2004-107 (1)


Am 22. April 2004 reichte Landrätin Hanni Huggel, Münchenstein, eine Interpellation mit folgendem Wortlaut ein:

"In Münchenstein wurde kürzlich der Coopladen Windreedli/Gartenstadt umgebaut. Bei der Bewilligung des Umbaus wurde folgendes nicht beachtet:


I. Für gehbehinderte, ältere Menschen und Rollstuhlfahrerinnen und Fahrer ist es nicht mehr möglich, selbständig in die untere Etage zu gelangen. Es besteht kein Lift, der eigenständig zu benutzen ist. Das Rollband ist nicht nur für Benutzerinnen eines Rollstuhls sondern auch für viele ältere Menschen ein unüberwindbares Hindernis.


II. Vor dem Umbau war die Spirituosen- und Weinabteilung separat abgetrennt gewesen, so wie das gesetzlich vorgeschrieben war.


Nach dem Umbau ist die Weinabteilung so eingerichtet, dass alle Einkaufenden auf dem Weg zur Kasse zwischen aufgestapelten Weinflaschen durchgehen müssen. Die Spirituosen sind gut sichtbar, nicht separat abgetrennt. Die Alcopops sind beim Eingang mit den anderen 3-Deziliter Mineralwasserfläschchen und Bierflaschen zusammen gut sichtbar im gleichen Regal deponiert.


Ich bitte den Regierungsrat höflich um Beantwortung meiner Fragen:



Zu I:


1. Wie sieht die gesetzliche Regelung aus im Hinblick auf die Rollstuhltauglichkeit und für Behinderte allgemein, bei Neubauten und Umbauten von Läden und anderen öffentlichen Gebäuden?


2. Gibt es Interpretationsspielräume in der Bewilligungspraxis? Wer kontrolliert die gesetzlichen Vorschriften?


3. Gedenkt die Regierung im Falle von Coop Münchenstein etwas zu unternehmen betreffend Lift, der für alle Personen eigenständig zu benutzen ist?



Zu II:


4. Wie sind die gültigen gesetzlichen Bestimmungen im Kanton Basel-Landschaft oder auf Bundesebene in Bezug auf klare Abtrennung der Verkaufsfläche von Spirituosen in Selbstbedienungsläden?


5. Wie lässt es sich mit dem Jugendschutz vereinbaren, wenn Alcopopps einerseits und eine Weingalerie andererseits so auffällig aufgestellt sind, dass sie zum Kaufen einladen?


6. Ist die Regierung bereit, allenfalls eine Verordnung zu erlassen, zum Schutz der Jugend und des Verkaufspersonal damit, bei Selbstbedienungsläden im Kanton die Vorschrift einer kalten Abtrennung von Alkoholika besteht?"



Die einzelnen Fragen von Landrätin Huggel können wie folgt beantwortet werden:

Frage I/1: Wie sieht die gesetzliche Regelung aus im Hinblick auf die Rollstuhltauglichkeit und für Behinderte allgemein, bei Neubauten und Umbauten von Läden und anderen öffentlichen Gebäuden?


Antwort:


Am 1. Januar 2004 sind das Bundesgesetz (Behig; SR 151.3) und die Verordnung über die Beseitigung von Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen (BehiV; SR 151.31) in Kraft getreten. Das Gesetz hat zum Zweck, Benachteiligungen zu verhindern, zu verringern oder zu beseitigen, denen Menschen mit Behinderungen ausgesetzt sind (Art. 1 Abs. 1 BehiG). Es setzt Rahmenbedingungen, die es Menschen mit Behinderungen erleichtern, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen und insbesondere selbstständig soziale Kontakte zu pflegen, sich aus- und fortzubilden und eine Erwerbstätigkeit auszuüben (Art. 1 Abs. 2 BehiG).


