2000-232 (1)

I.

Landrat Max Ritter hat am 16. November 2000 eine Interpellation betreffend "Erklärungs-notstand der BSE; Massnahmen in der Landwirtschaft" mit folgendem Wortlaut eingereicht:


"Das jahrelange Festhalten unserer Wissenschafter an der offiziellen Hypothese und die ein-seitige Information, führt heute dazu, dass in Bezug auf BSE und Kreutzfeld-JakobKrankheit in der Bevölkerung eine totale Verunsicherung besteht.


- Weshalb ruft das Bevt nach einem Totalverbot der Fleischmehlfütterung für alle Tierarten, ohne endlich offen nach den wirklichen Ursachen zu forschen?


Seit 1996 ist unserem Bvet offiziell bekannt, dass Nervengifte im Verdacht stehen, einen ursächlichen Zusammenhang mit dem Auftreten von BSE zu haben.

Seit Frühling 98 liegt dem Bvet die Whatley-Studie vor. Sie beweist, dass in menschlichen und tierischen Zellen die Prionen dramatisch auf Nervengift reagieren. Das Bvet räumte ein, dass dies eine seriöse Studie sei, sagte aber, dies beweise noch gar nichts. Dazu müssten Versuche am lebendigen Tier gemacht werden.
Im Herbst 98 sind im Kanton Freiburg direkt nach der verordneten und von Tierärzten durchgeführten Behandlungen mit Nervengiften hunderte von Rindern erkrankt, viele starben und in der Folge gab es sehr viele Totgeburten.
Bis 1.9.98 war es legal, Knochen und Fett nicht im Batchverfahren und auf 133/3b/20 min zu erhitzen. Daraus ist Fleischmehl, Fleischknochenmehl und Griebenmehl in die Inlandfütterung für Schweine und Geflügel gegangen. Fett ging und geht noch heute in die Nutztierernährung und auch in den Kälberaustauscher. Es muss daher davon ausgegangen werden, dass in den Futtermittelbetrieben wie mehrfach nachgewiesen, Kreuzkontaminationen stattgefunden haben und wegen ungenügend erhitztem Fleischknochenmehl und Rinderfett der BSE-Erreger weiterhin in die Rindviehbestände gelangte. Es muss daher nicht erstaunen, wenn noch BSE-Fälle bei Kühen mit den Jahrgängen 1996 bis 1998 festgestellt werden.

Neben der Prionentheorie hört man immer wieder von Phosphorsäurestern und bestimmten Bakterien, dass diese für die BSE verantwortlich sind. Weshalb nimmt das Bundesamt zu diesen Theorien keine klare Stellung?


Ich bitte die Regierung um schriftliche Beantwortung meiner Fragen."




II.


Der Regierungsrat nimmt zu den einzelnen Fragen wie folgt Stellung:


Allgemeines


Es ist heute weltweit wissenschaftlich anerkannt, dass der BSE-Erreger mittels BSE-verseuchtem Fleischknochenmehl (FKM) in das Tier gelangt.


Die BSE-Verlaufskurven in Relation zu den Zeitpunkten, wo die Fütterungsverbote von FKM an Wiederkäuer ausgesprochen wurden, zeigen dies deutlich.


Alle getroffenen BSE-Massnahmen um die Uebertragung zu verhindern, sowohl in der Schweiz wie auch in der EU, basieren auf diesen wissenschaftlichen Erkenntnissen. Zudem kann dem in England veröffentlichten BSE Inquiry Report über die Ursachen von BSE folgendes entnommen werden:


- The cases of BSE identified between 1986 and 1988 were the consequences of recycling of cattle infected with BSE itself. The BSE agent was spread in MBM.


(Die diagnostizierten BSE-Fälle zwischen 1986 und 1988 sind darauf zurückzuführen, dass BSE infizierte Kühe via Tiermehl rezykliert wurden.)


- BSE probably originated from a novel source early in the 1970s, possibly a cow or other animal that developed disease as a consequence of a gene mutation. The origin of the disease will probably never be known with certainty.


(BSE entstand vielleicht durch eine Genmutation, die Ursache bzw. der Ursprung dieser Krankheit kann vielleicht niemals mit Sicherheit eruiert werden.)


