2001-100 (1)

Am 5. April 2001 reichte Landrätin Margrit Blatter, Reigoldswil, die Schriftliche Anfrage 2001/100 betreffend unbediente SBB-Bahnhöfe im Baselbiet mit folgendem Wortlaut ein:


Im Baselbiet sollen aufgrund von Sparmassnahmen verschiedene Bahnhöfe nicht mehr durch das SBB-Personal bedient werden. Für zahlreiche Fahrgäste hat der Wegfall des Service-Public aber die Negativkonsequenz, dass das öffentliche Regionalfahrangebot der Bahn nicht oder nur mehr begrenzt in Anspruch genommen werden kann. Behinderte und ältere Personen, Rollstuhlfahrerinnen und Rollstuhlfahrer, Familien mit Kinderwagen usw. leiden unter den Folgen dieses Dienstleistungsabbaus. An vielen Bahnhöfen fehlen ja bis heute sichere Fahrwege (Unterführungen), während ein begleitetes Überqueren der Perronanlagen und eine Einstiegshilfe dank dem SBB-Personal bis heute noch möglich war.


Auch für sehbehinderte Menschen ist das Bedienen der Billettautomaten oder der Zu- und Weggang zu den Zügen ohne unterstützende Begleitung und Hilfe oft ein grosses Problem.


Ich bitte daher den Regierungsrat um die Beantwortung folgender Fragen:


1. Was gedenkt er zu unternehmen, damit Personen mit Kinderwagen, in Rollstühlen oder sehbehinderte Personen weiterhin das öffentliche Regionalfahrangebot der SBB benutzen können?


2. Welche weiteren Bahnhöfe, wie zum Beispiel Pratteln, werden aufgrund des fehlenden SBB-Dienstpersonals bzw. der fehlenden baulichen Massnahmen nicht mehr für alle Fahrgäste benutzbar sein?


3. Welche Haltung hat das SBB-Management bezüglich dieser Problematik? Ist diese Diskriminierung mit dem öffentlichen Beförderungsauftrag noch vereinbar?



Der Regierungsrat beantwortet die gestellten Fragen wie folgt:

Mit Ausnahme des Bahnhofs Liesberg werden sämtliche SBB-Bahnhöfe des Kantons mit den Regionalzügen bedient. Die Gemeinde Liesberg wird seit Jahren mit einer Postauto-Linie bedient, weil der Bahnhof über einen Kilometer vom Dorf entfernt liegt. Im Zuge der fortschreitenden Automation sind - gleich den Tramhaltestellen - aber nicht mehr alle SBB-Bahnhöfe mit Personal besetzt. Anlässlich der Überweisung des Postulats 2000/134 von Landrat Max Ribi, vom 8. Juni 2000 betreffend Erhaltung bedienter Bahnhöfe im Kanton Basel-Landschaft wurde der Landrat vom Regierungsrat eingehend über das SBB-Konzept "Marktpräsenz Personenverkehr", welches die SBB im Verlaufe der nächsten Jahre zusammen mit den Gemeinden umsetzen wird, informiert.


Frage 1:
Was gedenkt er [Regierungsrat] zu unternehmen, damit Personen mit Kinderwagen, in Rollstühlen oder sehbehinderte Personen weiterhin das öffentliche Regionalfahrangebot der SBB benutzen können?


