2005-16 (1)


Herr Etienne Morel von der Landratsfraktion Grüne reichte am 13. Januar 2005 die Interpellation betreffend Staatskundeunterricht ein (2005/016). Die Interpellation hat folgenden Wortlaut:

„Ein qualitativ hoch stehender Staatskundeunterricht während der Ausbildung ist für die aktive Beteiligung am politischen Geschehen von entscheidender Bedeutung. Abgängerinnen und Abgänger der obligatorischen Schule müssen in der Lage sein, als mündige und souveräne Bürgerinnen und Bürger eigenständig wählen und abstimmen zu können. Für eine aktivere Partizipation der Jugendlichen in der Politik muss den jungen Menschen auch das nötige Know-how mitgegeben werden. Das ist eine wichtige Aufgabe des Kantons. In diesem Zusammenhang bitte ich den Regierungsrat um die schriftliche Beantwortung der folgenden Fragen.




A. Zur Situation der politischen Bildung in der Schweiz


Die Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) hat im Jahr 2000 den Bericht „Politische Bildung in der Schweiz" veröffentlicht. Beim Bericht handelt es sich um ein Gutachten, mit dessen Erstellung die EDK aus Anlass der Feierlichkeiten zum 150-jährigen Bestehen der revidierten Bundesverfassung von 1848 das Pädagogische Institut der Universität Freiburg beauftragt hatte. Neben einer Standortbestimmung und einer Einschätzung der Wirksamkeit der politischen Bildung in der Schweiz enthält der Bericht auch Empfehlungen für die künftige Konzeption staatsbürgerlicher Erziehung in den schweizerischen Schulen. Der Entscheid der EDK, die Universität Freiburg mit der Gutachtertätigkeit zu beauftragen, ist im Zusammenhang mit der Beteiligung der Schweiz an der der Studie der IEA (International Association for the Evaluation of Educational Achievement) zum Thema „Demokratie und Bildung in 28 Ländern, Politisches Verstehen und Engagement bei Vierzehnjährigen" (IEA Civic Education Study) zu sehen. Das Pädagogische Institut der Universität Freiburg hatte die schweizerische Projektleitung für diese Untersuchung inne, die von 1994 bis 2002 dauerte.




EDK-Bericht „Politische Bildung in der Schweiz"


Die von Prof. Dr. Fr. Oser und Dr. R. Reichenbach vorgenommene Standortbestimmung kommt zum Schluss, dass die Situation der staatsbürgerlichen Erziehung bzw. der politischen Bildung an den Schulen in der Schweiz Ende der 90er Jahre insgesamt nicht befriedige. Moniert werden im Gutachten u. a. folgende Punkte:


- Dialog und Kontroverse: Die politische Bildung unterliegt heute in gewisser Weise der allgemeinen (politischen) Vergleichgültigung in der Erwachsenenbevölkerung. Eine Revitalisierung der politischen Dimension im Leben und Handeln der Menschen in der Schweiz kann nicht erzwungen werden. Freilich kann die Schule diesen Tendenzen ein Stück weit entgegenwirken, indem sie stärker, als dies heute der Fall ist, zu einem Ort wird, an dem die Heranwachsenden den Dialog und zugleich die Kontroverse einüben und in ihrer eigenen Lebensweilt den Umgang mit der demokratischen Lebensform erfahren und lernen können.


- Lehrplan und staatsbürgerliche Erziehung: Bis zur 7. Klasse ist politischer oder staatsbürgerlicher Unterricht an den Schweizer Schulen nicht ausdrücklich vorgesehen. Politisch wichtige Sozialisationsprozesse an der Schule finden in den Lehrplänen bzw. in den öffentlich zu legitimierenden Absichten der Erziehung und des Unterrichts an der Volksschule keinen Niederschlag. Im Gutachen wird die Frage gestellt, ob es nicht richtig wäre, auf der Grundlage einer regelmässig wiederkehrenden Beschäftigung mit Fragen und Themen der politischen Bildung die Kinder und Jugendlichen entwicklungs- und stufengemäss in die demokratische Lebensform einzuführen.


- Bildungsstufenübergreifendes didaktisches Konzept der politischen Bildung: Es gibt an der Schule das offenkundige Problem, dass die unterschiedlichen Ziele der politischen Bildung gegenwärtig aus objektiven Gründen nur sehr schwer zu erfüllen sind. Der Streit zwischen Handlungsorientierung und Institutionenwissen, zwischen politischem Unterricht im weiteren Sinn (Sozial- und Gesellschaftskunde) und im engeren Sinn (Staatskunde) ist nicht allein, aber massgeblich auch Ausdruck einer akuten Ressourcenknappheit. Wenn sich der politische Unterricht nicht allein auf die Tradition der nach wie vor notwendigen demokratischen Institutionenlehre beziehen soll, dann ist einsichtig, dass er - unter den gegebenen unterrichtsorganisatorischen und didaktischen Bedingungen - den ihm auferlegten Ansprüchen nicht gerecht werden kann. Die Idee, dass politische Bildung fächerübergreifend- und fächerverbindend unterrichtet werden soll, kann nach Auffassung der beiden Experten nur umgesetzt werden, falls dafür ein bildungsstufenübergreifendes Konzept entwickelt wird. Dieses hätte zu gewährleisten, dass zentrale Inhalte, an denen sich Schülerinnen und Schüler politisch bilden können und auch sollten, unter einer besonderen demokratisch-politischen Optik behandlet werden können.


- Stellenwert des politischen Unterrichts an den Schweizer Schulen: Die untergeordnete Bedeutung des politischen Unterrichts drückt sich nach Auffassung der beiden Experten auch darin aus, dass er - jedenfalls während der obligatorischen Schulzeit - selten selektionsrelevant ist, da die darin vollbrachten Leistungen und Lernfortschritte kaum benotet werden. Nicht der Umstand des Nicht-Selektionierens bzw. des Nicht-Benotens ist beklagenswert, sondern der Umstand, dass weder klar noch geklärt ist, wie Schülerinnen- und Schülerkompetenzen der politischen Bildung angemessen beurteilt werden können.


