2003-225 (1)


Die SVP Fraktion reichte am 18. September 2003 eine Interpellation zum Thema Impulsprogramm Familie und Beruf ein. Sie ersucht den Regierungsrat um schriftliche Beantwortung der Fragen.

Die Interpellation hat folgenden Wortlaut:


Anlässlich einer Pressekonferenz orientierten die Verantwortlichen des Impulsprogramms "Familie und Beruf" über Schwierigkeiten bei der Umsetzung des Projektes. Nach Meinung der Projektverantwortlichen hat die schleppende Konjunktur die Nachfrage nach ausserhäuslicher Kinderbetreuung verzögert. Die Auslastung der bisher geschaffenen 100 Tagesplätze lasse stark zu wünschen übrig. Eine Beschleunigung der Nachfrage sei trotz Unterstützung der Wirtschaft noch nicht in Sicht. Aus dem Wirtschaftsförderungsfonds werden 3 Mio. Fr. für die Realisierung eingesetzt. Davon 1 Mio. Fr. für Informations- und Begleitmassnahmen. Im Weiteren brauche es - so die Projektverantwortlichen weiter - eine gesetzliche Grundlage für die Zuständigkeit und die weitere Finanzierung. Als Trost und Begründung für das fehlende Interesse wurde die voraussichtliche demografische Entwicklung in 10 Jahren ins Felde geführt, welche dann das vor zwei Jahren beschlossene Impulsprogramm nachträglich rechtfertigen werde.


Das Projekt reiht sich nahtlos in andere fragwürdige Sozialprojekte ein, die in BL bereits eingeführt wurden. Es kann nicht sein, dass Sozialprojekte in Millionenhöhe finanziert werden, ohne dass ein aktueller Bedarf vorhanden ist. Dies umso mehr, als wieder einmal der persönliche Verantwortungsbereich durch staatliche Aktivitäten ersetzt werden soll und die kantonalen Finanzen stark im Argen liegen.


Wir bitten den Regierungsrat um schriftliche Beantwortung nachstehender Fragen:


Antwort des Regierungsrates

1. Ausgangslage


Das Impulsprogamm "Familie und Beruf" wurde vom Regierungsrat auf Antrag der Konsulta-tivkommission für das Wirtschaftsförderungsgesetz im Oktober 2001 lanciert. Mit der Durch-führung wurde die Volkswirtschafts- und Sanitätsdirektion beauftragt. Die vom Regierungsrat zum Vollzug des Impulsprogrammes eingesetzte Begleitgruppe hat ihre Arbeit im Dezember 2001 aufgenommen. Per 1. Februar 2002 wurde die mit einem 60-Prozent-Pensum dotierte Stelle der Projektleitung besetzt. Die operative Phase des Programms ist auf die Jahre 2002 bis 2004 beschränkt, während die Laufzeit des aus dem Wirtschaftsförderungsfonds zur Verfügung stehenden Kredits von drei Millionen Franken sich auch auf das Jahr 2005 erstreckt. Zwei Millionen Franken dieses Kredites sind für die Anschubfinanzierung von familienergänzenden Kinderbetreuungsangeboten reserviert. Mit einer Million Franken sind eine Sensibilisierungskampagne zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu realisieren und die Projektkosten inkl. Personalkosten abzudecken.


Die vom Frauenrat und der Fachstelle für Gleichstellung von Frau und Mann in Auftrag gege-bene Studie "Glückliche Eltern - betreute Kinder. Familienergänzende Kinderbetreuung im Kanton Basel-Landschaft" (Epple/Peter, April 2000) schätzte unter Berücksichtigung des tatsächlichen Erwerbsverhaltens von Eltern einen Bedarf von rund 650 zusätzlichen Tages-betreuungsplätzen für Kinder im Alter bis zu fünf Jahren. Aufgeschlüsselt auf die Bezirke ergab sich das folgende Bild:


Die für Anschubfinanzierungen zur Verfügung stehenden zwei Millionen Franken wurden diesem errechneten Bedarf entsprechend aufgeteilt:
Um eine bedarfsgerechte Verteilung der Mittel über den ganzen Kanton zu garantieren, wurde an dieser regionalen Verteilung bis Mitte 2003 festgehalten. Da aus dem Bezirk Arlesheim mehr als drei bewilligungswürdige Projekte eingereicht wurden, wurde für diesen Bezirk die Fördersumme auf maximal Fr. 120'000.-- pro Projekt gesenkt.