Das Gesetz verbietet unter anderem eine Benachteiligung Behinderter beim Zugang zu öffentlich zugänglichen Bauten, für welche nach Inkrafttreten des Gesetzes eine Bewilligung für den Bau oder für die Erneuerung der öffentlich zugänglichen Bereiche erteilt wird (Art. 3 Buchstabe a BehiG). Eine Benachteiligung liegt vor, wenn der Zugang für Behinderte aus baulichen Gründen nicht oder nur unter erschwerenden Bedingungen möglich ist (Art. 2 Abs. 3 BehiG). Wer in diesem Sinne benachteiligt wird, kann im Falle eines Neubaus oder einer Erneuerung während des Baubewilligungsverfahrens von der zuständigen Behörde verlangen, dass die Benachteiligung unterlassen wird, oder nach Abschluss des Baubewilligungsverfahrens ausnahmsweise im Zivilverfahren einen Rechtsanspruch auf Beseitigung geltend machen, wenn das Fehlen der gesetzlich gebotenen Vorkehren im Baubewilligungsverfahren nicht erkennbar war (Art. 7 Abs. 1 BehiG). Das Gericht oder die Verwaltungsbehörde ordnet die Beseitigung der Benachteiligung nicht an, wenn der für Behinderte zu erwartende Nutzen in einem Missverhältnis steht, insbesondere zum wirtschaftlichen Aufwand, zu Interessen des Umweltschutzes sowie des Natur- und Heimatschutzes oder zu Anliegen der Verkehrs- und Betriebssicherheit (Art. 11 Abs. 1 BehiG; vgl. dazu die Art. 6 und 7 BehiV). Ein Missverhältnis zum wirtschaftlichen Aufwand liegt vor, wenn der Aufwand für die Anpassung 5 Prozent des Gebäudeversicherungswertes beziehungsweise des Neuwertes der Anlage oder 20 Prozent der Erneuerungskosten übersteigt (Art. 12 Abs. 1 BehiG).


Das Behindertengleichstellungsgesetz steht weitergehenden Bestimmungen der Kantone zu Gunsten der Menschen mit Behinderungen nicht entgegen (Art. 4 BehiG). § 108 des kantonalen Raumplanungs- und Baugesetzes (RBG) ist daher nach wie vor in Kraft. Die Bestimmung lautet wie folgt:


§ 108 Behindertengerechte Bauweise
1 Bauten und Anlagen mit Publikumsverkehr und öffentlichem Zugang sind so zu gestalten, dass ihre Benützung auch Behinderten möglich ist.
2 In Mehrfamilienhäusern mit mehr als sechs Wohnungen sind die Wohnungen im Erdgeschoss, bei solchen mit Erschliessung durch Lift zum Teil auch in den Obergeschossen, so zu erstellen, dass eine Anpassung an die Bedürfnisse Behinderter möglich ist. Die Zugänge zu den Wohnungen und Nebenräumen sowie Aussenanlagen sind hindernisfrei (rollstuhlgängig) zu gestalten. In schwierigen topographischen Verhältnissen können Ausnahmen gestattet werden.
3 Für Bauten, die Arbeitsplätze enthalten, gilt Absatz 2 sinngemäss.
4 Bei Umbauten und bei Nutzungsänderungen kann auf eine behindertengerechte Bauweise verzichtet werden, wenn der Aufwand und die Mehrkosten unverhältnismässig wären oder denkmalpflegerische Gründe dagegen sprechen.
5 Bei Parkplätzen von öffentlichen Gebäuden und Gebäuden mit Publikumsverkehr sind Parkfelder für Rollstuhlbenützerinnen und -benützer in der Nähe der Eingänge vorzusehen und deutlich zu kennzeichnen.



Frage I./2: Gibt es Interpretationsspielräume in der Bewilligungspraxis? Wer kontrolliert die gesetzlichen Vorschriften?


Antwort :


Die erwähnten Bestimmungen enthalten unbestimmte Rechtsbegriffe, bei deren Auslegung den rechtsanwendenden Behörden ein gewisser Ermessensspielraum zusteht. Die Gesetzes-materialien enthalten indes Definitionen und Beispiele, welche den Behörden bei der Entscheidfindung die Richtung weisen. In Zweifelsfällen kann und wird auf die Richtlinien im Ordner "Behindertengerechtes Bauen" der Schweizerischen Fachstelle für behindertengerechtes Bauen zurückgegriffen.