Für die Gutachter ist es kaum möglich gewesen, allgemeine Aussagen zur Wirkung der staatsbürgerlichen Erziehung bzw. der politischen Bildung in der Schweiz zu machen. Zwar liegen Ergebnisse über den Stand des politischen Wissens, des politischen Interesses und der politischen Motivation der jungen Schweizerinnen und Schweizer, aber keine verlässlichen Rückschlüsse auf die Wirksamkeit der Schulen in diesem Bereich vor. Freilich gibt es einige Hinweise zur möglichen Wirkung des politischen Unterrichts festzuhalten:


- Variables, insgesamt aber mässiges politisches Wissen: Die Pädagogischen Rekrutenprüfungen sowie eine repräsentative Stichprobe von jungen Schweizerinnen anfangs der 90er Jahren haben gezeigt, dass das politische Wissen der jungen Schweizerinnen und Schweizer allgemein als mässig bezeichnet werden muss. Nur etwa zwei Drittel konnten 11 (oder mehr) von 21 Fragen richtig beantworten. Gleichzeitig hat die Untersuchung aber auch ergeben, dass ein positiver Zusammenhang zwischen dem eigenen „Politisiertsein" und der Wertschätzung der Unterrichtserfahrungen besteht. Eine deutliche Mehrheit (75%) hat berichtet, dass das im politischen Unterricht erworbene Wissen und Können sich für sie als nützlich erwiesen und das eigene politische Interesse positiv beeinflusst habe. Ebenso hängen politisches Desinteresse und Geringschätzung der staatsbürgerlichen Erziehung an der Schule zusammen: Bei der Minderheit (25%), welche sich nicht gern an den politischen Unterricht zurückerinnert, handelt es sich um junge Schweizerinnen und Schweizer, die kein grosses politisches Interesse besessen haben.


- Grosse Unterschiede zwischen den Kantonen: Bildungspolitisch interessant sind allerdings nicht nur die Globalresultate über das politische Wissen, sondern genauso die grossen Unterschiede zwischen den Kantonen. Eine Untersuchung Ende der 90er Jahre hat ergeben, dass das politische Schulwissen in den Kantonen Thurgau, Nidwalden, Basel-Landschaft, Solothurn, St. Gallen und Bern erheblich höher ist als in den Kantonen Tessin, Waadt, Neuenburg, Zug Freiburg, Genf und Graubünden. Diese Unterschiede deuten an, dass Schule und Unterricht wenigstens für die Wissensebene (Staatskunde) entscheidend sind.


- Wichtigkeit des Unterrichts für die politische Bildung der Heranwachsenden: Längsschnittstudien über die Entwicklung von politischen Handlungsorientierungen haben ergeben, dass dem Selbstkonzept der eigenen politischen Fähigkeiten im Jugendalter eine grosse Bedeutung für spätere politische Aktivitäten als Erwachsene beizumessen ist. Der Einfluss des Elternhauses und der Gleichaltrigengruppe ist unbeständig, für das politische Selbstkonzept bedeutsamer sind die politischen Anregungen, welche die Jugendlichen in der Schule erhalten. Dieses Resultat spricht für einen poltischen Unterricht in der Jugendzeit, der politisches Wissen vermittelt und die Fähigkeit fördert, zu politischen Themen kritisch Stellung zu nehmen, und auf diese Weise eine Brücke schlägt zwischen der Lebenswelt der Jugendlichen und dem Öffentlichkeitsbewusstsein.


- Mitbestimmungsmöglichkeiten an den Schulen: Als empirisch gesichert gilt, dass das politische Interesse im Jugendalter (zwischen 12 und 18 Jahren) zunehmend ansteigt und gleichzeitig auch die politische Analysekompetenz wächst, während das Vertrauen in den Staat und der Glaube in eine gerechte Welt geschwächt werden. Gesteigertes Misstrauen geht allerdings meistens mit gesteigerten Einsichten einher, das ist ein allgemeiner und kein bereichsspezifischer Zusammenhang. Eine wichtige Einflussgrösse auf die Entwicklung der politischen Fähigkeiten von Heranwachsenden stellen die schulischen Mitbestimmungsmöglichkeiten dar. Sie sind - in Ergänzung (nicht etwa als Ersatz) zur Vermittlung des politischen Wissens sowie der politischen Analysefähigkeit - ein herausragendes Übungsfeld für eine produktive Kultivierung des jugendlichen Geltungsbedürfnisses. Fest steht, dass Schule und Unterricht in der Regel nur wenig partizipativ und diskursiv gestaltet werden.


Das von der EDK angeforderte Gutachten erörtert abschliessend die Möglichkeiten für eine Verbesserung der politischen Bildung an den Schweizer Schulen und gibt Empfehlungen zu einer entsprechenden Didaktik ab:


- Auseinandersetzung mit Schlüsselproblemen: Wünschenswert ist eine Verschiebung der Inhalte politischer Bildung von rechtlich-institutionellen Thematiken zu solchen des demokratischen Zusammenlebens. Ein Thema wie „Minderheitenschutz" erlangt mit einer solchen Verschiebung in der inhaltlichen Planung des Unterrichts eine gleichwertige Bedeutung wie etwa das Thema „Mehrheitsregel". Es gibt in jeder Gesellschaft zu jeder Zeit politische Schlüsselprobleme. Wo immer möglich, sollte das Wissen um die Verfahren des Politischen im Unterricht möglichst anhand konkreter politischer Schlüsselprobleme aufgebaut und aktualisiert werden. Was ein Land politisch bewegt, sollte den 12- bis 18-jährigen Jugendlichen diskursiv zugänglich gemacht werden.


- Politische Geschichte: Politischer Unterricht muss die Geschichte der Entstehung eines Staastgebildes und von Staatengemeinschaften mit einbeziehen. Es muss erzählt werden, wie Aufstände niedergeschlagen wurden, Revolutionen gelungen und neues Unrecht hervorgebracht haben, politische Parteien Veränderungen verhindert und ermöglicht haben, Länder mit anderen Kriege geführt und abgewendet haben. Politik hat auch immer ihre skandalösen Seiten und die problematischen Zustände der Gegenwart haben immer auch mit Versagen in der Vergangenheit und in der Gegenwart zu tun. Diese Dynamik des Politischen sollte für die Schülerinnen und Schüler möglichst in erzählende politische Geschichte übersetzt werden.


