2004-181 (1)


1. Zielsetzung und Inhalt der Vorlage

Artikel 37 des Krankenversicherungsgesetzes (KVG) regelt in Absatz 3:
Die Kantone bestimmen, unter welchen Voraussetzungen Ärzte und Ärztinnen mit einer kantonalen Bewilligung zur Führung einer Apotheke den zugelassenen Apothekern und Apothekerinnen gleichgestellt sind. Sie berücksichtigen dabei insbesondere die Zugangsmöglichkeiten der Patienten und Patientinnen zu einer Apotheke .
Obwohl der Kanton seit 1973 im Gesundheitsgesetz die Möglichkeit für eine Einschränkung der Selbstdispensation vorgesehen hat, war bisher eine einvernehmliche Lösung im Kanton Basel-Landschaft nicht möglich.

Mit der Gesetzesvorlage soll unter anderem verhindert werden, dass der Kanton Basel-Landschaft eine besondere Attraktivität für Praxiseröffnungen entfaltet. Durch den vermehrten Medikamentenvertrieb über Apotheken werden zudem Kosteneinsparungen erwartet. Der Regierungsrat schlägt dem Landrat vor, die Frage der Medikamentenabgabe durch Arztpraxen, nicht wie ursprünglich geplant, im neuen Gesundheitsgesetz zu regeln, sondern im Rahmen dieser Vorlage vorzuziehen, damit die neuen Bestimmungen rechtzeitig vor dem allfälligen Ablauf des Praxisbewilligungsstopps am 1. Juli 2005 in Kraft treten können. (Dieser wurde in der Zwischenzeit um drei Jahre verlängert mit der Option einer weiteren Verlängerung). Der Gesetzesentwurf sieht folgende Einschränkung der Selbstdispensation vor: In Gemeinden, die über keine Apotheke verfügen, können die dort praktizierenden Ärztinnen und Ärzte weiterhin uneingeschränkt Medikamente abgeben. In Gemeinden mit mindestens einer Apotheke wäre jedoch künftig die Selbstdispensation durch die Ärzteschaft nicht mehr erlaubt. Mit mehrjährigen Übergangsfristen für bereits bestehende Arztpraxen sind Übergangsbestimmungen vorgesehen. In Notfällen und bei der direkten Anwendung können, wie bereits bisher, alle Ärztinnen und Ärzte weiterhin Medikamente abgeben.


2. Organisation der Kommissionsberatung

Die Volkswirtschafts- und Gesundheitskommission hat die Vorlage anlässlich ihrer Sitzungen vom 27. Mai (Anhörung), 16. Juni, 26. August, 19. und 30 September 2005 beraten. Sie wurde begleitet durch Regierungsrat Erich Straumann, Generalsekretär Rosmarie Furrer sowie Urs Knecht, juristischer Mitarbeiter der Rechtsabteilung VSD. Zur Anhörung wurden die folgenden Organisationen und Personen eingeladen:

3. Detailberatung

3.1 Anhörung

Ärztegesellschaft Baselland
Zum Thema Ärzteschwemme verweist Lukas Wagner auf die demografische Entwicklung, die einen ständig grösser werdenden Bedarf an Betreuung und Pflege älterer Menschen nach sich zieht. Das neu geschaffene Hausarzt-Institut an der Medizinischen Fakultät der Universität Basel soll zu besserer Qualität in der Grundversorgung führen und ein Gegengewicht bilden zum Ärztemangel, "den die Spatzen inzwischen von den Dächern pfeifen". Gerade letzteres spreche klar gegen die Argumentation, welche zum Gesetzesvorschlag führte. Nicht nur die Bevölkerung, sondern auch die Ärzte werden älter, so müssen bis in fünf Jahren 89 Praxen und bis zum Jahre 2015 sogar deren 177 abgelöst werden. Was die Ängste betreffend einer "Selbstdispensationsinsel Baselland" betrifft, so stellt Lukas Wagner fest, dass gerade 9 Kantone das "Apotheken-Monopol" kennen und in 12 Kantonen die Patientinnen und Patienten die Freiheit hätten zu bestimmen, wo sie ihre Medikamente beziehen wollen. Weiter stellt Lukas Wagner die erhofften Kosteneinsparungen durch die Abgabe in den Apotheken in Frage, indem er auf die Apothekentaxen (Fr. 4.30 je Rezept und Fr. 9.20 pro Quartal) hinweist. Letztlich sei die Koexistenz wichtig. Heute schon gehen fast die Hälfte der kassenpflichtigen Medikamente über den Ladentisch der Apotheken. Die Ärzteschaft ist für eine Verständigung bereit, könne jedoch eine Verbotsregelung nicht akzeptieren. Eduard Tschachtli stellt fest, dass innerhalb der im Gesundheitswesen beteiligten Akteure (Leistungserbringer, pharmazeutische Industrie, Apotheken, Ärzteschaft, Spitäler, Kassen) ein Verdrängungswettbewerb stattfindet. Der Bund habe die Kompetenzen im Versicherungsbereich fast vollständig bei sich behalten und lediglich die Organisation der Medikamentenabgabe den Kantonen überlassen. Er stösst sich daran, dass der Kanton Basel-Landschaft mit diesem Gesetzesentwurf die Medikamentenabgabe zu einem Monopol für die Apotheken ausbauen will.

