2002-272 (1)


I. Interpellation

Am 31 Oktober 2002 hat Landrat Ivo Corvini folgende Interpellation eingereicht:

"Am 4. Juli 2002 trat die Verordnung des Bundesrates "über die Einschränkgung der Zulassung von Leistungserbringern zur Tätigkeit zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung" in Kraft. Darin wird die Zahl der Ärztinnen und Ärzte sowie weiterer Medizinalpersonen in jedem Kanton auf eine bestimmte Höchstzahl pro Fachgebiet beschränkt.
In Art. 2 und 3 der Verordnung werden den Kantonen gewisse Regelungskompetenzen zugesprochen. So haben die Kantone insbesondere die Möglichkeit, Ausnahmen für bestimmte Fachgebiete (Kategorien) zu genehmigen. Zudem können sie auch von weiteren bestimmten Zulassungen absehen. Sie haben dabei stets die Versorgungsdichte in den Nachbarregionen, in der betreffenden Grossregion und in der Schweiz zu berücksichtigen.

Ich bitte den Regierungsrat um schriftliche Beantwortung folgender Fragen:

II. Antworten des Regierungsrates

1.) Wie schöpft der Kanton Basel-Landschaft seine Kompetenzen aus? Welche Regelungen werden/wurden wann getroffen? Von welchen Überlegungen und Kriterien lässt/liess sich der Regierungsrat dabei im Einzelnen leiten? Welche Fachgremien wurden angehört?

Die regionalen Sanitätsdirektorenkonferenzen haben Arbeitsgruppen eingesetzt, die Empfehlungen für die Umsetzung des Zulassungsstoppes ausgearbeitet haben. Die Arbeitsgruppe der Nordwestschweizerischen Sanitätsdirektorenkonferenz, in der der Kanton Basel-Landschaft Einsitz hatte, schlägt vor, weder die indirekt zu Lasten der Grundversicherung tätigen Leistungserbringern (Apotheker, Laboratorien, Physiotherapeuten, Krankenschwestern, Ergotherapeuten, Logopäden, Spitexorganisationen und Ernährungsberater) noch die Chiropraktoren, Zahnärzte und Hebammen dem Zulassungsstopp zu unterstellen. Bei den indirekt tätigen Leistungserbringern erfolgt die Kontrolle der Leistungen durch die verordnende Ärzteschaft. Bei den übrigen 3 Kategorien von Leistungserbringern (Chiropraktoren, Zahnärzte und Hebammen) herrscht zum einen die Auffassung vor, das keine unnötigen Leistungen erbracht werden (Hebammen) und dass zum anderen die Leistungen zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung derart gering sind, dass der administrative Aufwand zur Umsetzung des Zulassungsstoppes den möglicherweise äusserst geringen Effekt nicht rechtfertigt. Aus diesem Grund soll letztendlich nur noch die Ärzteschaft dem Zulassungsstopp unterworfen werden, wobei auch hier in begründeten Einzelfällen Ausnahmezulassungen erteilt werden können.
Auf eine Planung mit detaillierten Bedarfszahlen für einzelne Kategorien von Leistungserbringen und für verschiedene Kantonsteile wird verzichtet. Die Regierung stützt sich bei der grundsätzlichen Einführung eines Zulassungsstoppes für Ärzte im wesentlichen auf die Beurteilung, dass im Kanton ein gutes und genügendes Angebot an Leistungserbringern besteht, das es zu erhalten gilt. Mit der Ärztegesellschaft Baselland wurden eingehende Gespräche geführt. Studiert wurden diverse Eingaben weiterer Berufsorganisationen; weitere Gespräche erübrigten sich.

2.) In welcher Form werden/wurden die Regelungen erlassen? Sind formelle Gesetze notwendig, da das verfassungsmässige Recht auf Wirtschaftsfreiheit mit gewissen Regelungen eingeschränkt werden könnte (insbesondere bei einem Neuzulassungsstopp)?

Die Regelung erfolgt in der Form einer Verordnung (VO über die Ausnahmen von der Einschränkung der Zulassung von Leistungserbringern zur Tätigkeit zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (Zulassungseinschränkungsverordnung KVG)). Sie soll auf den 1. Januar 2003 in Kraft treten.
Die Einschränkung der Wirtschaftsfreiheit ist vom Gesetzgeber gewollt und im Bundesgesetz (KVG Art 55a) so verankert. Es sei an dieser Stelle auch darauf hingewiesen, dass durch den Zulassungsstopp auch die im Binnenmarktgesetz verankerte Freiheit, eine Geschäftstätigkeit, in diesem Fall eine Arztpraxis, von einem Kanton in einen anderen zu verschieben, beschnitten wird.

