2001-38 (1)

Am 8. Februar 2001 hat Bruno Krähenbühl eine Interpellation betreffend "Bewilligung / Nichtbewilligung von öffentlichen Kundgebungen / Demonstrationen" eingereicht. Die Interpellation hat folgenden Wortlaut:


"Die Nichtbewilligung von Kundgebungen/Demonstrationen ist ein schwerer Eingriff in die von unserer Bundesverfassung garantierten Grundrechte (Meinungs- und Versammlungsfreiheit). Art. 36 Abs. 1 der neuen BV enthält bezüglich der Einschränkung von Grundrechten über die blosse Nachführung hinaus eine materielle Neuerung:


Art. 36 BV Einschränkungen von Grundrechten


1. Einschränkungen von Grundrechten bedürfen einer gesetzlichen Grundlage. Schwerwiegende Einschränkungen müssen im Gesetz selbst vorgesehen sein. Ausgenommen sind Fälle ernster, unmittelbarer und nicht anders abwendbarer Gefahr.


2. Einschränkungen von Grundrechten müssen durch ein öffentliches Interesse oder durch den Schutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt sein.


3. Einschränkungen von Grundrechten müssen verhältnismässig sein.


4. Der Kerngehalt der Grundrechte ist unantastbar.


Gemäss René Rhinow (Die Bundesverfassung 2000) zerfällt das Erfordernis der gesetzlichen Grundlagen (Art. 36 Abs. 1 BV) in das Gebot der rechtmässigen Grundlage und das Gebot der Gesetzesform. Nicht in der Verfassung erwähnt sei das Erfordernis des ausreichend bestimmten Rechtssatzes, das jedoch ebenfalls Teilgehalt von Abs. 1 bilde. Schwerwiegende Einschränkungen von Grundrechten müssten im Gesetz selbst vorgesehen sein. Vom Erfordernis der gesetzlichen Grundlage könne nur in Fällen "ernster, unmittelbarer und nicht anders abwendbarer Gefahr" abgesehen werden (polizeiliche Generalklausel).


Für Bewilligungen zur Durchführung von Kundgebungen und Versammlungen auf National- und Kantonsstrassen ist die Bau- und Umweltschutzdirektion, für jene auf Gemeindestrassen der Gemeinderat zuständig (§ 40 Strassengesetz). Die Kriterien zur Bewilligung/Ablehnung dieser Gesuche sind im Strassengesetz nicht enthalten.


Dazu stellen sich folgende Fragen:


1. Wer ist im Kanton Basel-Landschaft zuständig für die Prüfung der Zulässigkeit von Grundrechtseingriffen?


2. Genügen aus der Sicht der Regierung das heutige Strassengesetz und die polizeiliche Generalklausel auch unter dem Regime der neuen Bundesverfassung als Grundlage für die Einschränkung von Grundrechten? Müssten die Voraussetzungen für die Zulässigkeit bzw. Einschränkung von Kundgebungen/ Demonstrationen nicht gesetzlich geregelt sein? Gibt es allenfalls ein anderes kantonales Gesetz, welches diese Materie regelt?


3. Ist die Bau- und Umweltschutzdirektion, als technische Direktion, wirklich prädestiniert für die politisch oft heikle Bewilligung/Nichtbewilligung von Kundgebungen und Versammlungen? Könnte sich die Regierung auch eine andere Kompetenzordnung vorstellen? Wenn ja, welche?


Gestützt auf § 38 des Landratsgesetzes, wird der Regierungsrat ersucht, die oben Fragen zu beantworten.



Beantwortung der Fragen:

Frage 1:


Wer ist im Kanton Basel-Landschaft zuständig für die Prüfung der Zulässigkeit von Grundrechtseingriffen?


- Jede Behörde, die mit ihrer Verfügung Grundrechte tangiert.


- Der Regierungsrat und das Verfassungsgericht im Rechtsmittelverfahren.




