2004-290 (1)


1. Text der Interpellation:

Ein wachsender Anteil von psychisch oder körperlich beeinträchtigten Menschen kann beruflich nicht mehr integriert werden. Dies hat gravierende Auswirkungen auf die Belastung der Sozialwerke in unserem Land. So ist beispielsweise zwischen 1982 und 1996 die Anzahl der Personen, die eine Rente der Invalidenversicherung (IV) wegen psychischer Krankheit beziehen, um über 60 % angestiegen.


Heute finden auch gut qualifizierte Personen ohne gesundheitliche Beeinträchtigung oftmals erst nach längerem Suchen wieder eine Stelle. In diesem Umfeld ist die berufliche Wiedereingliederung von reduziert leistungsfähigen Menschen noch schwieriger geworden. Der durch die internationale Marktöffnung verschärfte Druck zur Produktivitätssteigerung zwingt die Unternehmungen laufend zu weiteren Rationalisierungen. In dieser Situation werden oft «Nischenarbeitsplätze» gestrichen oder nicht mehr besetzt. Dies führt dazu, dass vermehrt weniger leistungsfähige Menschen aus dem Arbeitsprozess herausfallen.


Vor diesem Hintergrund scheint es mir angemessen, Unternehmen mit gezielten Massnahmen zu ermutigen, wegrationalisierte Arbeitsplätze mit verminderter Produktivität mit eingeschränkt leistungsfähigen und deshalb schwer vermittelbaren Personen wieder zu besetzen. Ein steuerlicher Anreiz bei der Einstellung von Menschen mit eingeschränkter Leistungsfähigkeit erachte ich als geeignetes und viel versprechendes Instrument.


Es existieren gegenwärtig kantonale Weiterbildungsmassnahmen und Beschäftigungsprogramme für Ausgesteuerte. Auch gibt es verschiedene Fachstellen und Institutionen, welche diese Wiedereingliederung bei schwer wiegenden Problemen im sozialen Umfeld, psychischen und physischen Beeinträchtigungen oder fehlender Basisintegration in unsere Kultur beratend unterstützen. Die wirksame Förderung der Reintegration reduziert leistungsfähiger, teilinvalider Erwerbstätiger, die aus dem Arbeitsmarkt ausgeschieden sind, findet aber nicht statt.


Ich erlaube mir, dem Regierungsrat folgende Fragen zu stellen:




2. Beantwortung der Fragen:


1. Welche Konsequenzen zieht er aus der Erkenntnis, dass sich die berufliche Wiedereingliederung von reduziert leistungsfähigen Menschen immer schwieriger gestaltet?


Antwort des Regierungsrats:


Auf Bundes- und Kantonsebene wurden gerade in letzter Zeit die Instrumente für die berufliche Wiedereingliederung stark verbessert.


So wurde mit der Einführung des neuen Sozialhilfegesetzes per 1. Januar 2002 ein neues Instrument für die Eingliederung unterstützungsberechtigter Personen geschaffen 1 . Es hat das Ziel, diesen Menschen eine soziale oder berufliche Integration in unsere Gesellschaft zu ermöglichen. Die Ablösung der Sozialhilfeabhängigkeit infolge einer nachhaltigen Integration im primären Arbeitsmarkt ist dabei das oberste Ziel. In der Zeit zwischen 1. Januar 2002 bis 30. November 2004 machten 475 unterstützungsberechtigte Personen Gebrauch von einem solchen Integrationsangebot. 2


Auch mit der 4. IVG-Revision, welche am 1. Januar 2004 in Kraft getreten ist, wurde die aktive Arbeitsvermittlung verstärkt. Die Palette möglicher beruflicher Eingliederungsmassnahmen sowie akzessorischer Leistungen ist breit: Berufsberatung, Umschulung, Arbeitsvermittlung, Taggelder- und Reisekostenvergütung, Kapitalhilfe etc. Der Leitsatz der IV «Eingliederung vor Rente» manifestiert sich insbesondere im neuen Art. 18 IVG, der einen klaren Rechtsanspruch der Versicherten auf aktive Unterstützung bei der Suche eines geeigneten Arbeitsplatzes sowie auf begleitende Beratung im Hinblick auf die Aufrechterhaltung eines bestehenden Arbeitsplatzes geschaffen hat. Diese neue Bestimmung ermöglicht in Bezug auf die Suche neuer oder die Erhaltung bestehender Arbeitsmöglichkeiten die Gleichstellung behinderter Menschen mit nicht behinderten Menschen. Unter bestimmten Voraussetzungen wird die IV künftig auch die Kosten für eine berufliche Weiterbildung - sei es im bisherigen oder im neuen beruflichen Umfeld - vergüten. Zur Umsetzung dieser Massnahmen wurden für das ganze Land 30 zusätzliche Stellen vom Bundesamt für Sozialversicherung bewilligt. In unserem Kanton konnte ein neuer Arbeitsvermittler angestellt werden.