Die Bestimmungen über die behindertengerechte Bauweise werden von den Baubewilligungsbehörden angewendet. Im Fall des Coop in Münchenstein war dies das kantonale Bauinspektorat. Das Amt lässt Baugesuche im Auftragsverhältnis von Procap Baselland prüfen.



Frage I/3: Gedenkt die Regierung im Falle von Coop Münchenstein etwas zu unternehmen betreffend Lift, der für alle Personen eigenständig zu benutzen ist?


Antwort:


Die Coop Immobilien AG hat sich in Zusammenarbeit mit Procap Baselland bereit erklärt, einen behindertengerechten Lift bei der Rolltreppe zu installieren. Für den Regierungsrat besteht daher kein Anlass mehr, in dieser Angelegenheit tätig zu werden. Sollte der Lift wider Erwarten nicht in absehbarer Zeit gebaut werden, würde das Bauinspektorat die notwendigen Massnahmen einleiten.



Frage II/4: Wie sind die gültigen gesetzlichen Bestimmungen im Kanton Basel-Landschaft oder auf Bundesebene in Bezug auf klare Abtrennung der Verkaufsfläche von Spirituosen in Selbstbedienungsläden?


Antwort:


Die Gesetzgebung über den Verkauf gebrannter Wasser ist Sache des Bundes (Art. 105 der Bundesverfassung; SR 101). Die einschlägige Bestimmung ist Art. 37a der Lebensmittelverordnung (SR 817.02). Sie lautet wie folgt:


Art. 37a Abgabe alkoholischer Getränke
1 Alkoholische Getränke müssen so zum Verkauf angeboten werden, dass sie von alkoholfreien Getränken deutlich unterscheidbar sind.
2 Sie dürfen nicht an Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren abgegeben werden. Vorbehalten bleiben die Bestimmungen der Alkoholgesetzgebung.
3 Am Verkaufspunkt ist ein gut sichtbares Schild anzubringen, auf welchem in gut lesbarer Schrift darauf hingewiesen wird, dass die Abgabe alkoholischer Getränke an Kinder und Jugendliche verboten ist. Dabei ist auf die nach Absatz 2 sowie nach der Alkoholgesetzgebung geltenden Mindestabgabealter hinzuweisen.
4 Alkoholische Getränke dürfen nicht mit Angaben und Abbildungen versehen werden, die sich speziell an Jugendliche unter 18 Jahren richten.
5 Bezüglich der Aufmachung alkoholischer Getränke gilt Absatz 4 sinngemäss.


Weitere Bestimmungen bestehen nicht. Die Bestimmungen im Bundesgesetz über die gebrannten Wasser (SR 680), welche noch eine räumliche oder anderweitige Abtrennung der Spirituosen von den übrigen Waren vorsahen, wurden 1998 ersatzlos aufgehoben.



Frage II./5: Wie lässt es sich mit dem Jugendschutz vereinbaren, wenn Alcopopps einerseits und eine Weingalerie andererseits so auffällig aufgestellt sind, dass sie zum Kaufen einladen?


Antwort:


Mit Art. 37a der Lebensmittelverordnung regelt der Bund den Verkauf alkoholischer Getränke abschliessend. Die Frage muss von Coop beantwortet werden.


Das Kantonale Laboratorium hat am 25. Mai 2004 eine unangemeldete Kontrolle im Coop Münchenstein durchgeführt. Es konnten keine Verstösse gegen Art. 37a der Lebensmittelverordnung festgestellt werden.



Frage II./6: Ist die Regierung bereit, allenfalls eine Verordnung zu erlassen, zum Schutz der Jugend und des Verkaufspersonal damit, bei Selbstbedienungsläden im Kanton die Vorschrift einer kalten Abtrennung von Alkoholika besteht?


Antwort:


Wie bereits erwähnt, regelt der Bund den Verkauf alkoholischer Getränke abschliessend. Von daher steht es dem Regierungsrat nicht zu, in diesem Bereich zu legiferieren, zumal der Bund erst vor ein paar Jahren entsprechende Bestimmungen aufgehoben hat.



Liestal, den Im Namen des Regierungsrates
der Präsident: Straumann
der Landschreiber: Mundschin



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