3.) Entsprechen die der Bundesratsverordnung zugrunde liegenden Höchstzahlen dem status quo im Kanton Basel-Landschaft? Oder stellen diese Zahlen reine Zielvorgaben dar?

Die Zahlen der Bundesratsverordnung entsprechen in etwa dem Stand Ende 2001, wobei die Einteilung in die verschiedenen ärztlichen Disziplinen nicht nachvollziehbar ist. Die Zahlen sind durch die vielen vor dem 4. Juli eingereichten Praxisbewilligungsgesuche längst überschritten. Die Bundesverordnung gibt eine Höchstzahl von 533 Ärztinnen und Ärzten im Kanton vor. Bei Inkrafttreten am 4 Juli waren aber schon 632 Praxisbewilligungen und gültige Gesuche verzeichnet (inkl. Chef- und Leitende Ärzte in den Kantonsspitälern).
Vergleiche dazu auch die schriftliche Antwort des Regierungsrates zur Interpellation von Thomas Friedli "Sparmassnahmen im Gesundheitswesen" (2002 / 211).

4.) Wurde die ganze Angelegenheit mit anderen Kantonen (z.B. in der Sanitätsdirektorenkonferenz), insbesondere mit dem Nachbarkanton Basel-Stadt besprochen? Zu welchen Ergebnissen gelangte man? Ist dabei eine gewisse Vorgehensweise mit dem Kanton Basel-Stadt abgestimmt?

Die beiden Halbkantone haben die Einführung des Zulassungsstopps gemeinsam mit den Kantonen SO, AG, und BE vorbereitet und haben ihre Verordnungen eng auf einander abgestimmt. An der Vorbereitung war auch Luzern beteiligt. Dieser Kanton hat aber aus Rücksicht auf andere Kantone der Zentralschweiz ein etwas anderes Vorgehen gewählt und den Zulassungsstopp umfassender geplant. In den übrigen Regionen wird wie in der NWCH vorgegangen.

5.) Was geschieht bei Praxisübernahmen (gesundheits-/altershalber oder im Todesfalle), wenn die Höchstzahl des betreffenden Fachbereichs bereits überschritten ist? Ist es für den Regierungsrat vorstellbar, dass eine Alterslimite für Ärztinnen und Ärzte, die der Bundesratsverordnung unterstehen, eingeführt wird?

Die auf den 1.1.03 in Kraft tretende Verordnung hat dazu folgenden Wortlaut:

§ 3
1   Bei den Kategorien von Leistungserbringern gemäss Anhang 1 der Bundesverordnung, für welche die nach Artikel 1 der Bundesverordnung verbindlichen Höchstzahlen gelten (Ärztinnen und Ärzte), kann die Volkswirtschafts- und Sanitätsdirektion in begründeten und dokumentierten Einzelfällen Ausnahmen bewilligen.
2   Als Einzelfälle/Ausnahmen gelten:
a. die Übernahme einer bestehenden Praxis;
a. das Vorliegen eines unter Berücksichtigung der lokalen oder regionalen Versorgungslage ausgewiesenen Bedarfs nach weiteren Leistungserbingern der entsprechenden Kategorie.
3 Das Ausnahmegesuch ist zu begründen. Dazu ist eine Stellungnahme der zuständigen ärztlichen Fachorganisation via die Arztegesellschaft Baselland einzureichen.
Die Einführung einer Alterslimite ist in der Bundesverordnung nicht vorgesehen. Ohne gesetzliche Grundlage ist diese weitere Einschränkung der Wirtschaftsfreiheit nicht möglich.

6.) Gilt der verordnete "Ärztestopp" auch für Spitalärztinnen und -ärzte mit Praxisbewilligung? Welche Auswirkungen hat die Bundesratsverordnung auf die öffentlichen Spitäler des Kantons Basel-Landschaft?

Die zur Bundesverordnung publizierten Zahlen enthalten auch Chef- und Leitende Ärzte der Kantonsspitäler, für sie gilt also der Zulassungsstopp auch. Sie werden ohnehin vom Regierungsrat gewählt. Ihre Zahl kann also nicht ohne Zustimmung der Regierung erhöht werden.
Assistenz- und Oberärzte sind nicht eigenverantwortlich tätig. Ihre Zahl wird deshalb durch die Verordnung nicht geregelt.