- Wahrheitsdiskurse und Machtdiskurse: Während Wahrheitsfragen und moralische Fragen als Inhalte des Strittigen immer in den politischen Diskurs Eingang finden soll(t)en, sind politische Diskurse gleichwohl keine Wahrheits- oder moralischen Diskurse, sondern zu guter Letzt Machtdiskurse, in denen es darum geht, durch Überzeugen und/oder Überreden Mehrheiten zu gewinnen. Im politischen Unterricht ist dieser Unterschied immer wieder deutlich herauszuarbeiten. Wie auch immer wünschenswert es für die demokratische Erziehung und politische Bildung sein mag, in Konsensverfahren einzuführen und entsprechende Kompetenzen zu fördern, für demokratische Lebensformen wirklich entscheidend ist, dass mit Dissens gelebt werden kann. Es kommt darauf an, zunächst immer auf rationale Argumentation zu setzen, dann aber mit der Erfahrung, dass eindeutige Übereinstimmung kaum je erreicht werden kann, die Fähigkeit zu erlangen, auch Uneinigkeit auszuhalten und damit gewaltfrei bzw. „gesittet" umzugehen.


- Leistungsbeurteilung: Wenn politische Bildung ein Fach mit seriösen Denk- und Wissensinhalten ist, dann sind erbrachte Leistungen von den Lehrpersonen auch zu beurteilen und erworbene Fähigkeiten in Gebrauch zu nehmen. Richtig vorgenommene Analysen, die Anwendung von Regeln des vorwissenschaftlichen Arbeitens, die Zusammenstellung von Dokumenten, welche unterschiedliche Sichtweisen auf ein politisches Schlüsselproblem markieren, Erhebungen über politische Einstellungen, Diskursresultate als Rückmeldungen an die Klasse usw. können als Leistung gemessen und beurteilt werden. Erworbene Fähigkeiten anzuerkennen bedeutet aber auch, sie zu gebrauchen: Schulzeitungen und Radiosendungen mit politischen Inhalten, Podiumsdiskussionen über politische Themen usw. sind Anwendungen des Gelernten.


- Schule als (eingeschränkte) Polis: Die Schule kann in bestimmten Bereichen eine Polis sein, die den Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit bietet, demokratische Prozesse und Entscheidungsfindungen direkt und unmittelbar einzuüben und zu erfahren. Bereiche, die sich dafür anbieten, sind beispielsweise die Schulgestaltung, Regeln des sozialen Umgangs, Projekte zur Gestaltung von Kontakten mit der Aussenwelt usw. Hierzu kann eine Schulgemeinschaft über demokratische Verfahren Beschlüsse fassen, die anschliessend Geltung haben und das Schulleben grundlegend verändern können. Man sollte freilich nur dann von der Schule als (eingeschränkte) Polis sprechen, wenn Modelle angewendet werden, die etwas mit der Veränderung des politischen Denkens und Handelns der Schülerinnen und Schüler durch demokratische Partizipation zu tun haben.




IEA-Studie „Demokratie und Bildung in 28 Ländern"


Die IEA-Studie zur politischen Bildung im internationalen Vergleich ist in zwei Schritten durchgeführt worden. In einer ersten Phase (1994-1998) wurden anhand von qualitativen Fallstudien der gesellschaftliche Kontext und die Bedeutung der politischen Bildung in 24 Staaten untersucht und beschrieben 1 . Die Fallstudien zeigten, dass es in demokratischen Gesellschaften einen Kernbereich gemeinsamer Überzeugungen im Hinblick auf wichtige Themen der politischen Bildung gibt. Auf diese Erkenntnisse abgestützt, wurde ein Testverfahren entwickelt, mit dessen Hilfe ermittelt werden konnte, in welchem Mass Jugendliche im Alter von 14 Jahren demokratische Prinzipien und Prozesse kennen und verstehen. In einer zweiten Phase (1999 bis 2002) wurde in 28 Ländern bei insgesamt 90'000 Schülerinnen und Schülern der Grad des politischen Verstehens untersucht. Politisches Verstehen bezog sich dabei einerseits auf die Kenntnis von Grundlagen der Demokratie, andererseits auf die Fähigkeit, politische Informationen bzw. Zusammenhänge und Prozesse zu begreifen.


Im Folgenden seien einige Ergebnisse dieser international vergleichenden Befragung, welche im Jahr 2001 veröffentlicht worden sind 2 , zusammengefasst und die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Schweizer Resultate im Vergleich zu den übrigen Ländern bzw. zu den internationalen Durchschnittswerten gekennzeichnet:


- Grundlagenkenntnisse in Demokratie: Die Vierzehnjährigen kennen die grundlegenden Ideale und Verfahrensweisen der Demokratie. Die meisten Jugendlichen konnten Fragen richtig beantworten, die sich auf die fundamentalen Rechte und Pflichten der Staasbürgerinnen und -bürger beziehen. Ebenso wussten sie Bescheid über die Funktion zentraler demokratischer Institutionen sowie freier Wahlen. Grössere Schwierigkeiten hatten sie allerdings bei der Interpretation politischer Texte (z.B. bei der Bestimmung der politischen Position in einem fiktiven Werbetext). Die Jugendlichen aus der Schweiz haben in Bezug auf die politischen Grundkenntnisse Werte erreicht, die dem Durchschnitt aller untersuchten Länder entsprechen.


- Respektierung der Gesetze und Wahlbeteiligung: Die Vierzehnjährigen sind sich darin einig, dass gute Staatsbürgerinnen und -bürger die Gesetze respektieren und zur Wahl gehen. Im internationalen Durchschnitt gaben 80% an, dass sie als Erwachsene wahrscheinlich oder bestimmt von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen wollen. In Bezug auf die spätere Wahlbeteiligung weichen die Schweizer Jugendlichen allerdings markant vom IEA-Durchschnitt ab. Nur 52% aller befragten Schülerinnen und 58% aller Schüler gaben an, dass sie als Erwachsene zur Wahl gehen wollen. Im Unterricht der Sekundarstufe I scheint das Thema „Wahlen und Wahlbeteiligung" in den meisten Ländern noch eine untergeordnete Rolle zu spielen, im IEA-Durchschnitt gaben 55% der Jugendlichen an, dass die Bedeutung der Teilnahme an Wahlen im Unterricht behandelt worden ist (Schweiz: 44%).