- The theory that BSE is caused by the application to cattle of organophosphorus pesticides is not viable, although there is a possibility that these can increase the susceptibility of cattle to BSE.


(Die Theorie, dass BSE durch die Anwendung von Pestiziden auf der Basis von Organophosphaten verursacht wird, ist nicht haltbar, obwohl die Möglichkeit besteht, dass Organophosphate die BSE-Empfänglichkeit erhöhen.)




Zu den Fragen im Einzelnen


Frage 1:


Auf Grundlage umfangreicher Studien in verschiedensten Ländern Europas ist es wissenschaftlich unbestritten, dass die Fleischknochenmehlfütterung die Hauptursache für die BSE ist. Ob weitere Ursachen für einige wenige Fälle in Frage kommen, ist noch nicht endgültig geklärt. Ausser einem Hinweis auf eine mögliche Übertragung vom Muttertier auf das Kalb wurden nirgendwo andere Ursachen als Futter gefunden. In der Schweiz wurde unter anderem eine Fall-Kontrollstudie durchgeführt, bei der alle möglichen Ursachen in Betracht gezogen und abgeklärt wurden. Es konnte keine andere Ursache als Futter gefunden werden.




Frage 2:


Die Debatte, ob es zwischen Organophosphaten (zu deren Stoffgruppe Neguvon gehört, das in der Schweiz neben anderen Medikamenten zur Dasselbekämpfung eingesetzt wurde ) und BSE einen Zusammenhang gibt, geht schon über Jahre. Anfangs ging es nur um den Wirkstoff Phosmet, der in England zur Dasselfliegenbekämpfung verwendet wurde, der jedoch nicht in Neguvon enthalten ist. Die Frage ob ein Zusammenhang zwischen der BSE in der Schweiz und Medikamentenverabreichungen, namentlich im Zusammenhang mit der Dasselfliegenbe-kämpfung, besteht, wurde vom Bundesamt für Veterinärwesen (BVET) geprüft. Dabei hat sich ergeben, dass weder der zur Diskussion stehende Wirkstoff "Phosmet" noch andere Medikamente in einen ursächlichen Zusammenhang mit der BSE gebracht werden können. Der Wirkstoff Phosmet wurde in der Schweiz für die Dasselfliegenbekämpfung weder angewendet noch ist er zugelassen. Auch in den Regionen, wo Dasselfliegenbekämpfungsprogramme durchgeführt werden, ist BSE nicht vermehrt festgestellt worden. In bescheidenem Masse wird in der Veterinärmedizin in der Schweiz ein Phosmet-Präparat zur Räudebekämpfung bei Schweinen eingesetzt. Die Resultate einer Fall-Kontrollstudie, die die Verwendung von Organophosphaten auf BSE-Höfen und Kontrollhöfen in der Schweiz vergleicht, zeigen keinerlei Zusammenhang. Der Wissenschaftliche Lenkungsausschuss der EU hat 1998 ein umfang-reiches Dokument verfasst, in dem dieses Thema ausführlich dokumentiert und diskutiert wird. Die zusammenfassende Beurteilung lautet wie folgt: "es existieren momentan keine wissen-schaftlichen Beweise für den Zusammenhang zwischen BSE und Organo-phosphaten".




Frage 3:


In mehreren Berichten, die das BVET veröffentlicht hat, wurde auch erwähnt, dass die Organophosphate in die Untersuchungen einbezogen worden sind und kein Zusammenhang gefunden wurde. Ebenso ist der Bericht des Wissenschaftlichen Lenkungsausschusses der EU auf dem Internet öffentlich zugänglich. Prinzipiell muss zur Informationstätigkeit gesagt werden, dass allgemein in der Wissenschaft publiziert wird, wenn Zusammenhänge gefunden werden; wenn keine Zusammenhänge gefunden werden ist dies nicht üblich.




