2002-294 (1)


1. Überblick

Seit dem 1. Januar 2000 ist die neue Strafprozessordnung (StPO 99) in Kraft. Gegenüber der früher geltenden StPO wurden im Rahmen eines etwa 25 Jahre dauernden Reformprozesses erhebliche Änderungen eingeführt. Bei verschiedenen Revisionspunkten war bereits im Gesetzgebungsverfahren klar, dass deren Bewährung in der Praxis nicht zum Vornherein mit Sicherheit beurteilt werden konnte.


Die Justiz- und Polizeikommission (JPK) hat deshalb bereits am 14. Mai 2001 im Sinne eines "follow-up" ein umfassendes Hearing mit den involvierten Behörden sowie einer Delegation des Anwaltsverbandes durchgeführt, um auch selber die Qualität der Gesetzgebungsarbeit überprüfen zu können. Aus diesen Anhörungen ergab sich, dass die StPO 99 im Allgemeinen zwar praxistauglich ist, aber doch in einigen Punkten relativ rasch nachzubessern ist und ein entsprechender aktueller Reformbedarf besteht. Vor diesem Hintergrund ist die vorliegende Teilrevision der StPO 99 zu verstehen. Überdies enthält die Vorlage diverse Anpassungen an das Bundesrecht.


Die heute geltende StPO soll in verschiedenen Punkten optimiert werden. Die meisten Revisionspunkte sind weitgehend technischer Natur und dementsprechend unbestritten, allerdings sind einige der vorgeschlagenen Änderungen (z.B. Verlängerung der Dauer der Untersuchungshaft) auch für den politischen Gesetzgeber relevant. Einigkeit herrscht jedoch darüber, dass bewusste grundlegende Entscheidungen des Gesetzgebers bei der kürzlichen Gesamtrevision der StPO im Rahmen dieser Vorlage nicht wieder in Frage gestellt werden sollen. Dies umso mehr, als das Projekt einer Bundesstrafprozessordnung in der Zwischenzeit vorangekommen ist und solche Fragen im Rahmen des Gesetzgebungsprojektes auf eidgenössischer Ebene in den nächsten Jahren ohnehin zur Diskussion und Entscheidung anstehen werden.




2. Organisation der Kommissionsberatungen


Die JPK hat die Vorlage anlässlich ihrer Sitzungen vom 13. Januar, 27. Januar, 10. Februar und 17. März 2003 bearbeitet. Die Kommissionsberatungen wurden begleitet von Regierungsrat Andreas Koellreuter, Christine Baltzer, Mitglied Geschäftsleitung des Kantonsgerichts, Stephan Mathis, Generalsekretär der JPMD und Gerhard Mann, Leiter Abteilung Bewilligungen, Freiheitsentzug und Soziales JPMD.


Zudem führte die JPK wiederum eine breite Anhörung durch. Vertreterinnen und Vertreter folgender Behörden und Organisationen wurden dazu eingeladen, ihren Standpunkt zur Teilrevision der StPO darzulegen: Geschäftsleitung des Kantonsgerichts, Abteilung Zivil- und Strafrecht des Kantonsgerichts, Verfahrensgericht in Strafsachen, Strafgericht, Staatsanwaltschaft, Bezirksstatthalterämter und BUR sowie der Anwaltsverband.


Die JPK konnte sich dabei davon überzeugen, dass der Vorlage praktisch durchwegs bescheinigt wurde, sie beseitige zumindest die wesentlichen der in der Praxis aufgetretenen Mängel. Zudem konnte festgestellt werden, dass ein Grossteil der im internen Vernehmlassungsverfahren zwischen den Behörden teilweise noch kontroversen Positionen nach Gesprächen offenbar im Sinne der Vorlage in Übereinstimmung gebracht worden sind.


Kurz nach Überweisung der Vorlage an die Kommission erfolgte eine Intervention der Basellandschaftlichen Richtervereinigung. Diese rügte, das Verfahrensrecht vor dem Verfahrensgericht in Strafsachen sei in der StPO 99 nicht geregelt, was rechtsstaatlich nicht haltbar sei. Die JPK befragte zu diesem Punkt sowohl die Vertreterin der Geschäftsleitung des Kantonsgerichts als auch die Präsidentin des Verfahrensgerichts in Strafsachen. Zudem holte sie beim Verfahrensgericht in Strafsachen eine schriftliche Stellungnahme ein. Von dieser Seite wird dargelegt, dass sich bei verfahrensrechtlichen Fragen unterdessen eine Praxis herausgebildet habe, welche in der Fachliteratur auch publiziert wurde. Im Übrigen halte man sich an die allgemeingültigen rechtsstaatlichen Grundsätze und wende die entsprechenden Bestimmungen der Zivilprozessordnung, des Verwaltungsverfahrensgesetz und der Verwaltungsprozessordnung sinngemäss an. Das Fehlen eines eigenen Verfahrensrechts für die verschiedenen Verfahren vor dem Verfahrensgericht stelle deshalb kein Problem dar, welches unverzüglich gelöst werden müsste. Seitens der Anwaltschaft wurde diesbezüglich kein dringender Handlungsbedarf angemeldet.