Von der Anschubfinanzierung können während maximal drei Betriebsjahren öffentliche und private Träger profitieren:

Bisher konnten die folgenden Mittel zugesichert wurden:

In den Bezirken Laufen, Liestal und Waldenburg sind bisher keine förderungswürdigen Projekte zu Stande gekommen.


Die Betreuungseinrichtungen, die ihren Betrieb bereits aufgenommen haben, sind mit einer Ausnahme den Erwartungen entsprechend ausgelastet. Wie bei jedem anderen Unternehmen muss auch bei Krippen und Tagesheimen mit einer Aufbauphase von einem bis zu zwei Jahren gerechnet werden.


Das in Zeiten starker Nachfrage nach Arbeitskräften beschlossene Impulsprogramm "Familie und Beruf" muss leider in einem wesentlich veränderten wirtschaftlichen Umfeld umgesetzt werden. Viele Unternehmen verzeichnen einen Rückgang der Aufträge und sind froh, wenn sie ihren Personalbestand halten können. Auch wenig kostenintensive Massnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sind auf ihrer Prioritätenliste fast zwangsläufig weit nach hinten gerutscht. Teure Investitionen in Betreuungsplätze - eigene oder von Dritten bereitgestellte - werden derzeit kaum in Betracht gezogen. Die bisher geschaffenen Betreuungeinrichtungen werden denn auch mit einer Ausnahme ausschliesslich von den Standortgemeinden mitfinanziert.




2. Zu den Fragen:


1. Offensichtlich wurde der Bedarf an familienexterner Kinderbetreuung stark überschätzt. Wurde eine Bedarfsanalyse bei den betroffenen Müttern und Vätern tatsächlich unterlassen?


Dem Impulsprogramm "Familie und Beruf" liegt die bereits erwähnte Studie "Glückliche Eltern - Betreute Kinder" zugrunde. Sie ermittelte den statistischen Bedarf aufgrund der damals vorhandenen Betreuungsplätze in Relation zum tatsächlichen Erwerbsverhalten von Eltern im ganzen Kanton. Dabei wurde angenommen, dass die private Betreuung durch Familienangehörige, Nachbarn und Freundeskreis je nach Grösse der Gemeinde und dem für die Familie notwendigen Betreuungsumfang zwischen 67 und 81 % des gesamten erforderlichen Betreuungsvolumens ausmacht. Aus diesem Schätzverfahren resultierte ein ungedeckter Bedarf von rund 650 Tagesbetreuungsplätzen für Kinder im Alter bis zu fünf Jahren.


Auf eine flächendeckende Befragung von Eltern wurde verzichtet. Erhebungen in einzelnen Gemeinden hatten keine zuverlässigen Ergebnisse gezeitigt, da sich die Bedürfnisse der einzelnen Familie rasch ändern. Eine alle Eltern von Kindern bis zu fünf Jahren im ganzen Kanton erfassende Umfrage hätte zu unverantwortbar hohen Kosten und wohl kaum zu aussagekräftigeren Daten geführt.




2. Es handelt sich bei diesem Projekt um eine typische linke Sozialmassnahme, bei welcher der Staat für Aufgaben einspringt, die in den Verantwortungsbereich der einzelnen Familie oder von privaten Organisationen gehören. Ist der Regierungsrat dennoch der Meinung, dass mit staatlichen Mitteln nun ein Sozialbedürfnis geweckt werden soll, das bis heute offensichtlich nicht besteht?