- Praktische Einübung von Demokratie in der Schule: Die konkrete pädagogische Praxis in der Schule ist bedeutsam für die Vorbereitung der Jugendlichen auf ihre staatsbürgerliche Rolle. Schulen, in denen demokratische Werte alltäglich eingeübt werden - z.B. über die Herstellung eines offenen Diskussionsklimas oder die Aufforderung an die Schülerinnen und Schüler, das Leben an der Schule mitzugestalten - fördern das politische Verstehen und Engagement. Trotz der Wirksamkeit eines offenen und auf Mitgestaltungsrechte und -pflichten ausgerichteten Klimas stellt ein solcher Ansatz in den meisten Ländern offenbar keineswegs die Norm dar. Von den Jugendlichen versicherten z.B. 39%, häufig ermutigt zu werden, in Diskussionen während des Unterrichts frei die eigene Meinung zu äussern. Rund 25% gaben an, dass dies selten oder nie der Fall ist. Indirekt bestätigen die Äusserungen der Lehrerinnen und Lehrer die Aussagen der Schülerinnen und Schüler. International dominieren an den Schulen lehrerzentrierte Methoden wie die enge Orientierung an Lehrbüchern und Arbeitsblättern sowie das Abfragen von Erlesenem oder Auswendiggelerntem das Unterrichtsgeschehen im Bereich der politischen Bildung. Hinsichtlich des Vertrauens auf die Möglichkeiten, das Leben in der Schule mitgestalten zu können, lagen die Jugendlichen aus der Schweiz signifikant unterhalb, hinsichtlich des Vertrauens auf ein offenes Diskussionsklima in der Klasse signifikant oberhalb des IEA-Mittelwerts.


- Konventionelle Formen der politischen Mitwirkung: Ausgenommen die beabsichtigte Teilnahme an Wahlen, glauben die Vierzehnjährigen nicht daran, dass konventionelle Formen der Mitwirkung an politischen Entscheidungsprozessen für sie sonderlich wichtig sind. Die überwiegende Mehrheit - vier von fünf Vierzehnjährigen - gab an, nicht die Absicht zu haben, dereinst als erwachsene Person z.B. sich (via Leserinnen- und Leserbriefe in der Zeitung) an öffentlichen politischen Diskussionen beteiligen, einer Partei beitreten oder für ein politisches Amt in der Gemeinde kandidieren zu wollen. Im Vergleich zu den Jugendlichen anderer Länder fiel die Bereitschaft schweizerischer Schülerinnen und Schüler zu solchen Aktivitäten noch geringer aus. Für Formen des zivilen und politischen Engagements, soweit es nichts mit Parteipolitik und Wahlkampf zu tun hat, zeigen sich die Vierzehnjährigen hingegen offener. Im internationalen Durchschnitt gaben 59% der Jugendlichen an (in der Schweiz 55%), dass sie als Erwachsene bereit sein werden, für einen guten Zweck Geld zu sammeln. 45% (in der Schweiz 42%) äusserten ihre Bereitschaft, als Erwachsene für ein öffentliches Anliegen Unterschriften zu sammeln. 44% (in der Schweiz 40%) konnten sich vorstellen, als Erwachsene an gewaltfreien Demonstrationen teilzunehmen. Alles in allem betrachten die Vierzehnjährigen die Mitgliedschaft von Erwachsenen in Initiativen oder Organisationen, die einem bestimmten gesellschaftspolitisch relevanten Thema oder Anliegen verpflichtet sind, als eine gute Möglichkeit, der Verantwortung als Bürgerin oder Bürger nachzukommen.


- Hauptmedium für die politische Information: In fast allen Ländern sind die Nachrichtenprogramme der Fernsehsender für die Vierzehnjährigen die wichtigste politische Informationsquelle. 86% der Befragten (in der Schweiz 84%) gaben an, dass sie häufig oder zumindest manchmal Nachrichtensendungen sehen. Zeitungen rangierten an zweiter Stelle (international: 68%, Schweiz: 65%), gefolgt von Nachrichten im Radio (international: 55%, Schweiz: 59%). In den meisten Ländern äusserte eine (allerdings nicht sonderlich ausgeprägte) Mehrheit der Jugendlichen Vertrauen gegenüber den Nachrichtenmedien. Am stärksten vertrauten sie den Fernsehnachrichten (62%), gefolgt von den Nachrichtensendungen im Radio (54%) und den politischen Meldungen in den Zeitungen (52%). Rund die Hälfte aller befragten Schweizer Jugendlichen vertraut je zu etwa gleichen Teilen den Fernseh-, Radio- und Zeitungsnachrichten (53, 54 und 51%).


- Vertrauen in die staatlichen Institutionen: Die Legitimität der demokratischen Staatsform in einem Land hängt stark vom Vertrauen ab, das ihr die Bürgerinnen und Bürger entgegenbringen. Vierzehnjährige sind bereits Teil einer politischen Kultur, und ihre Reaktionen auf die Befragung belegen Ausprägungen des Vertrauens sowie Vorstellungen über die sozialen und volkswirtschaftlichen Aufgaben der Regierung, wie sie aus Erhebungen bei Erwachsenen bekannt sind. Insgesamt hatte das Vertrauen der Jugendlichen in die staatlichen Institutionen durchaus Grenzen. Den Gerichten und der Polizei bringen die Vierzehnjährigen am meisten Vertrauen entgegen (20 bis 25% immer, 40 bis 45% meistens). Die Landesregierungen und die lokalen Behörden nehmen eine mittlere Position ein, rund 10% vertrauen ihnen immer und 40% meistens. Am schlechtesten schnitten bei den vierzehnjährigen Jugendlichen die politischen Parteien ab: uneingeschränktes Vertrauen erhalten sie von 4%, rund 24% vertrauen ihnen meistens. Signifkant grösser als im internationalen Durchschnitt ist unter den Schweizer Jugendlichen das Vertrauen in die exekutiven Behörden.