Für die JPK besteht angesichts dieser Stellungnahme ebenfalls kein dringender Handlungsbedarf. Überdies wäre es ohnehin nicht möglich gewesen, die vorliegende Teilrevision im gegenwärtigen Stand des Gesetzgebungsverfahrens mit einem zusätzlichen Verfahrensrecht zu ergänzen. Dies hätte vielmehr zu einem Antrag auf Rückweisung der Vorlage an den Regierungsrat führen müssen.




3. Eintreten


Sämtliche Fraktionssprecher/innen votieren für Eintreten auf die Vorlage. Es sei richtig, erkannte Mängel der neuen Strafprozessordnung rasch zu beheben und administrative Vereinfachungen zu ermöglichen sowie Leerläufe zu verhindern. Eintreten wird deshalb einstimmig und ohne Enthaltung beschlossen.




4. Detailberatung


In der Detailberatung nimmt die JPK einige vorwiegend redaktionelle und technische Änderungen am Gesetzestext vor, die im Rahmen dieses Berichts nicht ausdrücklich erwähnt zu werden brauchen. Nachfolgend werden die wichtigeren Diskussionen und Entscheide der JPK nachgezeichnet.




4.1 Dauer der Untersuchungshaft (§ 78 Abs. 2)


Laut der bundesgerichtlichen Praxis und auch gemäss dem Entwurf einer gesamtschweizerischen Strafprozessordnung wird die zulässige Höchstdauer der Untersuchungshaft durch die Dauer einer zu erwartenden Freiheitsstrafe begrenzt. Demgegenüber reduzierte die StPO 99 die Höchstdauer der Untersuchungshaft auf die Hälfte einer zu erwartenden unbedingt vollziehbaren Freiheitsstrafe. Diese verhältnismässig kurze höchstzulässige Untersuchungshaftdauer hat in der Praxis zu Schwierigkeiten geführt und kann insbesondere zur Folge haben, dass in komplexen Fällen und bei wenig Kooperationsbereitschaft der Angeschuldigten eine Entlassung aus der Untersuchungshaft erfolgen muss, obwohl an sich Haftgründe bestehen würden. Es kann vorkommen, dass sich solche Täter einer weiteren Strafverfolgung dadurch endgültig entziehen können.


Gestützt darauf sieht der vorliegende Entwurf vor, die Höchstdauer der zulässigen Untersuchungshaft analog zur bundesgerichtlichen Praxis auf die Dauer der zu erwartenden Freiheitsstrafe zu begrenzen. Diese Neuerung wird in der JPK sehr kontrovers diskutiert:


Es wird beantragt, die Untersuchungshaft zwar über die (gesamte) Dauer einer zu erwartenden Freiheitsstrafe zu begrenzen, aber die Möglichkeit der bedingten Entlassung gemäss Art. 38 StGB zu berücksichtigen. Eine bedingte Entlassung erfolgt nach der Verbüssung von zwei Dritteln der Strafe, sofern keine Gründe dagegen sprechen. Davon profitiert die überwiegende Mehrzahl aller Häftlinge.


Der Antrag wird damit begründet, dass auch auf diese Weise eine gewisse Verlängerung der zulässigen Untersuchungshaft erfolge, ohne aber die im Verhältnis zur bundesgerichtlichen Rechtsprechung gegenüber den Angeschuldigten liberalere Regelung aufzugeben. Eine kürzere Höchstdauer führe auch tendenziell zu einer Beschleunigung des Verfahrens. Zudem könne die Regelung im Entwurf dazu führen, dass jemand auf eine Appellation verzichtet, um den Genuss einer vorzeitigen Entlassung nicht zu verfehlen.


Demgegenüber wird argumentiert, der Haftrichter sei weder befugt noch in der Lage, zu beurteilen, ob dannzumal eine bedingte Entlassung zulässig sei. Eine Verkürzung der zulässigen Höchstdauer gegenüber der bundesgerichtlichen Praxis stelle immer auch einen Ansporn dafür dar, die Strafuntersuchung zu verzögern. Es sei störend, wenn jemand aus formellen Gründen aus der Untersuchungshaft entlassen werden müsse und daraufhin verschwinde. Der Strafanspruch des Staates dürfe nicht durch unnötige formelle Hindernisse verunmöglicht werden. Stossende Ergebnisse in Einzelfällen seien bei jeder Regelung denkbar.


Der Antrag, bei der zulässigen Höchstdauer der Untersuchungshaft die bedingte Entlassung gemäss Art. 38 StGB zu berücksichtigen, wird mit 5:8 Stimmen abgelehnt.




4.2 Verlängerung der Untersuchungshaft (§ 86 Abs. 2)


Gemäss den Regelungen der StPO 99 kann die Untersuchungshaft höchstens um jeweils 8 Wochen verlängert werden. Mit der Begründung, die periodische Haftüberprüfung erzeuge jeweils einen hohen Aufwand, welcher die eigentliche Verfahrensbearbeitung erschwere bzw. verzögere, ist in der Vorlage die Möglichkeit enthalten, in besonderen Fällen die Untersuchungshaft um jeweils höchstens 6 Monate zu verlängern.


