2006-56 (1)


Im Februar 2006 erschienen Medienberichte (NZZ am Sonntag, Baslerstab, Onlinereports), denen zufolge eine Firma in Oberdorf, welche weltweit orthopädische Implantate vertreibt, chirugische Fortbildungskurse für Eingriffe am Sprunggelenk organisiert und zu diesem Zweck Leichenfüsse aus den USA importiert hatte. Die Medien wiesen darauf hin, dass der Import von Leichenteilen zum Zweck der medizinischen Aus-, Weiter- und Fortbildung in der Schweiz nicht gesetzlich geregelt ist.

Landrat Ivo Corvini, CVP/EVP-Fraktion, reichte daraufhin am 16. Februar 2006 eine Interpellation mit folgendem Wortlaut ein:


«Gemäss Bericht der NZZ am Sonntag vom 12.2.06 (vgl. Rückseite) fand im vergangenen Januar in Oberdorf/BL ein Kurs in praktischer Fuss-Chirurgie statt. Es wird darin ausgeführt, dass den 70 teilnehmenden Ärzten 40 Füsse zur Verfügung gestellt wurden, die aus den USA importiert worden waren. Der Organisator sagte, dass die Ethikkommission diesen Kurs vor einigen Jahren bewilligt hätte. Demgegenüber hält der Präsident der Ethikkommission beider Basel fest, dass er keine Kenntnis vom Kurs in Oberdorf gehabt hätte. Ebenfalls keine Kenntnis dieses Kurses hatte der Baselbieter Kantonsarzt, der wie folgt zitiert wird: „Wer garantiert denn, dass die Füsse wirklich aus den USA stammen und nicht aus einem chinesischen Gefängnis?"


Ich bitte den Regierungsrat um schriftliche Beantwortung folgender Fragen:




Antwort des Regierungsrates zu den einzelnen Fragen


1. Wurde im vergangenen Januar der im erwähnten Zeitungsbericht geschilderte Fuss-Chirurgie-kurs durchgeführt? Wenn ja, hatte die zuständige staatliche Stelle Kenntnis davon, dass dabei Füsse zur Verfügung gestellt wurden, die aus den USA importiert worden waren? War der Kurs bewilligungspflichtig und wurde eine solche Bewilligung erteilt? Wenn ja, von wem?


In der Schweiz und im engeren Sinn im Kanton Basel-Landschaft besteht für den Import und die Verwendung von menschlichen Leichenteilen zur medizinischen Fort- und Weiterbildung keine Bewilligungspflicht. Die Volkswirtschafts- und Sanitätsdirektion hatte daher keine Kenntnis vom betreffenden Kurs. Sie ist allerdings darüber informiert, dass in Oberdorf häufig operationstechnische Kurse für Chirurgen und Orthopäden durchgeführt werden, wobei in der Regel an Kunstknochen geübt wird. Nach Bekanntwerden des Kurses mit Leichenfüssen hat die Volkswirtschafts- und Sanitätsdirektion umgehend mit der betreffenden Firma Kontakt aufgenommen und eine freiwillige Meldung künftiger Importe vereinbart.




2. Wie und wo ist die Überprüfung der Wissenschaftlichkeit und der ethischen Vertretbarkeit der Verwendung von Leichenteilen geregelt? Welche Grundsätze gelten dabei und wie ist das Verfahren geregelt?


In der Schweiz sind deutlich weniger Menschen als in anderen Ländern bereit, ihren Körper nach dem Tod der Medizin zu vermachen. Für die Ausbildung von Medizinstudenten und -studentinnen, das Erlernen von besonderen chirurgischen Techniken und für Forschungsvorhaben besteht daher ein Mangel an Leichen und Organen, was zu einem Import von Leichenteilen aus dem Ausland geführt hat. Auf Bundesebene sind Gesetze und Verordnungen in Vorbereitung, welche die Verwendung für Transplantationen und im Rahmen von Forschungsvorhaben regeln werden (Verordnungen zum Transplantationsgesetz, Humanforschungsgesetz). Die Verwendung von Leichenteilen für die Aus- und Fortbildung wird durch diese Gesetze nicht geregelt.


