2003-243 (1)


An der Landratssitzung vom 16. Oktober 2003 reichte Landrat Etienne Morel, Grüne Fraktion, eine Interpellation ein zum Thema "Prävention des Jugendsuizids im Kanton Kanton Basel-Landschaft". Der Vorstoss hat folgenden Wortlaut:

"Alle 3 Tage stirbt ein Jugendlicher an Selbsttod. Er oder sie bringt sich um. Die Schweiz steht hinter Ländern wie China, Russland und Ungarn auf Platz 7 der Jugendsuizid-Rangliste. Ein trister Rekord lastet auf uns.


Wichtig ist einzusehen, dass Präventionsarbeit in diesem Bereich sehr effektiv sein kann. Die Jugendlichen künden ihre Absichten an. Es ist Aufgabe der Gemeinschaft die gesendeten Signale richtig zu deuten und die nötigen Massnahmen rasch zu ergreifen. Es ist Aufgabe des Kantons die nötige Infrastruktur und die Koordination der Massnahmen in Zusammenarbeit mit Privaten zu gewährleisten.


In diesem Zusammenhang bitte ich den Regierungsrat höflich um die Beantwortung der folgenden Fragen:




Antwort des Regierungsrates


Der Regierungsrat begrüsst die Aufmerksamkeit, welche die Prävention von Jugendsuiziden im Landrat geniesst. Er möchte hier auch darauf hinweisen, dass es dabei nicht allein um die Verhinderung von Todesfällen gehen kann, sondern um ein Interesse an den Lebenssituationen Jugendlicher, welche keinen anderen Ausweg mehr sehen, als zu sterben.




1. Wieviele Jugendliche und Minderjährige bringen sich jährlich im Kanton BL um?


Angaben des Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienstes und des Statistischen Amtes:


Neuere Zahlen stehen leider beim Bundesamt für Statistik noch nicht zur Verfügung. Es ist aber nicht davon auszugehen, dass die Suizid-Rate in den Jahren 2001 bis 2003 signifikant angestiegen ist.




2. Wie alarmierend schätzt der Regierungsrat diese Zahlen ein?


Gestützt auf die unter Ziffer 1 genannten Zahlen ist es zu früh, Veränderungen als alarmierend zu bezeichnen; die Zahlen sind auch sehr viel kleiner, als die Anzahl Jugendlicher, welche sich auf anderen Wegen "aus der Gesellschaft verabschieden", sei es durch Rauschtrinken, Drogenkonsum, oder Delinquenz.


Grund zur Aufmerksamkeit besteht gleichwohl, sind doch depressive Verstimmungen und auch Suizidgedanken in der Adoleszenz recht häufig (um die 30%). Soziale Isolation und Sucht gelten als Risikofaktoren. Sich in einer solchen Situation professionelle Hilfe zu holen, ist nicht selbstverständlich; die Hilfe wird von der nahen Umgebung (Eltern, Freunde) erwartet, und wenn sie nicht von dort kommt, dann von niemandem mehr.




3. Welche Präventionsmassnahmen wurden im konkreten Bereich des Jugendsuizids im Kanton bisher ergriffen?


Zwei unterschiedliche Wege werden beschritten:




Gesundheitsförderung:


Die Schulen unseres Kantons haben über "Jugend- und Gesellschaftsfragen" Verantwortung im Bereich Gesundheitsförderung übernommen. Im Bereitstellen eines gesunden Fundamentes, welches Wohlbefinden ermöglicht und dadurch zu Leistungswillen und Leistungsfreude führt, liegen die Möglichkeiten der Schule. Sie kann den Jugendlichen Grundlagen für persönliche Entscheide bieten, die ein gutes und in umfassendem Sinne gesundes Leben ermöglichen.


Zur Zeit werden die Schulen ab Sekundarstufe I in das Schweizerische Netzwerk Gesundheitsfördernder Schulen eingebunden. Sie erstellen Schulprogramme zu Gesundheitsförderung und Suchtprävention und verbinden diese mit klaren, evaluierbaren Zielsetzungen.