- Politische Rechte für Frauen und Zugewanderte: Die Vierzehnjährigen in den untersuchten Ländern hegen im Allgemeinen positive Einstellungen gegenüber den politischen und ökonomischen Rechten von Frauen. Rund 90% sind der Auffassung, dass Frauen und Männer gleiche Rechte haben, und 88%, dass Frauen berufstätig sein und für gleiche Arbeit den gleichen Lohn erhalten sollen. Die Unterstützung der politischen und ökonomischen Rechte der Frauen ist bei den Jugendlichen aus der Schweiz noch ausgeprägter als im internationalen Durchschnitt.


90% der vierzehnjährigen Schülerinnen und Schüler sind der Meinung, dass Zugewanderte dieselben Rechte auf Bildung haben sollen wie die einheimische Bevölkerung. Rund 75% vertreten auch die Ansicht, dass Ausländerinnen und Ausländer das Recht haben sollen, ihre Sitten und Gebräuche zu bewahren, ihre Herkunftssprache zu pflegen und an Wahlen teilzunehmen. Freilich gibt es zwischen den Ländern beträchtliche Minderheiten, die den zugewanderten solche Rechte verweigern wollen. In Bezug auf die Einstellung zu den Rechten der Ausländerinnen und Ausländer sind die Schweizer Jugendlichen deutlich negativer eingestellt, der schweizerische Mittelwert liegt signifikant niedriger als der internationale. Dieser Unterschied lässt sich nicht einfach durch den relativ hohen Anteil der Migrations- an der Gesamtbevölkerung erklären, entscheidend scheint vielmehr zu sein, ob die einheimische Bevölkerung eine Zuwanderung mehrheitlich eher begrüsst oder eher ablehnt.


In allen Ländern setzten sich die vierzehnjährigen Schülerinnen viel stärker für die Rechte der Frauen ein als die Schüler. Diese Geschlechterdifferenz zeigt sich in der Schweiz auch bei der Einstellung gegenüber den Ausländerinnen und Ausländern; weibliche Jugendliche unterstützen die Rechte der Migrationsbevölkerung ausgeprägter als männliche.


- Bedeutung der politischen Bildung aus der Sicht der Lehrpersonen: Die Lehrerinnen und Lehrer, die mit der politischen Bildung an den Schulen betraut sind, haben von Land zu Land vor ihrer Unterrichtstätigkeit ganz unterschiedliche fachwissenschaftliche Ausbildungen durchlaufen und nicht allesamt ein Geschichtsstudium absolviert. International betrachtet fühlen sich die Lehrpersonen alles in allem wohlgerüstet für die Aufgabe, Jugendliche auf ihre Rolle in der Gesellschaft vorzubereiten. Nach eigener Auskunft orientieren sie sich dabei sowohl an den Bedürfnissen und Interessen der Jugendlichen auf der Sekundarstufe I als auch an den jeweils geltenden Lehrplänen und weiteren Richtlinien. Diese „Selbstaussagen" stehen allerdings in einem gewissen Widerspruch zu anderen Daten, welche die IEA-Studie unter den Lehrkräften erhoben hat. So neigen die Lehrkräfte zu einem Ideal der politischen Bildung, das der Kritikfähigkeit der Schülerinnen und Schüler einen hohen Stellenwert zuordnet, ihr Unterricht ist allerdings nach eigenen Angaben vorwiegend durch die Vermittlung von Faktenwissen, gestützt auf Arbeitsblätter und Lehrmittel, bestimmt. Ausserdem sprechen viele Lehrkräfte auch davon, dass die Qualität der politischen Bildung erhöht werden könnte, wenn dafür bessere Lehr- und Lernmaterialien, eine gründlichere fachwissenschaftliche und fachdidaktische Ausbildung sowie mehr Unterrichtszeit zur Verfügung stehen würden. Die hier zusammengefassten Befunde treffen in den Grundzügen auch auf die befragten Lehrpersonen aus der Schweiz zu.




Zur Weiterentwicklung der politischen Bildung an den Schweizer Schulen


Auf theoretischer und vielfach auch auf schulpraktischer Ebene hat sich die Didaktik der politischen Bildung in den zurückliegenden zwanzig Jahren verändert. Gleichzeitig ist festzustellen, dass der eingetretene Wandel bislang erst ansatzweise systematisch geordnet und ein neues, in sich stimmiges Konzept der politischen Bildung noch keinen Eingang in die Lehrpläne gefunden hat. In der Unterrichtspraxis trifft man daher inzwischen je nach Kanton unterschiedliche Traditionen der Didaktik der politischen Bildung an. Die Spannbreite reicht von der Staatskunde (Institutionenlehre) über die Staatsbürgerinnen- und Staatsbürgerkunde (welche stärker die demokratische Partizipation des Einzelnen in der Zivilgesellschaft und im Staat in den Mittelpunkt stellt) bis hin zur allgemeinen Gesellschafts- und Sozialkunde. Kennzeichnend für den eingetretenen Wandel ist zum einen die Ausweitung der Ziele der politischen Bildung von der Aneignung eines abgrenzbaren staatspolitischen Fachwissens bis hin zum Erwerb überfachlicher Handlungskompetenzen bzw. demokratischer Schlüsselkomptenzen, zum anderen vielfach aber auch eine gewisse Beliebigkeit bei der Unterrichtsplanung und Unterrichtsdurchführung im Bereich der politischen Bildung. Die Ausweitung der Ziele birgt jedenfalls die Gefahr in sich, dass sehr viele Unterrichtsinhalte zu Gegenständen der politischen Bildung werden, zugleich aber nicht mehr klar ist, worauf es bei der politischen Bildung der Heranwachsenden ankommt bzw. gemäss Lehrplansetzung ankommen soll und womit sich die Schülerinnen und Schülern auf den jeweiligen Bildungsstufen (Primarstufe, Sekundarstufen I und II) eingehender auseinandersetzen können sollen.