Der Regierungsrat ist der Ansicht, dass aus ethischen Überlegungen die Herkunft importierter Organe und Leichenteile rückverfolgbar sein muss. Alle eingeführten Organe und Leichenteile müssen freiwillig gespendet worden sein. Die Verwendung muss im Einklang mit den Gesetzen des Herkunftslandes erfolgen. Wenn akzeptiert wird, dass in der heutigen Situation der Import von Leichenteilen zur Sicherung der medizinischen Fortbildung, für das Erlernen besonderer chirurgischer Techniken durch ausgebildete Chirurgen in der Schweiz unumgänglich ist, so sollte dafür ein gesetzlicher Rahmen geschaffen werden. Leichenteile sollten nur mit einem Herkunftszertifikat eingeführt werden dürfen; die Verwendung für Fortbildungszwecke sollte einer Meldepflicht an die zuständige Gesundheitsdirektion unterliegen.




3. Gemäss Vereinbarung Ethikkommission beider Basel (SGS 901.31) beurteilt die Ethikkommission Forschungsversuche am Menschen. Fällt unter diesen Begriff auch die Verwendung von Leichenteilen für die medizinische Aus-, Weiter- und Fortbildung? Wenn nein, wie ist dieser Bereich geregelt? Besteht nach Meinung des Regierungsrates hier Handlungsbedarf?


Die Ethikkommission beider Basel (EKBB) hat in der Vergangenheit ein einzelnes Gesuch, das die Verwendung von Leichenteilen an einem Kongress in Basel-Stadt betraf, bearbeitet. Die medizinische Fortbildung stellt aber keinen Forschungsbereich dar und wird heute auch juristisch nicht als solcher betrachtet. Demzufolge gehört die Beurteilung von Fortbildungsvorhaben nicht zu den obligaten Aufgaben der EKBB. Die Verwendung von Leichenteilen zu diesem Zweck muss demzufolge der Kommission nicht routinemässig vorgelegt werden.


Eine gesetzliche Gleichstellung der Fortbildung an Leichenteilen mit Forschungsvorhaben ist aber denkbar. Der Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft ist der Ansicht, dass die gesetzliche Regelung nicht auf kantonaler Ebene erfolgen sollte. Hier sollte unbedingt eine eidgenössische Norm angestrebt werden. Sollte dies nicht möglich sein, so behält sich der Regierungsrat eine regionale Regelung in Absprache mit dem Nachbarkanton Basel-Stadt vor.


Die Volkswirtschafts- und Sanitätsdirektion kann heute schon einzelne Probleme und Fragen an die EKBB herantragen und um ihre Stellungnahme bitten (§ 7 Ziffer 3 der Vereinbarung über die Einsetzung einer gemeinsamen Ethikkommission der Kantone Basel-Stadt und Basel-Landschaft vom 25. Januar 2000). Für eine obligatorische Überprüfung wäre eine Änderung der Vereinbarung erforderlich.




4. Zeichnet sich de lege ferenda im Zusammenhang mit dem Entwurf des Bundesgesetzes über die Forschung am Menschen betreffend Verwendung von Leichenteilen eine Änderung ab? Wenn ja, wie? Wird dabei die medizinische Aus- und Weiterbildung der Forschung gleichgesetzt?


Das in Vernehmlassung befindliche Bundesgesetz über die Forschung am Menschen (Humanforschungsgesetz, HFG) bietet eine gute Möglichkeit, den sensiblen Bereich der Organimporte in die Schweiz so zu regeln, dass das Vertrauen in die Herkunft importierter Leichenteile und Organe gewährleistet werden kann. Der Regierungsrat wird diese Anregung aus der Interpellation in seine Stellungnahme einbauen und anregen, dass die Verwendung von Leichenteilen zu Fortbildungszwecken der medizinischen Forschung gleichgestellt wird. Um zu vermeiden, dass die Fortbildung durch eine ausufernde Bürokratie und hohe Gebühren behindert wird, sind dafür eigene Bestimmungen in das Gesetz aufzunehmen, welche die Meldepflicht und den Herkunftsnachweis garantieren, aber gleichzeitig ein aufwändiges Bewilligungsverfahren vermeiden.


Liestal, 28. März 2006


Im Namen des Regierungsrates
die Präsidentin: Schneider-Kenel
der Landschreiber: Mundschin



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