800 Lehrverträgen gegenüber stünden. Dies belege, dass die Jugendlichen die Ausbildungsmöglichkeiten ergriffen, die angeboten würden. Von allen Schulabgängern würden jedoch bloss etwa 65 Jugendliche über gar keine Anschlusslösung an die Volksschule verfügen, was verglichen mit andern Kantonen eine gute Quote darstelle. Allerdings sei dabei zu berücksichtigen, dass sich 500 Jugendliche in Brückenangeboten befänden, um sich nach der Schule für eine Lehrstelle nachzuqualifizieren. Es seien somit jährlich etwa 565 Jugendliche, die nicht gleich nach der Schule eine Lehrstelle fänden.


Zu den Forderungen der Petition führte Niklaus Gruntz aus:


1. Recht auf Ausbildung
Diese an sich sympathische Forderung sei insofern problematisch, als man sie als ein Recht auf die gewünschte Ausbildung deuten könne. Heute schon sei bei den Informatikern die Nachfrage bei den jungen Leuten grösser als die Bedürfnisse der Wirtschaft. Jugendlich, die einen Beruf erlernen möchten, seien gegenüber Studierenden insofern benachteiligt, als sie sich bereits mit 16 Jahren nach den Bedürfnissen der Wirtschaft zu richten hätten, während Studierende ihr Fach frei wählen könnten, ohne darauf Rücksicht nehmen zu müssen, ob ihre Ausbildung am Ende auch markttauglich sei.


2. Quantität und Qualität
Die Qualität werde insofern gewährleistet, als für die Ausbildung von Lehrlingen das Bestehen eines Lehrmeisterkurses und die Erteilung einer Bewilligung vorausgesetzt würden.


3. Ausbildungsfonds
Am 18. Mai 2003 sei die eidgenössische Volksinitiative «für ein ausreichendes Berufsbildungsangebot», die einen Berufsbildungsfonds vorsah, auch vom Baselbieter Stimmvolk abgelehnt worden. Zur Zeit führe Regierungsrat Urs Wüthrich Gespräche mit den Sozialpartnern, ob sich nicht doch etwas in diese Richtung machen liesse, und in Basel-Stadt habe der Grosse Rat eine in diese Richtung zielende Motion von Peter Malama überwiesen.
Je mehr Betriebe ausbilden würden, desto mehr Jugendliche könnten eine Ausbildung aufnehmen. Deshalb sei die Schaffung von Anreizen der richtige Weg. Eine Möglichkeit wäre, den Unternehmen die Lehrabschlussprüfungskosten zu erlassen.


4. Lehrlinge weiter beschäftigen
Vor dieser vorgeschlagenen Massnahme warnt Niklaus Gruntz. Die Verpflichtung, Lehrlinge nach erfolgter Ausbildung weiter beschäftigen zu müssen, wäre kontraproduktiv. Er überrede dauernd Betriebe, Lehrstellen zu schaffen, indem er ihnen verspreche, dass sie die Lehrlinge nicht weiter beschäftigen müssten. Es sei weit weniger schlimm, wenn ein 20-Jähriger etwas Probleme habe, eine Stelle zu finden, als wenn ein 16-Jähriger keinen Zugang zur Arbeitswelt und zur Ausbildung fände.


5. Junge Leute beschäftigen
So sympathisch die Forderung sei, so problematisch sei sie zu gleich. Warum soll die Bevölkerungsgruppe der Jungen bevorzugt behandelt werden? Mit gleichem Recht könnten dies Behinderte, Wiedereinsteigerinnen oder ältere Menschen verlangen.
Das Baselbiet sei in Sachen Berufsbildung auf einem guten Weg. In Zusammenarbeit mit der Wirtschaftskammer sei ein Lehrstellenförderer angestellt worden. Beim Kanton und in vielen Gemeinden würden zusätzliche Lehrstellen geschaffen. Mit der Aprentas sei ein Angebot für schulisch schwache Jugendliche geschaffen worden. In fünf Jahren würden die Zahlen der Schulabgänger und -abgängerinnen zurückgehen. Es sei leicht möglich, dass die Firmen dann den Lehrlingen wieder hinterher rennen würden.