Das Gutachten der EDK zur politischen Bildung in der Schweiz hat diese Schwachstellen benannt und im Kern empfohlen, den Staatskundeunterricht im Sinne der Institutionenlehre auf eine Staatsbürgerinnen- und Staatsbürgerkunde auszuweiten, gleichzeitig aber davon abzusehen, die politische Bildung an den Schulen in der allgemeinen Gesellschafs- und Sozialkunde aufzuheben. Die Staatsbürgerinnen- und Staatsbürgerkunde zielt vor allem auf ein Demokratie-Lernen, das Schülerinnen und Schüler darin unterstützt, sich sowohl als Jugendliche als auch später als Erwachsene aktiv, eigenverantwortlich und möglichst auch komptetent an Entscheidungsprozessen zu beteiligen und dabei gleichzeitig Rechte einzufordern und Plichten und Aufgaben zu übernehmen. Das Konzept, das der IEA-Studie zugrunde gelegt worden ist, ist weitgehend diesem erweiterten Verständnis von „Staatskundeunterricht" verpflichtet und versucht aufzuzeigen, wie gut die Vierzehnjährigen in 28 Ländern am Ende des 20. Jahrhunderts die Demokratie gelernt haben und wie wichtig ihnen die demokratische Lebensform tatsächlich ist. Der Befund gibt nicht Anlass dazu, durchwegs enttäuscht zu sein, er zeigt aber auf, dass in der Schweiz ebenso wie in allen anderen untersuchten Ländern es wichtig ist, das demokratische Denken, Wissen und Handeln der Heranwachsenden zu stärken und zu vertiefen und möglichst die festgestellten Unterschiede in diesen Fähigkeiten, die gleichzeitig auch immer „Tugenden" sind, unter den Jugendlichen stärker auszugleichen. Der Bewusstmachung dieses Anliegens dient auch das Europäische Jahr der Politischen Bildung, das der Europarat für 2005 ausgerufen hat und an dem sich die Schweiz beteiligt. Das eidgenössische Staatssekretariat für Bildung und Forschung sowie die EDK haben dafür gemeinsam das Patronat übernommen (das Programm wird im Mai 2005 der Öffentlichkeit bekannt gemacht).


Die EDK hat sich ferner im Jahr 2004 mit der Frage befasst, ob auf nationaler Ebene die offenen Fragen zur poltisichen Bildung an den Schweizer Schulen aufgegriffen werden sollen und ein koordiniertes Konzept für einen erneuerten Staatsbürgerinnen- und Staatsbürgerunterricht (von der éducation civique zur éducation a la citoyenneté) erarbeitet werden soll. Da zum einen zur Zeit die Neukonzeption der politischen Bildung im Rahmen von PECARO (einem erstmals entwickelten Rahmenlehrplan für die Volksschule aller romanischen Kantone in der Schweiz) geklärt wird und in der deutschsprachigen Schweiz die Kantone Bern, Zurich, Sankt Gallen und Aargau zusammen mit dem Interkantonalen Lehrmittelzentrum an einem entsprechenden Konzept für die Schulen in der deutschsprachige Schweiz arbeiten, hat der Vorstand der EDK am 29. April 2004 beschlossen, die Frage eines nationalen Curriculums für die poltische Bildung vorerst nicht in ihr Tätigkeitsprogramm aufzunehmen.




B. Allgemeine Bemerkungen zur Situation der poltischen Bildung an den basellandschaftlichen Schulen


Der Regierungsrat ist der Auffassung, dass der Staatskundeunterricht im engeren Sinne im Kanton Basel-Landschaft gut verankert ist und im Rahmen der verfügbaren Ressourcen insbesondere an den berufsbildenden und allgemeinbildenden Schulen in guter Qualität und mit grossem Engagement seitens der damit beauftragten Lehrpersonen erteilt wird. Erfreulich ist ebenfalls, dass der neue Stufenlehrplan für die Sekundarschule in diesem Bereich eine Klärung herbeigeführt und hinsichtlich des Erwerbs der grundlegenden Kenntnisse des politischen Systems der Schweiz verbindliche und überprüfbare Lernziele definiert hat. Der Regierungsrat erachtet es für wichtig, dass an der Vermittlung des demokratischen Institutionenwissens an den Schulen festgehalten und dieses nicht durch andere Anliegen und Aufgaben der politischen Bildung verdrängt wird.


Erkennbar ist gleichzeitig, dass sich die öffentlichen Schulen im Kanton Basel-Landschaft seit einigen Jahren stärker darum bemühen, den Staatskundeunterricht weiter zu entwickeln und ihn mit einer politischen Bildung im Sinne eines handlungsorientierten und aktiven Demokratie-Lernens zu verknüpfen. Zahlreiche Beispiele dafür finden sich vor allem auf der Sekundarstufe II, etwa dort, wo im Staatskundeunterricht poltische Schlüsselprobleme wie die Migration aufgegriffen und in Anerkennung der damit einhergehenden Kontroversen unter den Jugendlichen vertieft behandelt werden, oder wenn - wie dies heute die Schulen der Sekundarstufe II regelmässig tun - bei Wahlen und Abstimmungen Gäste aus der Politik zu Podiumsveranstaltungen in den Schulen eingeladen werden bzw. mit den Schülerinnen und Schülern über wichtige poltische Fragen und Probleme diskutieren. Für wichtig und begrüssenswert erachtet der Regierungsrat ferner die Bemühungen und Anstrengungen der Schulleitungen und Kollegien, den Schülerinnen und Schülern handlungsorientierte und für sie relevante praktische Partizipationsmöglichkeiten in den Schulen zu eröffnen, sei es in Form von Schülerinnen- und Schülerparlamenten, die in Bezug auf klar abgegrenzte Bereiche des schulischen Zusammenlebens den Kindern und Jugendlichen auf der Grundlage demokratischer Verfahren Mitbestimmungsrechte einräumen, sei aber auch z.B. in Form eines Mediationsprojekts wie an der Sekundarschule Gelterkinden, bei dem Schülerinnen und Schüler direkt und unmittelbar Verantwortung für das demokratische Miteinander übernehmen und mit Konflikten gewaltfrei, dafür aber diskursiv umzugehen lernen können.