Ein Tagesbetreuungsplatz in einem anerkannten Tagesheim kostet im Kanton Basel-Landschaft zwischen Fr. 85.-- und Fr. 105.-- pro Tag. Je nach Betriebsstruktur sind leicht tiefere respektive höhere Kostensätze möglich. In den gleichen Dimensionen bewegen sich die Gesamtkosten einer Ganztagesbetreuung in einer Tagesfamilie. Er versteht sich von selbst, dass nur Eltern mit einem sehr guten Einkommen diese Kosten alleine tragen können. Alleinerziehende, Familien, die für das Bestreiten ihres Lebensunterhalts auf mehr als ein Einkommen angewiesen sind, und auch durchschnittlich gut verdienende Elternpaare sind auf eine Subventionierung der Betreuungsplätze angewiesen, wenn sie nicht im Familien- oder Freundeskreis auf eine unentgeltliche oder doch sehr kostengünstige Betreuung zurückgreifen können.


Einrichtungen der familienergänzenden Kinderbetreuung kosten zwar, sie lösen aber auch erheblichen volkswirtschaftlichen Nutzen aus. Das Sozialdepartement der Stadt Zürich hat im Jahre 2001 eine Studie über den volkswirtschaftlichen Nutzen von Kindertagesstätten veröffentlicht. Die Studie wurde vom Büro für Arbeits- und Sozialpolitische Studien (BASS), Bern, erarbeitet. Sie kommt zum Ergebnis, dass für die Stadt Zürich von einem gesamthaften Kosten-Nutzen-Verhältnis von 1 zu 3,5 bis 1 zu 4 ausgegangen werden kann. Demnach fliessen pro Franken, der in Kindertagesstätten investiert wird, gesamthaft wieder bis zu vier Franken an die Gesellschaft zurück. Rein fiskalisch (Steuerertrag der Eltern und des in Kindertagestätten arbeitenden Personals, Einsparungen bei den Sozialhilfekosten) ergibt sich in der Stadt Zürich ein Kosten-Nutzen-Verhältnis von 1 zu 1,6. Folgestudien in der Westschweiz haben die Zürcher Resultate bestätigt. Die Faktoren liegen allerdings tendenziell etwas tiefer.


Volkswirtschaftliche und gleichstellungspolitische Überlegungen sprechen für Massnahmen, die den (Wieder-)Einstieg von Müttern mit Kindern ins Erwerbsleben erleichtern oder deren Ausstieg aus dem Berufsleben vermeiden helfen. Damit können insbesondere qualifizierte Arbeitskräfte besser eingesetzt und Bildungsinvestitionen der öffentlichen Hand besser genutzt werden. Aufgrund der demografischen Entwicklung wird bis in einigen Jahren zudem auch bei konjunkturell nicht angeheiztem Arbeitsmarkt ein Arbeitskräftemangel eintreten, der nur durch eine grössere Erwerbsbeteiligung der Frauen oder durch Zuwanderung von Arbeitskräften aus dem Ausland wird gedeckt werden können. Dies haben auch die Wirtschaftsverbände erkannt und sie unterstützen deshalb die Bemühungen zur Schaffung von zusätzlichen Tagesbetreuungsplätzen.




3. Teilt der Regierungsrat die Auffassung, dass auf Grund der bisherigen Erfahrungen die ausserhäusliche Kinderbetreuung auf privater Initiative und nicht auf staatlicher Finanzierung weitergeführt werden muss?


Von den vor dem Start des Impulsprogramms "Familie und Beruf im Kanton Basel-Landschaft betriebenen 23 Kindertagesstätten (insgesamt 644 Plätze) wurden deren 13 (369 Plätze) durch ihre Standortgemeinden in erheblichem Masse subventioniert. Zehn Kindertagestätten (275 Plätze) standen nur Eltern offen, welche die vollen Kosten tragen können. Die Mehrzahl dieser Plätze (200) boten die fünf Asili der Missione Cattolica Italiana an. Sie erheben eine für alle Nutzerinnen und Nutzer tragbare einheitliche Monatspauschale, entsprechen jedoch den auf alle anderen Betriebe angewandten Qualitätsstandards nicht (mehr) und sind in ihrer Existenz bedroht. Ein Betrieb (24 Plätze) wurde inzwischen durch die Trägerschaft freiwillig geschlossen. Auch einige der übrigen privat finanzierten Einrichtungen haben mit Belegungsproblemen zu kämpfen, weil eine Mehrzahl der nachfragenden Eltern die hohen Elternbeiträge nicht aufbringen kann. 10 der 13 subventionierten Einrichtungen haben private Trägerschaften (Vereine, Stiftungen). Sämtliche Tagesfamilienvereine des Kantons konnten auf kommunale Subventionen zählen.