Antwort:
Die Bau- und Umweltschutzdirektion hat die Erarbeitung eines Konzepts für einen behinderten- und betagtengerechten öffentlichen Nah- und Regionalverkehr in Auftrag gegeben. Die beiden Kantone Basel-Stadt und Basel-Landschaft, die Behindertenverbände sowie die Transportunternehmungen sind an den Konzeptarbeiten beteiligt. Die SBB sind zur Zeit daran, ihr Behinderten-Konzept zu überarbeiten. Es ist vorgesehen, die vorgeschlagenen Massnahmen für SBB-Bahnhöfe zu prüfen und allenfalls ergänzt im kantonalen Konzept zu übernehmen. Die darin vorgeschlagenen Massnahmen werden in den Planungsauftrag an die SBB für die Regio-S-Bahn 2005 einfliessen. Dieser Planungsauftrag wurde den Schweizerischen Bundesbahnen gemeinsam mit den Nordwestschweizer Kantonen im vergangenen Dezember erteilt. Das Investitionsprogramm wird den Ein- und Ausstieg durch Erhöhung der Perronkanten auf einheitliche 55 cm verbessern ("Eintreten statt Einsteigen"), optische und akustische Fahrgastinformationen vorsehen und dank neuem Rollmaterial mit Niederflur auch den Zugang zum Zug für alle Bahnkunden erleichtern. Für sehbehinderte Reisende sind taktile Bodenmarkierungen vorgesehen. Ausserdem können sehbehinderte Reisende ein Generalabonnement 2. Klasse zum ermässigten Preis beziehen; die unterstützende Begleitperson benötigt keinen zusätzlichen Fahrausweis.




Frage 2:
Welche weiteren Bahnhöfe, wie zum Beispiel Pratteln, werden aufgrund des fehlenden SBB-Dienstpersonals bzw. der fehlenden baulichen Massnahmen nicht mehr für alle Fahrgäste benutzbar sein?


Antwort:
Mit der Automation erfüllen die SBB die Aufträge von Bundesrat und eidgenössischem Parlament, das bestehende Schienennetz intensiver zu nutzen, die Pünktlichkeit der Züge zu steigern, die Sicherheit des Bahnverkehrs zu erhöhen und die Infrastrukturanlagen wirtschaftlich zu betreiben. Der Kanton hat seit 1996 für die Angebotsleistungen des Regionalverkehrs, die er bei den SBB zusammen mit den anderen Nordwestschweizer Kantonen bestellt, eine höhere Verantwortung übernommen. Trotz den enormen Sparanstrengungen, welche den SBB aufgetragen wurden, haben die SBB nie nach dem Motto verfahren, an den Bahnhöfen "das Licht zu löschen und die Schlüssel wegzuwerfen". Der vielzitierte Service public definiert sich in erster Linie am Fahrplanangebot und an den Bahnhöfen und nur sekundär an den Schalteröffnungszeiten. Das Fahrplanangebot ist in den vergangenen vier Jahren kontinuierlich ausgebaut worden und weitere Schritte werden mit der Umsetzung des neuen Generellen Leistungsauftrages 2001 - 2005 (Halbstundentakt auf der "Blauen Linie" Laufen - Basel - Olten, Nachtzug an Wochenenden) sowie mit dem Planungsauftrag für die "Regio-S-Bahn 2005" folgen.


Als flankierende Massnahmen sehen die SBB zur Erfüllung folgender Kundenwünsche weitere Massnahmen vor:


- Ein neues Gesicht der Regionalbahnhöfe: Fast alle Bahnhöfe im Baselbiet erhalten in den nächsten zwei Jahren neue prägende Elemente für ein erneuertes Erscheinungsbild der Bahnhöfe, wie Informationswände, gesamtheitliche Beleuchtungen und im Einvernehmen mit den Gemeinden verbesserte Umgebungsgestaltungen;


- Verbesserte Sicherheit und Sauberkeit: Neue Unterführungen, neue Beleuchtungsqualität, Eliminierung von Zugangs-Barrieren für Behinderte, grössere Sauberkeit von Anlagen und Rollmaterial, bessere Pünktlichkeit;


- Neue Bahnhöfe am Dreispitz (Vorprojektierung im Gange), in Längi-Pratteln und im Augarten (Planungen vorgesehen);


- Neue oder zusätzliche Park+Ride-Anlagen sowie Velounterstände;


