2001-39 (1)

Herr Landrat Dölf Brodbeck hat am 8. Februar 2001 eine Interpellation eingereicht, die folgenden Inhalt hat:


"Naturkatastrophen prägen das Elementarschadengeschehen der letzten Jahre. Die in diesem Zusammenhang angestellten Überlegungen zur Klimaerwärmung gewinnen an Plausibilität. Mit den steigenden Elementarschäden stellt sich die Frage nach der Versicherbarkeit und Vermeidbarkeit nachdrücklicher. Das Schadenjahr 1999 hat die die Wirksamkeit der Gebäudeversicherung in unserem Kanton unter Beweis gestellt.


Erdbebenschäden sind im Kanton Basel-Landschaft gemäss § 16 des Sachversicherungsgesetzes allerdings nicht versichert. Zwar existiert auf freiwilliger Basis eine Erdbebendeckung, jedoch mit begrenzter Wirkung und hohem Selbstbehalt.


Erdbebenereignisse sind relativ selten, wenn sie aber auftreten, sind die Folgen katastrophal!


Der Regierungsrat wird um Beantwortung der folgenden Fragen gebeten:


1. Wie beurteilt der Regierungsrat die Ausgangslage und welchen vordringlichen Handlungsbedarf sieht er punkto Erdbebensicherung in unserem Kanton?


2. Welche Voraussetzungen bestehen punkto Erdbebenversicherung bei unseren Nachbarn in Baden-Württemberg und im Elsass?


3. Wie beurteilt der Regierungsrat die Chance der Einführung einer (obligatorischen?) Erdbebenversicherung in unserem Kanton?


4. Welche Massnahmen trifft der Kanton zur Bewältigung eines Katastrophenereignisses Erdbeben?


5. Sieht der Regierungsrat eine Möglichkeit zur Verhaltensförderung der Bevölkerung (Panikreaktion der Menschen bei hoher Erdbebenintensität)?


Es wird um schriftliche Beantwortung der Interpellation gebeten."



Der Regierungsrat beantwortet die einzelnen Fragen wie folgt:

Frage 1: Wie beurteilt der Regierungsrat die Ausgangslage und welchen vordringlichen Handlungsbedarf sieht er punkto Erdbebensicherung in unserem Kanton?


1.1 Ausgangslage


1.1.1 Gefahr


Die unmittelbare Wirkung eines Bebens besteht in der Beschädigung oder Zerstörung von Bauwerken (Gebäuden, Brücken etc.) und anderen technischen Einrichtungen (Strassen, Leitungen etc.). Daraus resultieren als wesentliche Gefahr für Menschen die Möglichkeit von Verschüttungen in eingestürzten Gebäuden sowie von Verletzungen durch herumfliegende Bauteile.


Die grösste Sekundärgefahr besteht in grossflächigen Bränden, die aus einer Vielzahl kleiner Brände und / oder einer massiven Behinderung von Löscharbeiten infolge Wasserunterbruchs und / oder blockierter Strassen resultieren können.


Durch Betriebsunterbrüche besteht die Gefahr nachhaltiger volkswirtschaftlicher Schäden mit nationaler Dimension (messbare Verringerung des nationalen Bruttosozialprodukts).




1.1.2 Risiko


Die Eintretenswahrscheinlichkeit von Schadbeben im Raum Basel ist gering. Die Wiederkehrperiode für das Basler Erdbeben von 1356 beispielsweise wird auf 700 bis 1000 Jahre geschätzt.


Das zu erwartende Schadenausmass ist jedoch aufgrund der möglichen Erdbebenstärke, der hohen Besiedlungsdichte und der sehr hohen Wertkonzentration beträchtlich. Nach Schätzungen des Schweizerischen Pools für Erdbebendeckung (1) wären bei einer Wiederholung des Erdbebens von 1356 unter heutigen Bedingungen beispielsweise folgende Schäden zu erwarten:




1.1.3 Relative Gefährdung


Die zu erwartenden (makroseismischen) Intensitäten für Erdbeben in der Schweiz, Deutschland und Österreich liegen zwischen III und VIII. Der Grossraum Basel wird auf dieser Skala in den Intensitätsbereich VII 1/2 eingestuft. Stärkere Intensitäten (bis VIII) sind im Vergleich Schweiz-Deutschland-Österreich nur im Wallis, auf der Schwäbischen Alb und im südlichen Kärnten zu erwarten. (2)




1.1.4 Schutzmöglichkeiten


Der Mensch hat keine Möglichkeit, Häufigkeit und Stärke von Erdbeben direkt zu beeinflussen. Damit beschränkt sich die Schadenvermeidung da-rauf, die Empfindlichkeit technischer Einrichtungen (Gebäuden, Bauwerke, Leitungsnetze etc.) zu verringern und systematische Vorbereitungen für die Bewältigung von Erdbebenfolgen zu treffen. Besonders wichtig sind hier


- Richtiges Verhalten im Moment des Erdbebens,
- Vermeiden von Flächenbränden,
- Rettung verschütteter Personen,
- Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung,
- Wiederaufbau.