Der Regierungsrat erachtet es auch für wichtig, dass in den kommenden Jahren auf interkantonaler Ebene - sei es in den Sprachregionen, sei es gesamtschweizerisch - die Frage eines erneuerten bildungsstufenübergreifenden didaktischen Konzepts für die politische Bildung geklärt und in den Lehrplänen der Volksschule sowie der berufs- und allgemeinbildenden Schulen verankert wird. Mehr oder weniger bekannt ist, welches die Themen sind, auf welche ein derartiges Konzept einzugehen hat: politisches Wissen über Inhalte, politische Interpretationsfähigkeiten, Konzepte von Demokratie und Citoyenität, Einstellungen zu wichtigen poltischen Themen (Schlüsselprobleme) sowie (politische) Aktivitäten im Zusammenhang mit Partizipation. Noch unzureichend geklärt ist, wie ein solches erweitertes Konzept der politischen Bildung an den Schulen stufen- und entwicklungsgemäss umgesetzt werden kann. Wichtige Hinweise dafür erwartet der Regierungsrat vorerst vom bereits erwähnten Projekt der Kantone Bern, Zurich, Sankt Gallen und Aargau.




C. Beantwortung der einzelnen Fragen


Zur 1. Frage: „Wie ist der Staatskundeunterricht in unserem Kanton rechtlich verankert?"


Der Staatskundeunterricht bzw. die politische Bildung der Schülerinnen und Schüler ist rechtlich auf der Sekundarstufe I und II in den Lehrplänen verankert.




Zur 2. Frage: „Wie ist der Staatskundeunterricht im Einzelnen für die Sekundarstufe I und II geregelt?"


An der Sekundarschule ist der Staatskundeunterricht im engen Sinne dem Fach Geschichte zugeordnet. Das Grobziel umschreibt der Stufenlehrplan vom 15. September 2004 wie folgt: „Pflichten, Rechte und Institutionen des Staates und seiner Bürgerinnen und Bürger kennen lernen und verstehen (Gemeinde, Kanton, Eidgenossenschaft)." In den Treffpunkten für das 9. Schuljahr ist verbindlich festgehalten, dass die Schülerinnen und Schüler aller drei Niveaus (A, E und P) die Organisation und die wichtigsten Institutionen der schweizerischen Demokratie kennen. Darüber hinaus müssen die Schülerinnen und Schülerinnen der Niveaus E und P unterschiedliche Staats- und Regierungsformen, die Organisation der Referendumsdemokratie und einer überinstitutionalen Institution kennen.


An den Berufsschulen und an den Schulen des Kaufmännischen Vereins auf der Sekundarstufe II ist der Staatskundeunterricht Bestandteil der Allgemeinbildung und in den Schullehrplänen geregelt. Ziel des Unterrichts ist eine vertiefte Kenntnis des poltischen Systems der Schweiz. Inhaltlich werden die Institutionen, die Grund- und Volksrechte, Interessengruppen und Lobbies sowie die Möglichkeiten individueller Einflussnahme auf die Poltik und deren Bedeutung behandelt. Ein wichtiges Thema des Staatskundeunterrichts an den berufsbildenen Schulen ist ausserdem die Migration. Behandelt werden dabei die wichtigsten Menschenrechte, die Ursachen und Hintergründe für die Migrationsbewegungen sowie das Fremdsein und Nicht-Fremdsein der Jugendlichen in ihrem eigenen Lebens- und Arbeitsumfeld. Die zu erreichenden Lernziele sind jeweils klar und überprüfbar umschrieben.


Der Staatskundeunterricht an den Gymnasien (Maturaabteilung, Diplomabteilung und Fachmaturitätsschule) ist gleichfalls in den Lehrplänen geregelt (gewöhnlich im Fach Geschichte, an der Diplommittelschule im Fachbereich Gesellschaft). Gemeinsam ist den Lehrplanvorgaben die Ausrichtung auf einen Geschichtsunterricht, der grundlegende Kennntnisse und Perspektiven für die Gegenwartsorientierung und das Gegenwartsverständis der Schülerinnen und Schüler vermittelt und die dafür notwendigen Grundfertigkeiten fördert (z.B. die historische Dimension der Gegenwart begreifen, historische und aktuelle Probleme angemessen in Worte fassen und miteinander verknüpfen, Tatsachen und Meinungen unterscheiden, kontroverse Meinungen würdigen und einordnen können). Wie an den Berufschulen sollen die Schülerinnen und Schüler vertiefte Kenntnisse über das poltische System in der Schweiz kennen lernen (Staatsaufbau, Rechte und Pflichten, Partizipation und Entscheidungswege, Parteien, Wirtschafts- und Sozialpolitik, Aussenpolitik).




Zur 3. Frage: „Sieht der Regierungsrat eine Verbindung zwischen der tiefen Stimmbeteiligung (insbesondere der Jugendlichen) und der Qualität des Staatskundeunterrichts?"


Sowohl an den berufsbildenden als auch an den allgemeinbildenden Schulen der Sekundarstufe II ist es heute üblich, wichtige Abstimmungen und Wahlen im Unterricht zu thematisieren und Podiumsdiskussionen mit Gästen aus der Politik zu veranstalten. Die Schulen besuchen mit den Schülerinnen und Schülern auch Gerichtsverhandlungen sowie Sitzungen des Landrats und der Eidgenösischen Räte. Die Jugendlichen sind im Unterricht mehrheitlich an poltischen Fragen und Diskussionen interessiert. beliebt sind unter ihnen auch die erwähnten Sonderveranstaltungen.


Aufgrund des im Kanton Basel-Landschaft gut geregelten Staatskundeunterrichts sowie des überdurchschnittlichen Engagements, womit die berufsbildenen und allgemeinbildenden Schulen der Sekundarstufe II die Jugendlichen an staatsbürgerliches Wissen und und politische Diskussionen heranführen, kann der Regierungsrat keinen direkten Zusammenhang zwischen der tiefen Stimmbeteiligung unter den Jugendlichen und der Qualität des Staatskundeunterrichts im Kanton Basel-Landschaft erkennen.


Politisches Verhalten, so auch die Stimm- bzw. Wahlbeteiligung, wird von vielen Faktoren beeinflusst und deren Wirkungszusammenhänge sind hoch komplex. Schülerinnen und Schüler lernen durch den Unterricht, durch Diskussion und Kontroversen, durch ihre Erfahrungen in der Altersgruppe, mit dem Elternhaus und den Erwachsenen in ihrem Lebensumfeld und im Umgang mit den Medien. Jede dieser Komponenten hat ihren eigenen Stellenwert in Prozessen der politischen Bildung.