Fragen 4 und 5:


Die zitierte Publikation wurde an Professor Vandevelde, Institut für Tierneurologie der Uni-versität Bern, zur Beurteilung weitergeleitet. Nach seiner Aussage handelt es sich um eine seriöse Laborstudie, die aufzeigt, dass es durch die Verabreichung von Phosmet bei Hirn-zellkulturen zu einer Anhäufung von Prionenprotein an der Zelloberfläche kommen kann, und dass auf diese Weise möglicherweise Phosmet ein prädisponierender Faktor für BSE sein könnte. Dies kann jedoch nicht als Beweis dafür angesehen werden, dass Phosmet tatsächlich BSE auslöst. Dazu wären Untersuchungen am lebenden Tier notwendig. Da weltweit keine Zusammenhänge zwischen BSE und Organophosphaten gesehen werden, wird anderen, wichtigeren Forschungsvorhaben die Priorität eingeräumt.




Fragen 6 bis 9:


Alle verfügbaren Informationen über die Bekämpfung der Dasselkrankheit unterlegen, dass einzig die vorbeugende Herbstbehandlung aller Rinder in einem verseuchten Gebiet zum Erfolg führen kann. Erfahrungen aus verschiedenen europäischen Ländern zeigen, dass eine disziplinierte, d.h. auf Solidarität beruhende, systematische Behandlung aller Rinderbestände in solchen Gebieten innert zwei bis drei Jahren zur Ausrottung der Krankheit führen kann. Eine Behandlung der Dasselbeule im Frühjahr ist zwar begleitend wichtig, verhindert aber weder Schmerzen für die Tiere, noch Schäden für den Tierhalter. Auch eine wirksame Unterbrechung der Infektionskette ist nicht möglich. Die Entwicklung einer einzigen Fliege genügt, um Rinder-herden im Umkreis einiger Kilometer wieder anzustecken. Deshalb ist die breitflächige, syste-matische und vorbeugende Behandlung aller potentiell angesteckten Rinder die einzig erfolg-versprechende Bekämpfungsmethode. Wenn sich vereinzelte Betriebe diesen Massnahmen nicht unterwerfen, gefährden sie das ganze Konzept und machen sich verantwortlich für die wiederkehrende Ansteckung von benachbarten Rinderherden.


Vereinzelt können Probleme beim Einsatz von Neguvon auftreten. Sie sind vor allem auf die nicht immer sachgemässe Anwendung zurückzuführen. In seltenen Fällen kommt es zu Unver-träglichkeitsreaktionen. Der Kantonstierarzt des Kantons Freiburg, der die entsprechenden Be-handlungen im Kanton Freiburg angeordnet hat, teilt mit, dass es bei acht Tieren zu Todesfällen und bei mehreren Tieren zu Unverträglichkeitsreaktionen gekommen ist. Inzwischen gibt es auch alternative Behandlungsmöglichkeiten mit Breitspektrum-Wurmmitteln (Avermectinen), mit denen nicht nur die Dasselfliegen, sondern auch die inneren Parasiten bekämpft werden können.


Wie oben dargelegt, können Biobetriebe, die sich in verseuchten Gebieten befinden, nicht von der vorbeugenden Herbstbehandlung dispensiert werden. Falls sich Biobetriebe, die ihren Vieh-bestand nur vorübergehend zur Weidung bzw. Sömmerung in verseuchte Gebiete verstellen, nicht den vorbeugenden Massnahmen unterwerfen wollen, sollten sie solche Gebiete meiden. Die Dasselfliegenbekämpfung erfolgt nicht zuletzt aus Tierschutzgründen; die schmerzhaften Läsionen können einzig mit prophylaktischen Massnahmen verhindert werden.