Einen absolut sicheren Schutz gegen Erdbeben und deren Folgen gibt es nicht.




1.1.5 Frühwarnsystem


Es ist derzeit kein Frühwarnsystem bekannt, das unmittelbar bevorstehende Erdbeben verlässlich anzeigt und für eine Warnung der Bevölkerung eingesetzt werden könnte.




1.2 Handlungsbedarf


1.2.1 Genereller Handlungsbedarf


1.2.1.1 Sensibilisierung


Es besteht die allgemeine Gefahr, dass Erdbebenrisiken aufgrund der geringen Eintrittswahrscheinlichkeit verdrängt werden. Deshalb ist es notwendig, das Gefahrenbewusstsein wach zu halten und kontinuierlich auf Gefährdung und Schutzmöglichkeiten hinzuweisen.


Dabei ist insbesondere immer wieder deutlich zu machen, dass es
- keine absolute Erdbebensicherheit gibt,
- es neben erdbebenresistent gebauten Gebäuden immer auch ältere Gebäude gibt, die beispielsweise noch nicht nach geltenden Erdbebenbauvorschriften erstellt wurden,
- im Falle eines Erdbebens allein schon aufgrund blockierter Strassen und Wege nicht allen Personen sofort umfassend wird geholfen werden können,
- folglich der Selbsthilfe eine grosse Bedeutung zukommt.




1.2.1.2 Fortentwicklung


Durch jedes Schadenbeben in sogenannten "hochentwickelten Industrieländern" werden erfahrungsgemäss neue Erkenntnisse hinsichtlich Bautechnik wie auch Schadenbewältigung gewonnen. Diese Entwicklung muss aufmerksam verfolgt werden und es ist kontinuierlich zu prüfen, welche neuen Erkenntnisse und Erfahrungsberichte gegebenenfalls auf den Kanton anzuwenden sind.




1.2.2 Akuter Handlungsbedarf


Es liegen derzeit keine Erkenntnisse oder Erfahrungsberichte vor, aus denen sich akuter Handlungsbedarf ergibt.




Frage 2: Welche Voraussetzungen bestehen punkto Erdbebenversicherung bei unseren Nachbarn in Baden-Württemberg und im Elsass?


2. Versicherungsschutz


2.1 Baden-Württemberg


2.1.1 Generelle Regelung


Die Versicherung von Erdbebenschäden ist freiwillig: Man kann seine Gebäude gegen Erdbebenschäden versichern, muss dies aber nicht tun.




2.1.2 Gebäudeversicherung


Die privaten Versicherer bieten die Deckung von Erdbebenschäden zusätzlich zur (obligaten) Feuerversicherung als Teil der (fakultativen) Elementarschadenversicherung an.


Deckungsgrenzen nach oben werden nicht genannt. Ein Versicherer nennt eine Deckung von 2,5 Millionen DEM je Einzelschaden.


Die Selbstbehalte variieren je nach Versicherer; sie liegen typisch bei 10 % des Schadens, mindestens jedoch 1'000 DEM, maximal aber 10'000 DEM.


Die Prämienhöhen sind nicht erkennbar, weil alle Versicherer die Erdbebendeckung nur als Teil der Elementarschadenversicherung anbieten. Befragte Versicherer weisen darauf hin, dass die Prämienhöhen weitaus mehr vom Marktgeschehen als vom (realen) technischen Preis bestimmt werden.




2.1.3 Hausrat


Für die Hausratversicherung gilt sinngemäss das gleiche, wobei die Prämienhöhen noch weniger transparent sind.