Basellandschaftlicher Apothekerverein
Urs Gmünder erachtet den Gesetzesentwurf als eine gesundheitspolitisch sinnvolle und erwünschte Einschränkung der Selbstdispensation sowie als eine kostensparende, patientenfreundliche und gesetzeskonforme Regelung. Er sieht in der Vorlage der Regierung u.a. folgende Vorteile:

Santésuisse Basel
Thomas von Allmen stellt seinen Äusserungen voran, dass santésuisse sich generell und im Sinne einer obersten Prämisse für die Wahlfreiheit der Versicherten und Patienten einsetzt. Er betrachtet das vorliegende Gesetz als Verbot, als eine Massnahme somit, welche üblicherweise nur dann erlassen wird, wenn nichts mehr geht. Für vorteilhafter hält er eine vertragliche Vereinbarung, die festschreibt, was zu welchen Preisen abgegeben werden darf und wie das Qualitätsmanagement zu handhaben wäre. Der Geschäftsführer von santésuisse macht auch klar, dass Vergleiche der Medikamentenkosten pro Versicherten mit Basel-Landschaft und anderen Kantonen wie beispielsweise Genf und Basel nicht objektiv sind. Belegt ist, dass der Anteil der durch Ärzte direkt verabreichten Medikamente an den Medikamenten-Gesamtkosten pro Versicherten im Jahr 2003 von total 519 Franken bei 238 Franken lag. Anstelle des wenig intelligenten Verbots seien unter den Ärzten und Apothekern gleiche Marktbedingungen und Qualitätsstandards, sprich Wettbewerb, zu schaffen. Ein zwingendes Kriterium wäre eine gesetzliche Vereinbarung analog der Leistungsorientierten Medikamentenabgabe (LOA) im Apothekerkanal zwischen SD-Ärzten und Krankenversicherern. Klar ist für santésuisse, dass der Arzt sein Einkommen nicht über den Medikamentenverkauf generieren sollte; andererseits wird die Medikamentenabgabe durch den Arzt in gewissen Fällen durchaus als sinnvoll betrachtet.

Patientenstelle Basel
Marina Werder stellt fest, dass es für eine Patientenstelle schwierig ist, sich für die eine oder die andere Seite zu äussern, erachtet jedoch die Wahlfreiheit für den Patienten als wichtig. Während sich der potenzielle Patient gern darüber auslässt, wie er es gerne hätte, erweist sich der wirkliche Patient als qualitätsbewusst. Sicherheit bedeute ihm viel und bei jenen Medikamenten, die über den Ärztetisch geschoben werden, würde schon mal die Frage nach deren tatsächlicher Notwendigkeit gestellt. Der Apotheker wird als Bindeglied betrachtet, welcher auch erklären kann, was der Patient nicht lesen oder verstehen kann. Die Patientenstelle meint auch, dass weniger Medikamente gelagert und vermischt würden, wenn sie in der Apotheke bezogen werden müssten.

3.2 Eintretensdebatte

Generell wird festgestellt, dass die Fronten zwischen den beiden Kontrahenten arg verhärtet sind. Ein Handlungsbedarf wird als gegeben erachtet, streiten sich doch die beiden Interessenvertreter seit Jahren. Der Schwarze Peter wird hin- und hergeschoben, ohne dass bisher auch nur ansatzweise ein Resultat vorgelegt werden konnte. Primäre Aufgabe der Kommission sei es, einen politischen Entscheid zu fällen. Es wird auch festgestellt, dass die Ärzteschaft - als Erstkontakt mit den Patientinnen und Patienten - eine "Vorzugsstellung" hätten. Was die Medikamentenabgabe betrifft, befänden sich die Apotheken zwischen den selbstdispensierenden Ärzten bzw. den Versandapotheken. Auch wenn der Gesetzesentwurf die Probleme der stetig steigenden Kosten im Gesundheitswesen nicht lösen kann, setzt er doch ein Zeichen in die richtige Richtung. Beide Seiten legten Studien bzw. Zahlen vor, die ihre eigene Haltung bestärkten.