5. Anhörung der Wirtschaftskammer Baselland

Die Petitionskommission hat die Wirtschaftskammer Baselland, vertreten durch den Lehrstellenförderer, Urs Berger, angehört. Er nahm wie folgt zu den Forderungen der Petition Stellung.


1. Recht auf Ausbildung
Die Wirtschaftsverbände und der Kanton seien seit Jahren erfolgreich in der Lehrstellenförderung tätig. Berufsschau, Berufsschnuppertour, branchenübergreifende
Lehrstellenförderung, Ausbildung im Lehrbetriebsverbund, Gotte- und Götti-Aktionen wie «Speranza», Schnupperlehren und Praktika seien alles Massnahmen, die zur Erreichung des Ziels beitragen würden. Trotzdem sei die Lage auf dem Lehrstellenmarkt noch immer angespannt. Nicht alle Unternehmen seien in der Lage, Lehrlinge auszubilden, und sie dürften auf keinen Fall dazu gezwungen werden.


2. Quantität und Qualität
Bei der angespannten Wirtschaftslage müssten sich viele Unternehmen auf ihre Kernaktivitäten konzentrieren und seien darum nicht in der Lage, das ganze Lehrausbildungsprogramm reglementskonform anzubieten. Der Lehrbetriebsverbund der Wirtschaftskammer Baselland sei da in die Lücke gesprungen. Beim Start im Jahre 2000 seien sechs Lernende dabei gewesen. Heute würden so 64 Jugendliche in Zusammenarbeit mit 60 beteiligten Betrieben in 14 verschiedenen Branchen ausgebildet. Es handle sich dabei ausschliesslich um neu geschaffene Lehrstellen. Obwohl anfänglich über 50% der Lernenden schulische Defizite aufgewiesen hätten, sei dank intensiver Betreuung allen ein erfolgreicher Lehrabschluss gelungen. Über 90% hätten danach eine feste Anstellung in einem der Verbundbetriebe gefunden. So werde die Forderung nach Quantität und Qualität erfüllt.


3. Ausbildungsfonds
Nicht alle Betriebe verfügten über die nötigen Strukturen, um Lehrstellen anzubieten. Die Ausbildung im Verbund sei hier die Lösung. Deshalb sei diese - wie auch der Aufbau einer Geschäftsstelle und die Lehrstellenförderung - weiterhin vom Kanton finanziell und ideell zu unterstützen. Das gleiche gelte auch für Berufsschau und Berufsschnuppertour. Unternehmen, die trotz vorhandenen Strukturen nicht selber ausbilden und somit von Ausbildungsleistungen Dritter profitieren, sollten dazu verpflichtet werden, sich an den Kosten der Ausbildungsbetriebe zu beteiligen. Urs Berger hatte bereits Kontakt mit mehreren Westschweizer Kantonen, die einen solchen Fonds eingerichtet haben. Er spricht sich klar für die Schaffung eines Berufsbildungsfonds aus. Wichtig wäre ihm dabei, dass er mit minimalem administrativem Aufwand verbunden wäre. Er kann sich die Speisung des Fonds durch einen festen Frankenbetrag pro Mitarbeiter vorstellen. Auch eine paritätische Beteiligung von Wirtschaft und Kanton wäre denkbar. Dann könnten auch Aktivitäten wie Berufsschau, Lehrstellenförderer und Berufsschnuppertouren aus dem Fonds bestritten werden.


4. Lehrlinge weiterbeschäftigen
Dieser Forderung kann Urs Berger nichts abgewinnen. Die Betriebe könnten zu keiner Weiterbeschäftigung verpflichtet werden. Eine Kostenbeteiligung des Kantons würde der Ausbildungsqualität nur schaden, da Gefahr bestünde, dass Betriebe nur ausbilden würden, um an staatliche Zuschüsse zu kommen. Hingegen spricht sich Urs Berger klar dafür aus, dass das Kriterium «Lehrbetrieb» bei der Submission stärker berücksichtigt wird.


5. Junge Leute beschäftigen
Flexibilität sei eine Notwendigkeit. Dass bereits wenige Jahre nach der Ausbildung viele junge Leute in einem andern Beruf arbeiten würden, entspreche den sich dauernd verändernden Strukturen der Wirtschaft.