2.2 Frankreich


2.2.1 Generelle Regelung


In Frankreich wird die Deckung von Erdbebenschäden durch eine Kombination aus privatwirtschaftlichem und staatlichem Versicherungsschutz erzielt: Der Staat garantiert eine Deckung von Erdbebenschäden, sofern für das jeweilige Risiko eine (privatwirtschaftliche) Versicherung abgeschlossen ist. Das heisst: Besteht für ein Gebäude eine Feuerversicherung, dann garantiert der Staat gleichen Deckungsumfang auch für einen Erdbebenschaden. Im Gegenzug wird für jeden Versicherungsvertrag eine Prämie in Höhe von 6 bis 9 % der jeweiligen Prämie erhoben.




2.2.2 Selbstbehalte und Deckungsumfänge


Selbstbehalte und Deckungsumfänge ergeben sich im Detail aus den bezogenen Versicherungsverträgen; grobe Anhaltspunkte sind:




Frage 3: Wie beurteilt der Regierungsrat die Chance der Einführung einer (obligatorischen?) Erdbebenversicherung in unserem Kanton?


3. Einführung einer obligatorischen Erdbebenversicherung


Heute - in einer Zeit der Deregulierung - Obligatorien einzuführen, obwohl in diesem Fall sicher sinnvoll und prüfenswert, wird politisch nicht einfach sein. Grundsätzlich wäre dies mit einer Gesetzesänderung möglich.




Frage 4: Welche Massnahmen trifft der Kanton zur Bewältigung eines Katastrophenereignisses Erdbeben?


4. Massnahmen


Der Führungsstab des Kantons und die Führungsstäbe der Gemeinden erhalten im Rahmen der Grundausbildung des Amtes für Bevölkerungsschutz die notwendige minimale Kompetenz, die Einsatzplanung zu führen und Grossschadenlagen zu meistern.


Allerdings ist die Umsetzungstiefe der Einsatzplanungen sowie die Intensität der Führungstrainings bei den Gemeindeführungsstäben sehr unterschiedlich.


Für die Bewältigung einer erdbebenbedingten Grossschadenlage stehen im Kanton Basel-Landschaft nebst den Feuerwehren, den Sanitätsrettungsdiensten und den Samariterorganisationen 79 Rettungszüge, 28 Betreuzüge und 10 Sanitätshilfestellen des Zivilschutzes zur Verfügung.


Im Rahmen der Optimierung der Vorbereitungen für die Bewältigung einer Grossschadenlage durch ein Erdbeben werden in den Jahren 2000 - 2005 folgende Massnahmen durch das Amt für Bevölkerungsschutz Basel-Landschaft durchgeführt:


1. Bildung einer interdisziplinären ständigen Arbeitsgruppe Erdbebenvorsorge mit den Bearbeitungsbereichen Erdbebensicherung öffentlicher Gebäude und Brücken, historischer Bauten, gefährlicher Anlagen / Installationen / Einrichtungen sowie der kantonalen Einsatzkonzepte für die Bewältigung von erdbebenbedingten Schadenlagen.


2. Identifizierung und Katalogisierung der Liveline-Objekte.


Also ausgewählte Teile der Infrastruktursysteme, deren Funktionieren vor allem für die Rettungsphase von entscheidender Bedeutung sind.


3. Erdbebenmikrozonierung im urbanen Bereich des unteren Baselbietes.


4. Trainingsmodule für den Kantonalen Führungsstab, die Gemeindeführungsstäbe und die Krisenstäbe der Grossunternehmen.




Frage 5: Sieht der Regierungsrat eine Möglichkeit zur Verhaltensförderung der Bevölkerung (Panikreaktion der Menschen bei hoher Erdbebenintensität)?


5. Verhaltensförderung


5.1 Höherer Schutz durch richtiges Verhalten


Durch richtiges Verhalten vor, während und nach einem Erdbeben können die Überlebenschancen des Einzelnen entscheidend erhöht und die materiellen und wirtschaftlichen Schäden beziehungsweise negativen sozialen Auswirkungen eines Erdbebens erheblich verringert werden.




5.2 Beispiele richtigen Verhaltens


Zum besseren Verständnis sind hier einfache Beispiele für die Bedeutung des Verhaltens vor, während und nach einem Beben genannt; selbstverständlich ist die Palette richtiger Verhaltensweisen weitaus umfangreicher.


Vor einem Beben kann die Gefahr von Personenschäden beispielsweise deutlich verringert werden, indem darauf verzichtet wird, schwere Gegenstände (etwa glasgerahmte Bilder) über dem Bett aufzuhängen. Denn diese können schon bei vergleichsweise schwachen Erdbewegungen herunterfallen und Schlafende erschlagen.