Zur 4. Frage: „Ist die Regierung der Meinung, dass der Staatskundeunterricht in unserem Kanton qualitativ und quantitativ ausreichend ist?"


Soweit es den Staatskundeunterricht im engen Sinne anbelangt (Vermittlung des notwendigen Institutionenwisssens und Behandlung von politischen Schlüsselproblemen) vertritt der Regierungsrat die Auffassung, dass die für diesen Bildungsbereich zur Verfügung stehenden Ressourcen sowohl quantitativ als auch qualitativ ausreichen. Für die Leitungen der Schulen auf der Sekundarstufe II sowie für das Amt für Volksschulen sind die vorhandenen Zeitgefässe zwecks Erteilung des Staatskundeunterrichts angemessen. Auch stellen die Schulleitungen der Sekundarstufe II fest, dass die Lehrpersonen den Teilbildungsbereich „Staatskunde" gern, engagiert, fachlich kompetent und aktualiätsbezogen unterrichten; es handelt sich dabei in keiner Weise um ein „verwaiste" Domäne. Das Amt für Volksschulen nimmt an, dass der staatsbürgerliche Unterricht auf der Sekundarstufe I in der Vergangenheit qualitativ unterschiedlich, weil stark lehrpersonenabhängig gewesen ist. Mit dem neuen Stufenlehrplan, der auch für diesen Teilbildungsbereich Grobziele umschreibt sowie überprüfbare Treffpunkte bezeichnet, wird die Qualität des Staatskundeunterrichts auf der Sekundarstufe I zugunsten der Schülerinnen und Schüler in Zukunft einheitlicher und konsistenter ausfallen.


Es sei an dieser Stelle auch nochmals darauf verwiesen, dass eine interkantonale Untersuchung ergeben hat, dass die basellandschaftlichen Schülerinnen und Schülern vergleichsweise ein höheres politisches Wissen besitzen als Gleichaltrige in einer ganzen Reihe anderer Kantone.




Zur 5. Frage: „Welche für den staatsbürgerlichen Unterricht konzipierten Lehrmittel stehen den Schulen im Kanton zur Verfügung?"


Für den Staatskundeunterricht auf der Sekundarstufe I gibt es kein offizielles Lehrmittel und auf der Sekundarstufe II besteht Lehrmittelfreiheit. Die Sekundarschullehrpersonen stellen die Unterrichtsmaterialien eigenständig zusammen, auf der Sekundarstufe II wird im berufsbildenden Bereich vielfach das Lehrmittel „Der Staat. Politisches Grundwissen und Zusammenhänge" von J. Fuchs verwendet, an den allgemeinbildenden Schulen greifen die Lehrpersonen gewöhnlich auf die beiden Lehrmittel „Politszene Schweiz. Politik und Wirtschaft heute" von M. Fenner, R. Hadorn und R. Strahm sowie „Das Werden der modernen Schweiz. Die Schweiz im 20. Jahrhundert" von J. Hardegger u.a. zurück.




Zur 6. Frage: „Wenn Lehrmittel existieren, nehmen diese auf die basellandschaftliche Begebenheiten Rücksicht?"


Eine Darstellung der spezifischen Gegebenheiten im Kanton Basel-Landschaft ist in den erwähnten Lehrmitteln nicht gegeben. In Hinsicht auf die politische Geschichte können sich die Lehrpersonen auf die neue Baselbieter Geschichte „Nah dran, weit weg. Geschichte des Kantons Basel-Landschaft" abstützen, worin viel gerade auch für den Unterricht geeignetes Material versammelt ist. In Hinsicht auf das die basellandschaftlichen Verhältnisse betreffend Institutionenwissen zur politischen Bildung gibt das Politische Glosser auf der von der Landeskanzlei betreuten Internetseite „Der Kanton Basel-Landschaft für Schülerinnen und Schüler" Auskunft.




Zur 7. Frage: „Sieht der Regierungsrat Handlungsbedarf (wie z.B. Ausdehnung des Unterrichts, Einführung eines eigenständigen Unterrichtsfaches, neue Lehrmittel)?"


Nein, der Regierungsrat sieht keinen akuten Handlungsbedarf. Er erachtet weder eine Ausdehnung des Staatskundeunterrichts im engeren Sinne noch die Einführung von Staatskunde als eigenständiges Unterrichtsfach an allen öffentlichen Schulen für erforderlich. Die auf dem schweizerischen Lehrmittelmarkt zugänglichen Unterrichtsmaterialien genügen und ein auf die basellandschaftlichen Gegebenheiten zugeschnittenes Staatskundelehrmittel ist nicht nur entbehrlich, sondern wäre in gewisser Weise auch unzeitgemäss. Die Weiterentwicklung der Fachdidaktik des staatsbürgerlichen Unterrichts ist in Zukunft eine Aufgabe, die von den Pädagogischen Hochschulen im Verbund mit den Universitäten einerseits und den öffentlichen Schulen andererseits wahrgenommen werden wird. Dies bedeutet auch, dass die Entwicklung und Produktion von qualitativ hochwertigen Lehrmitteln mehr und mehr zumindest auf die vier Sprachregionen der Schweiz ausgerichtet sein wird. Die schweizerischen Lehrmittel ergänzende Materialien, mit deren Hilfe in verschiedenen Bildungsbereichen kantons- und gemeindespezifische Inhalte und Zusammenhänge aufgegriffen werden können, stellen die Schulhausteams bzw. Fachschaften zusammen oder sie werden, wie dies bereits heute vielfach der Fall ist, als Handreichungen für die Lehrpersonen und/oder die Schülerinnen und Schülern den Lehrplänen beigefügt und ins Internet eingestellt.


Liestal, 3. Mai 2005


Im Namen des Regierungsrates
Der Präsident: Ballmer
Der Landschreiber: Mundschin



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Fussnoten:


1 J. Torney-Purta, J. Schwille, J. Amadeo (Hrsg.): Civic Education across Countries: Twenty-four National Case Studies from the IEA Civic Education Project, IEA: Amsterdam 1999


2 J. Torney-Purta, R. Lehmann, H. Oswald, W. Schulz (Hrsg.): Citizenship and education in twenty-eight countries: civic knowledge and engagement at age fourteen, IEA: Amsterdam 2001