Aufgrund der zunehmend steigenden Zahl von Institutionen, die sich an der arbeitsmarktlichen Reintegration von stellensuchenden Personen beteiligen, ist eine interinstitutionelle Zusammenarbeit sehr wichtig. Ziel muss es sein, durch Zusammenarbeit auf allen Ebenen die Abläufe zu optimieren und für den Staat einerseits bessere Wirkung bei geringeren Kosten und für die Betroffenen eine zufriedenstellendere, gesamtheitliche Betreuung anzustreben. Bereits am 2. Mai 2000 hat der Regierungsrat eine entsprechend Arbeitsgruppe der fachnahen Stellen des Kantons eingesetzt. Diese Arbeitsgruppe, bestehend aus dem KIGA, der Sozialversicherungsanstalt dem Kantonales Sozialamt sowie der Berufsberatung, hat in den vergangenen Jahren sehr gute und ermutigende Ergebnisse in der Zusammenarbeit erzielt. Nachdem im Jahre 2004 diverse Pilotprojekte - unter Einbezug von Gemeinden - initiiert wurden, werden für 2005 diese Ergebnisse eingehend ausgewertet. Es soll eine flächendeckende, einheitliche, institutionalisierte Vorgehens- und Arbeitsweise erreicht werden mit entsprechenden Mess- und Wirkungszielen. Die Zusammenarbeit aller Gemeinden mit den bezeichneten Stellen der Arbeitsgruppe wird ab 2006 realisiert. Mit klaren prozessorientierten Abläufen kann in Zukunft wesentlich verbesserte Wirkung der verschiedenen Massnahmen erreicht werden.


Die Regierung ist klar der Meinung, dass sowohl mit der interinstitutionellen Zusammenarbeit als auch mit den bestehenden Massnahmen der sozialen Institutionen die entsprechenden Angebote vorliegen. Selbstverständlich ist jederzeit eine Verbesserung möglich. Dabei darf die finanzielle Seite nicht ausser Acht gelassen werden.




2. Teilt er die Auffassung, dass eine gute Wiedereingliederung von reduziert leistungsfähigen Menschen in die Arbeitswelt von grosser Bedeutung bei den Bemühungen zu Einsparungen im Sozialversicherungs- und Sozialhilfebereich sein kann? Kann er die Höhe der möglichen Kosteneinsparungen beziffern?


Antwort des Regierungsrats:


Der Regierungsrat misst der beruflichen Wiedereingliederung eine grosse Bedeutung zu. Sie manifestiert sich in den oben aufgezeigten Massnahmen. Beispielsweise wurde die interinstitutionelle Zusammenarbeit in unserem Kanton früh lanciert und ist daher vergleichsweise weit fortgeschritten.


Die Einsparung von Kosten im Zusammenhang mit Eingliederung ist schwer messbar und statistisch nicht ausgewiesen. Die Schwierigkeit bei Untersuchungen ist einerseits die Definition des Zeitpunktes für eine erfolgreiche Eingliederung, andererseits ist eine vollständige Auswertung nicht möglich, da die verschiedenen sozialen Institutionen untereinander nicht lückenlos vernetzt sind. 3


Bei den neuen Eingliederungsmassnahmen der Sozialhilfe zeichnet sich eine Erfolgsquote von rund 15% ab 4 . Eine Untersuchung des Bundesamtes für Sozialversicherung aus dem Jahre 2000 hat eine Wirksamkeit der beruflichen Massnahme der IV von 61% ergeben 5 . Ein direkter Vergleich der beiden Quoten ist jedoch nicht zulässig. Die finanziellen Möglichkeiten IV und deren Palette an Massnahmen sind wesentlich umfangreicher. Ausserdem wurden bei der IV nur Personen erfasst, die von Invalidität bedroht sind (d.h. noch keine Rente bezogen haben), während die Statistik der Sozialhilfe ausschliesslich Sozialhilfebezügerinnen und -bezüger betrifft.