Während eines Bebens ist zum Beispiel entscheidend, sofort Schutz gegen herunterfallende und herumfliegende Teile (insbesondere Glassplitter) zu suchen und keinesfalls den Trümmerschatten von Gebäuden zu passieren, weder also Gebäude zu verlassen, noch sie zu betreten.


In den ersten Stunden nach einem Beben kann der Erfolg von Rettungsaktionen durch das Verhalten der Bevölkerung sowohl erheblich gefährdet, wie auch entscheidend gefördert werden. Falsches Verhalten wäre zum Beispiel, die Ereignisdienste um Hilfe zu bitten, wo dies nicht unbedingt erforderlich ist. Richtig wäre hingegen, sich so weit als nur irgend möglich zunächst selbst zu helfen, damit die begrenzten Ressourcen ganz auf die Lebensrettung konzentriert werden können. Hier wiederum können die Ereignisdienste entscheidend unterstützt werden, indem Nachbarn zuverlässige Informationen geben, ob die Bewohner eines eingestürzten Hauses während des Bebens "wahrscheinlich zu Hause waren" oder sich "gerade im Urlaub befinden" etc.




5.3 Richtiges Verhalten fördern


Um richtiges Verhalten im Sinne der genannten Beispiele fördern zu können, genügt es nicht, zu zeigen, worin richtiges Verhalten besteht. Es muss auch erklärt werden, warum bestimmte Verhaltensweisen mehr Schutz und Sicherheit gewähren als andere. Dies kann aber nur vor dem Hintergrund realistischer Szenarien nachvollziehbar dargestellt werden. Wichtigstes Element einer Verhaltensförderung ist deshalb eine sachliche Aufklärung der Bevölkerung über alle Gefahren wie auch über alle Möglichkeiten des Schutzes vor und der Bewältigung von Schäden durch Erdbeben.


Dazu müssen Erdbebenrisiken offen und vorbehaltlos kommuniziert werden, um zu vermeiden, dass sich die Bevölkerung falsche Vorstellung macht. Falsch in diesem Sinne ist zum Beispiel die Annahme, ein Erdbeben würde alle Städte im Raum Basel in Schutt und Asche legen. Falsch ist aber auch die Erwartung, selbst bei einem starken Beben könne jedem Einzelnen sofort umfassend geholfen werden.


Die Bevölkerung darf weder durch Horrorszenarien verängstigt und entmutigt werden, noch dürfen falsche Sicherheiten vorgespielt werden. Weder darf der Einzelne zu der Annahme verleitet werden, nichts "tun zu können", noch zu der, "nichts tun zu müssen".


Deshalb wird der Regierungsrat weiter die offene Diskussion und Information über Erdbebenrisiken fördern. Positive Beispiele in diesem Sinne sind etwa die Herbsttagung der BGV zum Thema Erdbeben oder die Bemühungen des Amtes für Bevölkerungsschutz, die Bevölkerung (wieder) stärker in der Bewältigung von Grossschadenereignissen einzubeziehen.


Weitergehende Massnahmen wären zum Beispiel sogenannte Earthquake-Drills, wie sie in Japan und Kalifornien üblich sind. Mindestens einmal jährlich abgehaltene Übungen in Schulen und Betrieben, bei denen das richtige Verhalten im Falle eines Erdbebens 1:1 regelrecht trainiert wird.


Solche Übungen an sich sind ohne Zweifel wertvoll. Voraussetzung für eine nachhaltige Schutzwirkung ist jedoch eine hohe Akzeptanz seitens der Bevölkerung, wie sie seismisch stark aktiven allein schon deshalb gegeben ist, weil die Menschen dort alle paar Monate durch spürbare Erdbeben eindrücklich an die Risiken erinnert werden und deshalb von sich aus das Bedürfnis nach einer möglichst guten Vorbereitung entwickeln. Soll heissen: Wirklich Sinn würden solche Übungen nur machen, wenn sie von der Bevölkerung nachgefragt werden, was im Kanton Basel-Landschaft so derzeit nicht zu erkennen ist.


Liestal, 27. März 2001


Im Namen des Regierungsrates
Der Präsident: Koellreuter
Der Landschreiber: Mundschin



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Fussnoten:


1. Schweizerischer Pool für Erdbebendeckung, Geschäftsbericht 1996


2. Grünthal, Mayer-Rosa-Lenhardt: Abschätzung der Erdbebengefährdung für die D-A-CH Staaten in Erdbebeningenieurwesen, Oktober 1998