Frage 2:


Genügen aus der Sicht der Regierung das heutige Strassengesetz und die polizeiliche Generalklausel auch unter dem Regime der neuen Bundesverfassung als Grundlage für die Einschränkung von Grundrechten? Müssten die Voraussetzungen für die Zulässigkeit bzw. Einschränkung von Kundgebungen/ Demonstrationen nicht gesetzlich geregelt sein? Gibt es allenfalls ein anderes kantonales Gesetz, welches diese Materie regelt?


Der Regierungsrat sieht aufgrund der neuen Bundesverfassung keinen gesetzgeberischen Handlungsbedarf. Gemäss den Erläuterungen des Bundesrates zum Verfassungsentwurf 1995 normiert der heutige Artikel 36 BV zuvor ungeschriebenes Verfassungsrecht. Dieses wurde vom Bundesgericht entwickelt und fand bereits unter der alten Bundesverfassung Anwendung.


Aus der Sicht des Regierungsrates braucht es keine zusätzlichen Gesetzesvorschriften über die Zulässigkeit respektive Einschränkung von öffentlichen Kundgebungen. Im kürzlichen Beschwerdeentscheid betreffend Nichtbewilligung einer Kundgebung der "Partei National Orientierter Schweizer (PNOS)" durch den Stadtrat Liestal stellte der Regierungsrat fest, dass sich die Bewilligungspflicht und die daraus folgende Möglichkeit des Verbots einer Kundgebung auf eine genügende gesetzliche Grundlage stützt.


Da jeder Einzelfall anhand der konkreten Umstände beurteilt werden muss, wären zusätzliche Gesetzesvorschriften auch schwierig zu definieren. Es bestünde die Gefahr, dass ein Regelwerk geschaffen wird, das sich im Nachhinein als lückenhaft erweist, was zu Rechtsanwendungsproblemen führen kann.


Soweit ersichtlich gibt es auch auf Bundesebene und in den anderen Kantonen keine entsprechenden Gesetzesvorschriften, so dass davon ausgegangen werden kann, dass hierfür kein Bedarf besteht. Wie der vorhin erwähnte Fall des abgewiesenen Gesuchs der PNOS für eine öffentliche Kundgebung in Liestal zeigt, lassen sich Kundgebungsgesuche von den zuständigen Instanzen auch gemäss dem heute geltendem Recht zuverlässig beurteilen.


Ein anderes kantonales Gesetz, das neben dem Strassengesetz die Materie regelt, besteht nicht. Auf Stufe der Kantonsverfassung ist aber auf den § 15 der Kantonsverfassung hinzuweisen, der die Schranken der Grundrechte umschreibt.




Frage 3:


Ist die Bau- und Umweltschutzdirektion, als technische Direktion, wirklich prädestiniert für die politisch oft heikle Bewilligung/Nichtbewilligung von Kundgebungen und Versammlungen? Könnte sich die Regierung auch eine andere Kompetenzordnung vorstellen? Wenn ja, welche?


Der Regierungsrat kann keinen triftigen Grund erkennen, weshalb die Bau- und Umweltschutzdirektion als nicht prädestiniert für die Bewilligung von Kundgebungen und Versammlungen auf Kantons- und Nationalstrassen zu betrachten wäre.


Die Bau- und Umweltschutzdirektion verfügt über eine qualifizierte Rechtsabteilung, die sich auch in anderen Zusammenhängen mit anspruchsvollen verfassungsrechtlichen Fragen zu befassen hat. Sie ist also durchaus befähigt, auch die ihr gesetzlich zugewiesene Aufgabe im Bereich der Bewilligung von Kundgebungen und Versammlungen qualifiziert zu erfüllen. Bislang haben sich damit keine Probleme ergeben.


Liestsal, 10. April 2001


Im Namen des Regierungsrates
Der Präsident: Koellreuter
Der Landschreiber: Mundschin



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