Intervention:


Entscheidend für die Prävention suizidalen Verhaltens von Jugendlichen ist, dass es "jemanden" gibt, der den Jugendlichen genug eng beobachtet, um darauf aufmerksam zu werden, der ihn genug gut kennt, um ihn darauf anzusprechen, und auch noch den Mut dazu hat.


Informationskampagnen bei Jugendlichen sind für sich allein kaum wirksam. Sehr viel wichtiger ist die Aufklärung im direkten Umfeld der Jugendlichen:


Es existieren vereinzelt Informationsveranstaltungen im Rahmen der Lehrerfortbildung sowie der Elternbildung, allerdings ohne Anspruch auf "flächendeckende" Aufklärung.


Hingegen dürfte die Arbeit der Schulsozialarbeiter, wie sie im Bildungsgesetz neu eingeführt wurde, ein wesentlicher Beitrag im Sinne der Suizidprävention werden. Den Jugendlichen werden dadurch niederschwellige Beratungsangebote zur Verfügung stehen. Der Schulsozialdienst soll Problemsituationen im Frühstadium erkennen und gegebenenfalls intervenieren können. Der Regierungsrat empfiehlt, mit der Einrichtung des Schulsozialdienstes zu beginnen und diesen in den Folgejahren schrittweise flächendeckend zu realisieren.




4. Führt der Kinder- und Jugendpsychiatrische Dienst nach Meinung der Regierung seine Präventionsaufgabe (gemäss kantonalem Leistungsauftrag) auch im Bereich des Selbstmordes befriedigend durch?


Der Kinder- und Jugendpsychiatrische Dienst (KJPD) ist sich seiner wichtigen Rolle bei der Suizidverhinderung bei Jugendlichen bewusst; der Schwerpunkt seiner Arbeit liegt aber nicht bei "Aufklärung" von Jugendlichen, die eben unwirksam bleiben würde. Vielmehr bietet er seit Jahrzehnten für Eltern, Lehrerschaft, Ärzte und Spitäler ein niederschwelliges, 24 Stunden pro Tag und 365 Tage pro Jahr erreichbares Angebot für ein sofortiges klärendes Gespräch an. So können die Gefährdung abgeschätzt und allfällige Massnahmen eingeleitet werden.


Nur sehr selten gelangen Jugendliche mit Suizidgedanken direkt und selbständig an den KJPD. Das Angebot des KJPD richtet sich deshalb vorwiegend an all jene Personen, welche Wahrnehmungen über die mögliche Suizidalität eines Jugendlichen gemacht haben und rasch Hilfe wollen.




5. Sieht der Regierungsrat angesichts der traurigen Zahlen neuen Handlungsbedarf?


Es wäre zu wünschen, unsere Jugendlichen würden nicht in Situationen geraten, in welchen sie keinen Ausweg mehr wissen und glauben, niemand könnte sie verstehen oder ihnen helfen. Damit besteht die staatliche Aufgabe der Suizidprävention bei Jugendlichen im engagierten Fördern ihrer Entwicklungs- und Integrationschancen in der Gesellschaft sowie in einer persönlichen Betreuung ihrer Aussenseiter.


Sicher lässt sich an der gegenwärtigen Situation noch manches verbessern. Insbesondere muss die Aufmerksamkeit all jener, die mit Jugendlichen zu tun haben, auf allfällige Warnsignale im Vorfeld gerichtet werden. Wollte man hier Suizidprävention noch besser verankern, so am ehesten in einem stetigen Angebot der Lehrerfortbildung.


Die mit Gesundheitsförderung und Suizidprävention befassten Institutionen (Gesundheitsförderung Baselland, Fachstelle Jugend und Gesellschaft, Schulpsychologischer Dienst, Kinder- und Jugendpsychiatrischer Dienst, Steuergruppe Präventionsprojekte im Jugendbereich u.a.m.) sind sich der vielfältigen Problemfelder, in denen sich die Kinder und Jugendlichen befinden, bewusst.


Liestal, 27. Januar 2004


Im Namen des Regierungsrates
der Präsident: Straumann
der Landschreiber: Mundschin



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