6. Erkundigungen der Petitionskommission betreffend Berufsbildungsfonds

Die Kantone Freiburg, Genf und Neuenburg kennen einen solchen Fonds. Sie unterscheiden sich in Beitragspflicht, Organisation und unterstützter Leistung. Zum Teil sind Arbeitgeber, Kanton, Wohnsitzgemeinde der Lehrlinge und Gewerkschaften beitragspflichtig. Die Beiträge werden auf verschiedene Weise erhoben. Am einfachsten erscheint uns ein fester Betrag pro Arbeitsplatz, erhoben durch die Ausgleichskasse. Auch was die bezuschussten Leistungen anbetrifft, zeigen sich grosse Unterschiede. Von den Prüfungsgebühren über Materialkosten für Lehrabschlussprüfungen, andere Berufsbildungskosten bis zu Massnahmen der Lehrstellenförderung ist alles denkbar, je nach dem, wer zum Kreis der Beitragspflichtigen gehört.



7. Beratung in der Petitionskommission

Die Beratungen in der Kommission führten zu den folgenden Stellungnahmen zu den fünf Forderungen der Petition:


1. Ein Recht auf Ausbildung
Ein Recht muss auch klagbar sein. Ein Recht auf eine berufliche Ausbildung würde mit dem Prinzip der dualen Berufsausbildung in Konflikt geraten. Die Wirtschaft ist es, die die Ausbildungsplätze bereitstellt. Der Staat ist es, der die berufliche Ausbildung reglementiert und organisiert. Bei wem wäre das Recht auf berufliche Ausbildung nun klagbar? Bei der Wirtschaft? An welche Adresse? Beim Staat? Und wie müsste er dem Recht zum Durchbruch verhelfen? - Aus diesen grundsätzlichen Überlegungen hält die Kommission das «Recht auf Ausbildung», so sympathisch der Titel klingen mag, nicht für einen praktikabeln Lösungsansatz und lehnt diese Forderung ab.


2. Quantität und Qualität
Die Kommission hält fest: Die Qualität der beruflichen Ausbildung befindet sich in Baselland auf einem hohen Stand. Die nötige Quantität zu gewährleisten, ist aufgrund der konjunkturellen Schwankungen nicht ganz einfach. Die grossen Anstrengungen von Kanton und Wirtschaft mit Brückenangeboten, der Schaffung neuer Lehrstellen und der Verbundlehre haben gute Resultate gezeigt. Ein zusätzlicher Anreiz könnte geschaffen werden, indem den Lehrbetrieben bei der Vergabe öffentlicher Aufträge ihre gesamtgesellschaftlich bedeutsame Leistung angerechnet würde. Die Kommission legt dem Landrat eine entsprechende Motion vor.


3. Berufsbildungsfonds
Diese Forderung wird von der Kommission übernommen. Sie zeigt einen pragmatischen Weg zur Lehrstellenförderung und zu solidarisch getragenen Kosten der Berufsbildung auf. Die Kommission legt dem Landrat ein entsprechendes Postulat vor.


4. Lehrlinge weiterbeschäftigen
Die Kommission sieht in diesem Vorschlag einen problematischen Eingriff in den Arbeitsmarkt. Junge Berufsleute brauchen keinen geschützten oder subventionierten Arbeitsplatz. Ihnen ist aufzuzeigen, wie sie sich weiterbilden oder beruflich neu ausrichten können, um zukunftsträchtig beruflich voranzukommen.


5. Junge Leute beschäftigen
Aus den gleichen Überlegungen hält die Kommission auch diese Forderung nicht für hilfreich.



8. Anträge der Petitionskommission

Die Petitionskommission beantragt dem Landrat einstimmig, die Petition «Arbeit für die Jugend» in


Pratteln, 27. Juni 2006


Der Präsident der Petitionskommission: Robert Ziegler



Beilagen:

- Motion (2006-199) betreffend Änderung des Gesetzes über das öffentliche Beschaffungswesen


- Postulat (2006-206) betreffend Schaffung eines Berufsbildungsfonds



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