Folgende Gründe für Nichteintreten wurden vorgebracht: Die Formulierung in der Vorlage, wonach von einer "attraktiven Insel der Selbstdispensation im EU-Raum" gesprochen wird, erscheint vermessen; würde sich die EU doch kaum um die Selbstdispensation der Baselbieter Ärzteschaft kümmern. Ebenfalls müsse die "Welle neuer Praxiseröffnungen" erst noch bewiesen werden. Der Status quo wird als win-win-Situation angesehen, gehe es den 30 Apotheken in unserem Kanton doch mehrheitlich gut. Einige davon beschäftigen heute 8 bis 10 Mitarbeitende. Die Gesetzesvorlage bringt eine starke Umverteilung von Umsatz und Gewinn zu Gunsten der Apotheken und zu Lasten der frei praktizierenden Ärzte. Eine junge Ärztin oder ein junger Arzt, der eine Praxis eröffnen möchte, muss wenigstens eine halbe Million Franken für Praxiseinrichtungen investieren. Sollte dieses Vorhaben auf dem Lande geplant sein, weigern sich die Banken, Kredite zu sprechen. Siedelt sich eine Ärztin oder ein Arzt in einem Dorf ohne Apotheke an, muss damit gerechnet werden, dass sich schon bald eine Apotheke im Dorf breit macht. Es gilt auch zu unterscheiden zwischen chirurgisch tätigen Medizinern, die zu den Grossverdienern zählen, und den Hausärzten, zu denen auch die Kinderärzte und allgemeinen Internisten zählen. Diese Ärztegruppe verdient im Schnitt kaum mehr als ein Mittelschullehrer, der im Gegensatz zum praktizierenden Arzt noch 13 Wochen bezahlte Ferien hat - inklusive gut ausgebauter Altersvorsorge.
Die Kommission beschliesst mit 10 zu 3 Stimmen Eintreten auf die Vorlage.

3.3. Gesetzesberatung

Ein Antrag, wonach eine Zusatzschlaufe eingelegt werden soll, damit die beiden Protagonisten nochmals eine Chance für eine gütliche Einigung hätten, wurde zu Gunsten von in Aussicht gestellten, konsensfähigen gesetzlichen Lösungen zurückgezogen.

§ 2 Abgabe von Heilmitteln
Absatz 1
Der Kommission liegt daran, nicht ein Verbotsgesetz, sondern eine tragfähige Lösung zu schaffen, weshalb in Absatz 1 den Ärzten und Ärztinnen die unmittelbare Anwendung sowie in Notfällen die Abgabe von Heilmitteln gestattet werden soll.

Absätze 2 und 3
Hier wird die Möglichkeit einer Abgabe von Heilmitteln definiert. So sieht das neue Gesetz vor, dass Ärzte zur Abgabe von Heilmitteln in der kleinsten handelsüblichen Packung oder therapeutisch angezeigten Menge für die Erstbehandlung berechtigt sind, wenn sich die Praxis in einer Gemeinde mit mindestens einer öffentlichen Apotheke befindet.

§ 3 Voraussetzungen der Bewilligung
Die Formulierungen wurden - ohne massgebliche materielle Veränderungen - überarbeitet. Für den Fall, dass kein Vertrag zwischen der Ärzteschaft und den Krankenversicherern zustande kommt, erlässt die Regierung im zweiten Satz von Absatz 2 entsprechende Regelungen.

§ 4 Entzug und Erlöschen der SD-Bewilligung
Die Absätze 2 und 3 der Vorlage werden neu in Absatz 2 zusammengeführt.

Absatz 3
Diese Bestimmung muss im Zusammenhang mit § 8 Übergangsbestimmungen betrachtet werden. § 4 betrifft jene Ärzte und Ärztinnen, deren Bewilligung zur SD eingeschränkt wird, weil neu eine Apotheke am Praxisstandort eröffnet wurde. Die Frist von zwei Jahren wurde vor allem deshalb als zu knapp angesehen, weil junge Ärzte sich für eine eigene Praxis in der Regel massiv verschulden müssen und sie deshalb auf das Zusatzeinkommen aus der SD angewiesen sind. Die Kommission entscheidet sich mit 6 zu 5 Stimmen bei 1 Enthaltung für die Frist von zwei Jahren.

§ 6 Modalitäten der Selbstdispensation
Vorwiegend redaktionelle Änderungen

§ 8 Übergangsbestimmungen
Absatz 1
Analog § 4 Absatz 3 wird die zweijährige Übergangsfrist für Ärztinnen und Ärzte, welche nach bisherigem Recht zur uneingeschränkten SD berechtigt sind, beschlossen. Zudem besteht eine individuelle Verlängerungsmöglichkeit um maximal vier Jahre, um den Übergang von der freien SD auf eine eingeschränkte Regelung etwas abzufedern. Dabei werden jüngere Ärztinnen und Ärzte bevorzugt.

§ 9 Änderung bisherigen Rechts
§ 18 des Gesundheitsgesetzes Abgabe von Heilmitteln
Die Zahnärztinnen und Zahnärzte sollen betreffend der Abgabe von Heilmitteln den Ärztinnen und Ärzten gleichgestellt sein.


4. Antrag

Die Volkswirtschafts- und Gesundheitskommission empfiehlt mit 8 gegen 4 Stimmen dem Gesetz gemäss Beilage zuzustimmen.


Muttenz, 25. Oktober 2005

Im Namen der Volkswirtschafts- und Gesundheitskommission
Die Präsidentin:
Rita Bachmann-Scherer



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