Die Dasselkrankheit ist eine Tierseuche im Sinne von Artikel 1 des Tierseuchengesetzes vom 1. Juli 1966 (TSG, SR 916.40), insbesondere weil diese Krankheit vom einzelnen Tierhalter ohne Einbezug weiterer Tierbestände nicht mit Aussicht auf Erfolg abgewehrt werden kann, sie wirt-schaftliche Schäden verursacht und für den internationalen Tierverkehr, z.B. für die Sömmerung im benachbarten Frankreich, von Bedeutung ist. Der Bundesrat hat deshalb die Bekämpfung der Dasselkrankheit in der Tierseuchenverordnung (TSV, SR 916.401) in den Artikeln 230 bis 232 näher geregelt. Danach hat der Kantonstierarzt in endemisch verseuchten Gebieten die vorbeugende Behandlung aller Rinderbestände anzuordnen, und das Bundesamt (BVET) ist mit der Koordination der Massnahmen durch die Kantone beauftragt. Dazu hat das BVET insbe-sondere die Weisungen vom 11. August 1998 erlassen, aber auch in einschlägigen Zeitschriften informiert. Wie für alle anderen Seuchen, gilt auch für die Dasselkrankheit die Meldepflicht für die Personen, die Tiere halten, betreuen oder behandeln (Art. 61 TSV). Zudem sollen die Tier-halter ihre Tiere ordnungsgemäss warten, pflegen und möglichst gesund erhalten; sie haben die Pflicht, die seuchenpolizeilichen Organe bei der Durchführung der Massnahmen zu unter-stützen (Art. 59 TSV). Ohne diese solidarischen Grundlagen lassen sich keine Tierseuchen wirkungsvoll zum Vorteil der ganzen Nutztier-Population bekämpfen.




Fragen 10 bis 12:


Infektiöse Mehle tierischer Herkunft gelten als Ursache für die BSE, die 1990 erstmals in der Schweiz aufgetreten ist. Nach dem Auftreten des ersten Falles wurde deshalb sofort der Einsatz von Fleisch- und Fleischknochenmehl in der Wiederkäuerfütterung verboten. Dem Fütterungs-verbot von 1990 folgte die Auflage, dass tierische Eiweisse einer Hitzesterilisation von 133°C bei 3 bar während 20 Minuten unterzogen werden mussten. Als weitere Verschärfung im Kampf gegen die BSE müssen seit 1996 Tierkadaver und die Risikoorgane Gehirn, Rückenmark und Augen verbrannt werden. Aufgrund der aktuellen Ereignisse und aufgrund von Konsultationen mit der Wissenschaft ist man zum Schluss gekommen, dass als zusätzliche Vorsorge-massnahme der Einsatz von Mehlen tierischer Herkunft bei der Fütterung aller Nutztiere zu verbieten sei. Das Verbot soll auch die sogenannten Extraktionsfette umfassen, welche bei der Verarbeitung von tierischen Abfällen für technische Zwecke sowie als Futterzusatz gewonnen werden. Ziel der Massnahmen ist es, die Ausrottung der Tierseuche BSE voranzutreiben.


Knochen sind keine möglichen BSE-Träger. Ausnahme ist die Wirbelsäule, die zwar an und für sich nicht infektiös ist, in der aber Nervenknoten (Spinalganglien) sind, die infektiös sein kön-nen. Aufgrund einer 1997 veröffentlichten Studie, die dies zeigte, wurde die Wirbelsäule von Kühen von der menschlichen Ernährung ausgeschlossen. Richtig ist, dass Knochen erst seit 1998 gleich behandelt werden müssen wie Fleischknochenmehl, was anfänglich auf technische Schwierigkeiten gestossen ist. Die EU hat diese Vorschrift erst im Juni 2000 implementiert.


Es ist weltweit niemals eine natürliche BSE-Infektion beim Schwein und Geflügel festgestellt worden. Bisher konnte ein Schwein künstlich infiziert werden, indem dem Tier Prionen in hohen Dosen direkt ins Gehirn gespritzt worden waren. Keine wissenschaftlichen bzw. gesicherten Er-kenntnisse liegen darüber vor, inwieweit Schwein und Huhn BSE-Erreger nach der Aufnahme ausscheiden, aber mit dem angestrebten generellen Verbot des Verfütterns von Fleisch-knochenmehl ist möglichen Verbreitungswegen ein Riegel geschoben.




Frage 13:


Der BSE-Epidemiologie wird volle Aufmerksamkeit geschenkt und die verschiedenen Thesen, auch die der Organophosphate und Bakterien, werden in die Abklärungen miteinbezogen. Auch international werden alle Hypothesen intensiv abgeklärt, ein Zusammenhang konnte allerdings bisher nicht gefunden werden.


Im Namen des Regierungsrates
der Präsident: Koellreuter
der Landschreiber: Mundschin



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