3. Wäre es nicht sinnvoll, den Unternehmen im Rahmen der Steuergesetzgebung entsprechende Anreize zur Beschäftigung reduziert leistungsfähiger Menschen zu geben? Sieht er alternative Massnahmen?


Antwort des Regierungsrats:


Grundsätzlich gilt, dass alle Unternehmen die höheren Arbeitsplatzkosten eines solchen "Nischenarbeitsplatzes" als (Personal-) Aufwand bereits heute steuermindernd vom Gewinn abziehen können.


Ein zusätzlicher, separater Steuerabzug zur Förderung solcher Arbeitsplätze kann dagegen nicht ohne weiteres im kantonalen Steuergesetz eingeführt werden. Das Steuerharmonisierungsgesetz (StHG) schreibt den Kantonen nämlich die möglichen Abzüge vom steuerbaren Einkommen von natürlichen resp. vom steuerbaren Ertrag von juristischen Personen vor. Neue Abzüge könnten nur durch eine Änderung des StHG selbst geschaffen werden. Dies liegt aber in der Kompetenz des Bundesgesetzgebers.


Denkbar unter der heutigen Gesetzesgrundlage wäre einzig die Gewährung von Steuergutschriften für neu geschaffene Arbeitsplätze für psychisch oder körperlich beeinträchtigte Personen. Verschiedene Arbeitsgruppen des Bundes haben im Rahmen der IV schon geprüft, inwiefern die Arbeitgeber in Bezug auf die Wiedereingliederung von reduziert leistungsfähigen Personen in die Pflicht genommen werden können. So wurde ein Bonus/Malus-System geprüft und verworfen.


Auch der Regierungsrat erachtet die Anpassung des Steuergesetzes aus folgenden Gründen nicht als sachgerecht. Die Unternehmungen profitieren bereits von einer Vielzahl staatlicher Leistungen, wenn sie weniger gut qualifizierte oder behinderte Personen einstellen: Beispielswiese übernimmt die Arbeitslosenversicherung (teilweise) den Lohn während der Einarbeitungszeit (Einarbeitungszuschüsse) und bei Praktika; die IV finanziert die behinderungsbedingte Anschaffung von Mobiliar für den Arbeitsplatz, bauliche Massnahmen und ebenfalls Praktika. Im dieser vielfältigen aber trotzdem kohärenten Ordnung wäre es systemfremd, wenn via Steuergesetzgebung zusätzlich staatliche Leistungen aufgrund sozialer Aspekte eingeführt werden. Unternehmungen sollen nur gemäss ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Steuern bezahlen. Um Anreize aus sozialen Gründen zu schaffen, sind andere Gefässe (wie die eben beschriebenen) sinnvoller. Ausserdem würden die notwendigen Abklärungen zur Berechtigung einer Gutschrift für die Steuerverwaltung einen grossen administrativen Mehraufwand darstellen.


Eine allfällige Einführung dieser steuerlichen Anreize muss auf eidgenössischer Ebene diskutiert, allenfalls beschlossen und finanziert werden, da der Bund für die Gesetzgebung im Sozialversicherungsbereich zuständig ist und nur er neue, kantonale Steuerabzugsberechtigungen im StHG schaffen kann.


Liestal, 25. Januar 2005


IM NAMEN DES REGIERUNGSRATES
Der Präsident: Ballmer
Der Landschreiber: Mundschin



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Fussnoten:


1 §§ 16 - 19 und 34 Sozialhilfegesetz (SHG)


2 Die §§ 16 - 19 und 34 SHG gelten nur während 3 Jahren seit Inkrafttreten des Sozialhilfegesetzes. Der Landrat kann diese Frist mit Dekret einmal um 2 Jahre verlängern, was er in seiner Sitzung vom 25. November 2004 beschlossen und somit die Geltungsdauer der besagten Paragraphen bis zum 31. Dezember 2006 verlängert hat.


3 Eine vollständige Vernetzung aller sozialen Institutionen würde nicht zuletzt erhebliche Datenschutzprobleme verursachen.


4 D.h. von den 475 unterstützungsberechtigten Personen, welche diese Eingliederungsmassnahmen nutzten, konnten rund 70 Personen von der Sozialhilfe abgelöst werden.


5 D.h. 61% der Personen, die eine berufliche Massnahme der IV absolviert haben, bezogen auch zwei Jahre nach deren Abschluss keine Rente. 11% bezogen eine Viertelsrente oder eine halbe Rente, 28% eine ganze Rente.