Mit der Begründung, diese Verlängerungsmöglichkeit falle gegenüber der bisherigen Regelung massiv aus und verhindere die Überprüfung der Haft von Amtes wegen in regelmässigen Abständen, wird beantragt, die Möglichkeit der Verlängerung der Untersuchungshaft in besonderen Fällen auf höchstens 3 Monate zu beschränken. Überdies handle es sich dabei um eine im Rahmen der StPO 99 gefällte politische Entscheidung, welche nicht zur Disposition gestellt werden sollte. Dieser Antrag wird mit 4:9 Stimmen abgelehnt. Dabei wird geltend gemacht, dass eine Verlängerung in besonderen Fällen um lediglich einen Monat gegenüber dem Normalfall nichts bringe. Es handle sich hier um eine Regelung für besondere Fälle und nicht um den Regelfall. Hier habe die Praxis gezeigt, dass der mit der regelmässigen Haftüberprüfung verbundene administrative Aufwand zu einer unerwünschten Behinderung der eigentlichen Untersuchungstätigkeit führe.




4.3 Entscheidungsfrist in Beschwerdesachen (§ 120 Abs. 4)


Gemäss § 120 Abs. 4 StPO 99 hat die Beschwerdeinstanz über Verfahrensbeschwerden innert 5 Arbeitstagen zu entscheiden. In der Praxis hat sich herausgestellt, dass diese Frist so gut wie nie eingehalten werden kann. Die Frist wird als sog. Ordnungsfrist betrachtet. Deshalb wurde im Rahmen der Revisionsvorlage darauf verzichtet, eine Änderung zu beantragen. Damit soll weiterhin deutlich gemacht werden, dass über Verfahrensbeschwerden so rasch als möglich zu entscheiden ist.


Die JPK empfindet diesen dem Gesetzestext widersprechenden Zustand als unbefriedigend. Es soll nicht eine in Tagen bemessene Frist vorgegeben werden, die ohnehin nicht eingehalten werden kann. Um insbesondere dem je nach Fall völlig unterschiedlichen Zeitbedarf für die Behandlung der Beschwerde Rechnung zu tragen, beschliesst die JPK, die bisherige Formulierung "in der Regel innert 5 Arbeitstagen" durch die Umschreibung "raschmöglichst" zu ersetzen. Die JPK legt dabei Wert auf die Feststellung, dass damit keine grundsätzliche Ausdehnung der vorgesehenen Frist verstanden wird.




4.4 Dauer der Einsprachefrist im Strafbefehlsverfahren (§ 134 Abs. 1)


Die Revisionsvorlage verzichtet auf das bisherige Vorprüfungsverfahren von Freiheitsstrafbefehlen durch die Staatsanwaltschaft. Die entsprechenden Dossiers gelangen deshalb erstmals mit Erlass des Strafbefehls an die Staatsanwaltschaft. Um dieser Behörde ausreichend Zeit für eine angemessene Überprüfung der Strafbefehle einzuräumen, wurde die Frist für Einsprachen gegen Strafbefehle von bisher 10 auf 30 Tage verlängert. In der 1. Lesung wird ein Antrag, die Einsprachefrist gegen den Strafbefehl gegenüber der StPO 99 unverändert auf 10 Tagen zu belassen mit 13:0 Stimmen angenommen.


In der 2. Lesung wird seitens der Verwaltung und der Gerichte mit Nachdruck zu Gunsten einer Einsprachefrist von 30 Tagen interveniert. Nur so könne die Staatsanwaltschaft eine gründliche Überprüfung der Strafbefehle garantieren. Andernfalls könnten mit dem heutigen Personal Überprüfungen praktisch nur noch stichprobeweise durchgeführt werden. Demgegenüber wird geltend gemacht, dass es nicht Sinn des Wegfalls der Vorprüfungsverfahrens sein könne, die dort eingesparte Frist bei der Einsprachefrist anzuhängen. Die Rechtsmittelfrist betrage einheitlich und auch in andern Kantonen 10 Tage. Das Strafbefehlsverfahren ziele auch bewusst auf eine rasche Erledigung hin. Es sei in Kauf zu nehmen, dass die Staatsanwaltschaft nur noch ein summarisches Überprüfungsverfahren durchführe. Eine Verlängerung der Einsprachefrist widerspreche dem Ziel der gesamten Justizreform, die Verfahren zu beschleunigen und die Effizienz zu steigern.


Die JPK hält mit 6:3 Stimmen bei 1 Enthaltung an der Verkürzung der Einsprachefrist gegen Strafbefehle auf 10 Tage fest.




5. Antrag


Die JPK beantragt dem Landrat mit 9:0 Stimmen bei 1 Enthaltung, der Gesetzesrevision gemäss beiliegendem Entwurf zuzustimmen.


Lausen, den 9. April 2003


Im Namen der Justiz- und Polizeikommission
Der Präsident: Dieter Völlmin


Beilage:
- Entwurf Gesetz betreffend die Strafprozessordnung (StPO)



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