- Neue Verkaufsformen durch Bestellung mit Telefon (Rail-Service) und per Internet; Aufstellung von modernen Billettautomaten an den Bahnhöfen, welche den geänderten Kundenbedürfnissen Rechnung tragen;


- Zugangsverbessernde Ausbauprojekte mit Rampen (Kinderwagen, Rollstühle), Unterführungen, kundenfreundliche Perronhöhen vorerst in Liestal, Lausen, Sissach und Aesch;


- Neue Formen der Bahnhofsbesetzung durch Kooperationen mit Gemeinden (Beispiel Grellingen) oder sogenannten "avec"-Läden (Beispiele Muttenz und Gelterkinden).


Nur bei geringem Kundennutzen sind Selbstbedienungsbahnhöfe vorgesehen (Beispiele Läufelfingen und Lausen). Doch auch bei diesen Bahnhöfen sind Massnahmen vorgesehen, welche möglichst vielen Fahrgästen die selbständige Benützung der Züge ermöglichen sollen. Falls diese nicht ausreichen, ist Hilfe durch Mitreisende erwünscht.


Durch die bereits realisierte Fernsteuerung in Basel SBB einerseits und der aufwändigen Planungsarbeiten und Plangenehmigungsverfahren andrerseits sind während einer gewissen Übergangszeit nicht alle Bahnhöfe zugangsfreundlich. So sind beispielsweise die Bahnhöfe Pratteln und Zwingen heute nur über Treppen erschlossen. Für beide Bahnhöfe sind jedoch separate Projektierungsarbeiten eingeleitet. Dadurch sind gehbehinderte Reisende und Fahrgäste mit Kinderwagen und Velos bis zum Abschluss der Bauphase auf selbst organisierte oder fremde Hilfe angewiesen.


Zu bedenken ist ausserdem, dass es in unserem Kanton zahlreiche Tramstationen gibt, die über ein mehrfaches an Fahrgästen gegenüber jenen Bahnhöfen aufweisen, die von den SBB als Selbstbedienungsbahnhöfe vorgesehen sind. Es gibt heute wohl nur wenige Personen, welche bei der heutigen BLT-Linie 10 die ehemaligen Bahnhofvorstände der Birsigtalbahn vermissen.




Frage 3:
Welche Haltung hat das SBB-Management bezüglich dieser Problematik? Ist diese Diskriminierung mit dem öffentlichen Beförderungsauftrag noch vereinbar?


Antwort:
Die SBB waren und sind zu keinem Zeitpunkt verpflichtet, sämtlichen Personen eine Mitfahrmöglichkeit in ihren Zügen zu verschaffen. Auch das im Entwurf vorliegende eidgenössische Behindertengleichstellungsgesetz (Entwurf vom 11. Dezember 2000) sieht eine solche Verpflichtung nicht vor. Es gilt der Grundsatz der Verhältnismässigkeit. Für die Anpassungen der Anlagen und des Rollmaterials sind in diesem Gesetzesentwurf langjährige Übergangsfristen vorgesehen. Der öffentliche Verkehr ist neben anderen Bereichen, wie Bildung, berufliche Tätigkeit, Wohnen, Kultur und Sport, Bestandteil eines Programms, welches der besseren Integration behinderter Menschen in die Gesellschaft dient. Sowohl die Leitung der SBB als auch der Regierungsrat sind bestrebt, mit gemeinsamen, geeigneten Massnahmen diesem Integrationsziel im öffentlichen Verkehr nachzukommen. In diesem Sinne und im Sinne der überwiesenen Volksinitiative für einen behinderten- und betagtengerechten öffentlichen Nah- und Regionalverkehr wird der Regierungsrat Ende dieses Jahres dem Landrat eine Ergänzung des Gesetzes zur Förderung des öffentlichen Verkehrs unterbreiten.


Liestal, 5. Juni 2001


Im Namen des Regierungsrates
der Präsident: Koellreuter
der Landschreiber: Mundschin



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