Der Regierungsrat ist deshalb der Auffassung, dass die familienergänzende Kinderbetreuung hauptsächlich durch private Initiative, aber mit Unterstützung durch die öffentliche Hand und durch weitsichtige Unternehmen gewährleistet werden kann. Alle Einrichtungen, die Beiträge aus dem Wirtschaftsförderungsfonds im Rahmen des Impulsprogrammes "Familie und Beruf" zugesprochen erhalten haben, werden durch Private (Vereine, Stiftungen) getragen.




4. Auf welche Weise und nach welchen Kriterien gedenkt der Regierungsrat die Wirkung der eingesetzten Impulsmittel zu überprüfen?


Es ist vorgesehen, das Impulsprogramm Familie und Beruf" einer externen Evaluation zu unterziehen.




5. Seitens der Gemeinden bestehen bereits heute grosse Befürchtungen, dass sie nach Abschluss des Impulsprogrammes für die Weiterführung der initiierten Projekte sorgen müssen. Wie stellt sich der Regierungsrat dazu?


Das Impulsprogramm "Familie und Beruf" fördert ausschliesslich Projekte, deren Dritt-finanzierung nachhaltig gesichert ist. Es versteht sich nicht als alleinige, sondern als Ergänzung zu weiteren Finanzquellen neben den Elternbeiträgen. Mit Ausnahme eines Projektes, dessen Drittfinanzierung über den Verkauf von Plätzen an Unternehmen erfolgt, verfügen alle Trägerschaften über verbindliche Finanzierungszusagen der Standortgemeinden. Die Kriterien für den Erhalt von Mitteln aus dem Impulsprogramm wurden so festgelegt, dass der befürchtete Fall gar nicht eintreten kann. Die Härte des Kriteriums der vorhandenen Drittfinanzierung ist denn auch ursächlich für den Umstand, dass derzeit nur rund die Hälfte der verfügbaren Mittel ausgeschöpft sind. Es liegen mehrere Gesuche von Privaten vor, welche ausschliesslich wegen mangelnder Zusagen der betroffenen Gemeinden oder von Unternehmen nicht oder noch nicht positiv entschieden werden konnten.




6. Die Projektverantwortlichen erheben bereits heute die Forderung nach einer gesetzlichen Grundlage für die Weiterführung und den Ausbau des laufenden Projektes im Jahr 2005. Teilt der Regierungsrat diese Auffassung?


Der Landrat hat am 2. September 1999 die Motion 99/074 von E. Nussbaumer überwiesen und den Regierungsrat beuaftragt, einen Bericht "Kantonales Gesamtkonzept für die familienergänzende Kinderbetreuung" zu erarbeiten. Im Hinblick auf die Erteilung eines entsprechenden Auftrages hat der Regierungsrat mit Beschluss vom 11. April 2000 eine interdirektionale Arbeitsgruppe FEB unter Federführung der Bildungs- Kultur- und Sport-Direktion eingesetzt. Mit RRB 2016 vom 11. Dezember 2001 nahm der Regierungsrat von diesem Bericht Kenntnis. Als erste Umsetzungsmassnahme daraus wurde per 1. Februar 2003 die mit 130 Stellenpronzenten dotierte Fachstelle für Familienfragen eingerichtet. Dies mit der primären Zielsetzung, bis Ende 2003 ein Gesamtkonzept "Familienbericht Basel-Landschaft" zu erstellen. Als Folgemassnahme ist anschliessend nach Genehmigung geplant, den regierungsrätlichen Auftrag zur Ausarbeitung einer gesetzlichen Grundlage umzusetzen.


Liestal, den 25. November 2003


Im Namen des Regierungsrates
Der Präsident: Straumann
Der Landschreiber: Mundschin



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