7.) Wie beurteilt der Regierungsrat die Situation für die jungen und angehenden Ärztinnen und Ärzte sowie für die weiteren Medizinalpersonen, die der Verordnung unterstellt sind? Mit welchen Auswirkungen ist dabei zu rechnen?

Für junge Ärztinnen und Ärzte am Ende ihrer Weiterbildung wird die Praxiseröffnung erschwert oder verzögert. Die Wirkung der Verordnung ist aber auf drei Jahre befristet. Schon heute lässt sich sagen, dass in den Spitälern attraktive Oberarztstellen mit ausländischen Arbeitnehmern gefüllt werden müssen, da hier nach wie vor Knappheit herrrscht. Eine existenzielle Bedrohung junger Ärzte ist daher nicht auszumachen.

8.) Wie viele Gesuche müssen noch nach altem Recht beurteilt werden (Gesuche, die bis zum Stichtag 3. Juli 2002 gestellt wurden)? Welche Kriterien gelten für diese? Wieviele Gesuche sind seit dem 4. Juli 2002 eingegangen und wie werden/wurden diese beurteilt? Wurde dabei auch schon der Rechtsweg beschritten?

Ein Gesuch gilt als gültig, wenn die erforderlichen Unterlagen mit eingereicht worden oder zumindest rechtzeitig bei der zuständigen Stelle beantragt worden sind. Vorzulegen ist das Diplom (Staatsexamen), ein Leumundszeugnis der Wohngemeinde, sofern solche ausgestellt werden, ein Auszug aus dem Zentralstrafregister und bei einer Praxisverlegung aus einem anderen Kanton eine Bescheinigung der dortigen Behörde über die unbescholtenen Berufstätigkeit. Ärztinnen und Ärzte müssen zudem seit Juni dieses Jahres einen Weiterbildungstitel nachweisen. Wird geltend gemacht, dass fehlende Unterlagen beantragt oder bestellt worden sind, so wird ein Gesuch für angemessene Zeit pendent gehalten.
Im Jahr 2002 sind bis und mit 3. Juli 89 Gesuche um eine ärztliche Praxisbewilligung registriert worden. Davon sind Ende November 41 bewilligt und noch 35 pendent. Die restlichen sind entweder schon als unvollständig zurückgewiesen oder wegen beabsichtigtem Führen einer Doppelpraxis abgelehnt worden.
Nach dem 4 Juli sind 8 Gesuche (Arztpraxen) eingereicht worden, wovon eines zurückgezogen worden ist. Eines wurde wegen fehlendem Weiterbildungstitel abgelehnt, eines wurde in der Form einer schon bestehenden Assistentenbewilligung weitergeführt und ein Viertes wird demnächst bewilligt werden. Dieses betrifft den Leiter des sportmedizinischen Instituts der Universität Basel, das in die Sporthalle St. Jakob verlegt wird. Zwei Gesuche sind noch pendent.
Eine Ueberprüfung und gegebenenfalls Ablehnung der restlichen pendenten, nicht vervollständigten Gesuche ist nach Ablauf des Jahres 2002 vorgesehen.

9.) Welche Erfahrungen hat der Regierungsrat bisher mit dieser Bundesratsverordnung gemacht? Was erhofft sich der Regierungsrat von dieser Bundesratsverordnung? Glaubt er, dass diese die beabsichtigten Wirkungen (Kosteneinsparungen) erreichen wird? Stellt der festgelegte "Ärztestopp" für den Regierungsrat ein taugliches und sinnvolles Mittel dar, die Gesundheitskosten besser in den Griff zu bekommen?

Die starke Zunahme der Gesuche nach dem Bekanntwerden der geplanten Verordnung im Juni 2002 lassen es unwahrscheinlich erscheinen, dass eine Kostenstabilisierung allein auf diesem Weg erreicht werden kann. Andererseits würde sich die Situation für den Kanton Basel-Landschaft schweiriger darstellen, wenn er als einziger Kanton der Nordwestschweiz den Zulassungsstopp nicht umsetzen würde. Dann könnte eine nochmalige, substantielle Erhöhung der Zahl neuer Praxen nicht ausgeschlossen werden.


Liestal, 19. November 2002

Im Namen des Regierungsrates
die Präsidentin:
der Landschreiber:



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